Solidaritätsklärung
Liebe Studierende des AStA der Alice-Salomon-Hochschule,
wir wollen hiermit unsere Solidarität mit Euch erklären! Wir: Das sind verschiedene Menschen, die im weitesten Sinne im Literaturbetrieb arbeiten. Ein Feld, das strukturell weit und unübersichtlich ist und auf dessen Vielstimmigkeit wir doch nach wie vor große Hoffnung setzen. Gleichzeitig agieren einige der entscheidenden literarischen Institutionen nach wie vor zweifellos anachronistisch und zuweilen reaktionär und diskriminierend: Kurz vor der jetzigen Debatte um die Neugestaltung Eurer Fassade wurde an der Schreibschule Hildesheim eine Debatte über betriebsinternen Sexismus angestoßen, in der es bald auch um andere Formen von Ausschlüssen ging. Am immensen Redebedarf, an den so diversen Erfahrungen und Forderungen, die dabei zur Sprache kamen, wurde deutlich, wie überfällig eine solche Auseinandersetzung für dieses, unser Arbeitsumfeld ist. Und nicht zuletzt auch an den verharmlosenden bis sexistischen Reaktionen auf die Beiträge der Debatte. Das Ausmaß an reaktionärer Polemik, von diskriminierender Beleidigung bis hin zur Gewaltandrohung, das Euch nicht nur öffentlich entgegenschlägt, schockiert uns trotzdem noch einmal völlig neu. Und es macht uns wütend.
Wo genau Sprechverbote verhängt werden, wenn die allermeisten in großen Medien veröffentlichten Beiträge zur jetzigen Aufregung um avenidas sich über genau diese echauffieren, bleibt uns ein Rätsel. Wir wollen Euch nichtsdestotrotz wissen lassen, dass sich in den Facebook-Kommentarspalten und kleineren Meinungsäußerungen des literarischen Feldes auch ganz andere Positionen abbilden: Unterstützung, Verständnis und eben Solidarität. Wir teilen Eure Kritik, die der Präsentation des Gedichts an der Fassade gilt, und können in der Umgestaltung derselben daher keinen Akt der Zensur feststellen - wird doch nicht für ein Verbot von avenidas plädiert. Auch kann von der Zerstörung eines Kunstwerkes nicht die Rede sein, wenn doch allein das Gedicht ein solches darstellt und nicht dessen Platzierung an einer Wand. Das heißt also, noch einmal, dass unsere Vorbehalte nicht der Person Eugen Gomringer gelten, der die Lyrik maßgeblich bereichert hat, sondern der repräsentativen Ausstellung an der Fassade einer Hochschule sowie der bisherigen Praxis von prominenten Vertreter*innen des Literaturbetriebs, Gefühle und Erfahrung anderer weg zu argumentieren und lächerlich zu machen, die mit der eigenen Interpretation kollidieren. Inwiefern sind Interpretationen erheblich, wenn es Student*innen gibt, die die repräsentative Platzierung des vorliegenden Gedichts innerhalb patriarchaler Kontexte als diskriminierend empfinden? Dass sich andere anmaßen, Deutungshoheit über diesen Text zu behaupten und anderen Leseerfahrungen die Gültigkeit abzusprechen, hat schlicht nichts mit unserem Literaturverständnis zu tun.
Wir finden die Neuausschreibung der Fassade, so wie sie die Hochschule jetzt in Gang gesetzt hat, richtig. Und wir sind euch nicht zuletzt dankbar, dass die Auseinandersetzung über Gender im literarischen Feld mit Eurem Beitrag fortgesetzt wird, auch wenn diese Fortsetzung zunächst bloß wie eine Verschärfung des Diskurses erscheint.
Wie wir – welches Wir wir dann auch immer darstellen – in dieser aggressiven Atmosphäre des Rollback am besten weiter gegen Diskriminierungen vorgehen – strategisch und gleichzeitig, ohne uns selbst auszubeuten und aufs Spiel zu setzen; darüber würden wir gerne mit Euch reden – und mit allen, die wollen.
Es ist bereits viel über die Entfernung des Gedichts "avenidas" an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule gesagt worden. Meist wurde das Unbehagen der Student*innen abgeschmettert mit Gedichtinterpretationen, die die Unverfänglichkeit des Textes sowie die vermeintliche Mimosen- und Banausenhaftigkeit der Kritiker*innen belegen sollten. Es gab allerdings nicht wenige, die über die polemischen Anfeindungen gegenüber dem ASTA entsetzt waren. Daher hat Max Wallenhorst zu dieser Solidaritätsaktion aufgerufen.
