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 Literatur im Lichthof - Weitwinkel

 

Birgit Holzner und Gabriele Wild: „All die Naturphilosophien lassen mich kalt“
Nachlese zu den 36. Innsbrucker Wochenendgesprächen von 23. bis 25. Mai 2013 zum Thema NATUR

Die Natur

Publikum mit M. Donhauser, Ulrike Draesner und Andreas Neeser. © Fotowerk Aichnerist seit Jahrhunderten ein Thema in der Literatur. Man suchte in ihr das Göttliche oder das Heilsame, sie diente als Projektionsfläche für die Liebe, den Schmerz, die Sehnsucht oder den Tod. Bertolt Brecht verweigerte 1939 angesichts der zunehmenden Bedrohung durch den Nationalsozialismus das „Gespräch über Bäume“ und bezeichnete es als „Verbrechen“, weil es „ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“ In den 1980er Jahren brachten viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller unter dem Einfluss der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ihre Empörung über die drohende Zerstörung der Umwelt in zahlreichen lyrischen Texten zum Ausdruck. Heute, in einem Zeitalter der Gentechnik, des Klimawandels und der Biowelle ist die Natur als literarisches Thema keineswegs in den Hintergrund gerückt. Viel eher stehen sich, nach wie vor, unterschiedliche poetologische Anschauungen gegenüber. Die 36. Innsbrucker Wochenendgespräche stellten diese zur Diskussion.
Im Ensembleproberaum des Tiroler Landestheaters, nicht weit entfernt von Lois Weinbergers Kunstinstallation „Unkrautgarten“, einem Stahlkäfig, der die Pflanzen im Samenflug einfängt und der ungezähmten Natur in dem Käfig sich selbst überlässt, fanden sich – unter zahlreicher Publikumsbeteiligung – 12 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu Gesprächen über ihre literarische Auseinandersetzung mit Natur zusammen. Der Moderator der heurigen Gespräche war der „prosaische und lyrische Naturforscher“ Andreas Neeser, dessen Gedichtzyklus „Lichtwuchs“ druckfrisch aus der Meraner Handpresse der Offizin S. pünktlich zu den Wochenendgesprächen erschien. Umrahmt wurden die Diskussionen von zwei großen Lese-Abenden im orf kulturhaus. Eine Absage kam von Marica Bodrožić, die aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen konnte.

Die Lesungen: Von der Vielgestaltigkeit der Natur

Die anwesenden Autorinnen und Autoren beschäftigen sich in ihrer Literatur auf vielfältige Weise mit Natur, wie an den beiden Lese-Abenden zu hören war: Während Jan Christophersen Naturkatastrophen in Norddeutschland in seinem Roman „Schneetage“ nachspürt und dabei mit verorteten Begriffen wie Anja Utler, © Fotowerk AichnerWattmeer, Priel (kleine Wasserläufe im Wattmeer) oder Hallige (kleine, nicht oder wenig geschützte Marschinseln vor den Küsten) in die norddeutsche Naturlandschaft entführt, sind es in Hans Platzgumers Romanen (z.B. „Weiß“ oder „Der Elefantenfuß“) menschenleere Gebiete, Unorte wie Eiswüsten oder nukleare Wüsten, Grenzbereiche der Zivilisation, die seine Protagonisten und Protagonistinnen aufsuchen, um in der Konfrontation mit der Ausgesetztheit wieder in Kontakt mit der eigenen Natur zu treten. Auch Peter Simon Altmanns von fernöstlicher Kultur inspirierte Figuren, sind auf der Suche nach ihrem Innersten, das sie letztlich nur durch die Erfahrung mit der äußeren Natur finden können („Der Zurückgekehrte“). Die scheinbar längst vergessenen Urinstinkte des Menschen und seine Entwicklung und Herkunft beschäftigen die Autorin Sibylle Knauss, die sich in ihren Romanen „Eden“ und „Fremdling“ mit der Frage nach dem Ureigenen beschäftigt. Barbara Aschenwald gewährt in ihrem Roman „Omka“ tiefe Einblicke in das „Unnatürliche“ der menschlichen Psyche, es ist die dunkle Seite, das Unkontrollierbare, Unerkärliche und letztlich Grausame, das aus der gestörten Seele ihrer Romanheldin herausbricht. Ganz anders das Spiel Gerhild Steinbuchs in ihren dramatischen Texten. In „Mann mit Sonnenbrille“ schreibt sie mit Witz und Ironie über die Scheinidylle von Tourismusorten und entblößt die schamlose Profitgier der Bewohner. Ulrike Draesners formal, sprachlich und inhaltlich durchstrukturierte Lyrik und Prosa sind vielfach Werner Lutz, © Fotowerk AichnerAuseinandersetzungen mit Naturwissenschaft, mit Mathematik, Physik oder Technik (z.B. „für die nacht geheuerte zellen“ oder „Vorliebe“). Ähnlich wie Ulrike Draesner ist auch Michael Donhauser ein sehr genauer Spracharbeiter. In seinen Texten ist Natur seit vielen Jahren ein zentrales Thema. Donhauser folgt, auch in seinem aktuellen Buch „Variationen in Prosa“ einer gewissen Form der Allmählichkeit, in der die Wahrnehmung der Natur gleichzeitig von Eile und Ruhe bestimmt ist. Die Gedichte des Malers und Schriftstellers Werner Lutz über Naturmomente und Schweizer Landschaften (z.B. in „Schattenhangschreiten“) sind von einer an Bildern reichen, aber pathosfreien poetischen Einfachheit geprägt, während die Lyrikerin Anja Utler sich in ihren Texten („münden – entzüngeln“) auf die Suche nach einer Sprache für die Ausdrucksformen der Natur begibt und diese in einem komplexen Spiel mit Körper, Sprache und Form findet. Der Fotograf Andrej Krementschouk begleitete die Innsbrucker Wochenendgespräche mit den Fotografien, die er in der Sperrzone von Tschernobyl, in den Städten Pripjat und Slavutish aufgenommen hat. Sein Fotografie-Projekt „Chernobyl Zone“, dessen dritter Teil eine literarische Auseinandersetzung beinhaltet, zeigt die Natur zwischen Bedrohung und Idylle mit dem Fokus auf die Menschen, die sich ihren Alltag in einer vergifteten Welt zurückerobern, die von ihnen aber nicht als solche wahrgenommen wird.

