Akzente_Öya-Festival 2005

Reif für die Insel

Die aktuelle Festivalszene zeichnet sich durch Angleichung des Line-ups und den Verlust jeder erkennbaren Linie aus. Nur manchmal offenbart sich ein eigener Charakter - so wie hier.    13.09.2005

Wer sich zu spät über diverse Festivalitäten schlau macht, darf zu Recht ein schlechtes Gewissen haben. Mit dem Gefühl beißender Eifersucht auf jene, die dabei sein durften, muß er ohnehin fertig werden ...

Das Osloer Öya-Festival gehört nach wie vor zu den Geheimtips. Es wird von Jahr zu Jahr umfangreicher und bleibt sich doch treu - wo soll das nur hinführen? In grenzenloses Staunen vermutlich. Die Veranstaltungsreihe wurde als sommerliche Förderungsmaßnahme für norwegische Bands gegründet und legt ihr Hauptaugenmerk nach wie vor auf heimische Künstler. Da das Programm mit den Jahren durch weitere Freiluft- bzw. Clubtage immer umfangreicher wurde, mehrt sich nun auch der Anteil an internationalen Gästen, die naturgemäß sorgsam ausgewählt wurden. So wurde "Öya" nicht nur größer, sondern schaffte es auch, Quantität mit Qualität zu verbinden.

In den beiden vergangenen Jahren bot das Festival - immer Mitte August - die wunderbare Gelegenheit, der mitteleuropäischen Hitze zu entfliehen. Diesmal stand man jedoch auf der als Insel (= Öya) bezeichneten Osloer Parkgelände mit angebautem Sandstrand ziemlich im Regen.

 

Erst beim Auftritt von Magnet versiegte die Wasserzufuhr. Das war insofern bemerkenswert, da Magnet aus Bergen - Europas inoffizieller Regenhauptstadt - stammen, was auch den Ansager zu einem Späßchen hinriß.

Zuvor hatten sich The Polyphonic Spree vergeblich als Sonnenhervorzauberer versucht. Bei dem enthusiastischen und erleuchtenden Geschehen bekam man vom Wetter ohnehin kaum etwas mit: Mehr als 20 Band-Mitglieder, begleitet von ihren Kindern, tanzten sich und das Publikum in einen Freudentaumel. Später am Abend sollte die Tanzabteilung im Schlußteil des Konzerts der Kings Of Convenience auftauchen. Zu diesem Zeitpunkt wartete ich bereits vor der kleinsten der drei Bühnen auf den Auftritt von Wolf Parade aus Kanada.

Auch der Andrang hatte sich durch die verstärkte Programmdichte im Vergleich zu den letzten beiden Malen geändert. Um bei einem Konzert wirklich Platz in der ersten Reihe zu finden, mußte man ein anderes deswegen früher verlassen. Noch im Vorjahr gab es "Mogelpackungen", die nicht hielten, was die im Festival-Begleitheft abgedruckte Beschreibung versprach. Diesmal jedoch waren einfach keine schwächelnden Lückenfüller mehr zu entdecken, weder am Tage auf den Bühnen des Festival-Geländes noch beim in den Osloer Clubs Rockefeller und John Dee angesetzten Nachtprogramm. Zu Pausen, um wieder wirklich aufnahmefähig zu werden, mußte man sich zwingen. Schuld daran waren Maxïmo Park, Moneybrother, Sonic Youth samt Nebenprojekten, Death From Above 1979, Franz Ferdinand, The Posies und - nicht zu vergessen - lokale Größen wie den Ricochets und King Midas, die norwegischen Nachwuchsrocker von Lukas Kasha oder die Singer/Songwriterin Ane Brun.

 

Don Juan Dracula schienen es sich zur vergnüglichen Aufgabe gemacht zu haben, in 45 Minuten möglichst viele Klischees unterzubringen. Per Hubschrauber ließen sich die Synthpop-Musiker ein- und ausfliegen. Als Begleitung hatten sie eine Kapelle in fescher Uniform und ein Streicherquartett engagiert. Zwischen pyromanischen Einlagen und dem Freilassen von Tauben legten sie irrwitzige Choreographien aufs Parkett, wie eine Boygroup sie nicht klobiger hinbekommen könnte. Washington wiederum zeigten live abermals die in ihren melancholischen Songs verborgende heftige und aufwühlende Seite.

Christer Knutsen sieht sich selbst im Popfach, wird von den norwegischen Medien allerdings unter "Alternative Country" eingeordnet. Wenn unter "Alternative" permanenter Rockeinfluß verstanden wird, dann ist das aufgeklebte Etikett auch gar nicht so falsch - vor allem, wenn es sich auf seine Auftritte bezieht. Sehr viel Schwung, sehr viel Charme, sehr viel whiskeygetränktes Timbre. Animal Alpha ließen es ungleich stärker krachen. Sängerin Agnete Kjølsrud ginge ohne weiteres als die böse Schwester von Gwen Stefani durch. Madrugada überzeugten vor einigen Wochen in der Szene Wien. Diesmal unterstrichen die äußeren Gegebenheiten die Atmosphäre der Songs noch besser, als es ein Club-Auftritt könnte. Die vom Sanften bis ins Bedrohliche anschwellenden Melodien wirkten wie für die hereinbrechende Nacht geboren. Die Band zeigte sich merklich von der Kulisse berauscht; die Zuhörer waren nicht minder beeindruckt. Es ist kaum vorstellbar, daß solch ein gelungenes Arrangement noch übertroffen werden kann. Dem nächstjährigen Öya wird das wahrscheinlich trotzdem gelingen.

Bernadette Karner

Kommentare_

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