Sebastian Rether: Foc/Feuer

Zarter Strich – Harte Realität

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Sebastian Rether zeichnet die Erinnerungen eines Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Es sind die Erinnerungen von Rethers Großvater. Als Junger Soldat führte sein Weg quer durch Europa von Rumänien, an die Grenze Russlands, von dort nach Frankreich und über Italien wieder zurück nach Hermanstadt. »Foc/Feuer« erzählt keine durchgehende Geschichte, sondern skizziert in kurzen und drastischen Szenen das Leben an und hinter der Front.

Das erste Bild, ein Mann nimmt Abschied von seinem Heim, vor dem Fenster ein Feld mit kleinen Gänsen. 360 Seiten später kehrt der Mann wieder zurück und die Gänse beäugen ihn neugierig durchs Stubenfenster. Sie sind groß geworden. Es ist viel Zeit vergangen.

Genaugenommen ist der Mann gar kein Mann, sondern ein Hund. Alle Menschen in Sebastian Rethers Graphic Novel »Foc/Feuer« sind Tiere. Das Kriegsgerät auch, als Panzer schieben sich riesenhafte Schildkröten durchs Gelände, Vögle bilden die Luftwaffe. Die Metaphorik schafft Distanz wie in einer Fabel, die praktische Lebensweisheit und anerkannte Wahrheit veranschaulicht. Hier sind die Wahrheiten finster und brutal, denn Rether beschreibt das Leben im Krieg.

Rether zeichnet entlang der Notizen und mündlichen Berichte seines Großvaters. Die sind brüchig, zittrig und nicht immer hundertprozentig verlässlich. Aber sie sind ehrlich und aufrüttelnd. Der Zeichenstil ist extrem reduziert, die dünnen Linien drücken sich nur verhalten in das Papier, verlieren sich in den weiten, weißen Flächen der Seiten. In seinen Skizzen tastet Rether sich im wahrsten Sinne des Wortes heran an die konkrete Wirklichkeit. Rether nutzt äußerst geschickt die Möglichkeiten der reduzierten Illustration, um die eigenwilligen und ausschnitthaften Erinnerungen des Großvaters nachzuerzählen.

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Die Szenen sehen nur auf den ersten Blick heiter aus. Die Tier-Soldaten entpuppen sich schnell als leidende Kreaturen in einem quälerischen Kriegsalltag. Sobald sie den Helm aufgedrückt bekommen, verlieren sie ihr Antlitz und gehen gesichtslos in der Masse der Soldaten unter. Rether leuchtet nicht großflächig aus, sondern setzt einzelne Schlaglichter. Extrem verdichtet werden die Erlebnisse der Hauptfigur als Rekrut in der rumänischen Armee beschrieben, dann die Zeit bei der deutschen Wehrmacht, die Flucht aus der russischen Gefangenschaft und schließlich der mit Gefahren, Angst und Entbehrungen gespickte Weg zurück in die rumänische Heimat. Langeweile und Warten bestimmt den Alltag in der Etappe, schlechte Verpflegung, schikanöse Offiziere und Drill. Selbst beim Verrichten der Notdurft lauern Gefahren. Große Schlachten und historisch Bedeutsames spielen hier eine untergeordnete Rolle. In diesem Soldatenleben versteckt sich die Grausamkeit des Krieges in kleinen Details und Episoden.

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Rethers Graphic Novel mit ihrer abstrakten Bildgestaltung, ihrer Metaphorik und kritzeligen Skizzenhaftigkeit verzichtet auf erklärende oder gar aufklärende Gesten. Sie appeliert an Emotion und Emphatie und scheut auch vor heiterer Banalität oder satirischer Überspitzung nicht zurück. Diese Erzählhaltung funktioniert. Beinahe physisch ist zum Beispiel die Ungewissheit und Angst der Soldaten zu spüren, wenn sie im Zug an die Ostfront transportiert werden. Die Bilder der langen Reise zeigen ein Lok mit vielen Waggons, die winzig klein über mehrere Doppelseiten durch die weite Einöde rollen. Bis der Zug am Ende bei einem Luftangriff zerschmettert wird.

Mit »Foc/Feuer« hat Sebastian Rether ein schwieriges Thema angemessen und anschaulich umgesetzt. Die Bildergeschichte bietet viel Material für eine generations-übergreifende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und läßt Raum für eigene Imagination und Interpretation.

Sebastian Rether, Foc/Feuer (Graphic Novel). Gebunden, Fadenheftung, 368 Seiten. Frankfurt/M.: Edition Büchergilde 2016

[Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Magazin IV/2016 der Büchergilde.]

Ein Kommentar zu „Sebastian Rether: Foc/Feuer

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  1. Ist es erlaubt das zu rebloggen? Ich vermute von der Büchergilde gibt es keine Rezensionsexemplare, oder? Und schau mal bei mir nach „Albert“ gleich Thema! LG

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