Von den Tücken der smarten Technik
Auf eine vereinfachende Formel gebracht, lässt sich die Geschichte der Technik in drei Stadien einteilen: subschlau, schlau, superschlau. Bis vor etwa fünfzig Jahren stand die Entwicklung auf der subschlauen Stufe: Die Maschinen führten dumm, stumm und stur ihre vom Menschen vorgegebenen Aufgaben und Funktionen aus. Das hat sich rasant geändert. Der Computer repräsentierte das schlaue Stadium. Aber die Entwicklung geht weiter. Wir statten technische Artefakte mit immer komplexeren Algorithmen aus und verleihen ihnen dadurch einen Grad an Eigenregie, der sie befähigt, auf ihre Nutzer und auf Situationen «intelligent» einzugehen.
Das heute wohl prätentiöseste Projekt findet sich in der sogenannten «Ambient Intelligence» – der Umweltintelligenz, auch als «Internet der Dinge» bekannt. Damit ist eine Vision gemeint, in der unsere alltäglichen Umgebungen – Wohnung, Arbeitsort, Verkehr – total mit benutzerfreundlichen smarten Objekten bestückt sind. Wände «hören» z.B. dank Sensoren auf meine Stimme und wenn sie sie «erkannt» haben, setzen sie bestimmte Geräte in Betrieb, schalten z.B. das Licht oder die Heizung ein, senden ein Signal an die HiFi-Anlage, mein gegenwärtig bevorzugtes Jazzstück zu spielen, geben auf ein Stichwort den Auftrag an den Kühlschrank, auf seinem Display die Zutaten zum Risotto anzuzeigen, den ich heute kochen möchte usw.
Schlauer Weinkeller
Die Techno-Avangarde sieht es nur als eine Frage der Zeit, bis unsere Wohnungen bis in die letzten Ritzen und Winkel mit smarten Dingen ausgestattet sind, die auf unsere Bedürfnisse und Intentionen mit nie dagewesener Sensibilität reagieren werden. Was geschieht dabei mit uns? Es ist typisch für die «menschenvergessenen» technischen Zukunftsvisionen, dass sie diese Frage und deren Tragweite gern ausblenden. Betrachten wir also einmal kurz zwei Szenarien.
Szenario 1: Ich habe in meinem Weinkeller «WineSense» eingerichtet, ein (fiktives) smartes System mit vernetzten Sensoren, Kameras und Interfaces, das nicht nur meinen Weinbestand sorgfältig kontrolliert, sondern auch meinen Weinkonsum, meine Vorlieben, meine Urteile peinlich genau beobachtet und registriert. Mein schlauer Weinkeller rät mir nun aufgrund der gespeicherten Daten, meines Bedürfnisprofils und der aktuellen Angebotslage, hundert Flaschen weissen Bordeaux beim Weinhändler Soundso zu bestellen. Ich muss mich allerdings innerhalb kürzester Zeit dazu entscheiden. Das bringt mich in eine Zwickmühle. Wieso soll ich den Wein kaufen, wo ich doch gerade erst die gleiche Traubensorte viel günstiger bei einem andern Händler gefunden habe? Zudem hat sich mein Geschmack in jüngster Zeit zugunsten einer anderen Traubensorte verändert. Weiss das mein Weinkeller nicht? Oder kenne ich vielleicht meine eigenen Präferenzen, Absichten und Bedürfnisse gar nicht so gut, wie ich meinte?
Natürlich höre ich in solchen Zweifelsfällen auf mein eigenes Urteil und nicht auf den Rat meines Weinkellers. Das entspricht auch einem bisher normalen und «gesunden» Vertrauen in die Geräte. Mit der subschlauen Technik war die Welt noch in Ordnung. Denn es ist durchaus beruhigend zu wissen, dass all unsere Geräte einen IQ besitzen, der weit unter dem unsrigen liegt. Wir fühlen uns bestärkt in der Meinung, alles unter Kontrolle zu haben. Die Lage wird unbehaglicher, wenn die Gesamtheit all der smarten Dinge, vom Closomat bis zur Kreditkarte, einen IQ aufzuweisen beginnt, der unseren übersteigt. Dann haben wir es mit einem typischen Fall von Tücke der Technik zu tun: Was ursprünglich zur Erleichterung unseres Lebens konzipiert wurde, verkehrt sich nun in eine Last, wenn nicht gar in eine Bedrohung. Man kann das Problem so pointieren: Je schlauer die Geräte, desto weniger schlau werden wir aus ihnen. Mit der Raffinesse der Technologie entwickelt sich auch ihre Tücke.
