Maschinen, die uns ersetzen

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Maschinen, die uns ersetzen

Von Stephan Wehowsky, 20.11.2013

Die Informatik samt der ihr angeschlossenen Technologien ist nicht nur effizient. Sie verlangt auch neue Antworten auf eine alte Frage: Was ist der Mensch?

Wir haben uns angewöhnt, die Frage nach dem Menschen als etwas anzusehen, dem man sich nach getaner Arbeit widmet. Das „Eigentliche“, das „Wichtige“ liegt demnach in der Produktion von materiellen oder immateriellen Gütern, also in irgendeiner Form der „Wertschöpfung“. Aber was geschieht, wenn der Mensch nach und nach durch Maschinen ersetzt wird?

Automatisierung des Geistes?

Diese Vision gibt es schon lange. Unsere Zeit aber ist dadurch geprägt, dass die Ersetzung des Menschen durch Maschinen wie etwas ganz Selbstverständliches vonstatten geht. Fast erscheint uns die Einführung immer effizienterer Technik wie etwas Natürliches, Urwüchsiges.

Und doch ist es fremd, geradezu exotisch. Das macht den ungeheuren Reiz der „Entdeckungsreise“ aus, von der die Informatikerin Constanze Kurz und der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Frank Rieger, berichten. Sie betrachten die Orte, wo unsere Nahrung entsteht, beschäftigen sich mit der Massenkommunikation, dem Verkehr und landen bei der „Automatisierung des Geistes“.

Beide Autoren schreiben regelmässig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Constanze Kurz hat dort sogar eine Kolumne mit dem schönen Titel: Aus dem Maschinenraum. Beide verdienen ihr Geld mit den Technologien, die sie kritisch beleuchten. Darin liegen grosse Vorteile. Denn beide wissen genau, worüber sie schreiben, und wenn sie die Folgen ausmalen, verfallen sie nicht in einen Alarmismus. Dafür sind ihre Argumente um so überzeugender.

Kontrolle: Motor des Fortschritts

Wie entsteht unsere Nahrung? Gerade hier kann man gut erkennen, was die modernen Technologien antreibt. Ob es sich um den Getreideanbau oder um die Tierhaltung handelt: Unsere Massengesellschaften erfordern steigende Produktivität und gleichmässige Qualität. Allein mit der Arbeit der Hände ist das nicht zu erreichen.

Sucht man den allgemeinsten gemeinsamen Nenner für den technischen Fortschritt, so findet man ihn in der Kontrolle. Ob es sich um Tierhaltung, die Produktion von Mehl oder um die automatisierte Steuerung von Autos handelt, immer geht es darum, jeden Schritt eines Prozesses immer genauer zu erfassen. Es ist fast nicht zu glauben, wie weit das geht: Beim Mahlen von Getreide wird jedes einzelne Korn in Millisekunden auf seine Qualität geprüft.

Perfekte Kontrolle

Es liegt eine grosse Faszination darin, Produktionsprozesse immer genauer zu analysieren und sie entsprechend zu optimieren. Man darf sich diese Prozesse auch nicht einfach als brutal oder rücksichtslos vorstellen. Im Gegenteil geht es in der Landwirtschaft auch darum, die Böden schonender zu behandeln, Gülle und Chemie so sparsam und gezielt wie irgend möglich einzusetzen. Und bei der Tierhaltung geht es auch darum, dank optimaler Versorgung und Unterbringung zuträgliche Lebensbedingungen zu schaffen.

Aber diese Faszination, die Constanze Kurz und Frank Rieger eindrücklich vermitteln, führt auf einen Weg, der für den Menschen immer schmaler, steiler und steiniger wird. Denn wenn die Kontrolle der Schlüssel zur immer perfekteren Beherrschung von allem ist, darf man sich nicht wundern, wenn der Schutz eines wie auch immer gearteten Intimbereichs des Menschen einen immer höheren Begründungsaufwand erfordert. Auf dieses Thema gehen die beiden nicht ein, dafür schenken sie einem anderen, nicht weniger wichtigen Punkt ihre Aufmerksamkeit: der Ersetzung des Menschen durch Maschinen.

Willkommener Mindestlohn

Schon seit längerer Zeit ist es nicht mehr so, dass lediglich simple und repetitive Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden. Dank moderner Steuerungssysteme übernehmen Maschinen immer komplexere Aufgaben. Der Mensch gerät immer mehr in die Rolle des Kontrolleurs, der im Falle von Pannen eingreift. Oder aber er übernimmt dort Tätigkeiten, wo seine Arbeitskraft billiger ist als der Betrieb einer Maschine.

