Ein „alternatives Faktum“?

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Ein „alternatives Faktum“?

Von Urs Meier, 30.03.2018

Was will „Auferstehung“ eigentlich sagen? Der Vergleich der Ostergeschichte mit einem 1969 verfilmten Politdrama führt auf eine Spur.

In der Kürzestversion zeigt die Ostergeschichte aus dem Neuen Testament zwei absolut gegensätzliche Momente. Sie umreissen ein Geschehen mit den Polen Tod und Auferstehung. Hier ist die wohlbekannte Erzählung:

Nachdem die religiösen Autoritäten Jesus von Nazareth bei der römischen Besatzungsmacht als Aufrührer denunziert haben, wird er verurteilt und auf dem Hügel Golgatha vor den Toren Jerusalems gekreuzigt. Am dritten Tag danach finden Frauen aus seiner Gefolgschaft das Grab leer. Jesus „erscheint“ zuerst ihnen, dann sukzessive weiteren Angehörigen seines Kreises. Für sie heisst das: Er lebt. Die Nachricht von der Auferstehung des getöteten Jesus verbreitet sich und wird zur Basis des Glaubens an ihn.

Kenntnisse der damaligen religiösen Vorstellungen können zu einem historisch-kritischen Verständnis dieser Geschichte beitragen. Dazu muss man wissen, dass zum grösseren Rahmen der Erzählung von Passion und Auferstehung die allgemeine Überzeugung gehörte, das Weltende sei nahe. In dieser Endzeit würden die Toten auferweckt, damit sie vor dem Jüngsten Gericht ihr endgültiges Urteil empfangen: als Erlöste – oder Verdammte. Vor diesem Hintergrund erschien der aus dem Tod erweckte Jesus als Vorläufer des Kommenden. Damit war er quasi Garant für die in der apokalyptischen Weltsicht ausgedrückte Wahrheit, nämlich, dass Gott die Guten – und mit ihnen das Gute – ins Recht setzen werde.

Zur Glaubenssache geworden

Im Lauf der Christentumsgeschichte entschwand die Apokalyptik aus dem religiösen Common Sense. Das ursprüngliche breite Panorama einer buchstäblich zu Ende gedachten Welt ging damit verloren. Der Begriff der Auferstehung wurde zum isolierten und zentralen Kennzeichen der Christusgeschichte. An diesem Wort sollten sich die Geister scheiden. Die Auferstehung war zur Glaubenssache geworden: Entweder man glaubte an sie – und war ein Christ, oder man bestritt sie – und war keiner.

Glaube, verstanden als Ja-Nein-Entscheidung, konstituiert die binäre Struktur einer autoritären Religion. Es ist die gleiche Struktur, die einer rationalen Religionskritik alle nur wünschbaren Angriffsflächen darbietet. In deren Sicht ist die Annahme einer Auferstehung unplausibel und stempelt den Glauben zur leeren Behauptung. Eine solche trotz wohlbegründeter Einwände aufrecht zu erhalten, entspringt aus nichtgläubiger Sicht etwa der gleichen Haltung wie das sattsam bekannte Insistieren auf „alternativen Fakten“.

Nicht ob, sondern wozu

Lebendig geworden – ja oder nein? So fragt, wer sich – als Gläubiger oder als Nichtgläubiger – der binären Struktur von Religion unterwirft. Doch die Frage war ursprünglich eine andere: Nicht ob da einer lebendig geworden sei, sondern wozu. Ein Film von 1969 hat diese vorwärts statt rückwärts gerichtete Frage im Rahmen einer ganz anderen Geschichte zum Thema gemacht.

Constantin Costa-Gavras’ „Z“ erzählt die Geschichte um den politischen Mord am griechischen Arzt und Friedensaktivisten Grigoris Lambrakis. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges kämpfte dieser gegen die Stationierung von Atomwaffen in seinem Land. Nach einer Protestdemonstration 1963 in Saloniki wurde er von Auftragsmördern überfahren und zu Tode geprügelt.

Dem unbeugsamen jungen Untersuchungsrichter Christos Sartzetakis  (gespielt von Jean-Louis Trintignant) war es zu verdanken, dass der Fall trotz aller Interventionen mächtiger Hintermänner zunächst nicht vertuscht werden konnte. Das vier Jahre dauernde Verfahren brachte vielmehr immer neue Machenschaften an den Tag. Selbst das Verschwindenlassen von Zeugen gehörte dazu. Erst nach der Machtübernahme der Militärs 1967 wurde die in der Öffentlichkeit mit Leidenschaft verfolgte Untersuchung abgewürgt. Sartzetakis kam unter dem Obristenregime in Gefangenschaft und wurde gefoltert.

