John Banville: Unendlichkeiten (Roman) |
John Banville: Unendlichkeiten |
Inhaltsangabe:
Der geniale Mathematiker Adam Godley sr. liegt seit einem schweren Schlaganfall im Koma, zuerst im Krankenhaus, jetzt im sogenannten Himmelszimmer seines Hauses, wohin man sein Bett gebracht hatte, bevor ihn der Kuhhirte Adrian Duffy hinauftrug. Warum ihn seine junge zweite Ehefrau Ursula nicht mehr im Schlafzimmer haben wollte, weiß niemand. Die 19-jährige Tochter Petra reist ebenso an wie ihr zehn Jahre älterer Bruder Adam Godley jr. und dessen begehrenswerte Ehefrau Helen.
Ist dieser Zustand etwa nicht die Apotheose, nach der er sich immer gesehnt hat, nämlich reiner Geist zu sein, reiner, unvermischter Geist? Er lässt sein Leben Revue passieren. Dorothy, seine erste Frau, hatte sich ertränkt. Zwei Wochen später traf er in Venedig auf einen angeblichen Grafen Zeno, der sich als Zuhälter entpuppte und ihn zu einer Prostituierten namens Alba brachte. Adam sah sie viele Jahre später in irgendeiner italienischen Stadt noch einmal wieder: Da wurde sie von einer anderen Frau im Rollstuhl geschoben. Bei einem Mathematiker-Colloquium begann Adam dann ein Verhältnis mit Inge, einer schwedischen Finnin oder finnischen Schwedin. Ursula war 19, als er ihr begegnete. Sie könnte seine Tochter sein. Inzwischen ist die Mutter seiner beiden Kinder alkoholkrank. Der alte Adam weiß, dass er daran ebenso schuld ist wie am Suizid seiner ersten Frau. Ich habe meine Kinder wie Erwachsene behandelt, und meine Frau hab ich behandelt wie ein Kind. Benny Grace nahm den Wissenschaftler zu Eskapaden mit, so wie Mephisto es mit Faust tat.
Hatte ich diesen Hang zum Ordinären eigentlich schon, eh Benny ankam und mich vergnügt zu einer Atempause in der Gosse abgeschleppt hat? Ich weiß nur, als ich einmal dort angelangt war, hat's mir Spaß gemacht, mich in Pisse und Geifer zu suhlen. Das hier, sagte ich mir, ist das Wahre, ist das Eigentliche, rau, grob und lebendig, das ist's, was Leben wirklich heißt. Da unten gibt es keine lieben Inges und Ursulas, nur Schlampen und Taschendiebinnen und hier und da ein armes, irres Gretchen, das auf der Suche ist nach seinem Faust. Am Mittagstisch erzählt Benny den anderen, wie Adam herausfand, dass die bis dahin als Störfaktor angesehenen Unendlichkeiten strahlende Lösungen bargen und bewies, dass es eine Unendlichkeit von Unendlichkeiten gibt. Aber niemand hört zu. "Verstehen Sie", sagt Benny in dem typischen Gehaspel, das sein Erklärerton ist, zu Petra, "verstehen Sie, die Unendlichkeiten, die Unendlichkeiten, die in den Gleichungen der ganzen anderen Leute aufgetaucht sind und bei denen immer Null herauskam, und die auch in seiner Gleichung aufgetaucht sind, hat er als genau das gesehen, was –" Auch der alte Adam denkt an seine Erkenntnisse als Mathematiker: Meine letzte Gleichungsreihe, eine Handvoll erstklassiger und unwiderlegbarer Paradoxa, war die Kombination, mit der die verschlossene Kammer der Zeit zu öffnen war. Das Seufzen jener toten, abgestandenen Luft, die uns entgegenwehte aus der Tür, die offen klaffte und die der Ausgang war aus dieser Welt, welche für uns die einzige gewesen war, war nicht, wie wir erwartet hatten, der Hauch des neuen Lebens, sondern nur ein letztes Keuchen. Ich verstehe es immer noch nicht. Das bis dato ungeahnte Reich, das ich hinter den Unendlichkeiten entdeckt hatte, war eine neue Welt, und keine Karavellen, von Kanonen starrend, in See stachen zu ihr. Wir zögerten, sie zu betreten, im Voraus schon erschöpft von der bloßen Aussicht, auf einmal wirklich dort zu sein.
Als Adam jr. seiner Frau nach dem Essen sagt, er habe etwas beschlossen, erwartet sie, dass er sich von ihr trennen will. Aber stattdessen möchte er mit ihr nach dem Tod seines Vaters nach Arden House ziehen.
Doch halt, wer ist denn das? Helen, natürlich. Sie erhebt sich aus dem Sessel vor dem Kamin, wo sie bis eben saß, von niemandem bemerkt; nun tritt sie vor und lächelt. Das Licht schwillt in den Fenstern, der letzte Abendglanz. Der Doktor wartet, dass er angesprochen wird, Helen jedoch geht, irgendwie, durch ihn hindurch, ein goldener Atemzug. Hinter ihm bleibt sie stehen, zuckt zusammen, als etwas sie berührt – das ist mein Vater, der ihr Lebwohl sagt, seine Hand auf ihrer Wange. Er nickt mir zu. Ich fliege schnell zu Helens Gatten, der noch immer kniet, und hauche ihm etwas ins Ohr. Was ich ihm wohl zu sagen habe? Nun, dass sein Weib, wie wir auf unsere alte Weise es umständlich zu nennen pflegen, ein Kindchen unterm Herzen trägt. Rasch springt er auf und dreht sich um. Helen schaut zu ihm und sieht seinen Blick. Sie drückt die Hand auf ihren Leib. |
Buchbesprechung:
In welcher Zeit die Geschichte spielt, bleibt unbestimmt. Einerseits kommt der Postbote von Thurn und Taxis auf einem Pony geritten und die Züge werden von Dampflokomotiven gezogen, andererseits verwendet man Salzwasserkonverter für den Antrieb von Autos.
Jetzt scheint die Lok sich zu besinnen, sie schaudert gleichsam.
Viel action gibt es nicht in "Unendlichkeiten". Lesenswert ist der Roman vor allem wegen des virtuosen Spiels mit der Sprache, die der Autor Hermes in den Mund legt. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2012
John Banville (kurze Biografie / Bibliografie) |