Nicht ohne Ironie vermerken Kurz und Rieger, dass in Kreisen der Robotik und anderer der Rationalisierung dienenden Industrien die Debatte um den Mindestlohn mit grösstem Wohlgefallen verfolgt wird. Lässt sich doch dann viel besser kalkulieren und argumentieren, wieviel durch den Einsatz von neuen Maschinen an Löhnen eingespart werden kann.

Autos ohne Fahrer

Es ist sogar damit zu rechnen, dass komplexe und verantwortungsvolle Tätigkeiten wie das Fahren von Autos und LKW von Maschinen übernommen wird. Die entsprechenden Versuchsfahrzeuge sind verblüffend zuverlässig. Damit eröffnet sich aber ein neues Feld von Problemen. Wer wird verantwortlich und haftbar gemacht, wenn es zum Beispiel aufgrund des Ausfalls eines Sensors, eines Softwarefehlers oder auch durch Sabotage zu einem Unfall kommt? Ist es der „Fahrer“, der den LKW oder das Auto gar nicht mehr permanent lenkt? Und wie wird die Öffentlichkeit reagieren, wenn dank automatisiertem Fahren die Zahl der Verkehrsunfälle zwar insgesamt abnimmt, aber hin und wieder Tote und Verletzte zu beklagen sind?

So eindrücklich die Vision des Strassenverkehrs ohne permanent aktive menschliche Fahrzeuglenker auch ist, so handelt es sich dabei noch lange nicht um die grössten Herausforderungen des Menschen. Denn das Lenken von Fahrzeugen erfordert keine übermässig hohen Qualifikationen. Anders ist es schon in der Medizin. Aber auch hier werden komplexeste Tätigkeiten durch Maschinen vereinfacht und rationalisiert.

Operierende Roboter

So beschreiben Constanze Kurz und Frank Rieger, wie Operationsroboter die Tätigkeit der Chirurgen enorm erleichtern und zudem dank minimal invasiver Methoden die Patienten schonen. Winzige Kameras werden eingeführt, und über ergonomisch optimierte Steuerungssysteme kann der Chirurg millimetergenau arbeiten. Dazu muss er noch nicht einmal direkt am Patienten stehen. Denn seine Steuerungsbefehle lassen sich auch über grosse Entfernungen auf die Maschinen übertragen. Es war, wie die beiden Autoren nicht ohne hintergründigen Witz vermerken, wieder einmal das Militär, das diese Entwicklung vorangetrieben hat. Denn es ist nicht möglich, bei allen Kampfeinsätzen hochspezialisierte Chirurgen einzufliegen, um die oftmals äussert komplizierten Verletzungen zu behandeln.

Wir müssen uns auch von der Vorstellung verabschieden, dass „geistige“ Tätigkeiten nicht auch von Maschinen erledigt werden könnten. Wenn es zum Beispiel darum geht, riesige Datenbestände auszuwerten, darin Muster zu erkennen und nach bestimmten Regeln Verknüpfungen herzustellen, sind uns Computer jetzt schon hoffnungslos überlegen. Und wer glaubt, dass die Sprache, also die Fähigkeit, Abläufe und Ereignisse in spezielle Formulierungen zu übertragen, spezifisch menschlich sei, irrt auch hier. Schon längst gibt es Programme, die Börsenberichte, Klageschriften, Bilanzen oder Sportereignisse in Worte fassen.

Ausgediente Sportreporter

Die Methode dazu ist sogar relativ simpel. Die Computer vergleichen Vorgänge und die dafür verwendeten Formulierungen. Daraus entstehen sogenannte Algorithmen, also Schemata, mit denen spezifische Ereignisse mit den dazu passenden sprachlichen Ausdrücken verknüpft werden. Amerikanische Zeitungen haben daraufhin insbesondere jene Sportreporter entlassen, die sich auf lokale Berichterstattung spezialisiert hatten.

Was bleibt also noch vom und für den Menschen? Es ist völlig klar, dass immer mehr Arbeit von Maschinen erledigt werden wird. Und es ist auch nicht mehr so, dass nur gering Qualifizierte davon betroffen sind. Vielmehr nimmt die Zahl der Stellen ab, die spezifisch menschliche Intelligenz und Qualifikationen erfordern. Und weil die Maschinen immer innovativer werden, ist es auch nicht mehr möglich, dass geniale Tüftler plötzlich ganz neue Produkte entwickeln, mit denen sie die Märkte erobern.