Zeichen des Widerstands

Nach dem politischen Mord und erst recht unter der Fuchtel der Diktatur waren Lambrakis und der mutige Sartzetakis Symbolfiguren der zunehmend verfolgten Opposition. „Z“ erzählt die Geschichte des Widerstands gegen Willkürherrschaft und Diktatur. Der Film folgt dabei dem gleichnamigen Tatsachenroman von Vassilis Vassilikos. „Z“ – für altgriechisch Zei, er lebt – war unter dem Obristenregime die Devise und das Erkennungszeichen der Unbeugsamen. Alle wussten, dass „Z“ sich auf den ermordeten Lambrakis bezog. Dieses „er lebt“ signalisierte: Der Widerstand lebt.

Niemandem wäre eingefallen, dieses „Z“ auf seine Faktizität hin befragen zu wollen. Ein solches Zeichen lässt sich nicht aus neutraler Warte examinieren, sondern es ist dasjenige, welches fragt – nämlich: Auf welcher Seite stehst du?

Auf diese Frage gaben übrigens die am Film Mitwirkenden eine klare Antwort. Costa-Gavras setzte trotz immenser Schwierigkeiten alles daran, dieses Projekt zu verwirklichen. Er musste eigens eine Produktionsgesellschaft gründen und den Film in Algier drehen. An der Finanzierung beteiligten sich auch die Stars Yves Montand, Jean-Louis Trintignant, Irene Papas und andere, indem sie auf Honorare verzichteten.

Bewegendes Politdrama

Der Film „Z“ inszeniert die auf historischen Fakten basierende Geschichte spannend und aufwühlend. Costa-Gavras hat damit nicht nur sein wichtigstes Meisterwerk, sondern auch einen stilbildenden Klassiker im Genre des Politdramas geschaffen. Der mit zwei Oskars und vielen weiteren Preisen ausgezeichnete Film wirkte weltweit als Fanal gegen die griechische Militärdiktatur und war nicht nur in Griechenland, sondern in auch anderen ähnlich geknebelten Ländern verboten: Spanien, Portugal, Brasilien.

„Z“ wurde weit über Griechenland hinaus zum stimulierenden Aufruf für Freiheitskämpfe. Es heisst auch, das gewaltige Echo des Films sei einer der Gründe dafür gewesen, dass die griechischen Obristen auf internationalem Parkett isoliert blieben und es nie schafften, als legitime Herrscher akzeptiert zu werden.

So verschieden die Geschichten des Grigoris Lambrakis und des Jesus von Nazareth sind, haben sie doch klare Parallelen in ihren Wirkungen. Die Leben der beiden erschöpften sich nicht in biografischen und politischen Fakten, sondern haben Echos erzeugt und Bewegungen ausgelöst, die nach dem gewaltsamen Tod weitergegangen sind.

„Z“ oder „Christus ist auferstanden“, beides behauptet nicht die unmögliche Tatsache eines rückgängig gemachten Todes, sondern appelliert, dem Tod nicht das letzte Wort zu überlassen. Es scheint Situationen zu geben, in denen der Sinn solch eines „Er lebt!“ wie von selbst verstanden wird.

Eine der besten Osterpredigten, die ich gelesen (gehört) habe.
Der Film 'Z - il est vivant' hat mir als junger Erwachsener die Augen geöffnet für das Unrecht, welches sich in Strukturen, politischen und kriminellen Gruppierungen, Unrechts-Gesetzen, Korruption und weiterem, versteckt. Und den Blick geschärft für Unrecht-Tuende Menschen, welche sich darin zu verstecken wissen und den Versuchungen, welche solche 'Systeme' auf jeden einzelnen Menschen ausüben können.

„Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden!“ Ob man es glaubt oder nicht glaubt oder sich immer wieder damit auseinandersetzt: eine katholische Osterliturgie mit Gesāngen, Weihrauch, Orchestermesse und der ganzen griechischen Dramaturgie ist wunderschōn.

Mit dem Begiff der Auferstehung ist es doch eigentlich ganz einfach. Jesus war als er umgebracht wurde wie wir alle ein Mensch aus Fleisch und Blut.Und so wie jeder Mensch nach dem Tod weiterlebt (aufersteht) ist auch Jesus auferstanden. In manchen seiner Reden hat er Andeutungen gemacht vom Leben nach dem Tode. Leider haben die westlichen Kirchen dieses Wissen veruntreut und für ihre Interessen zurecht gebogen.
Dadurch wird Jesus für uns in keiner Weise "degradiert". Seine Worte waren und bleiben von unvergänglichem Wert.