Unterzeichnet von (alphabetisch):
Malte Abraham
Luna Ali
Konstantin Ames
Shida Bazyar
Maja-Maria Becker
Beek von der, Tatjana
Josefine Berkholz
Ines Berwing
Philipp Blömeke
Luise Boege
Timo Brandt
Alida Bremer
Tom Bresemann
Yevgeniy Breyger
Katja Brunner
Helene Bukowski
Andreas Bülhoff
Kristoffer Cornils
Ann Cotten
Leah Carola Czollek
Max Czollek
Thilo Dierkes
Peter Dietze
Katia Sophia Ditzler
Anke Dörsam
Clara Ehrenwerth
Eikels van, Kai
Sirka Elspaß
Daniel Falb
Julietta Fix
Christiane Frohmann
Kirsten Fuchs
Olga Galicka
Moritz Gause
Dmitrij Gawrisch
Heike Geißler
Mara Genschel
Berit Glanz
Svenja Gräfen
Alexander Graeff
Steffen Greiner
Dinçer Güçyeter
Elisabeth R. Hager
Catherine Hales
René Hamann
Martina Hefter
Carla Hegerl
Tim Holland
Neo Hülcker
Bettina Hünersdorf
Yulian Ide
Jayne-Ann Igel
Ulrika Jäger
Gunnar Kaiser
Juli Katz
Luca Manuel Kieser
Sina Klein
Ekkehard Knörer
Christiane Koppenbrink
Thorsten Krämer
Grit Krüger
Victor Kümel
Anja Kümmel
Jan Kuhlbrodt
Steffen Kurz
Sofie Lichtenstein
Peter Lilian
Elizabeta Lindner
Sabina Lorenz
Anneke Lubkowitz
Moritz Malsch
Tristan Marquardt
Stefan Mesch
Michaela Maria Müller
Jacinta Nandi
Laura Naumann
Rudi Nuss
Ronya Othmann
Antonie Partheil
Martin Piekar
Rick Reuther
Sophie Reyer
Nikola Richter
Matthias Rürup
Mithu Sanyal
Caca Savic
Felix Schiller
Andrea Schmidt
Lea Schneider
Sabine Scholl
Andra Schwarz
Judith Sombray
Luis Stabauer
Ulf Stolterfoht
Lena Vöcklinghaus
Christoph Wagenseil
Max Wallenhorst
Michael-André Werner
Philipp Winkler
Julia Wolf
Uljana Wolf
Nora Zapf
Mathias Zeiske
Jana Zimmermann
Wenn ihr die Solidaritätserklärung unterzeichnen möchtet, schreibt bitte eine Mail mit eurem Namen an . Wir aktualisieren 7 Tage lang am Abend.
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Kommentare
Freiheit der Kunst
Diese Aktion ist ein Angriff auf die Freiheit in der Kunst.
Schämt euch!
Euern Stolz auf euer Tun finde ich erbärmlich.
Wertlose Anmaßung
Es steht Ihnen frei, so zu denken, Herr Dörschel.
Erbarmen muss sich niemand mit uns, erst recht kein derart anmaßender Charakter wie der Ihre, der Mitmenschen glaubt Scham verordnen zu dürfen.
Ton und Stil des P.E.N. sind maßlos diffamierend. Die Haltung undemokratischer und antikommunikativer Bevollmächtigsten-Sprech. Ein Armutszeugnis für selbsternannte Intellektuelle.
Ihre eigene Ansicht zu den Vorgängen tragen sie völlig argumentfrei vor, sie ist deshalb irrelevant.
Lustige Welt
Mal wieder wird bei unseren lieben Dichterlein der Rudeltrieb wach, wenn es darum geht, einem anderen Lyriker die Meriten madig zu machen, ob nun Jan Wagner, Gerhard Falkner oder Eugen Gomringer. Da werden dann auch noch die edelsten Gründe hervorgezaubert! Besonders nett der Satz, die "Vorbehalte" (so,so!) richten sich nicht gegen die Person Eugen Gomringers (aha!), dieser habe schließlich die Lyrik "maßgeblich bereichert" (oho!). Na, prima, dann können sich ja alle die Hände fröhlich in Unschuld waschen. Man sollte vielleicht noch hinzufügen, es sei sogar besser für Gomringer & Co und für die Poesie im Allgemeinen, wenn das Gedicht von der Wand verschwindet. Mein Vorschlag: Schreibt doch vor lauter Solidarität im munteren Kollektiv ein garantiert unsexistisches Stanzerl, das sämtliche ASTA-Herzen höher schlagen läßt, und ersetzt das "maßgeblich bereichernde" Werk durch dieses hoffentlich etwas weniger verfängliche. So rettet ihr am Ende noch die ganze Welt. Allons enfants!
