nicht tut; regelmäßig zeigt sie sich in schlechter Gesellschaft; regelmäßig bannt man sie mit unangreifbarer Logik. Glaubst du, dass alle Menschen gleichberechtigt sind? Bist du ein Mensch? Gratuliere, du bist FeministIn! Es gibt auch ein Lied dazu.
Selbst wenn ich mich jemals als Feministin bezeichnet hätte – angesichts dieser Logik würde ich gleich in meine Lieblingsrolle verfallen: der Advocatus Diaboli. Nun, ich habe mich niemals als Feministin bezeichnet, bin also selbst der Teufel und muss mich verteidigen. Aber wem denn gegenüber? Vor allem all den FreundInnen – sonst könnte es mir egal sein –, denen der Feminismus von zentraler Bedeutung ist. Ihretwegen kann ich mich nicht ganz so wohlig in meiner Widerspruchshaltung einrichten, weil ich spüre, dass sie sie betrübt; das betrübt mich wiederum.
Aber es ärgert mich, mich rechtfertigen zu müssen: Mir fällt keine andere Bewegung des politischen Mainstreams ein, die derart auf Identifikation beharrt. Wer gegen Rassismus oder Homophobie ist, für Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit, der ist es einfach und steht nicht unter Zwang, sich so oder so zu nennen. Es sei denn, unter Hardcore-Aktivisten, die sich gern in solchen Fragen verrennen. Irgendwo streiten sich auch Atheisten mit Agnostikern … Solche Haarspaltereien sind eher marginal. Aber der Feminismus ist nun einmal eine Identitätspolitik, die keine Minderheit betrifft, sondern die Hälfte der Bevölkerung (mindestens die Hälfte: Feminismus sei auch Männersache). Und Identität ist ein angeblich wandel- und verhandelbarer, aber im Grunde absoluter Begriff, ein Ganzodergarnicht: Dinge sind identisch oder nicht identisch, man identifiziert sich oder eben nicht.
Der Feminismus rührt an einen empfindlichen Kern: Das eigene Geschlecht und das andere; ob man »richtig« damit umgeht, ob man sich »richtig« ein- und nicht über- oder untergeordnet hat. An einen alten Kampf, in dem jeder, ohne es zu wollen, sich eingereiht findet – an das Unbehagen, etwas zu sein und gleichzeitig die Rolle dessen zu spielen. Womöglich schlecht und falsch.
Die Feminismus-Diskussion wird mit einer existentiellen Dringlichkeit geführt, die mir hier in Deutschland wie ein Nachhall der viel krasseren amerikanischen Kulturkämpfe vorkommt. Für Feministinnen ist eine nichtfeministische Frau scheinbar so etwas wie ein ungeimpftes Kind, das nur dank der Herdenimmunität gedeiht – und diese Immunität zugleich schwächt.
Vielleicht sollte ich mich lieber aus der Diskussion heraushalten. Wenn ich mich doch laut einmische, dann mit dem unangenehmen Gefühl, eine Provokation zu inszenieren, gewollt eine Lanze für die »andere Seite« zu brechen, eben das nicht zu sagen, was man/frau von mir erwartet. Sowieso: wenn man konkrete Kritik übt, erscheint die eigene Haltung allzu schnell als Antihaltung und als Angriff – man kann eine ganze vielfältige Bewegung kaum anders denn als überspitzt und pauschalisierend kritisieren.
Aber ich kann meine persönliche Nichtidentifizierung mit dem Feminismus so vorsichtig wie möglich begründen: Geschlechterdiskriminierung und -rollenzwänge abzulehnen[1] müsste für einen intelligenten Menschen selbstverständlich sein (ja ist inzwischen für die meisten selbstverständlich). Warum bedarf es eines Sonderbegriffes, der diesen Standpunkt doch nur aus der Selbstverständlichkeit, aus der Ganzheit einer ethischen/politischen Haltung herauslöst? Eine sinnvolle Definition könnte vielleicht so lauten: Ein/e Feminist/in ist jemand, der/die feministische Positionen (siehe Dementi) unterschreibt und sich maßgeblich über diese Haltung definiert und aus ihr heraus agiert. Es geht um Selbstdefinition, Prioritäten, Aktivismus. Meine politischen Prioritäten sind einfach andere (und wohlbemerkt habe ich auch mit dem Begriff des Aktivismus meine Schwierigkeiten). Damit kann ich den Feminismus gelten lassen, respektieren, idealerweise in ein Geben-und-Nehmen treten, ohne mich damit zu identifizieren.
