Verknöcherte Rechte, naive Linke

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Verknöcherte Rechte, naive Linke

Von Peter Achten, Peking - 28.09.2014

Die schweizerische Haltung gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt hat nichts mit Neutralität zu tun. Das ist Wischiwaschi-Politk.

Es brennt in der Ukraine. Es explodiert im Nahen Osten. Ebola breitet sich aus in Afrika. Braucht die Schweiz eine neue Aussenpolitik?

Aus der asiatischen Ferne betrachtet ist die Schweiz international wohlgelitten. Man könnte auch sagen „ein Zwerg mit internationaler Ausstrahlung“.  Macht- und geopolitisch ist das alpine Land im Zentrum von Europa zwar buchstäblich nichts, doch wirtschaftlich mit Meriten gesegnet. Immerhin hat es die winzige Schweiz unter die Top 25 der Weltwirtschaft gebracht.

Neulich hat ein guter chinesischer Freund, Wirtschaftsprofessor an der Pekinger Volksuniversität, seine Bewunderung für die Schweiz ausgedrückt. Es sei bemerkenswert, dass es die „mausearme Schweiz von der Industriellen Revolution bis heute innerhalb von nur 150 Jahren zum wohl reichsten Land des Erdballs gebracht hat“. China brauche dafür insgesamt zwar schätzungsweise nur siebzig bis achtzig Jahre, habe aber bei Beginn der Reform 1978 von der bereits fortgeschrittenen Technik profitiert.

"Ihr Land ist der Garten der Welt"

Die Schweiz ist sowohl in China als auch im übrigen Asien hochangesehen. Nicht nur wegen des wirtschaftlichen Erfolges, sondern auch wegen der politischen Stabilität. Das Image der Schweiz wird durch manche Clichés ergänzt. Also etwa saubere Luft, schöne Landschaft, Schokolade oder Uhren. Diese Clichés passen den Diplomaten und staatlich besoldeten Tourismusvertretern gar nicht in ihr schräges Konzept. Dabei sollten sie froh darum sein, denn zusammen mit Innovation, Qualität, Rechtsstaat, dem Erziehungssystem und – man staune – der Neutralität sowie den Schweizer Banken und den Multinationalen verhilft dieses Image zu Einfluss. Der frühere Staats- und Parteichef Hu Jintao lobte bei einem Schweizer Aufenthalt 2009 in Lausanne mit folgenden Worten die Schweiz: „Ihr Land ist der Garten der Welt“.

Diese Worte waren keineswegs nur diplomatische Lobhudelei. Im Gegenteil. Wenige Jahre später feierte die kleine Schweiz den grössten aussenpolitischen Erfolg seit mindestens zwanzig Jahren mit dem Zustandekommen des Freihandelsvertrages mit dem Wirtschafts-Goliath China. Das Abkommen war nicht nur wichtig für Bern sondern gleichermassen auch für Peking. Als Laboratorium für weitere ähnliche Vereinbarungen, etwa mit der EU oder weltweit  – so heisst es in China – sei das komplizierte Freihandels-Regelwerk so etwas wie ein Massstab, eine Richtschnur.

Calmy-Rey: Naiv, unausgegoren, bestenfalls gut gemeint

Dieser grosse Erfolg eines kleinen Landes in der internationalen Arena sollte Anlass sein, etwa mehr und etwas vertiefter über Aussenpolitik nachzudenken, zu reden und vor allem zu handeln. Schlagzeilen lieferten einst die von den Medien meist gepriesenen Aktionen der früheren Aussenministerin Calmy-Rey etwa im Nahen Osten. Doch die im Berner Departement für Auswärtiges erdachten Konstrukte waren unausgegorenen, wirklichkeitsfremd, bestenfalls naiv und gut gemeint. Wirkung gleich Null. Doch die SP-Bundesrätin beherrschte die Kunst der Selbstdarstellung in Perfektion.

Als sie in Panmunjion in einem kleinen Schritt von Nord- nach Südkorea grosse Politik machen wollte – auch diesmal bejubelt von den Schweizer Medien – bewegte sich nichts, rein gar nichts. Die umtriebige Politikerin punktete bei der Presse auch mit ihrem unsäglichen Kopftuch-Auftritt in Teheran oder mit ihrer Mundmaske nach dem Tsunami 2004 in Thailand.

Burkhalter: Taten statt Worte

Der aktuelle Aussenminister Didier Burkhalter macht es genau umgekehrt: Taten statt Worte. Sein jüngster Auftritt vor der Uno-Generalversammlung und vor allem seine Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind  Hinweise darauf, wie eine künftige Schweizer Aussenpolitik aussehen könnte. Im Mittelpunkt einmal mehr – man darf staunen – die Neutralität. In der gegenwärtigen Ukraine-Krise beispielshalber kann die OSZE nur mit einem Präsidenten aus einem neutralen Lande glaubwürdig sein.

