Was ist mit den Briten los?
Anders als vor drei Jahren in den USA hat man es hier kommen sehen. Der politische Unernst ist an die Spitze durchgebrochen. Donald Trump und Boris Johnson mögen in vielem verschieden sein. Gemeinsam ist ihnen eine irritierende Gleichgültigkeit gegenüber dem Amt, dem sie zu dienen vorgeben. Das demokratische System gilt ihnen nichts. Jedenfalls kümmern sie sich nicht um dessen austarierte Institutionen und Mechanismen. Dass politische Kultur und Zivilität aktiv genährt und gepflegt werden müssen, lässt sie kalt. Ihre Äusserungen und Auftritte gehorchen allein der Taktik des Machtgewinns. Politische Überzeugung, Wahrhaftigkeit, Gradlinigkeit und Respekt für Andersdenkende liegen ausserhalb ihrer Vorstellungen.
Gewiss, es sind auf dem Erdenrund nicht allein Donald Trump und Boris Johnson, die hinter der Idealvorstellung des demokratischen Politikers zurückbleiben. Doch diese beiden Fälle sind speziell, weil sie überaus gewichtige Staaten betreffen. Der US-Präsident und der britische Premier sind welthistorische Akteure. Um die Sache der freien, rechtsstaatlich und demokratisch verfassten Länder steht es im geopolitischen Kräftespiel nicht zum Besten. Einen so wenig vertrauenswürdigen britischen Regierungschef hätte es jetzt wahrhaftig nicht auch noch gebraucht.
Was ist los im Land der stabilen Traditionen, des pragmatischen Denkens und des Common sense? Weshalb kann hier ein Hallodri vom Schlage eines Boris Johnson Regierungschef werden? Was ihn an die Spitze getragen hat, sind Effekte, die vielen Demokratien derzeit zu schaffen machen. Dazu zählt der verbreitete Überdruss gegen «die» Politiker, der paradoxerweise schon mehrfach bewirkt hat, dass erst recht üble Exemplare in wichtige Ämter gehievt wurden. Ein weiterer Faktor dürfte der ramponierte Ruf der Politik sein, der manche Fähigen davon abhält, sich in diesem Feld zu engagieren. Gerade die Causa Boris wäre nicht denkbar, herrschte nicht in der britischen Parteienlandschaft ein eklatanter Mangel an valablem Spitzenpersonal.
Es besteht die Gefahr, dass Wahlen zum Race to the bottom ausarten. Nur die Bürgerinnen und Bürger selber können dem einen Riegel schieben.
Der kremlnahe Journalist Dimitry Smirnov schrieb auf Twitter:
„Jedes Mal, wenn ein britischer Premier gewählt wird, denkt man, dass dies der schlechteste aller Zeiten ist. Aber dann wird der nächste gewählt. Johnson ist ein prinzipien- und verantwortungsloser Populist.“
Dem ist leider nichts beizufügen.
https://twitter.com/dimsmirnov175/status/1153634415437893632
Herr Meier, ihre berechtigte Frage könnte man eins zu eins auf die Wahlen im EU-Land übertragen. Die Frage würde dann lauten, wie konnten diese Frauen an die Spitze kommen. Von der Leyen, Lagard und Kramp-Karrenbauer. Auch der restliche Text passt haargenau; man muss nur ein Paar Namen auswechseln. Der "Zufall" will es, dass sie alle Frauen sind und einige Leser könnten mir den frauenfeindlichen Strick drehen. Nur liegen diese Leute falsch. Eine Antwort auf ihre Frage könnte lauten, was in GB funktioniert, haben die EU-Mächtigen bereits vorgelebt.
Normalerweise räumt man einem Politiker im neuen Amt hundert Tage ein, um ihn an seinen Taten zu messen!
Sie sehen das aus eigener Erfahrung richtig, lieber Herr Reimann. Allerdings kommen heutzutage manche Politiker gar nicht mehr dazu, sich an Taten messen zu lassen. Statt ihre Amtszeit mit konstruktiver parlamentarischer Arbeit auszufüllen, konzentrieren sie sich vielmehr darauf, einen permanenten Wahlkampf im Hinblick auf eine kommende Wiederwahl zu führen.
Wer entspricht denn Ihrer "Idealvorstellung des demokratischen Politikers"? Ursula von der Leyen?
