Unsinnige Abschiebungen

Stephan Wehowsky's picture

Unsinnige Abschiebungen

Von Stephan Wehowsky, 08.07.2021

In Deutschland, aber nicht nur dort, kommt es immer wieder zu Abschiebungen von gut integrierten Asylanten.

Im deutschen Bundesland Sachsen ist in diesen Tagen eine Familie nach Georgien abgeschoben worden, die in jeder Weise gut integriert war. Sie lebte seit 2013 in Deutschland, die Kinder waren gute Schüler, die Mutter arbeitete in Teilzeit als Dolmetscherin bei der Caritas und als Haushaltshilfe, der Vater war Pfleger. Alle sprechen Deutsch. Als die Polizei anrückte, waren gut 100 Nachbarn und Kollegen zur Stelle, um sich gegen das Vorgehen der Polizei zu stellen. Aber der Widerstand war vergeblich.

Immer wieder kommt es nicht nur in Deutschland zu Abschiebungen von Ausländern, die sich über Jahre so gut integriert haben, wie es besser kaum geht. Aber es fehlt ihre rechtliche Anerkennung als Asylanten. Mittlerweile beschweren sich ganz besonders in Baden-Württemberg Meister und Inhaber mittelständischer Handwerksbetriebe, dass ihnen wieder und wieder Fachkräfte verloren gehen, die sie ausgebildet haben und auf die sie angewiesen sind.

Kritiker weisen darauf hin, dass gut integrierte Familien für die Ausländerbehörden und die Polizei leichter zu greifen sind als Kriminelle, die möglicherweise untergetaucht sind. Mit anderen Worten: Es ist gefährlich, ordnungsgemäss gemeldet zu sein und über ein Namensschild am Briefkasten und an der Türklingel zu verfügen. Auch Behörden neigen offenbar zum Weg des geringsten Widerstandes.

Das Problem liegt aber tiefer: Auf der einen Seite gibt es Gesetze, in denen festgeschrieben ist, unter welchen Bedingungen Asylanten in Deutschland – sinngemäss aber auch in anderen Aufnahmeländern – bleiben dürfen und unter welchen Bedingungen sie das Land wieder verlassen müssen. Aus diesen Gesetzen gehen die Verordnungen und Vorschriften hervor, nach denen sich die Behörden zu richten haben. Dort möchte niemand eine Dienstaufsichtsbeschwerde oder andere Massnahmen riskieren. Also wird auch dann abgeschoben, wenn sich der gesunde Menschenverstand, von Mitgefühl gar nicht zu reden, eigentlich dagegen sperren müsste.

Ist es zwar Wahnsinn, so hat es doch Methode. Gesetze sind dazu da, dass sie umgesetzt werden. Der Gesetzgeber kann Ausnahmeregelungen beschliessen, und die Behörden haben einen Ermessensspielraum. Kritiker bemängeln, dass dieser zu wenig genutzt wird. Aber das Dilemma bleibt. Es liegt in einer starren Mechanik, gegen die nur punktuell, etwa mit Hilfe des – sehr umstrittenen – Kirchenasyls anzukommen ist. Diese Feststellung aber gibt keinen Anlass zur Beruhigung.

Denn wenn es nicht ganz untypisch ist, dass allzu häufig «die Falschen» abgeschoben werden, wie selbst konservative Kreise bemängeln, dann muss intensiver darüber öffentlich diskutiert werden, worin Korrekturmöglichkeiten bestehen. Niemand kann ein Interesse daran haben, dass staatliches Handeln derartig kontraproduktiv ist wie bei den Abschiebungen von Asylanten, die ein Gewinn für die Gesellschaft wären.

Kommentare

Die Redaktion von Journal21.ch prüft alle Kommentare vor der Veröffentlichung. Ehrverletzende, rassistische oder anderweitig gegen geltendes Recht verstossende Äusserungen zu verbreiten, ist uns verboten. Da wir presserechtlich auch für Weblinks verantwortlich sind, löschen wir diese im Zweifelsfall. Unpubliziert bleiben ausserdem sämtliche Kommentare, die sich nicht konkret auf den Inhalt des entsprechenden Artikels oder eines bereits aufgeschalteten Leserkommentars beziehen. Im Interesse einer für die Leserschaft attraktiven, sachlichen und zivilisierten Diskussion lassen wir aggressive oder repetitive Statements nicht zu. Über Entscheide der Redaktion führen wir keine Korrespondenz.