Die Mär vom individuellen Versagen

Daher, so schreiben Constanze Kurz und Frank Rieger, müssen wir unser Menschenbild verändern. Der Mensch kann sich nicht mehr über Arbeit definieren, und der moralische Grundsatz, dass nur der essen soll, der auch arbeitet, ist völlig obsolet geworden. Und es ist auch ganz fatal, wenn wir die Tatsache, dass Maschinen einstmals geschätzte Qualifikationen übernehmen, demjenigen, der deswegen seine Qualifikationen in der Arbeitswelt nicht mehr einsetzen kann, als individuelles Versagen zurechnen.

Überhaupt ist es fatal, dass nur noch eine Verknüpfung Bestand hat: Kapital und Arbeitsertrag, also Gewinn. Denn die Maschinen werden nicht nur komplexer, sondern erfordern auch immer höheren Kapitaleinsatz. Das fördert die Konzentration mit allen negativen Folgen. Dabei muss auch bedacht werden, dass bis heute die Infrastruktur für Unternehmen – Strassen, Schulen, Krankenhäuser, Polizei etc. – von der Allgemeinheit ebenso getragen wird wie schädliche Folgen: Umweltbelastungen, Risiken der Finanzmärkte, soziale Verwerfungen.

Fehlende Perspektiven

Es wäre eigentlich nötig, in unserer durch technische Innovationen gesegneten Gesellschaft darüber nachzudenken, wie diese Innovationen sozial kreativ genutzt werden können. Aber gerade das geschieht nicht. Die dringend benötigten Geisteswissenschaften führen, wie Kurz und Rieger hervorheben, ein Schattendasein. Daher können sie nicht die Perspektiven entwickeln, die gerade jetzt dringend gebraucht werden. Überhaupt bieten die Masterstudien und die sogenannten beruflichen Fortbildungen für neue „Qualifikationen für den Arbeitsmarkt“ nur Schmalspurwissen, das keinerlei Kreativität wachruft.

Dieses Buch ist ein grosser Wurf. Es erinnert an „Die magischen Kanäle“ von Marshall McLuhan. Es zeigt, wie wir uns in der veränderten Welt verändern müssen.

Constanze Kurz, Frank Rieger, Arbeitsfrei. Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen, Riemann Verlag 2013

Der Mensch ist ein Auslaufmodell, eine art evolutive Zwischenstufe. Mit etwas technischem und wissenschaftlichen Verstand ist das doch klar. (Sorry liebe Träumer und Mitmenschen, aber so ist das halt nun mal...)

Dieses "Etwas" in Ihrem technischen und wissenschaftlichen Verstand ist nun aber arg klein.

Nun, Sie haben recht. Zum "summa cum laude" hat's ja damals nicht gereicht bei der Doktorprüfung (theoretische Physik)...

Nichts für Ungut! :-)

@Name .....damals nicht gereicht und heute ? Eben.

Man muss sich wirklich mal genau überlegen, wie man die Menschen am Produktivitätsgewinn, der durch die Automation in den letzten Jahrzehnten entstanden ist, beteiligen kann, denn im Moment profitieren davon nur die Besitzer der Maschinen und die Mitarbeiter, welche wegrationalisiert wurden, überlässt man dem Sozialsystem, welches dann noch von den Besitzenden in Frage gestellt wird, um ihre exorbitanten Gewinne, welche sie aus diesen Rationalisierungen gemacht haben, zusätzlich zu optimieren.

Habe das Buch noch nicht gelesen. Habe mir längst auch Gedanken über das Thema gemacht.

Jede Technologie ist eine Verlängerung unserer Sinne. Insofern ist ein Hammer, Auto, Flugzeug, Rasenmäher, Handy und Computer genau so wie ein komplexer Roboter, nur ein Werkzeug.
Das Problem daran ist, durch jeden Entwicklungssprung werden Jobs vernichtet. Das war schon in den 90er Jahren so, wo die CNC Drehbänke in die Maschinenfabriken einzogen und analoge Drehbänke vertrieben. Auch auf Bauernhöfen sieht es heute anders aus, wie vor 50 Jahren.