Mein Nichtfeminismus ist sicher etwas, das ich mir leisten muss und kann, und das hat viel mit meiner Biographie zu tun. Viel mit meinen Eltern: beide Doktoren, beide voll berufstätig, sie haben immer eine gleichberechtigte Ehe geführt, waren gleichermaßen für mich da, ganz selbstverständlich, ohne es zu thematisieren. Sie sind 68er, keine Ideologen, sondern Pragmatisten. Eigentlich sind sie allergisch gegen Ismen – und das hat mich wohl am meisten geprägt. Das ist auch etwas, was man sich leisten muss. Ich bin privilegiert. Ich wurde selten mit Sexismus oder Diskriminierung konfrontiert, und da ich kein Kind habe, blieben mir viele Konflikte erspart.
Vor allem habe ich mich immer in einer mehr oder weniger linkspolitischen Luftblase bewegt: Ich habe das Glück, dass mein Umkreis schon immer aus emanzipierten Frauen, vielen FeministInnen, kaum aber SexistInnen bestand. Das heißt aber auch, dass ich Druck vor allem von der feministischen Seite spüre.
Und der Druck macht mich stutzig. Den man als Frau doch immer irgendwie spürt. Man kann nicht einfach sein, sondern ist dauernd gezwungen, sich mit seinem Frausein zu beschäftigen. Eine Frau zu sein, ist lästig. Der Feminismus ist lästig, denn auch er übt diesen Zwang aus. (Lästig: ein Reizwort, wie Ekel. Das auf einen selbst zurückfällt. Eine Last ist lästig, wenn man sie nicht ohne weiteres ablegen kann; Ekel bedeutet etwas, das einem zu nahe geht.) Die Muster, die aufgelöst werden sollen, zeichnet er erst einmal nach. Das hat jeder Ismus an sich.
Wenn ich durch eine solche Linse blicke, scheint sich etwas vor mein Gesichtsfeld zu schieben. Überschärfe da, Unschärfe dort. Ein Gefühl der Verengung. Der Gedanke als Frau fällt mit einem blinden Fleck zusammen. Weiß ich, was an mir »Frau« ist? Ich habe keine Vergleichsmöglichkeit. Ich war noch nie ein Mann. Oder irgendein anderer Mensch. Ich verstehe Frauen genauso schlecht wie Männer. Die feministische Brille macht mir da nur schlimmere Kopfschmerzen. Was keineswegs heißt, dass die Brille schlecht wäre – bloß scheint sie mir nicht zu passen.
Bei Konflikten mit Männern, romantisch oder unromantisch, half mir da je ein feministischer Gedanke? Selbstachtung, Selbstbestimmung, freilich. Bei solchen Auseinandersetzungen die Selbstachtung als feministisch, nicht rein menschlich, zu begreifen ist fast unvermeidlich – aber auch fatal, da Teil der Zwickmühle. In der Hitze des Gefechts beruft man sich, Mann wie Frau, auf vorgefertigte Muster, die irgendeinen rhetorischen Vorteil versprechen. Aber der Vorteil bleibt immer nur rhetorisch. (Zudem: ein Sieg im Beziehungsstreit – und führen wir hier nicht einen Beziehungsstreit im Großen? – ist meist nur ein Pyrrhussieg.) Da spielen ich und er die alten Rollen, die andere geschrieben haben. Wir schreiben an ihnen weiter – doch nicht das, was wir eigentlich schreiben wollten. Fechten etwas aus, das nicht zwischen uns ist, sondern über allen schwebt, der ewige Geschlechterkampf. Man ist dann nicht nur nicht beim anderen, man ist nicht mehr bei sich.