Man stellte sich nur einen deutschen, polnischen oder litauischen OSZE-Präsidenten in der jetzigen Situation vor. Burkhalter hat auch etwas begriffen, was viele Schweizer Politiker, Diplomaten, Intellektuelle und Geschäftsleute bis heute nicht erkennen, nämlich, dass sich das politische und wirtschaftliche Zentrum vom Atlantik hin zum Pazifik verschoben hat. Noch ist der Eurozentrismus fest in den Köpfen und in der Politik einzementiert, so als ob wir noch immer im imperialistischen und kolonialen Zeitalter des 19. Jahrhunderts lebten.

Sowohl-als-auch

Für eine künftige Schweizer Aussenpolitik in unsichereren Zeiten inmitten einer globalisierten und digitalisierten Welt ist das Konzept der Neutralität unverzichtbar. Natürlich ist die bewaffnete Neutralität neu zu definieren, wenn nicht gar neu zu erfinden. Denn die Neutralität des Wiener Kongresses 1815 taugt im 21. Jahrhundert genau so wenig wie die Neutralität nach dem Ende des II. Weltkrieges 1945 oder gar nach dem „Ende der Geschichte“ 1990.

Leider ist die Diskussion in der Schweiz, soweit man das aus der Ferne beurteilen kann, noch nicht sehr weit gediehen. Die Zeichen der Zeit haben vor allem die beiden Extreme des politischen Spektrums noch gar nicht begriffen. Eine konservative, verknöcherte Rechte steht einer international abgrundtief naiven Linken gegenüber. Auch der Bundesrat ist offenbar nicht auf der Höhe der Zeit. Bei den Sanktionen gegen Russland resultierte ein Jein oder Sowohl-als-auch. Das hat, mit Verlaub, nichts mit Neutralität zu tun, sondern ist hilf- und richtungslose Wischiwaschi-Politik.

Neutralität allein freilich genügt heute nicht mehr. In der internationalen Arena gibt es nur Interessen. Freunde gibt es nicht. Die kleine Schweiz hat dies schmerzhaft etwa mit den „Freunden“ USA, Deutschland oder Frankreich erfahren, die aus finanzieller Gier, ohne mit der Wimper zu zucken, Schweizer Recht mit Füssen traten. Um Schweizer Interessen durchzusetzen, braucht es Netzwerke, d.h. mittlere und kleinere Staaten, mit denen praktische Politik durchgesetzt werden kann. Mannigfaltige Kooperationen innerhalb von internationalen Organisationen bieten sich an. Die Schweiz muss dabei entgegen der Ansicht von konservativen, ewig gestrigen Zauderern sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.

Aussenminister Didier Burkhalter hat dieses Jahr einen grossen Schritt in Richtung einer neuen Schweizer Aussenpolitik getan. Nur haben das in Bern im Speziellen und in den Schweizer Medien im Allgemeinen noch nicht alle mitbekommen. Eines allerdings könnte Burkhalter von seiner Vorgängerin Calmy-Rey – aka Calamity-Reisli – durchaus durchaus übernehmen: Effiziente Öffentlichkeitsarbeit.

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Ohne Sie in irgend einer Weise verletzen zu wollen, ich hätte es selber nicht besser formulieren können. Höchstens etwas agressiver, more like Blocher, populistischer.

Aber bevor die Schweiz, unser Land, der Garten der Welt, zur reinen Grossbaustelle verkommt, nützen die schönsten Erkenntnisse nichts, Taten sind gefragt.

Und da die einzigen wirksamen Waffen noch die sind, es als Ganzes zu stoppen, bleibt uns, als einzige Wahl, für Initiativen zu stimmen, die für so Viele von uns doch nur dem Zweck dienen, den Zug zu stoppen, bevor er entgleist.

Ob wir uns, in unserer allgemeinen Ueberheblichkeit, aber dessen bewusst sind, ist eine Frage, die demnächst schon entscheidend beantwortet wird. Ich zumindest hoffe, dass eine Mehrheit die einmalige Chance erkennt. Sie nützt auf jeden Fall, auch wenn sie vielleicht etwas schadet.

Denn nur aus Schaden wird man wirklich klüger. Alles Andere ist inhaltsloses Gewäsch. Wohl wie dasjenige, das demnächst in Bayern stattfinden wird, dort, wo Obama auch dabei ist. Kostet wohl so hundert Millionen, verbraucht gigantisiche Mengen an Enegerie und Materiel, und bringt, wie immer, immer nur das Gleiche. Ein Feind muss her, dann sind wir wieder alles Freunde...

