"War for Talent", dieser 1997 von McKinsey geprägte Begriff erlebt momentan wieder eine enorme Konjunktur. In manchen Regionen Deutschlands bleiben bspw. mittlerweile reihenweise Lehrstellen unbesetzt. Die gute Konjunktur ist sicherlich einer der Gründe, doch ist hierin allenfalls ein verstärkender Effekt zu sehen. Der eigentliche Grund ist demografischer Natur. Dem deutschen Arbeitsmarkt werden bis 2030 sechs (!) Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Neben anderen Ausgleichseffekten (z.B. stärkere Einbeziehung älterer Arbeitskräfte, Frauen oder Migranten in das Erwerbsleben) wird die Knappheit vor allem zu einem führen: Steigenden Kosten. Unternehmen werden sich immer stärker in der Rolle des "Bewerbenden" wiederfinden, der sich allerlei einfallen lassen muss, um die umworbene Klientel von sich zu überzeugen. Höhere monetäre Anreize (Gehälter) sind das eine, attraktivere Packages (Work-Life-Balance, betriebliche Gesundheitsangebote etc.) das andere. Egal was, eines ist klar. Es wird Geld kosten.
Doch was bedeutet das für Employer Branding und Recruiting?
Nun, zuallererst heißt das, dass die unsinnige Trennung zwischen beiden "Disziplinen", die es vielerorts noch gibt, verschwinden wird. Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting sind, wenn schon nicht ein und dasselbe, so doch untrennbar miteinander verbunden. Gelingt es einem Unternehmen etwa durch geschicktes Employer Branding / Personalmarketing, nur "passende" Kandidaten zu einer Bewerbung zu bewegen, kann das Unternehmen auch "blind" jeden dieser Bewerber nehmen. Die Personalauswahl wäre in diesem Fall komplett in die Selbstauswahl verlagert worden. Macht sich ein Unternehmen hingegen nur Gedanken über seine Recruitinginstrumente, vernachlässigt es aber dafür zu sorgen, dass sich überhaupt die "Richtigen" bewerben, so wird die Auswahl auch nie zu einem guten Ergebnis führen. Wer zukünftig eine Chance haben will, in hinreichender Anzahl "passende" Kandidaten zu rekrutieren, muss verstehen, dass Personalauswahl beides ist: Fremdauswahl durch das Unternehmen ("Recruiting") UND Selbstauswahl durch den oder die Kandidaten.
SelfAssessments verbessern die Selbstauswahl
Ein hervorragendes Instrument zur Verbesserung der Selbstselektion sind sog. SelfAssessment- Verfahren. Nicht grundlos hat die schwedische Marktforschungsfirma Potentialpark in ihrer jährlichen TeWEB Studie das Vorhandensein von SelfAssessments zu einem wichtigen Beurteilungskriterium für die Qualitätsbeurteilung von Karriere-Websites erhoben ("Recommendations based on degree or personality").
Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele für realisierte und mehr oder weniger gelungene SelfAssessments, sowohl von Unternehmen als auch von Hochschulen (hier zu Zwecken der Studienorientierung).
Allen SelfAssessments ist die Zielsetzung der Verbesserung der Selbstauswahl gemein, aber es gibt dennoch systematische Unterschiede. SelfAssessments lassen sich erstens hinsichtlich ihrer Zielsetzung und zweitens bezüglich ihres methodischen Ansatzes unterscheiden.
Bzgl. der Zielsetzung gibt es erstens grundsätzlich solche SelfAssessments, deren vorrangiger Zweck es ist, ein oder mehrere Berufsbild(er) erlebbar zu machen bzw. darüber zu informieren. Wenngleich auch hier zumeist ein Unternehmen oder eine Hochschule als Absender in Erscheinung tritt, geht es in erster Linie darum, die Besonderheiten des Jobs zu transportieren und so einem möglichen Kandidaten die Frage zu beantworten, ob dieser Job etwas für ihn sein könnte („Person-Job-Fit“). Als Beispiele hierfür können etwa Probier dich aus der Commerzbank (Berufsbilder: Bankkaufleute, Kaufleute für Bürokommunikation), „...ich und meine Zukunft“ der DAK (Berufsbild: Sozialversicherungsfachangestellte) oder das demnächst erscheinende Azubi-Orientierungstool der Lufthansa genannt werden.
Eine andere Zielsetzung verfolgen hingegen solche SelfAssessments, die dem Nutzer eine Antwort auf die Frage liefern, ob er zu einem bestimmten Arbeitgeber passt ("Person-Organization-Fit"). Folglich stehen hier oft grundlegende Aspekte wie Unternehmenswerte im Vordergrund. Beispielhaft zu nennen wären hier etwa "Could it be U?" von Unilever, "Discover Bertelsmann" oder der demnächst erscheinende Haniel Wertekompass.
Hinsichtlich der eingesetzten Methodik gibt es solche SelfAssessments, die eher "eignungsdiagnostisch" im Sinne eines SelbstTESTS funktionieren. Hier steht im Kern zumeist eine Art Fragenkatalog, der die zu testenden Konstrukte operationalisiert. Im Hintergrund laufen diese Antworten gegen einen Auswertungsalgorithmus, der die Antworten bewertet und am Ende zu einem Ergebnis verdichtet, was als Feedback an den Nutzer kommuniziert wird. Als Beispiele hierfür können etwa der AusbildungsCheck der Jobbörse Jobstairs , das SelfAssessment von BP Global oder die bereits oben genannte Applikation „Discover Bertelsmann“ angeführt werden.
Davon unterscheidbar sind SelfAssessments, die eher im Sinne eines Spiels oder einer Simulation zu kommunizierende Aspekte "erlebbar“ machen. Hier heißt es sinnbildlich: „Schön, dass Sie da sind, dann übernehmen Sie mal...". Bei dieser Art "Serious Games" lassen sich die Aufgaben zwar auch unterschiedlich gut lösen, so dass der Nutzer in der Regel auch ein Feedback erhält, doch liegt der eigentliche Hauptnutzen weniger im Feedback als vielmehr im Spiel selbst. Der Weg als Ziel hilft die Frage zu beantworten, ob man zu so etwas Lust hat oder so etwas kann. Solche SelfAssessments wie etwas das Tool „C!You“ der Stadt Hamburg (Berufsbild: Beamter) sind in der Regel aufwendiger in Inhalt und Gestaltung, schaffen dafür aber auch Einblicke in einer anderen Qualität.
In der Praxis sind diese Grenzen bzgl. Zielsetzung und Methodik fließend. Letztlich sind alle Ansätze von SelfAssessments genau so individuell wie die Arbeitgebermarken, für die sie stehen.