Es gibt einen »feministischen« Text, den ich schon als Teenager las und der mich bis heute geprägt hat – Virginia Woolfs Essay ›A Room of One’s Own‹, mit der Vollkommenheit und Fülle seiner (kaum zu trennenden) Form und Argumentation. In dieser Vollkommenheit ist auch der Widerspruch aufgehoben. Woolf schreibt im Bewusstsein des Geschlechtes, um sich darüber klar zu werden, das auch dieses Bewusstsein zu überwinden sei: »Sie schrieb als Frau, aber als Frau, die vergessen hat, daß sie eine Frau ist, so daß ihre Seiten voll waren von jenem seltsamen Reiz des Geschlechts, der sich nur einstellt, wenn das Geschlecht sich seiner selbst nicht bewußt ist. (…) Vielleicht ist es anstrengend, sich das eine Geschlecht als gesondert vom anderen zu denken, wie ich es diese beiden Tage lang getan hatte. Es beeinträchtigt die Einheit des Geistes. (…) Aber vielleicht gibt es Geisteszustände, in denen man ohne Anstrengung verharren kann, weil man nichts zurückzuhalten braucht. (…) der androgyne Geist ist mitschwingend und durchlässig; er übermittelt Gefühle ohne Hemmnisse; er ist von Natur aus schöpferisch, weißglühend und ungeteilt.« Woolf ist wütend, und malt sich zugleich die Folgen der Wut aus: die Verzerrung des Blicks auf die Dinge »wie sie sind«, die Entstellung des Geschaffenen. Wut macht unfrei: Man richtet sich nach einer »externen Autorität«, indem man gegen sie ankämpft. »… es wird ihr nie gelingen, ihr Genie heil und ganz zum Ausdruck zu bringen. Ihre Bücher werden entstellt und verzerrt sein. Sie wird im Zorn schreiben, wo sie gelassen schreiben sollte. Sie wird töricht schreiben, wo sie klug schreiben solle. Sie wird von sich selbst schreiben, wo sie von ihren Romanfiguren schreiben sollte. Sie hadert mit ihrem Los. (…) Es ist tödlich, ein Mann oder eine Frau und nichts als das zu sein; man muß weiblich-männlich oder männlich-weiblich sein. Es ist tödlich für eine Frau, irgendeinen Groll auch nur im geringsten herauszustellen; irgendeine Sache, auch wenn sie gerecht ist, zu verfechten; in irgendeiner Weise bewußt als Frau zu sprechen. Und tödlich ist nicht metaphorisch gemeint; denn alles mit dieser bewußten Voreingenommenheit Geschriebene ist zum Tode verurteilt. Es hört auf, fruchtbar zu sein.«
Ein unerbittlicher und paradoxer Anspruch. Aber Woolfs Angebot – die Form, die Widersprüche in der Schwebe hält, und dieser Geist, der die Schwebe aushält, der die Auflösung von Polaritäten, gegenseitige Befruchtung anstrebt – erscheint mir so verheißungsvoll, so frisch und unverbraucht, als wären seitdem keine 86 Jahre vergangen. Weil das Angebot nie wirklich angenommen wurde? Oder wenn, dann nur im Kleinen, Zwischenmenschlichen, in künstlerischen Visionen, vereinzelt, fragmentarisch … Aber das liegt wohl in seiner Natur. Es handelt sich um keine Identität, zu der man sich bekennt, kein Ismus, um den man sich schart. Keine Bewegung – nur eine Regung.
Es spukt weiter, die Schlacht tobt weiter, ein Gefecht im großen Maßstab, doch im virtuellen Raum – zwei Armeen, Wesen und Antiwesen, die sich niemals in Wirklichkeit begegnen. Wer sind denn diese nichtfeministischen Frauen? Ewiggestrige, Apathische, Ängstliche, Egoistinnen? Zombies? Trolls? Manche stilisieren sich als stolze Abtrünnige: noch rebellischer und noch weiblicher als jede Feministin. Ein Feminist verwandelt sie zur Strafe in verwirrte Katzen.