 

(v.li.n.re.) S. Knauss, G. Steinbuch, J. Christophersen, A. Krementschouk, P.S. Altmann, W. Lutz, H. Platzgumer. © Fotowerk Aichner

Publikum mit M. Donhauser, Ulrike Draesner und Andreas Neeser. © Fotowerk Aichner

 
Die Gespräche – Zwischen Opernarien und Tanzschritten

Das Herzstück der Veranstaltung sind die Gespräche, die im Ensembleproberaum des Tiroler Landestheaters stattfinden. Während in den Nebenräumen Opernsänger und Tänzerinnen proben, Moderator Andreas Neeser, © Fotowerk AichnerArien gesungen und Choreografien eingeübt werden, steht auf einer der Probebühnen einmal im Jahr die Literatur im Mittelpunkt.
Konzentriert und einfühlsam führte in diesem Jahr der Moderator Andreas Neeser zwei Tage lang durch Lesungen, Gespräche und Diskussionen zum Thema „Natur“. Ausgangspunkt der Diskussionen sind die jeweiligen Statements zum Thema, die von den Teilnehmenden im Vornhinein verfasst werden.

„Ich bin ein Stück Natur“

„All die Naturphilosophien lassen mich kalt. Ich selber bin lieber ein Stück Natur auf zwei Beinen als eine Theorie. Mit Vergnügen stelle ich fest, dass ich von den Hügeln gelernt habe, hügelkonform zu denken, gelassener, gleichmütiger, distanzierter, als genüge es ein Hügel zu sein“, sagte Werner Lutz in seinem Statement, der sein Schreiben als ein Schreiben in Bildern charakterisiert. Er liebe die Natur, so der Autor, die ihn umarmt und die ihn allmählich überwuchern wird. Es fiel die Frage: „Bin auch ich ein Stück Natur, gehöre ich dazu?“ Gibt es nicht immer etwas, das die Natur vom Menschen trennt, eine unsichtbare Membran, die zwischen dem Betrachter und der betrachteten Natur steht? Anja Utler hält fest: „Wenn ich mich morgens in den Spiegel schaue, sehe ich ein Stück Natur: Ich bin ein Stück Natur.“ Peter Simon Altmann sprach von der Natur als dem Unerreichbaren: „Ich liebe immer das Unerreichbare, und wahrscheinlich sind alle meine Bestrebungen letztendlich immer eine Suche nach dem verlorenen Paradies, vor allem der Gang in die Natur, nicht umsonst spricht man vom Garten Eden.“ Doch welche Art von „Ort“ ist die Natur: In welcher Art von Natur hält sich der Mensch üblicherweise auf? Die Kraft aus der Natur zieht man aus dem Lustwandeln in einem gefahrlosen Bereich, beispielsweise in Gärten oder Wäldern. Hier kann die Natur uneingeschränkt genossen werden. Dem gegenüber steht jene Natur, die kein Erholungsort ist, die menschenfeindliche, lebensfeindliche Natur, die dem Menschen schnell seine Grenzen aufzeigt. Hans Platzgumers Romanfiguren halten sich an solchen Unorten auf: Sie sind ausgestiegen aus der Konsumgesellschaft und angetrieben von einer Sehnsucht nach einer alternativen Lebenswelt. Es sind, so formulierte es Hans Platzgumer während dieser Gespräche „Hilfeschreie, die man, auch wenn sie Wahnsinnstaten ähneln, nicht überhören sollte.“ Denn es geht dabei um Rückzug, um die Weigerung, weiterhin in einer egoistischen, rücksichtslosen Welt zu leben und gleichzeitig um den Wunsch, wieder an etwas glauben zu können.