Roboterarme und automatische Produktionslinien ersetzen meist Arbeiter, die eine schlechte Ausbildung besitzen. Wenn eines Tages intelligente oder intelligent scheinende Roboter verkauft werden, wie z.B. im Film iRobot, wird mit einem Schlag etwa 97% der Menschen arbeitslos.
Wenn die Menschheit nicht eines Tages in nie endenden Bürgerkriegen versumpfen will, sollten die Firmen für jeden Mitarbeiter, den sie ersetzten, Geld an die Sozialwerke zahlen. Denn es stellt sich die Frage, wer soll das Zeug kaufen, das die Roboter herstellen, wenn keiner mehr Geld hat? Nun, in diesem Fall muss man noch dringender das Geldsystem ändern, wie ich es bei jeder Gelegenheit in anderen Beiträgen in Journal21 schrieb. Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen bekäme eine neue Bedeutung.

Es kann sein, dass diese Technologie in den nächsten 30 Jahren machbar ist. Die ersten Quantencomputer gibt es bereits. Graphen, 3-D Drucker und andere Innovationen werden schon bald einen gigantischen Sprung verursachen. Es stellt sich nur die Frage, ist die Menschheit bereit dafür? Nach meinem ermessen nicht. So ist zum Beispiel die Handytechnologie nachweislich schädlich für den Menschen, da Mikrowellenstrahlen das Blutbild und die Hirnströme verändern. Aber die Industrie unterdrückt jegliche Forschungsergebnisse.
http://www.zeitenschrift.com/news/sn-12307-aerztekammer.ihtml

Es gibt auch andere Industriezweige, wo solche Tendenzen nachweislich ersichtlich sind. Zum Beispiel in der weitgehend unerforschten Gentechnik. (Monsanto, Syngenta usw.)
http://www.arte.tv/guide/de/036531-000/monsanto-mit-gift-und-genen

Solange die Industrie so agiert, dass die Menschheit für sie lediglich nützliche Zahler sind, kommt Robotertechnologie gar nicht gut.
Bisher wurden die meisten Technologiesprünge durch Kriege hervorgebracht. (Schießpulver, Atom, Drohnen). So sehe ich auch die meisten Fortschritte in diesem Bereich. Die bereits heute unglaublich niedere moralische Hemmschwelle zu töten, würde noch weiter nach unten gedrückt.
Stellen Sie sich vor, die Millionen durch Computergames abgehärteten Zocker würden auf die Menschheit losgelassen, indem sie militärische Terminatoren steuern. (Nichts gegen Computerspiele, spiele manchmal auch). Noch schlimmer wäre, wenn diese Terminatoren selbstständig ihr Ziel aussuchen.

Heute schon werden Roboter gnadenlos eingesetzt. Bisher gab es 3500 tote Zivilisten. Menschen die ohne jegliches Gerichtsurteil in einem Land, in dem die USA offiziell keinen Krieg führt, hingerichtet werden. Die Zivilisten in der Nähe der Zielperson haben dann einfach Pech.
So nicht. Wären die Vereinten Nationen etwas Wert, würden sie die USA als Terrorregime brandmarken und mit Sanktionen überschütten.

Es wird also Zeit, dass jeder einzelne Chip, uns nicht nur die Arbeit
abnimmt, sondern auch Steuern bezahlt!

Das Buch konzentriert sich auf Systeme, mit denen es die Mehrzahl der KonsumentInnen, Berufstätigen oder Azubis zu tun haben.

Nur am Rande kommen daher die gefährlichsten Expertensysteme vor, mit denen wir es schon seit einem oder mehreren Jahrzehnten zu tun haben.

Kapitel 11 "Von der Fernsteuerung zur Autonomie: Telepräsenz und Drohnen" erwähnt kurz auch die launch on warning - Systeme, die automatisch die eigenen Massenvernichtungswaffen startklar machen, wenn das System glaubt, feindliche Raketenstarts beobachtet zu haben.

Daneben gibt es "an den Börsen" - eigentlich in hochgetakteten Kommunikationsrechnern an extrabreiten Netzen - Programme, die im Millisekundenbereich Schwankungen in Währungskursen etc. ausnutzen und damit auch aufschaukeln.

In beiden Fällen kann ein Befehlshaber, Börsen- oder Bankenchef nur noch ABSCHALTEN, wenn man sie denn rechtzeitig erreichen kann.

Ich finde das gar nicht "magisch". Magisch ist nur, dass jemand diese Risiken regelmässig aus den Sicherheitsgutachten weghext.

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