"avenidas" abgestimmt!
Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade
Nach Abstimmung des Akademischen Senats wird die Hochschule ein Gedicht der Poetikpreisträgerin Barbara Köhler ab Herbst 2018 auf der Fassade zeigen
Berlin, 23. Januar 2018. Der Akademische Senat (AS) der Alice Salomon Hochschule Berlin hat in seiner heutigen Sitzung über die Neugestaltung der Südfassade abgestimmt. Voraussichtlich im Herbst 2018 wird dort im Zuge einer Fassadenrenovierung ein Gedicht der Lyrikerin Barbara Köhler angebracht.
Köhler, die 2017 von einer Jury gewählte aktuelle Alice Salomon Poetikpreisträgerin, hatte der Hochschule angeboten, ihr eines ihrer Gedichte zu schenken, mit der Auflage, dass dieses maximal sieben Jahre dort verbleiben dürfe und der Vorschlag zuvor mit den Mitgliedern der Hochschule diskutiert werde. Bestandteil der Entscheidung des AS ist nun, dass die Fassade alle fünf Jahre neu mit einem Werk eines oder einer Alice Salomon Poetikpreisträger_in gestaltet wird.
„Die Mitglieder des Akademischen Senats haben sich nach einer intensiven und sehr abwägenden Debatte mehrheitlich für diesen Vorschlag ausgesprochen. Für die Hochschule bedeutet dieses Votum ein klares Bekenntnis zur Kunst“, sagte der Rektor der Alice Salomon Hochschule Berlin, Professor Dr. Uwe Bettig.
Demokratisches Verfahren mit allen Hochschulangehörigen
Der Abstimmung vorausgegangen war ein Beschluss der Hochschule, die Südfassade, die seit 2011 das Gedicht „avenidas“ von Professor Eugen Gomringer zeigt, neu zu gestalten. Dazu wurde ein hochschulinterner Wettbewerb ausgeschrieben. Von Juni 2017 bis Oktober 2017 waren alle Hochschulmitglieder dazu aufgerufen, Gestaltungsideen für die rund 240 qm große Südfassade einzureichen. In einer zweiwöchigen Online-Abstimmung im November 2017 gaben insgesamt 1433 von rund 4100 Hochschulangehörigen ihre Stimmen für einen von 21 eingereichten Vorschlägen ab. Über die beiden Vorschläge mit den meisten Stimmen und über einen - bewusst aus dem Diskussionsprozess heraus entwickelten - Vorschlag der Hochschulleitung wurde im Akademischen Senat ausführlich beraten.
Die meisten Stimmen im Wettbewerb erhielten ein Zitat der Gründerin Alice Salomon mit 215 Stimmen sowie ein Gedicht der Diplom-Pädagogin, Dichterin und Mitbegründerin der afro-deutschen Bewegung May Ayim, die bis 1996 Lehrbeauftragte und Studienberaterin der ASH Berlin war, mit 150 Stimmen.
Der Vorschlag der Hochschulleitung griff die Herausforderung auf, die Barbara Köhler während der im November 2017 von der ASH Berlin gemeinsam mit dem Haus für Poesie veranstalteten Podiumsdiskussion formulierte: die Freiheit der Kunst neben den Wettbewerb zu stellen und die Fassade für wechselnde Arbeiten von Poetikpreisträger_innen vorzusehen. Auch für den Wettbewerb waren zwei Ideen eingereicht worden, die – in unterschiedlichen Ausführungen - dafür standen, dass auf der Fassade in Zukunft weiterhin wechselnde Arbeiten von Poetikpreisträger_innen zu sehen sein können. Auf diese beiden Vorschläge kamen insgesamt 217 Stimmen.
Erhalt von Eugen Gomringers Gedicht „avenidas“
An das Gedicht „avenidas“ von Professor Eugen Gomringer schließt somit ab Herbst 2018 ein Gedicht von Barbara Köhler an. Dieses wird zunächst in einer hochschulöffentlichen Veranstaltung vorgestellt, bevor es offiziell bekannt gegeben wird.
„avenidas“ von Professor Eugen Gomringer wird – einem Wunsch des Künstlers entsprechend – auf einer Tafel in Spanisch, Deutsch und Englisch unterhalb des Werkes von Barbara Köhler auf der Südfassade angebracht, die an den Poetikpreisträger, sein Werk und die Debatte darum erinnert. Gomringer wurde von der ASH Berlin eingeladen, die Tafel mitzugestalten.
Mit dem Beschluss des Akademischen Senats erhalten unterschiedliche Preisträger_innen und ihre Werke Sichtbarkeit innerhalb und außerhalb der Hochschule. „Die Südfassade bleibt somit ein Ort von Kunst im öffentlichen Raum und ein Ort, der Arbeiten unserer Preisträger_innen vorstellt“, sagte Professorin Dr. Bettina Völter, die Prorektorin der ASH Berlin.