Herr Wehowsky, wann können wir von Ihnen einen durchaus bereichernden Beitrag „Unsinnige Nicht-Abschiebungen“ erwarten? Darin könnten Sie u.a. reflektieren, zu wie vielen Straftaten und letztlich Morden wie kürzlich wieder in Würzburg doch fehlende Abschiebungen immer wieder führen. Beleuchten Sie doch gern einmal auch diese Seite und bringen Sie uns gerne nicht nur Einzelschicksale sondern ein paar representative Zahlen, z.B. über verhängte aber nicht ausgeführte Abschiebungen sowie den Anteil der Klientel an der Statistik von Straftaten und Sozialhilfe.

Leider gibt es auch in der Schweiz etliche solcher Fälle. Unverständlich, dass man diese fleissigen, integrierten jungen Leute nicht wenigstens ihre Lehre beenden lässt. Der Abschluss wäre ihnen sehr nützlich in ihrer Heimat - wenn sie denn schon abgeschoben werden müssen.
Auf der andern Seite fasst man all die Halb- und Fastkriminellen, die abgeschoben werden sollen, mit Samthandschuhen an: Ihre Smartphones dürfen nicht angeschaut werden. Wenn sie sich nicht auf CoVid-19 testen lassen wollen, müssen sie das nicht und man kann sie nicht ausweisen. Und und und.
Verkehrte Welt.

Ein guter Kommentar von Herrn Wehowsky. Es ist ein Irrwitz, dass Asylbewerber, die sich bestens integriert haben, also ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, die Sprache erlernt haben und nicht straffällig geworden sind, abgeschoben werden. Hingegen können Asylbewerber nicht zurückgeschafft werden, deren Identität nicht klar ist und die folglich von ihren jeweiligen Heimatländern nicht zurückgenommen werden. Solche Asylbewerber müssen dann teilweise jahrelang notversorgt werden, auch weil sie keine Arbeitsbewilligung bekommen. Nicht selten tauchen diese Menschen unter und begehen, um zu überleben, strafbare Handlungen. Diese Situation ist völlig unbefriedigend. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn Menschen, deren Asylgesuch von vornherein keine Chance hat, weil sie in ihrem Herkunftsland nicht an Leib und Leben bedroht sind, auf Zeit bleiben dürften und dabei eine Ausbildung, ein Praktikum oder einfach einen Job machen könnten, bevor sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren müssten. Die jetzige Asylpolitik steckt in einer Sackgasse. Insbesondere auch darum, weil die EU eine unmenschliche Abschreckungspolitik betreibt; nicht zuletzt wegen Ländern in Osteuropa, die eigentlich keinen einzigen Flüchtling aufnehmen wollen. Nur alleine mit Ablasszahlungen an Staaten wie die Türkei, Libyen, Marokko etc. kann man keine humanitäre Asylpolitik betreiben. Es dürften in Zukunft - auch der Klimaproblematik wegen - nicht weniger, sondern noch viel mehr Flüchtlinge nach Europa gelangen wollen. Deswegen müssten in der Asylpolitik ganz andere, menschlichere Modelle entworfen werden, welche die Würde eines jeden Menschen in den Fokus stellt, was auch heisst, ihm Möglichkeiten für eine autonome, humane Lebensführung anzubieten.

Sie sagen es: Die jetzige Asylpolitik steckt in einer Sackgasse.

Fast alle wissen es, und niemand macht etwas dagegen. Gesetze sind Gesetze, man könnte sie aber ändern oder Ausnahmen bewilligen. Offenbar scheint aber Paragraph XY wichtiger als der Mensch, der betroffen ist. Meiner Meinung nach muss sich unsere Generation mal schämen, was wir hier angerichtet haben, mit Absegnung von ewig gestrigen Politikern.
Wir werden uns noch die Haare ausreissen wegen all dieser Paragraphen, weil immer mehr Leute in ihren sog. Heimatländern vor lauter Schikaniererei und Zukunftslosigkeit nicht mehr leben können, und entgegen aller Vernunft hoffen, in Europa oder USA oder wo auch immer ein besseres Leben leben zu können. Sie haben ja wirklich nichts zu verlieren.
Können wir wirklich in unserem reichen Land nicht wenigstens den jungen, arbeitswilligen und intelligenten Leuten eine kleine Zukunftshoffnung bieten? Anscheinend behalten wir lieber die nicht integrationswilligen und auffälligen Personen hier, und bezahlen Unsummen für deren Aufenthalt.

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren