„Post-post-Demokratie“

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„Post-post-Demokratie“

Von Heiner Hug, 02.01.2017

Alles ist emotional, Fakten spielen keine Rolle mehr.

Viele Indizien sprechen dafür, dass uns das Jahr 2017 nicht nur Gutes bringen wird. Selten war man bei einem Jahreswechsel so ängstlich und mit Sorgen erfüllt wie jetzt. Neben dem Terror, der Immigration (und Trump?) macht vor allem der Rechtspopulismus Angst. Schon werden Vergleiche zu Weimar gezogen. „Die Welt von Hitler ist vielleicht nicht allzu weit entfernt“, hat der „Guardian“ kürzlich einen Artikel des Yale-Historikers Timothy Snyder betitelt. Der britische Soziologe und Politikwissenschaftler Colin Crouch hatte vor Jahren den Ausdruck „Postdemokratie“ geprägt. Danach dürfen die Bürger zwar wählen, haben aber kaum mehr Einfluss. Im Hintergrund setzt eine Elite mit ihren PR-Teams ihre meist wirtschaftlichen Interessen durch. Jetzt geht Crouch einen grossen Schritt weiter und spricht von „Post-post-Demokratie“. Diese sei noch viel schlimmer als die Postdemokratie. Crouch verwendet den Ausdruck „Psychopolitik“. Wir sehen „eine Revolte der Emotionen, so wie in den 20er und 30er Jahren mit Hitler und Mussolini“. Gewisse Leader würden die Ängste der Bevölkerung anfachen und bewirtschaften. „Immer wird an die Angst appelliert, nichts als an die Angst“, sagt Crouch. Angst vor dem Fremden, dem Islam, Angst vor der modernen Welt, mit der man nicht zurechtkommt. Nichts mehr sei rational, alles sei emotional. Fakten spielen keine Rolle mehr.

Ist alles schon so schlimm? Weltuntergangspropheten haben wieder einmal Wind in den Segeln. Anderseits gibt es immer Menschen, die die Augen verschliessen und gefährliche Vorzeichen nicht sehen wollen. Sicher leben wir (noch) nicht in Weimar-Zeiten. Doch es gilt wachsam zu sein. Vor allem wäre es an der Zeit, dass sich die demokratischen Parteien zusammenraufen und gegen den aufkommenden Rassismus und Rechtspopulismus kämpfen – statt sich gegenseitig wegen Lappalien in den Haaren zu liegen. Und die liberalen Parteien und die liberale Presse täten gut daran, sich von den Rechtspopulisten abzugrenzen – anstatt sich ihnen anzubiedern. Nur gemeinsam, die Bürgerlichen zusammen mit der Mitte und der linken Mitte, können die Rechtsaussen-Schreihälse mit ihren aufgebauschten Feindbildern gebremst werden.

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Stammtische und ihre Wutbürger (Populisten) stellen die politische Themensetzung und Deutungshoheit der Hauptstrom-Journalisten, Politiker und Kulturgrössen infrage. Wo die dringende Lösung politischer Probleme verschleppt wird oder Probleme verharmlost werden, reagiert die Stimmbürgerschaft verständlicherweise verärgert. Ihr Ärger ist als Aufruf zum Handeln für die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen zu verstehen.

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Letzteres werden nun Politiker im Format eines Donald Trump besorgen.

Grossartig hinterfragte Sicht auf die Lage, emotionslos und klar. Herzlichen Dank Herr Sero!

Kurz und treffend, auf den Punkt gebrachte Analyse von Heiner Hug. Ebenso stimmt die Diagnose - die 80% der Mitte-links und der Mitte-rechts Wähler sollen sich gut Schweizerisch zusammenraufen und tragbare Kompromisse beschliessen und sich nicht von den 20% infantilen Schreihälsen, Brandstiftern, Egomanen und Kriegsverherrlichern wegdrängen lassen, oder sich gar aus populistisch-wirtschaftllichen Gründen mit diesen anbiedern.
Vorangehen sollten diesen Weg z.B die beiden 'grossen' Tageszeitungen. Die NZZ, indem sie den deutlich eingeschlagenen 'rechts-bachab-Weg' wieder verlässt und sich ihrer liberalen Grundausrichtung besinnt und der Tagi, indem er die populistisch-wirtschaftlich-anbiedernde 'anything goes' Haltung ablegt und wieder Charakter zeigt. Man achte einmal darauf, welche der beiden Häuser den 'rechts-aussen' Populisten mehr Druckerschwärze und Bilder gönnt....!

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