Nun – könnte man sagen –, getroffene Katzen jaulen, oder warum fühlst du dich angesprochen? (Schließlich bist du ja eigentlich Feministin.) Wir meinen doch die da, und die, die Konservativen, die mit den falschen Vorstellungen, mit dem falschem Bewusstsein … Aber: wenn ich mich in meinem Umkreis oder in den Internetkommentaren umschaue, scheint es durchaus viele Frauen (und Männer) zu geben, die das Etikett »Feminismus« für sich ablehnen, aber mit den Feministinnen so viel gemeinsam haben, dass man sich zumindest konstruktiv streiten könnte. Wenn man immer wieder feststellt, dass eine große Mehrheit sich zur Gleichberechtigung bekennt, nicht aber zu dem Wörtchen Feminismus – dann muss man sich sehr wohl fragen, um wen und was es hier eigentlich geht und ob die Hiobsnachricht wirklich eine ist. Ob man es nicht auch als Chance verstehen kann, die konstruierte Polarität Feministin/Nichtfeministin aufzulösen und sich als Individuen zu begegnen, deren Positionen sich durchaus befruchten können.
Nur dank des Feminismus stehe ich so da, wie ich nun eben dastehe und den Feminismus lästig finde. Aber jeder, der halbwegs gut dasteht, tut es nur Dank anderer, die für Sachen gekämpft haben, für die man sich selbst nicht engagierte, für die man sich überhaupt nicht interessiert oder die man sogar abwegig, peinlich, ekelig findet. Und keiner von uns ist in der Lage, wirklich zu erahnen, von welchen Herdenimmunitäten wir abhängen, wessen Einfall der rettende, wer eines Tages für uns da sein wird.
Regelmäßig wird sie im Feuilleton beschworen: die Frau, die sich als Feministin bezeichnen müsste, es aber Selbst wenn ich mich jemals als Feministin bezeichnet hätte – angesichts dieser Logik würde ich gleich in meine Lieblingsrolle verfallen: der Advocatus Diaboli. Nun, ich habe mich niemals als Feministin bezeichnet, bin also selbst der Teufel und muss mich verteidigen. Aber wem denn gegenüber? Vor allem all den FreundInnen – sonst könnte es mir egal sein –, denen der Feminismus von zentraler Bedeutung ist. Ihretwegen kann ich mich nicht ganz so wohlig in meiner Widerspruchshaltung einrichten, weil ich spüre, dass sie sie betrübt; das betrübt mich wiederum.
Aber es ärgert mich, mich rechtfertigen zu müssen: Mir fällt keine andere Bewegung des politischen Mainstreams ein, die derart auf Identifikation beharrt. Wer gegen Rassismus oder Homophobie ist, für Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit, der ist es einfach und steht nicht unter Zwang, sich so oder so zu nennen. Es sei denn, unter Hardcore-Aktivisten, die sich gern in solchen Fragen verrennen. Irgendwo streiten sich auch Atheisten mit Agnostikern … Solche Haarspaltereien sind eher marginal. Aber der Feminismus ist nun einmal eine Identitätspolitik, die keine Minderheit betrifft, sondern die Hälfte der Bevölkerung (mindestens die Hälfte: Feminismus sei auch Männersache). Und Identität ist ein angeblich wandel- und verhandelbarer, aber im Grunde absoluter Begriff, ein Ganzodergarnicht: Dinge sind identisch oder nicht identisch, man identifiziert sich oder eben nicht.
Der Feminismus rührt an einen empfindlichen Kern: Das eigene Geschlecht und das andere; ob man »richtig« damit umgeht, ob man sich »richtig« ein- und nicht über- oder untergeordnet hat. An einen alten Kampf, in dem jeder, ohne es zu wollen, sich eingereiht findet – an das Unbehagen, etwas zu sein und gleichzeitig die Rolle dessen zu spielen. Womöglich schlecht und falsch.