Das «sorgende» Auto
Vertrauen ist das eine Problem, Verantwortung das andere. Dazu Szenario 2: Schon lange produzieren die Autohersteller nicht einfach mehr Fahrzeuge, sondern «intelligente» mobile Kokons für den Fahrer. Ein wesentlicher Teil der Forschung und Entwicklung zielt darauf, das Fahrzeug in ein «sensibles» Quasi-Organ mit künstlichem Zentralnervensystem zu verwandeln. Kameras, Radar, Laser-Distanzmesser nehmen dem Fahrer Koordinations- und Navigationsaufgaben ab, sie «sagen» ihm, verbunden mit Datenzentren, wo er sich befindet, ob er zu schnell fährt oder Sicherheitsvorschriften übersieht. Eigentlich läuft die ganze Entwicklung darauf hinaus, dass nicht der Mensch das Auto fährt, sondern es ihn.
Damit heimsen wir uns freilich ein Problem ein. Bisher brauchte man das Auto primär zum Fahren, wofür man auch die Verantwortung trug. Was aber, wenn wir die Fahraufgaben und -verantwortlichkeiten immer mehr dem Fahrzeug übertragen; wenn jemand z.B. simsend durch eine Schulzone fährt, im vollen Vertrauen auf das Geschick seines Vehikels? Auf amerikanischen GPS-Geräten steht die Warnung: «Fehlende Aufmerksamkeit beim Fahren Ihres Wagens kann zum Tod, zu ernsthaften Verletzungen oder Sachschaden führen. Sie übernehmen die volle Verantwortung und das Risiko für die Benützung dieses Geräts.»
Das hat etwas Heuchlerisches. Einerseits verführen die Designer neuer Gadgets den Nutzer immer mehr dazu, Verantwortung und Aufmerksamkeit an die Geräte zu delegieren, was im Endeffekt oft bedeutet, selber unverantwortlicher und unaufmerksamer zu agieren. Andererseits wird bei Fehlverhalten die Verantwortung wieder auf den Nutzer abgewälzt. «Benutz das Ding richtig, Dummkopf!» tönt es dann vonseiten der Hersteller und Versicherer. Die Technik kann nichts dafür, wenn sie missbraucht wird.
Genau das ist der fundamentale Irrtum. Ein Gerät wird nie bloss gebraucht. Es «gebraucht» auch mich. Es wird zur Gewohnheit, zur Lebensform, zum Lifestyle. Auto, TV, Handy, Internet – längst schon handelt es sich hier nicht mehr um Technologie, die wir nach Gebrauch abstellen, vielmehr infiltriert sie unser soziales Leben, sinkt sie ein in unsere Psyche, modelt uns von Grund auf um. Wir leben in Techno-Symbiose. Und diese Symbiose hat ein Entwicklungsstadium erreicht, wo die Benutzerfreundlichkeit der smarten Objekte in Paternalismus umzukippen droht: Sie übernehmen die Kontrolle. Sie werden regulatorisch. Sie «erziehen» uns. Das Auto piept massregelnd, wenn wir die Sicherheitsgurte nicht anlegen. Es piept auch dann, wenn ich es nur ein paar Meter weit in die Garage zurücksetzen will und mich nicht anschnalle. Der Autohersteller Saab entwickelte «Alcokey», einen Autoschlüssel, der den Motor automatisch sperrt, wenn Sensoren bei einer Atemprobe einen zu hohen Wert anzeigen.
Technologisches Gutmeinertum
Das sind erst Anfänge. Zunehmend «entlastet» uns eine Automatik vor Eigenverantwortung, verbietet mir dies, schreibt mir das vor. Dabei ist das Diktat der Dinge absolut. Sie «wissen» es besser, nur zu meinem Besten. Keine Ausnahmeregelung, keine Kasuistik, kein Ermessensspielraum – genau das also, was uns Menschen auszeichnet. Wenn der Alkoholspiegel zu hoch ist, dann sagt die Maschine: Nicht fahren! Auch nicht in Notfällen. «Code is Law», so prägte der amerikanische Verfassungsrechtler Lawrence Lessig diese versteckte Normgebung durch die Technik: Was im smarten Objekt eincodiert ist, gilt als Gesetz, zwingt uns zu nicht verhandelbarer Technik-Konformität. Maschinen verhandeln nicht. Sie sind eben unmenschlich, das heisst logisch.
Ich misstraue also dem Gutmeinertum der Designer immer komplexerer Technologien. Ich wittere dahinter jenen «grössten denkbaren» Despotismus, den schon Kant an Regierungen kritisierte, die sich anmassen zu wissen, was nützlich und schädlich für das Volk sei. Ambient Intelligence markiert mit andern Worten eine politische Schwelle in der Technikentwicklung zum «Despotischen», bei der wir unsere Aufmerksamkeit folgerichtig von den Artefakten weg zum Menschen hin richten sollten: Was kann er, was will er eigentlich noch können? Wo hört die Automatisierung auf und beginnt der verantwortliche Wille des Nutzers?