Die Autonomie der Kunst
Barbara Köhler, die inzwischen 11. Poetikpreisträgerin der Alice Salomon Hochschule, hat ihren Vorschlag eingebracht, „um eine Möglichkeit zur Debatte zu stellen, dieses Muss-bleiben-oder-muss-weg-Dilemma in eine Richtung zu wenden, die jenseits der Konfrontation produktiv werden kann“, wie die Dichterin anlässlich der Podiumsdiskussion erläuterte. Es „wird damit auch die Entscheidung von 2011, den Text eines Preisträgers an diese Stelle zu setzen, nicht negiert. Also auch das Bekenntnis der Hochschule, sich (nicht nur) mit dem Preis zu einer Wichtig- bzw. Notwendigkeit von Kunst und Literatur zu verhalten. Und dafür auch weiterhin und in der Tat einzustehen, indem man sich nämlich auf Unvorhersehbares, Risiko und Auseinandersetzung einlässt – mit anderen Worten: auf die Autonomie der Kunst, die man auszeichnet“, so Köhler weiter. Nicht, um das Wettbewerbsverfahren als überflüssig zu erklären, sondern: „Eben weil ich glaube, dass Kunst und Demokratie zwar durchaus in Widersprüche miteinander geraten können, aber einander dabei nicht ausschließen, sondern brauchen.“ so Köhler.
Persönlicher Austausch mit Professor Eugen Gomringer
Professor Eugen Gomringer wurde heute telefonisch von Rektor Professor Dr. Uwe Bettig über die Entscheidung informiert. „Wir haben uns die Entscheidung in der Hochschulleitung und im Akademischen Senat nicht leicht gemacht. An dieser Stelle möchten wir noch einmal betonen, dass wir größten Respekt vor Eugen Gomringer, seinem Schaffen und seinem Werk haben“, sagte Bettig. Ein weiterer Austausch auch zwecks der Gestaltung der Tafel sowie ein zweiter Besuch des Kunsthauses in Rehau, Gomringers Lebens- und Arbeitsort, wurden vereinbart.
Prorektorin Professorin Dr. Bettina Völter unterstrich, dass der persönliche Kontakt mit Professor Eugen Gomringer und seiner Frau Dr. Nortrud Gomringer von wechselseitigem Respekt und Wertschätzung geprägt sei. „Wir sind im Kunsthaus Rehau sehr freundlich empfangen worden und haben uns intensiv ausgetauscht. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagte Prof. Dr. Bettina Völter, die im November 2017 mit einer Delegation von zwei Studentinnen und zwei Professorinnen zu einer persönlichen Begegnung nach Rehau, dem Lebensmittelpunkt des Ehepaars Gomringer, gereist war.
Für weitere Informationen:
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Tel.: +49 (0)30 99 245 -426 und -288
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Kommentare
Auftrag für Weißbinder
Was haben eigentlich demokratische Entscheidungsprozesse mit der Publikation von Literatur zu tun? Die radikale Subjektivität des literarischen Erschaffens schließt "Abstimmungen" über Meinungsfragen aus: Welche Gedichte in welcher Form erscheinen, unterliegt kaum jemals demokratischen Entscheidungen und das ist gut so, denn sonst wären vermutlich die Gedichte z. B. Paul Celans niemals erschienen. Die öffentliche Präsentation eines Gedichts im Rahmen von Architektur ist eine nicht alltägliche Form der Publikation, eine Anschrift oder ein Anschlag oder Ähnliches und war in dem vorliegenden Fall sogar demokratisch legitimiert. Jedenfalls handelt es sich auch dabei um eine Form des Sendens. Der Empfänger entscheidet, ob er die Botschaft empfangen oder übersehen möchte, nimmt er sie wahr, kann im besten Falle ein nach demokratischen Regeln ablaufender Diskurs über Wirkung, Wertung und Wahrhaftigkeit des Texts beginnen. Aber den Text löschen und schamhaft aus einer Art schlechten Gewissens, möchte man vermuten, in eine BRONZEtafel verkleinern und durch andere ersetzen? Es stört irgendjemanden irgendetwas an irgendeinem Text, das wird unzweifelhaft so sein, aber an Jan Hus , Giordano Bruno und Galileo Galilei störte auch etwas, respektive an ihren Texten, nicht zu vergessen die Autoren, an deren Bücher mit dem in die Erde gesenkten Denkmal vor der Humboldt-Universität in Berlin erinnert wird, nicht zu vergessen die Autoren, deren Bücher Marta Minujín in ihrem Bücher-Parthenon zur Dokumenta 14 ausstellte. Die Bibliotheken, die digitalen Speicher, die Museen sind voller Texte, die mich als Person stören, angreifen, ja beleidigen. Sollte ich von diesen öffentlichen Institutionen verlangen: Löscht das Zeug, löscht, löscht? Das so genau geschilderte, fein ausgetüftelte, als demokratisch bezeichnete Vorgehen ist nichts als ein fassadäres Hochamt der Demokratie, und zwar ebenso sinnlos und leer wie jedes Hochamt, nichts als symbolhaftes Theater aus Angst vor den eigenen Gedankenverbindungen ausglöst von einem so federleichten Text. Muss man es denn immer noch predigen: Ein Gedicht ist eine offene Form, die in den besten Fällen unzählige Deutungen anzuregen vermag. Wie kann man eine Tendenz der Deutung nur zur Grundlage einer Abstimmung machen? Eine armselige Berliner Posse, die leider zeigt, dass die Bereitschaft zu radikalen Lösungen zu wachsen scheint, die für meine Generation einfach undenkbar waren, da sie der Kontamination der nahen Geschichte von Auslöschungen unterliegen. So etwas tut man einfach nicht! Es ist stillos.
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