Die Feminismus-Diskussion wird mit einer existentiellen Dringlichkeit geführt, die mir hier in Deutschland wie ein Nachhall der viel krasseren amerikanischen Kulturkämpfe vorkommt. Für Feministinnen ist eine nichtfeministische Frau scheinbar so etwas wie ein ungeimpftes Kind, das nur dank der Herdenimmunität gedeiht – und diese Immunität zugleich schwächt.
Vielleicht sollte ich mich lieber aus der Diskussion heraushalten. Wenn ich mich doch laut einmische, dann mit dem unangenehmen Gefühl, eine Provokation zu inszenieren, gewollt eine Lanze für die »andere Seite« zu brechen, eben das nicht zu sagen, was man/frau von mir erwartet. Sowieso: wenn man konkrete Kritik übt, erscheint die eigene Haltung allzu schnell als Antihaltung und als Angriff – man kann eine ganze vielfältige Bewegung kaum anders denn als überspitzt und pauschalisierend kritisieren.
Aber ich kann meine persönliche Nichtidentifizierung mit dem Feminismus so vorsichtig wie möglich begründen: Geschlechterdiskriminierung und -rollenzwänge abzulehnen[1] müsste für einen intelligenten Menschen selbstverständlich sein (ja ist inzwischen für die meisten selbstverständlich). Warum bedarf es eines Sonderbegriffes, der diesen Standpunkt doch nur aus der Selbstverständlichkeit, aus der Ganzheit einer ethischen/politischen Haltung herauslöst? Eine sinnvolle Definition könnte vielleicht so lauten: Ein/e Feminist/in ist jemand, der/die feministische Positionen (siehe Dementi) unterschreibt und sich maßgeblich über diese Haltung definiert und aus ihr heraus agiert. Es geht um Selbstdefinition, Prioritäten, Aktivismus. Meine politischen Prioritäten sind einfach andere (und wohlbemerkt habe ich auch mit dem Begriff des Aktivismus meine Schwierigkeiten). Damit kann ich den Feminismus gelten lassen, respektieren, idealerweise in ein Geben-und-Nehmen treten, ohne mich damit zu identifizieren.
Mein Nichtfeminismus ist sicher etwas, das ich mir leisten muss und kann, und das hat viel mit meiner Biographie zu tun. Viel mit meinen Eltern: beide Doktoren, beide voll berufstätig, sie haben immer eine gleichberechtigte Ehe geführt, waren gleichermaßen für mich da, ganz selbstverständlich, ohne es zu thematisieren. Sie sind 68er, keine Ideologen, sondern Pragmatisten. Eigentlich sind sie allergisch gegen Ismen – und das hat mich wohl am meisten geprägt. Das ist auch etwas, was man sich leisten muss. Ich bin privilegiert. Ich wurde selten mit Sexismus oder Diskriminierung konfrontiert, und da ich kein Kind habe, blieben mir viele Konflikte erspart.
Vor allem habe ich mich immer in einer mehr oder weniger linkspolitischen Luftblase bewegt: Ich habe das Glück, dass mein Umkreis schon immer aus emanzipierten Frauen, vielen FeministInnen, kaum aber SexistInnen bestand. Das heißt aber auch, dass ich Druck vor allem von der feministischen Seite spüre.
Und der Druck macht mich stutzig. Den man als Frau doch immer irgendwie spürt. Man kann nicht einfach sein, sondern ist dauernd gezwungen, sich mit seinem Frausein zu beschäftigen. Eine Frau zu sein, ist lästig. Der Feminismus ist lästig, denn auch er übt diesen Zwang aus. (Lästig: ein Reizwort, wie Ekel. Das auf einen selbst zurückfällt. Eine Last ist lästig, wenn man sie nicht ohne weiteres ablegen kann; Ekel bedeutet etwas, das einem zu nahe geht.) Die Muster, die aufgelöst werden sollen, zeichnet er erst einmal nach. Das hat jeder Ismus an sich.