Bei der Passionsgeschichte fehlt leider weitgehend die Tatsache, dass zur dieser Zeit das Judentum in Palästina stark zerstritten war und sich in diversen Sekten aufspaltete. Jesus war ein Anführer einer Gruppe die auch handfest mit- oder besser gegeneinander umgingen.
So war das Passahfest in Jerusalem für Pilatus, der mit Kaiphas ein Abkommen hatte, er solle unter den Juden für Ordnung zu sorgen,ein Datum mit Sorge, da es die Gelegenheit für Krawalle bot, da alle zum Tempel strebten.
Um es kurz zu machen, Jesus "meuterte" bekanntlich im Tempel und Pilatus wartete mit seinen Ordnungshütern zu, ob Kaiphas Ordnung schaffen würde. Daraus entstand der Prozess "ans Kreuz mit ihm" (forderten die andern Juden wegen des Königs) und Pilatus hatte keinen politischen Grund, ihn ans Kreuz zu liefern, tat es aber wegen des Mobs vor den Toren des Herodes Antipas,denn dort hat nämlich das Schauspiel stattgefunden. Deshalb ist die via Dolorosa auch nicht der Weg, den Jesus dann zum Galgen gehen musste.
Nun, die Kreuzigung hat stattgefunden, ein in der Römerzeit üblicher Vorgang, der kein Aufsehen mehr erregte. Nach einigen Stunden ging Maria Magdalena wieder zu Pilatus und bat, ob der den noch lebenden Jesus nicht wieder zurückhaben könnte, was Pilatus (unschuldiger Händewascher) bewilligte. So konnte er vom Kreuz genommen werden und bei Maria vom Magda zu Haue gepflegt werden.
Nach den 3 Tagen erschien er dann Andreas und andern Jüngern und zeigte Ihnen die Wundmale. Dann haben sie - wie Matthäus beschreibt, noch ein Fischmal zu sich genommen. Der weitere Weg von Jesus bewegt sich dann ausserhalb Palästinas, wie auch den der Mutter Maria.
Dies die gekürzte Passionsgeschichte, die natürlich nicht weiter verfolgt wurde, da für das Christentum die Auferstehung zentral ist.
Es ist auch erstaunlich, dass in den Römischen Quellen und Aufzeichnungen, nur die Passionsgeschichte erwähnt ist (es ist die einzige historische Quelle der Passion) während sonst die Wundertaten und wichtige Auftritte Jesus in den Römischen Aufzeichnungen nicht vorkommen. Die Evangelien sind nun mal nicht historisch.

Kūrzlich habe ich ein spannendes Buch zu Jesus und seiner Zeit gelesen: „Der Schatten des Galilāers“ von Gerd Theissen, Professor für Neues Testament. Spannend fand ichs deshalb, weil es den Rahmen der damaligen religiōsen und sozialen Welt des Judentums verstāndlcher macht.

Der wahre Gehalt der Bibel, insbesondere die Messianische Verkündigung im AT wie im NT, ist allein sich öffnenden Gläubigen, Du-Suchenden vorenthalten. Daten- und Faktensüchtigen, allein historisch und fachwissenschaftlich Interessierten, Kampflustigen
bleibt die tiefe der Botschaft verschlossen. Ist nicht zugänglich!

Danke für diesen klugen, überzeugenden Vergleich!

Du hast wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Danke für diesen Osterartikel! Er setzt den sattsam bekannten leeren Behauptungen und Klügeleien etwas Lebendiges entgegen:Z!

Danke, Herr Meier, für Ihre packende Darstellung. Ich hielt mich zum Studium der spanischen Sprache 1969 in Nordspanien auf, wo ich die Staatsgewalt unter Franco in Form der Guardia Civil beobachten konnte. Seit einiger Zeit denke ich über Parallelen zur damaligen römischen Hegemonie und dem Phänomen Jesus von Nazareth nach. Ich bin zu meinem Schluss gekommen, dass damals (wie heute) die "unterdrückten Mächtigen" mit den "mächtigen Unterdrückern" ein gemeinsames Spiel machten. Zu Jesus' Zeiten waren es der Sanhedrin + Herodes in Zusammenarbeit mit den Römern - personifiziert in Pontius Pilatus. Todesurteil für Andersdenkende! Aktuelle Parallele: Putin und die Orthodoxen, der Donald mit den Evangelikalen (da hat doch tatsächlich ein Evangelikaler ein Buch geschrieben 'Gott und Trump' - der Titel ist erschreckend, gelesen habe ich es nicht. Erinnert an die Hybris der Cäsaren.) Erdogan ist auf dem Weg, einen türkischen Gottesstaat zu errichten. Die Posaunen dröhnen im Ohr. Diese 'weltlich-geistliche' Machtverbrüderung hat den Menschen Unheil gebracht. So versuche ich, die Leidensgeschichte eines mutigen jüdischen Reformers zu interpretieren. Hier ging es um Reformen der jüdischen Religion. Die Römer beobachteten die Angelegenheit mit perfiden Hintergedanken. Die Hände in Unschuld waschen... Mächtige spielen mit dem Wankelmut der Massen… oder versprechen Brot und Spiele. Lassen wir es nicht zu, dass unsere Demokratien zerstört werden. Diese Osterbotschaft höre ich... dem Tod und der Verzweiflung nicht das letzte Wort geben.
Allen Mitarbeitern des Journal21.ch wünsche ich ein buntes und fröhliches Frühlingserwachen.
K. Montes

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