Kolumne

Max Czollek desintegriert im Buchladen Eulenspiegel

Gerade ist seine „Polemik der Stunde“ auch als Hörbuch auf den Markt gekommen, da liest Max Czollek im bis über den letzten Platz hinaus gefüllten Buchladen Eulenspiegel in Bielefeld aus „Desintegriert euch!“ Seine Hände zeichnen Anführungszeichen in die Luft, malen Kreise und Zirkel und geben immer wieder den Takt vor, der den Deutschen bei ihrem Umgang mit Geschichte und Erinnerungen häufig fehlt.  In Czolleks „unsachlichem Sachbuch“, verdichtet sich diese Beobachtung zu der These, dass der Nationalsozialismus in Deutschland nicht überwunden, sondern erfolgreich integriert wurde. Darum will sich der Titel des Buches „Desintegriert euch“, das macht die Lesung klar, als ernst gemeinter Aufruf verstanden wissen.

Schon lange sei ihm klar gewesen, sagt Sebastian Reeck, Mitarbeiter im Eulenspiegel Kollektiv, dass er im Rahmen der Bielefelder Aktionswochen gegen Rassismus, unbedingt Max Czollek einladen wollte. Der nun im Gespräch erzählen kann, wie „Desintegriert euch“ aus dem gemeinsam mit Sasha Marianna Salzmann in Berlin am Gorki Theater kuratierten Desintegrationskongress entstanden ist. Ein Projekt, das wiederum notwendig wurde, um sich dagegen zu wehren immer wieder in das „Bild des Juden“ gepresst zu werden. Czollek zitiert Hannah Arendt: „Wenn du als Jude angegriffen wirst, musst du dich als Jude verteidigen.“ Diese Aussage sei Vorbild gewesen, die Verhältnisse umzukehren, und zu versuchen „das deutsche Bild von den Juden“ zu analysieren. Auf diese Weise ist ein Buch entstanden, das statt eine Biografie zu liefern, erzählt „von einem, der auszog, kein Jude zu werden. Sondern ein Politikwissenschaftler, ein Schriftsteller und Intellektueller. Und von einem, der schließlich auch Jude wurde".  Was dieses Buch nicht alles ist; eine verschriftliche Performance, die Dissertation, die Max Czollek eigentlich schreiben wollte, eine Streitschrift, geschrieben in der Haltung des Hip-Hop, den er während des Schreibens häufig gehört habe.

Was den Sound angeht, zitiert er dann aber keinen Hip-Hoper, sondern Tom Waits: „I like beautiful melodies telling me horrible things.“

Desintegration versteht Czollek in erster Linie als Angebot über längst nicht mehr angemessene Begriffe nachzudenken. Als Werkzeug, das möglicherweise geeigneter ist, als die Idee der Integration, an der, der demografischen Struktur und gesellschaftlichen Realität zum Trotz, alle Parteien festhalten. Desintegration ist ein Stück weit, neben aller Wut und Polemik, auch die Hoffnung, einen Begriff anbieten und etablieren zu können, der die Gegenwart in ihren realen Strukturen erkennt, und damit eine Basis darstellt, sich mit der „radikalen Vielfalt“ jenseits einer „Leitkultur“ auseinander zu setzen.  

Das Publikumsgespräch eröffnet eine Zuhörerin mit der Frage, wer sich eigentlich desintegrieren soll. Gelegenheit für Czollek noch einmal zu erläutern, das Desintegration auch eine Alternative für das Paradigma der Integration ist, indem es das „Zentrum“ einer Gesellschaft in Frage stellt und dazu ermutigt, die bestehende Vielfalt anzuerkennen. Und davon ausgehend über neue Möglichkeiten von Zugehörigkeit nachzudenken. Statt einer leitenden Idee, die Erfahrung der Marginalisierung zum Zentrum zu machen, und so dem Ideal Adornos von „Gesellschaft als Ort, an dem wir ohne Angst verschieden sein können“, näher zu kommen.

Das ist viel Verunsicherung, viel Anspruch alte Denkmuster los zu lassen und in Frage zu stellen und so ist es nicht verwunderlich, dass die Diskussion schnell an Fahrt aufnimmt, zunehmend kontrovers wird. Das Festhalten an Konzepten von rechts und links wird angezweifelt und verteidigt. Differenzierung ja, aber Integration doch auch. Die Illusion, dass es richtig und falsch gibt, geben muss, tritt an gegen die Einsicht in die Notwendigkeit profunder und fairer zu streiten. Das Konzept der „radikalen Vielfalt“ tritt in der lebendigen Auseinandersetzung an diesem Abend an gegen die Versuchung es auf etwas richtiges, auf ein Dogma herunter zu brechen. Oder, wie Czollek es ungleich eleganter im Buch formuliert: „Die einen wollen einen Raum schaffen, in dem man ohne Angst verschieden sein kann. Die anderen wollen kulturelle Maßstäbe für die Zugehörigkeit zu Deutschland aufstellen, womit sie notwendig jene ausschließen müssen, die nicht in ihr Konzept von Leitkultur passen.“

An diesem Abend, in den kontroversen, aber immer fairen und zugewandten Gesprächen wird die Notwendigkeit ebenso wie die große Schwierigkeit spürbar, sich auseinander zu setzen, ohne eine einende Wahrheit zu behaupten.

Was bleibt ist die Erfahrung, wie jemand, bei aller Wut, Polemik und Überzeugung für Vielfalt streitet. Das könnte ein Anfang sein. 

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Max Czollek
Desintegriert euch!
ISBN 978-3-446-26027-6
18 Eur
Hanser Literaturverlage
2018

 

 

 

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