Elegische Dokumente
Paul-Henri Campbell bespricht aktuell auf Volltext die „Elegischen Dokumente“ der Muriel Pic:
„Interessiert am Verhältnis von Bild und Text, spielt die Literaturwissenschaftlerin Muriel Pic in ihren Elegien ungeniert mit den Tempi und Modi, als sei die Geschichte keine einfache Gespielin der Grammatik, als seien Sehen und Bild (Aug und Augenweide) alle Zeiten und alle Sprechweisen gleichzeitig: konjunktivische Hypothesen in der dritten Person „Wenn Prora stattgefunden hätte […] / [ihre] blauwandigen Versprechen gehalten hätte / es wäre ein Ferienlager / des Dritten Reichs gewesen“ fließen über in Passagen, in denen ein Ich sein Entsetzen bekennt: „Ich habe von einer Insel geträumt / mit einem unermesslichen Auge darüber / wie eine verfaulte Sonne. / Sein Lid schlug nicht mehr. / Ich wollte, dass es aufhöre mich zu betrachten / denn selbst beim Scheißen, Pissen, Weinen betrachtete es mich.““
Auf Rügen - aber war ich denn nie dort
wenn nicht während einer verlorenen Jugend?
Bin ich durch die Ruinen spaziert
mit feuchten Haaren, steif und stattlich?
Ich erinnere mich:
Ruinen voll von Ratten
(sie steigen in die Schiffe!)
Da waren Ferien, Küsse
nasse Badesachen
versteckt zwischen den Schuppen der Geschichte.
Muriel Pic: Elegische Dokumente / Élegies documentaires. Gedichte / Poèmes
Französisch-Deutsch. Übersetzt von Lukas Bärfuss. Wallstein, Göttingen 2018.
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