Anja Utler lotete den urbanen (Natur)raum aus: Wie sieht es in den Städten aus? Inwiefern haben sich Flora und Fauna die Stadt als ihren Lebensraum zurückerobert? Diesen „Verabschiedungsdiskurs“, in dem immer nur thematisiert wird, wo die Natur überall verloren gegangen sei, so Anja Utler, mache sie nicht mit, sie schaue sich nach neuen, alternativen Möglichkeiten um, so auch in ihrer Literatur: Anja Utler sucht nach „poetisch-ökologischen Aufbruchskanten“, so hat sie es in ihrem Diskussionsbeitrag formuliert. Poesie ist für die Autorin ein „körperlich-emotional-gedankliches Verfahren“. Es geht ihr darum über die Poesie Perspektiven neu zu überdenken, Bekanntes aufzubrechen und Irritationen hervorzurufen.

„Sag Berg und ich sehe es“ – Aber was genau sehe ich?

Für Barbara Aschenwald ist Natur ein „Beruhigungsmittel“, so wie es Chechov einmal formulierte. In ihrem Statement meinte sie: „Es gab […] einmal eine Zeit, da wusste man gar nicht, was ‚Natur‘ ist, denn man lebte in ihr und nicht mit ihr. Man sprach von Naturgeistern, Wirkkräften, einem Gott. Heute sprechen wir von Spurenelementen, Bodenhorizonten, Nährstoffen und Unkrautbekämpfungsmittel. Ich glaube, dass die Anschauung und das Verhalten Hand in Hand gehen. Wenn man ein Tier als Lebewesen ansieht wird man es anders behandeln, als wenn man es als reinen Wirtschaftsfaktor ansieht.“ „So wie man die Welt anschaut, so ist sie auch“, fügte Barbara Aschenwald hinzu. Aber ist das, was wir sehen, nicht immer nur das, was wir sehen wollen? Die Dramatikerin Gerhild Steinbuch bemerkte in ihrem Beitrag: „Der Blick fährt hinein in die Landschaft und ein warmes, weiches Gefühl kommt als Echo zurück. Was wahr ist, hält er auf Distanz, gerade durchs Hineinstarren, was nicht passt, wird passend gemacht, was passt, das verleiben wir uns ein, bis wir ganz voll geworden sind davon und die Grenzen sprengen und endlich eins geworden sind, kein Klumpen mehr, zusammengeklumpt mit der Schönheit der Landschaft und deren Natur jetzt die eigene.“ Im Theater ist die Natur immer nur Kulisse, eine Folie, an deren Wirklichkeitsgehalt und Unmittelbarkeit permanent gezweifelt werden muss.
Die literarischen Traditionslinien, die mit bestimmten Landschaften verbunden sind, und die Natur als identitätsstiftendes Paradigma stehen mit Jan Christophersens Statement zur Debatte. Der norddeutsche Autor ist sich bewusst, dass Theodor Storms „Schimmelreiter“ die Wahrnehmung seiner Heimat geprägt hat. „Hallig, Priel, Warft“, so Christophersen, „das sind Begriffe, die nicht überall und bei jedem eindeutige Bilder hervorrufen. Wenn ich sie benutze, sehe ich die Dinge, die sie bezeichnen, natürlich vor mir, höre zudem den passenden Wind, schmecke das Salz auf den Lippen und habe den leicht fauligen, nicht unangenehmen Geruch von Blasentang in der Nase.“