Automagische Artefakte
Dazu gehört auch, dass wir uns vom grassierenden Techno-Neusprech der Branche nicht verführen lassen. Wider anders lautenden Verkündungen «erkennen» nämlich Maschinen unsere Bedürfnisse und Wünsche nicht; sie «gehen» auch nicht auf uns «ein»; sie «entwickeln» keine quasi-humane Beziehung zu uns, selbst wenn wir sie «Androide» nennen.
Die Anthropologen belehren uns, dass wir die – je nach Perspektive fatale oder segensreiche – Tendenz haben, alles Nichtmenschliche und Nichtlebendige zu vermenschlichen. Unter Technikdesignern kursiert ein Terminus: «Automagie», Automatismus und Magie. Es gilt deshalb in Erinnerung zu behalten: Geräte sind intelligent, aber sie sind es auf andere Weise als der Mensch. Mensch und Maschine gehören zwei grundverschiedenen Spezies an. Wenn wir dies einsehen, gelingt uns womöglich ein gelassenerer Umgang mit der Technik, einer, der nicht ständig von übertriebenen Verhängnissen und Verheissungen belastet sein wird. Wir haben sehr viel Intelligenz in Geräte gesteckt. Nun brauchen wir noch mehr Intelligenz, um unsere eigenen Fähigkeiten (auch dank Technik) wieder zu entdecken. Denn die Ko-Evolution von Mensch und Maschine könnte ihren Ausgang nicht bloss in superschlauen Maschinen finden, sondern auch in subschlauen Menschen. Und die Wahrscheinlichkeit für die zweite Entwicklung ist nicht gleich Null.
Der Autor scheint zu übersehen, dass die computergesteuerte Testflotte von Google Autos in USA unerwartete Hindernisse erkennt und es eine reine Frage der Zeit ist, bis solche Autos sicherer und zuverlässiger fahren als wenn Hinz und Kunz das Steuer übernehmen!
Ausserdem gibt es Programme, welche Sportberichte anhand von Rohdaten so generieren, dass die Leserschaft den Unterschied zum menschlichen Autor nicht mehr zuverlässig erkennt.
Subschlaue Menschen hat es lange vor den Maschinen gegeben, so what?
aber daran, dass die Sprache/Schreibe immer simpler, die Autoren immer schlechter und Sie auch immer mehr zu Reuters-Abschreibe-Robotern mutieren.
Früher konnte z.B. eine Autowerkstatt noch reparieren, heute kann sie nur noch austauschen. Das können Roboter bald auch. Früher konnten Kinder noch mit zusammengebundenen Holzteilen stundenlang spielen, heute dürfen sie den Sensor-Sachen beim rumspringen zusehen.
Ob die smarte Technik-Zukunft uns da noch Spaß macht?
Oder sind zukünftige Monteure völlig aus dem Häuschen, wenn sie einen alten Schraubenzieher finden: "Oh guck mal, den kann man so halten und so drehen!"
Bereits die Verwendung des Begriffs "Intelligenz" lässt hier aufhorchen!
Denn es handelt es sich um einen immer wieder kolportierten Übersetzungs-/Verständnis-Fehler des Wortes "intelligence".
Im Sinne von "artificial intelligence" bedeutet "intelligence" primär das Zusammentragen von Informationen und sekundär die Auswertung der Informationen. (Analog zur Bedeutung von CIA = Central Intelligence Agency).
"Artificial intelligence" ist eben nicht "artificial understanding"!
Wer sich mit der Beziehung Mensch-zu-Maschine und deren Entwicklung befasst, sollte wohl zunächst die einzelnen Grundelemente kategorisieren. Und da die Kategorisierung des Menschen meine Kenntnisse und Fähigkeiten überschreitet, beschränke ich meine Ausführungen auf Maschinen.
- Einfache Konstellation: Lichtschalter und Glühbirne
Elemente: Sensor (manueller Schalter) und Aktor (Glühbirne)
- Erweiterte Konstellation: Treppenlichtschalter und Glühbirne
Elemente: Sensor (manueller Schalter), Sensor (Timer), logische Verknüpfung (Schalter betätigt && Timer nicht abgelaufen) und Aktor (Glühbirne)
- Erweiterte erweiterte Konstellation: Treppenlichtschalter mit Bewegungserkennung, Dämmerungsschalter und Glühbirne
Elemente: Sensor (automatischer Schalter, Bewegung), Sensor (Timer), Sensor (Lichtstärke) logische Verknüpfung (Schalter betätigt && Timer nicht abgelaufen && Lichtstärke < 500 Lux) und Aktor (Glühbirne)
Und ganz egal wie oft die erweiterte Konstellation noch erweitert wird, die Elemente bleiben die Gleichen! Daher ist die Abgrenzung von komplexen Schaltungen zu AI absolut willkürlich. Entscheidet die Anzahl der ausgewerteten Sensoren oder die Komplexität der logischen Verknüpfungen darüber, ob eine Schaltung "intelligent" ist?