Fegefeuer der Eitelkeiten
Exklusiv aus dem Badezimmer, von unten angestrahlt, wie mit einer Taschenlampe bei der mitternächtlichen Gruslelesung unter der muffelnden Bettdecke wird sich solidarisch Empört. Die zartbesaiteten Hoffnungsträger der kollektiven Werhaltungsschöpfung üben sich in öffentlichem Diskurs.
Anlass der Empörung; ein Stück Lyrik, dem der Ruch der sexistischen Objektivierung der Frau angedichtet wird. Ob die Emphase, mit der die hier gescholtene Bewunderung der Frau in Verse gegossen wurde, poetisch geglückt ist, mag in einem Diskurs über die handwerkliche Güte des Gedichts entschieden werden. Den Gegenstand eines Diskurses über die moralische Güte desselben bietet sie nicht. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass grundsätzlich alles, was einem Gedicht Gegenstand bietet, sich als Objekt einer Rezeption erschließt. Da die Beziehung der Geschlechter im Kontext heterosexuellen Begehrens, sei sie nun romantischer oder problematischer Natur, zu den Grundmotiven der Lyrik gezählt werden darf, und heterosexuelle Frauen wie heterosexuelle Männer am jeweils anderen Geschlecht im besten Fall ein Objekt ihres Begehrens finden, kann diese Art der Bewunderung, erfolgt sie mit dem entsprechenden Respekt, kaum als Depravation des einen wie des anderen Geschlechts wahrgenommen werden.
Was wäre aber mit dem Blick des homosexuellen Menschen auf einen Menschen gleichen Geschlechts als Objekt seines Begehrens, wenn er in einem solchen Gedicht Ausdruck fände? Der Logik der Empörten folgend, wäre dies vermutlich ein Ausdruck selbstbestimmter Sexualität, die sich als Gegenentwurf zu einer obsoleten familistischen Ideologie manifestiert. Und was ist in diesem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Frau als Trägerin narzisstischer Selbstobjektivierung eines Mannes, der aufgrund seines sexuellen Selbstentwurfs an der Frau als solche kein Objekt des Begehrens findet?... So kocht zum Beispiel die gruselige Alchemie eines hanseatischen Dandys die Frau auf einen bulimischen Rest ein, um diesen anschließend mit gynophober Ästhetik auf Gardemaß zu strecken. Hier wäre in der Tat ein interessanter Diskurs über die Objektivierung der Frau in der permissiven Verschiebung des Begehrens aus dem sexuellen in den ästhetischen Kontext möglich.
Doch statt einen wirklichen Diskurs mit einem diskurswürdigen Gegenstand anzustreben, wird ein Spagat zwischen der postulierten Wahrung der Integrität der Kunst und ihrer Zensur versucht. Da Gomringers Poesie den Anspruch hat, der inhaltlichen Ebene eine graphisch-materielle Entsprechung zu geben, ist die Entfernung des Gedichts, da es nun einmal in dem Bewusstsein um Gomringers poetischen Ansatz an der Fassade der Hochschule nicht veröffentlicht, vielmehr installiert wurde, wesentlich mehr als nur ein editorischer Akt. Es ist tatsächlich die Tilgung eines Kunstwerks, mag es gemocht werden oder nicht. Es ist darüber hinaus ein prohibitiver Akt, der unter dem Vorwand der Emanzipation vollzogen wird. Im geforderten ästhetischen Betrachtungsverbot, das den Menschen der begehrenden Bewunderung durch einen andren Menschen entziehen soll, vollzieht sich nicht weniger als eine invertierte Vollverschleierung und zwar ungeachtet dessen, dass es wohl auch den Menschen gibt, der sich gerne bewundern lässt. Also soll nicht nur der betrachtende sondern auch der betrachtete Mensch seines Fehlverhaltens überführt sein, denn dieser Logik entsprechend, sind sie beide Sünder. Hier wird mit nahezu fundamentalistischem Furor ein Fegefeuer der Eitelkeiten veranstaltet. Wie die Savonarolschen Fanciulli raffen die Hoffungsträger der öffentlichen Werthaltungsschöpfung alles zusammen, was irgend dazu geeignet sein könnte, als Überkommsel atavistischer Wertvorstellungen diskreditiert zu werden und übergeben es den reinigenden Flammen echter Betroffenheit. Nicht mit der Absicht der Zensur, wie betont wird, sondern, um die Sünder durch das Feuer der Einsicht zu heilen und wieder in die Gemeinschaft der Rechtschaffenden aufzunehmen. „Das tut uns jetzt mehr weh als Euch. Aber um unser aller Seelenheil Willen muss das sein“. Was bleibt, ist die verstörende Logik der Unbestechlichen, die sich im Terror totalisierter Gutheit erschöpft; Pranger, Blutgerüste und Köpfe auf Pieken.