Winston Churchill, Universität Zürich, 19. September 1946
(Auszüge aus einer grossen Rede)
«Herr Rektor, meine Damen und Herren,
Dieser edle Kontinent, der alles in allem die schönsten und kultiviertesten Gegenden der Erde umfasst und ein gemäßigtes, ausgeglichenes Klima genießt, ist die Heimat aller großen Muttervölker der westlichen Welt. Hier sind die Quellen des christlichen Glaubens und der christlichen Ethik. Ich sage Ihnen jetzt etwas, das Sie erstaunen wird. Der erste Schritt zu einer Neuschöpfung der europäischen Völkerfamilie muss eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland sein. Nur so kann Frankreich seine moralische und kulturelle Führerrolle in Europa wiedererlangen. Es gibt kein Wiederaufleben Europas ohne ein geistig großes Frankreich und ein geistig großes Deutschland. Wenn das Gefüge der Vereinigten Staaten von Europa gut und richtig gebaut wird, so wird die materielle Stärke eines einzelnen Staates weniger wichtig sein. Kleine Nationen werden genau so viel zählen wie große, und sie werden sich ihren Rang durch ihren Beitrag für die gemeinsame Sache sichern. Und doch gibt es all die Zeit hindurch ein Mittel, das, würde es allgemein und spontan von der grossen Mehrheit der Menschen in vielen Ländern angewendet, wie durch ein Wunder die ganze Szene veränderte und in wenigen Jahren ganz Europa, oder doch dessen größten Teil, so frei und glücklich machte, wie es die Schweiz heute ist. Welches ist dieses vorzügliche Heilmittel? Es ist die Neuschöpfung der europäischen Völkerfamilie, oder doch so viel davon, wie möglich ist, indem wir ihr eine Struktur geben, in welcher sie in Frieden, in Sicherheit und in Freiheit bestehen kann. Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten. (W. Churchill)
Leider hatte er schon damals Grossbritannien vergessen einzubinden, heute würde er das wohl korrigieren und versuchen ein Referendum anstreben, auch weil seine Idee, eine weit Vorausschauende, eine Gute war.
…cathari
Wie konnte dieser Mann an die Spitze kommen? Mit flotten Parolen, sie waren sein Plan. Mit gehaltvollen Aussagen gelingt das nicht. Der Stil wirkt von links bis rechts und in allen Bereichen der Gesellschaft.
Merci Herr Meier, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Hoffentlich wachen sehr bald ein paar vernünftige Leute auf, um dem unwürdigen Polittreiben auf unserer Erde Gegensteuer zu geben. Selber bin ich leider zu alt dazu.
Was sagen denn die Börsen und Märkte und die City of London dazu? Ohne nun Kursverläufe und Finanz-Entwicklungen zu studieren, dürfte die Wahl von Boris Johnson aber darauf den selben Effekt haben, wie die Wahl von Donald Trump auf Wallstreet gehabt hat. Also wem nützt es schlussendlich? DIE regieren die Welt!
Danke, Herr Meier! Kurz und bündig, nüchtern und klar den Tatsachen ins Auge geblickt. Danke!
Meine englischen Freunde sind entsetzt.
Oh Friends: What distressing tidings! (???Does this guy try to imitate Henry V??? I doubt it – he - Master Boris - is as shallow as can be!!!
Das Zeitalter des "Clownus politicus" ist nunmehr so richtig eingeläutet. UK und USA - Mitläufer laufen sich schon die Füße wund. Die Ehrlichen, die Rechtschaffenen scheuen diesen stinkenden Sumpf; der Freizeit-Potus operiert mit Angst, der Freizeit-PM mit Kirmes-Gedudel. Und man lässt sich betören und besch-ummeln. Schnell noch ein Feindbild suchen, dann wird sich das Schicksalsrad schon in ihrem Sinne drehen.
Eitelkeit, Stolz, Dummheit - das Triumvirat des Untergangs hat das Sagen. Die tumbe Masse folgt ins "Narrenparadies* " (*Ausdruck von Bertrand Russell), gammelt dort so vor sich hin und hört auf goldne Äpfel, die innen faul und verkommen sind.
Frustriert kann man nur hoffen, dass mutige Menschen sich nicht weiter einschüchtern lassen, dass junge Leute sich wehren – es geht um ihre Zukunft. Sie beweisen es bereits in Sachen Umwelt.
Empfehlung: "Macht" ("Power") von Bertrand Russel, veröffentlicht 1938. Ein Werk, das jedoch in seiner Aktualität außergewöhnlich ist.
km (73 J.)