Eine willkürliche, aber plausible Abgrenzung von Schaltung zu AI ist der mögliche Einbezug einer Datensammlung.
- Konstellation "künstliche Intelligenz": Treppenlichtschalter im Bürogebäude mit Bewegungserkennung, Dämmerungsschalter, Datenbank der arbeitsfreien Tage und Glühbirne
Elemente: Sensor (automatischer Schalter), Sensor (Timer), Sensor (Lichtstärke), Sensor (Datensammlung) logische Verknüpfung (Schalter betätigt && Timer nicht abgelaufen && Lichtstärke < 500 Lux != Feiertag ^^ Wochenende ) und Aktor (Glühbirne)
Im Alltag würde wohl niemand eine Bürogebäudeschaltung als intelligent bezeichnen, die am Wochenende jegliches Treppenlicht verweigert.
Nähern wir uns der AI also erst, wenn Schaltungen nicht nur Sensoren und Datensammlungen auswerten, sondern auch Benützer identifizieren?
Dem kann entgegnet werden, dass bereits mechanische Schlösser Benützererkennung anhand eines Schlüssels betreiben.
Empfinden wir Schaltungen als intelligent, wenn sie den Benützer ohne Vorlage eines Inhaberausweises (Schlüssel, Badge, Passwort) mittels Biometrie (Fingerabdruck, Iris-/Gesichts-/Stimmerkennung) identifizieren?
Lange Rede kurzer Sinn: auch die intelligenteste Schaltung basiert nur auf Sensor, logischer Verknüpfung und Aktor.
Die wirklich zentralen Punkte zukünftiger Mensch-zu-Maschine Debatten sind daher:
- Wie werden wir von Maschinen identifiziert?
- Über welche Sensoren zur Erkennung menschlichen Verhaltens verfügen die Maschinen?
- Zu welchen Datensammlungen haben Maschinen zugang?
- Welche Datensammlungen erstellen Maschinen und wem stehen diese Datensammlungen danach zur Verfügung?
Denn nur mit dieser Fragestellung finden wir Antworten, die sowohl für den streichkäsebestellenden Kühlschrank gelten, als auch auf drogentestende Pissoirs und bussenausstellende Fahrtenschreiber anwendbar sind.
Lang, aber gut.
Vielen Dank für diesen Artikel!
und ... bitte mehr davon.
Dem ganz normalen Telefon für das Fest-Netz, zu Hause?
Gibt es da einen "Technikeinsatz", was schlaues, was mit "Auto", mit Intelligenz oder so?
Nun gut, jetzt hat man eine Basisstation und Handgeräte. Mit diesem "enormen" Entwicklungsschritt hat der Mensch die Freiheit gewonnen, beim telefonieren sich frei zu bewegen, ohne Kabel-Leine. Wahnsinn!
Die Handys werden kleiner und dünner, ersetzen einen PC oder Laptop, können alles, was man nicht will, nur telefonieren wird schwieriger.
Aber unsere Telefongeräte zu Hause bleiben von neuer Technik unberührt. Da muss man immer noch den dicken Klumpen mit Tastatur und Display hoch wuchten, ans Ohr stemmen und dort halten, um telefonieren zu können, natürlich ist eine Hand dann immer "belegt".
So entstehen kurze Gespräche.
Ist das gezielte Technikausgrenzung, um den Verbraucher in eine gewünschte Ecke zu drängen? Weg vom Festnetzanschluss, hin zum Handy? Hier kann man schon halbjährig "Neuerungen" anbieten und dem Kunden mit "Blau ist das neue Rot"-Verkaufsargumenten den Gerätewechsel "vorschreiben". Die Festnetz-Geräte sind da schon Jahre und Jahrzehnte im Einsatz, und genau das ist nicht mehr Stand der Technik.
Der fordert heute: Alle Geräte dürfen maximal 2 Jahre funktionieren!
Und morgen wird das auf 1 Jahr reduziert.
Die Automagie hört dort auf, wo der Kunde anfängt den Konsum zu verweigern.
Also genau nach dem nächsten Krieg, der nächsten totalen Katastrophe!
Kommentar
Wir werden die anarchistischen Anlagen in uns kontrolliert trainieren müssen