Ob man wohl auch über Umweltschutz spricht? Oder sich nur über die Idioten amüsiert, die daran glauben !?

Na endlich mal ein Journalist, welcher den Puck sieht und ihn in verständlicher Prosa vorträgt!
Ich hoffe, dass das EDA immer noch eine Mehrheit an Diplomaten einsetzt, welche über einen ähnlichen Erfahrungsschatz verfügt, wie Peter Achten.

Europa ist sowas von passé und wird von den Führern mit Scheuklappen voll an die Wand gefahren. Auch die Asiaten scheinen das langsam zu merken.
Der EU Kollaps wird dannzumal auch für die Schweiz von Bedeutung sein. Ausser, wir schaffen es, mit dem neuen wirtschaftlichen Weltzentrum Asien Spezialkonditionen auszuhandeln. Ich traue es unseren Diplomaten zu.
Grüsse aus Korea, wo die Uhren ähnlich ticken wie in China.

Guter Artikel.
Allerdings bin ich nicht damit einverstanden, dass die Schweiz an der militärischen Neutralität was ändern soll. Wollen Sie, dass unsere Soldaten in ein Fremdes Land auf einem anderen Kontinent gehen, wo kaum 1 Prozent der Schweizer je waren und dort unsere Demokratie verteidigen? Nebenbei wäre unsere Armee gar nicht dafür ausgerüstet.

Ich finde die militärische Neutralität das beste, was der Schweiz je passieren konnte, auch wenn es uns vielleicht nicht ganz freiwillig auferlegt wurde. Den so werden wir nicht in verlogene Kriege der Amis hineingezogen, von denen die Schweiz nichts hat, ausser drohende Terroranschläge, was wiederum zu einem Überwachungsstaat hinführt.

Ausserdem sollte man zuerst das ändern was schlecht ist, bevor man das Gute ändert.

Stimme vielem im Artikel zu, aber auf die Ukraine bezogen, verhält sich die Schweiz richtig. Das ist keine Wischiwaschi- sondern eine massgeschneiderte Politik. Vielleicht sieht man es von Peking aus nicht richtig, aber die Schweiz ist Mitglied im Schengen-Raum, muss also die Einreisesperren mittragen. Ausserdem gibt es noch die Bilateralen mit der EU samt Dauerauseinandersetzung darum. Die sind etwas vom Wichtigsten für die Schweiz, weshalb es sich empfiehlt, zugunsten der eigenen Verhandlungsposition zumindest nicht übermässig als Kriegsgewinnler in Sachen Ukraine-Konflikt und Russen-Boykott aufzufallen. Ansonsten halte ich Burkhalters weitestgehende Neutralität auch für richtig, weil hilfreich für die Völkergemeinschaft. Dies obwohl die
Stabilität des (auf der Krim verletzten) Völkerrecht für die kleine Schweiz durchaus eine grössere Wichtigkeit hat als etwa für China.

Alles schön und gut, lieber Herr Achten.
Über die Linke und die Rechte oder über MCR und - zumindest im Ansatz - sogar Burkhalter kann man sich einig sein, vom schwindenden Einfluss Europa's und vom wachsenden des Pazifikraums gar nicht zu reden. Schliesslich auch darüber dass es in ihrem Artikel vor allem um eine zukünftige Identität der Schweiz geht.
Trotzdem wird mir etwas mulmig wenn - so quasi en passant - Imperien wie Russland und China mit einem Blümchen bedacht werden ohne dass auf gegenwärtige Entwicklungen eingegangen wird.
Es wär daher interessant von Ihnen zu hören was Xi Jinping tatsächlich von Putin denkt, oder mit ihm vorhat, oder ob und wie der armen Hong Kong Demokratie Bewegung je wirksam geholfen werden kann.

Guter Artikel. Hoffentlich lesen ihn auch einflussreiche Politiker.
Was allerdings die Wischiwaschi-Sanktionen angeht, war leider Burkhalter massgeblich beteiligt (Flugschau Payerne).
Die Schweiz sollte auch nicht vergessen, dass sie die völkerrechtlich anerkannte Neutralität Russland zu verdanken hat (Wiener Kongress 1814). Die guten "Freunde" USA, Frankreich, Italien, Deutschland glänzten wie gesagt mit Boykotten, Hehlerei, Erpressung und schwarzen Listen. Nur Russland hat die Schweiz zum G20-Treffen eingeladen, weil sie finanzmässig G Nummer 7 ist. Die anderen haben lieber Aegypten dabei.
Es ist wirklich Zeit, eine griffigere Interessenpolitik zu betreiben.

Herr Achten, bitte schreiben Sie das mal unseren Politikern und Medien in Österreich ins Stammbuch!

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