Wenn ich durch eine solche Linse blicke, scheint sich etwas vor mein Gesichtsfeld zu schieben. Überschärfe da, Unschärfe dort. Ein Gefühl der Verengung. Der Gedanke als Frau fällt mit einem blinden Fleck zusammen. Weiß ich, was an mir »Frau« ist? Ich habe keine Vergleichsmöglichkeit. Ich war noch nie ein Mann. Oder irgendein anderer Mensch. Ich verstehe Frauen genauso schlecht wie Männer. Die feministische Brille macht mir da nur schlimmere Kopfschmerzen. Was keineswegs heißt, dass die Brille schlecht wäre – bloß scheint sie mir nicht zu passen.
Bei Konflikten mit Männern, romantisch oder unromantisch, half mir da je ein feministischer Gedanke? Selbstachtung, Selbstbestimmung, freilich. Bei solchen Auseinandersetzungen die Selbstachtung als feministisch, nicht rein menschlich, zu begreifen ist fast unvermeidlich – aber auch fatal, da Teil der Zwickmühle. In der Hitze des Gefechts beruft man sich, Mann wie Frau, auf vorgefertigte Muster, die irgendeinen rhetorischen Vorteil versprechen. Aber der Vorteil bleibt immer nur rhetorisch. (Zudem: ein Sieg im Beziehungsstreit – und führen wir hier nicht einen Beziehungsstreit im Großen? – ist meist nur ein Pyrrhussieg.) Da spielen ich und er die alten Rollen, die andere geschrieben haben. Wir schreiben an ihnen weiter – doch nicht das, was wir eigentlich schreiben wollten. Fechten etwas aus, das nicht zwischen uns ist, sondern über allen schwebt, der ewige Geschlechterkampf. Man ist dann nicht nur nicht beim anderen, man ist nicht mehr bei sich.
Es gibt einen »feministischen« Text, den ich schon als Teenager las und der mich bis heute geprägt hat – Virginia Woolfs Essay ›A Room of One’s Own‹, mit der Vollkommenheit und Fülle seiner (kaum zu trennenden) Form und Argumentation. In dieser Vollkommenheit ist auch der Widerspruch aufgehoben. Woolf schreibt im Bewusstsein des Geschlechtes, um sich darüber klar zu werden, das auch dieses Bewusstsein zu überwinden sei: »Sie schrieb als Frau, aber als Frau, die vergessen hat, daß sie eine Frau ist, so daß ihre Seiten voll waren von jenem seltsamen Reiz des Geschlechts, der sich nur einstellt, wenn das Geschlecht sich seiner selbst nicht bewußt ist. (…) Vielleicht ist es anstrengend, sich das eine Geschlecht als gesondert vom anderen zu denken, wie ich es diese beiden Tage lang getan hatte. Es beeinträchtigt die Einheit des Geistes. (…) Aber vielleicht gibt es Geisteszustände, in denen man ohne Anstrengung verharren kann, weil man nichts zurückzuhalten braucht. (…) der androgyne Geist ist mitschwingend und durchlässig; er übermittelt Gefühle ohne Hemmnisse; er ist von Natur aus schöpferisch, weißglühend und ungeteilt.« Woolf ist wütend, und malt sich zugleich die Folgen der Wut aus: die Verzerrung des Blicks auf die Dinge »wie sie sind«, die Entstellung des Geschaffenen. Wut macht unfrei: Man richtet sich nach einer »externen Autorität«, indem man gegen sie ankämpft. »… es wird ihr nie gelingen, ihr Genie heil und ganz zum Ausdruck zu bringen. Ihre Bücher werden entstellt und verzerrt sein. Sie wird im Zorn schreiben, wo sie gelassen schreiben sollte. Sie wird töricht schreiben, wo sie klug schreiben solle. Sie wird von sich selbst schreiben, wo sie von ihren Romanfiguren schreiben sollte. Sie hadert mit ihrem Los. (…) Es ist tödlich, ein Mann oder eine Frau und nichts als das zu sein; man muß weiblich-männlich oder männlich-weiblich sein. Es ist tödlich für eine Frau, irgendeinen Groll auch nur im geringsten herauszustellen; irgendeine Sache, auch wenn sie gerecht ist, zu verfechten; in irgendeiner Weise bewußt als Frau zu sprechen. Und tödlich ist nicht metaphorisch gemeint; denn alles mit dieser bewußten Voreingenommenheit Geschriebene ist zum Tode verurteilt. Es hört auf, fruchtbar zu sein.«