Eine mögliche Alternative zur Tilgung des Gedichts wäre gewesen, auf einer anderen Seite der Fassade zu schreiben: „Da gucktse! Wa?“ Aber diese Art der Souveränität würde die Betroffenen um ihre wohlverdiente Betroffenheit prellen.
Ich biete eine Alternative:
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bücher
bücher und plätze
plätze
plätze und feuer
bücher
bücher und feuer
bücher und plätze und feuer und
ein mitläufer
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Und eine Interpretationshilfe: https://goo.gl/SgRvER
Lieber Herr Wallenhorst,
liebe Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Solidaritätserklärung aus dem "im weitesten Sinne Literaturbetrieb" Ich bin Fassungslos. Bestürzt. Ich gebe zu ich mache mir auch richtig Sorgen. Offenbar ist Ihnen nicht bewusst wie reaktionär und polarisierend-destruktiv die Debatte ist, welche der ASTA der Alice-Salomon-Hochschule ausgelöst hat. Das beginnt schon mit der Verwunderung dieser jungen Menschen darüber, dass sie sich als Einzelwesen oder Kleingruppe - die mal was in den Semesterferien überlegt hat - tatsächlich in einem gesellschaftlich-sozial-kulturellem Raum /Kontext befinden. Und eine Reaktion auslösen. Die ist in Teilen so reaktionär-aggressiv und...dumm, wie umgekehrt dem Wesen und dem Sinn nach die Begründungskette zur Entfernung von AVENIDAS reaktionär, destruktiv, aggressiv ja und...sorry - einfach dumm ist.
Ich will es mal so sagen. Zu Menschen die im weitesten Sinne im Literaturbetrieb tätig sind: Schreiben Sie nie wieder über schöne Liebe. Das hat nur den Zweck die, tragische, die schreckliche Liebe zu beschönigen. Ihre Gewalt zu überdecken. Die so gross sein kann, das es mit der juristischen Floskel "Verbrechen aus Leidenschaft" Eingang in die europäische Gesetzgebung gefunden hat.
(War übrigens ein Meilenstein, sozusagen der Inbegriff von Fortschritt. Das vor Gericht und für ein Urteil das Motiv und die Umstände berücksichtigt werden. Nicht die Unterstellung eines Motivs, nicht die Gruppen-Klassen-Rassen-Religions-usw.-Zugehörigkeit.)
Schreiben Sie nie wieder über das Meer. Oder nur das man da ertrinkt. Oder andere einen da ertränken. Oder als Sklave verschiffen.
Aber ich muss Ihnen auch sagen: Es steht Ihnen die gesellschaftlich-politische Wirkung aus solcher Haltung, aus solchem Blick, aus solcher Handlung nicht frei.
Es unterscheidet sich für mich nicht von der schlechten Laune, der reaktionär-destruktiven Eskalation - der Einfachheit halber so ausgedrückt - die inzwischen mit der AfD parlamentarisch ist. Sie stellt sich Einwanderung, die Gesellschaft, die Ökonomie genauso wenig freudig vor, wie sich der ASTA der Alice-Salomon-Hochschule vorstellen kann, das ein Mann eine Frau bewundert - nicht frei von den Widersprüchen der Geschlechterverhältnisse, aber dann doch ehrlich und aufrichtig und mit dem Wunsch frei zu Bewundern. Zu lieben. Zu fühlen. Und es mit viel Glück mit der, mit dem, mit denen zu tun, die diese fröhliche und positive und glückliche Liebe erwidern. Stattdessen geht es nur darum im Richtigen zu sein, während man gar keine andere Wirklichkeit geschaffen hat als: Den zu benennen der im Falschen ist. Ich möchte in so einer Welt nicht leben. Noch kann ich es, wenn dies und solches allein die Aussicht ist. Den bewundernden Blick eines anderen Menschen präventiv hassen. Mir scheint das ein Rezept den liebenden, den fröhlichen, den überschwänglich-glücklichen zu verpassen. Was für eine Ödnis.
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