Die Kunst der Nullaussage

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Die Kunst der Nullaussage

Von Urs Meier, 15.08.2016

Eine Amtsstelle veranstaltet Kunst und liefert nichtssagende Floskeln dazu.

Die Stadt Zürich tut sich hervor mit amtlich veranstalteter «Kunst im öffentlichen Raum». Ein Beispiel ist zurzeit auf dem Turbinenplatz in Zürich West zu besichtigen. Bemerkenswert ist weniger die dort präsentierte Kunst als vielmehr die beigestellte Lesehilfe zum Verständnis derselben. Auf einer soliden Tafel, wie sie sonst für temporäre Verkehrssignalisationen verwendet wird, tut die Amtsstelle «Kunst und öffentlicher Raum» das Folgende kund:

«Martin Boyce (*1967) lebt in Glasgow und zählt zu den bekanntesten Künstlern der Gegenwart. (...) Seine Installationen, Fotografien und Zeichnungen weisen eine Vielzahl von Referenzen an die Kunst-, Design- und Architekturgeschichte auf und schaffen neuartige Lesarten der Funktionen, Oberflächen, Formen und Strukturen einer Objektwelt, die uns wohlbekannt erscheint. So entstehen hybride Kreationen, poetische, formvollendete Kunstwerke, die uns dazu animieren, vertraute Wahrnehmungsperspektiven zu revidieren.» Undsoweiter, undsoweiter.

Arbeiten von Martin Boyce auf dem Zürcher Turbinenplatz (Foto: Journal21.ch)
Arbeiten von Martin Boyce auf dem Zürcher Turbinenplatz (Foto: Journal21.ch)

Diesen verblasenen Kunst-Sprech mit den immergleichen Floskeln – Veränderung von Wahrnehmungsgewohnheiten, hybrider Charakter der Artefakte, witzig-ironisch-subversiver Umgang mit der Objektwelt – kennt man von Saaltexten bei Ausstellungen, Katalogbeiträgen oder Vernissage-Reden. Es ist eine standardisierte Sprache, die bei zeitgenössischer Kunst fast immer passt und erst noch die Anstrengung einer Auseinandersetzung mit den Werken erübrigt. Zuweilen mag die Floskolalie der Verlegenheit geschuldet sein, dass die zu besprechende Kunst einer geistigen Annäherung wenig Anhalt bietet. Die endemische Verbreitung des Kunst-Sprechs lässt jedoch primär auf eine gewisse intellektuelle Anspruchslosigkeit schliessen.

Tafeln des Inhalts wie die auf dem Zürcher Turbinenplatz aufzustellen, ist ein No-go. Wenn schon, so müsste die amtliche Mitteilung etwas Erhellendes zu sagen haben, und zwar gerade für Betrachter, die mit solcher Kunst vermeintlich nichts anfangen können. Der Galerien-Jargon wird diese Klientel jedoch nicht ansprechen.

Ein mutiges Konzept von Kunst im öffentlichen Raum würde ohnehin mit der Annahme operieren, die Arbeiten von Martin Boyce sprächen für sich und bräuchten keine Lesehilfe. Aber vielleicht inszeniert das Amt «Kunst und öffentlicher Raum» gar nicht die Werke, sondern nur sich selbst.

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hahahaaaa, die kunst der nullaussage findet heute auf jeder ebene und gerade auch auf der politischen statt. vor ein paar tagen hörte ich ein radiogespräch über einen norwegischen schriftsteller mit seinem übersetzer aus deutschland. was der den inhalt verkomplizierend schönredete und der reporter fragend ins künstlerisch nebelhafte verschleierte war bereits schon wieder eine weitere kunstgattung. nein, danke für solches geschnorre. sie haben vollkommen recht urs meier.

Als Kunstschaffender und Kuratierender könnte ich mich ja auch so wie die meisten der Kollegen verhalten und so sprechen und schreiben wie oben moniert. Wenn man es aber nicht macht und eine eigenständige Sprache sucht, was auch mit Mühen verbunden ist, dann wird man oft liegengelassen – ob rechts oder links, das spielt keine grosse Rolle – weil man das Netzwerk nicht bestätigen will, das in der immergleichen Spreche solipsistisches sein Tun treibt. Man könnte noch die Kunstfreiheit aufführen, dass Kunst nicht zweckgebunden sein dürfe, aber wenn ich dann oben die Abbildung der Kunst im öffentlichen Raum anschaue, dann wird doch die eigene Wichtigkeit zelebriert, denn es wird da so gnadenlos Brancusi zitiert, um der eigenen Bedeutungsschwere Ausdruck zu verleihen. Ach, wie öde.

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