Ein unerbittlicher und paradoxer Anspruch. Aber Woolfs Angebot – die Form, die Widersprüche in der Schwebe hält, und dieser Geist, der die Schwebe aushält, der die Auflösung von Polaritäten, gegenseitige Befruchtung anstrebt – erscheint mir so verheißungsvoll, so frisch und unverbraucht, als wären seitdem keine 86 Jahre vergangen. Weil das Angebot nie wirklich angenommen wurde? Oder wenn, dann nur im Kleinen, Zwischenmenschlichen, in künstlerischen Visionen, vereinzelt, fragmentarisch … Aber das liegt wohl in seiner Natur. Es handelt sich um keine Identität, zu der man sich bekennt, kein Ismus, um den man sich schart. Keine Bewegung – nur eine Regung.
Es spukt weiter, die Schlacht tobt weiter, ein Gefecht im großen Maßstab, doch im virtuellen Raum – zwei Armeen, Wesen und Antiwesen, die sich niemals in Wirklichkeit begegnen. Wer sind denn diese nichtfeministischen Frauen? Ewiggestrige, Apathische, Ängstliche, Egoistinnen? Zombies? Trolls? Manche stilisieren sich als stolze Abtrünnige: noch rebellischer und noch weiblicher als jede Feministin. Ein Feminist verwandelt sie zur Strafe in verwirrte Katzen.
Nun – könnte man sagen –, getroffene Katzen jaulen, oder warum fühlst du dich angesprochen? (Schließlich bist du ja eigentlich Feministin.) Wir meinen doch die da, und die, die Konservativen, die mit den falschen Vorstellungen, mit dem falschem Bewusstsein … Aber: wenn ich mich in meinem Umkreis oder in den Internetkommentaren umschaue, scheint es durchaus viele Frauen (und Männer) zu geben, die das Etikett »Feminismus« für sich ablehnen, aber mit den Feministinnen so viel gemeinsam haben, dass man sich zumindest konstruktiv streiten könnte. Wenn man immer wieder feststellt, dass eine große Mehrheit sich zur Gleichberechtigung bekennt, nicht aber zu dem Wörtchen Feminismus – dann muss man sich sehr wohl fragen, um wen und was es hier eigentlich geht und ob die Hiobsnachricht wirklich eine ist. Ob man es nicht auch als Chance verstehen kann, die konstruierte Polarität Feministin/Nichtfeministin aufzulösen und sich als Individuen zu begegnen, deren Positionen sich durchaus befruchten können.
Nur dank des Feminismus stehe ich so da, wie ich nun eben dastehe und den Feminismus lästig finde. Aber jeder, der halbwegs gut dasteht, tut es nur Dank anderer, die für Sachen gekämpft haben, für die man sich selbst nicht engagierte, für die man sich überhaupt nicht interessiert oder die man sogar abwegig, peinlich, ekelig findet. Und keiner von uns ist in der Lage, wirklich zu erahnen, von welchen Herdenimmunitäten wir abhängen, wessen Einfall der rettende, wer eines Tages für uns da sein wird.
Zitate aus:Virginia Woolf, ›Ein eigenes Zimmer‹. Aus dem Englischen von Heidi Zerning, hrsg. Klaus Reichert © S. Fischer Verlag GmbH, 2001
[1] Dementi: Das ist eine sehr provisorische Formulierung der feministischen Position. Die es, als die feministische Position, natürlich gar nicht erst gibt. Aber insofern kann mein Provisorium nicht falscher sein als irgendein anderes.