Zwischen Idylle und unsichtbarer Bedrohung

Andrej Krementschouk berichtete von seiner fotografischen Arbeit in der Sperrzone rund um das zerstörte Kernkraftwerk Tschernobyl. Die Geisterstadt Pripjat, ein Unort, dem Bedrohliches und Schönes zugleich innewohnt, denn hier erobert sich die Natur seit Jahren ihren Platz zurück. Jedes Jahr im April zum Jahrestag der Reaktorkatastrophe kommen Journalisten und Journalistinnen in die Zone, um den Zustand zu dokumentieren. Sie fotografieren die verlassenen Wohnungen und die dort zurückgelassenen Gegenstände. Kommt man mehrmals an denselben Ort zurück, so wie Andrej Krementschouk, so fällt auf, dass die Orte für die Fotos inszeniert wurden, Gegenstände in Wohnungen wurden umgestellt oder wo anders platziert. Die Fotografinnen und Fotografen richten sich den Ort der Katastrophe so, wie sie ihn haben oder sehen wollen. Krementschouk interessieren in seiner Arbeit vielmehr die Menschen, die in der knapp außerhalb der Zone neu errichteten Stadt Salvutish leben. Die Menschen, die nach dem Reaktorunglück hierher umgesiedelt wurden und in der Zone Wartungsarbeiten am eingesargten Reaktor durchführen. Ihnen ist bewusst, dass sie der Strahlung ausgesetzt sind. Sie leben damit, dass ihre Verwandten und Freunde in Slavutish früher als anderswo sterben. Ihre Leben unterscheiden sich dennoch nicht von jenen weit außerhalb der Zone. Sie führen ein normales, glückliches oder unglückliches Dasein. Krementschouk dokumentiert ihr Leben in und am Rande der Zone mit der Kamera, die unsichtbare Gefahr der Radioaktivität bleibt auf den entstehenden Fotografien im Verborgenen. Einzig das Wissen um die Geschichte der Städte Pripjat und Slavutish bringt das Gesamtbild ans Licht.

Eingriff in das Ureigene

Sibylle Knauss zitierte im Rahmen ihres Statements Schelling: „Im Menschen schlägt die Natur die Augen auf und blickt dich an“ und sie fügte hinzu: „Die Natur, das sind wir!“ Knauss beschäftigte sich in ihren letzten beiden Werken mit den Urmenschen, an der Grenze zwischen Tier und Mensch und kommt zu dem Schluss: „In der DNA ist das Tier in uns immer noch anwesend, wir sind noch die Alten, wir haben noch die genetische Ausstattung unserer Vorfahren in uns.“ Knauss bezog sich außerdem darauf, dass nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen das Genom des Neandertalers entschlüsselt sei und fragt: „Was passiert, wenn wir Altes und Neues zusammenlegen?“ Ein Experiment, dem Knauss in ihrem Roman „Fremdling“ nachgeht, in dem einer Frau des 21. Jahrhunderts der Embryo eines Neandertalers eingepflanzt wird. Der Neandertaler wird geboren und muss sich in einer Welt, die weit außerhalb seiner Zeit liegt, zurechtfinden. Bei der anschließenden Debatte über die Möglichkeiten der Gentechnik und deren Gefahren stehen immer wieder die Fragen im Mittelpunkt: „Ist der Mensch das wertvollste Wesen dieser Erde“ und „Darf in den Körper des Menschen uneingeschränkt eingegriffen werden?“
Ulrike Draesner wechselte in ihren Überlegungen die Perspektive des Betrachters und fragte: „Inwiefern verändert sich die Natur durch unseren Blick auf sie?“ In ihrem Statement bezog sich die Autorin auf die Naturwissenschaften: „Seit den Doppelspaltversuchen der Physik zu Anfang des letzten Jahrhunderts wissen wir: Natur ist, was als natürlich unter unseren Augen, in unserer Beobachtung, erscheint. Unser Zusehen verändert, was wir finden. Der Beobachter ist Teil des Experimentes. Natur ist, was zwischen Subjekt und Objekt geschieht. Natur ist Interaktion, ein energetischer Austausch, den wir nicht immer bemerken.“ Der Grundprozess der Naturwissenschaften besteht darin, Fiktionen zu bilden, so Draesner. Damit zieht die Autorin die direkte Verbindung zur Literatur. Als Beispiel eines literarischen Bindeglieds zur Naturwissenschaft nannte sie Edgar Allan Poe und sein 1848 verfasstes Werk „Heureka“, eine poetische Vision über den Ursprung und die Natur des Universums.

Natur und Sprache

Beim Nachdenken über Sprache und Natur bemerkte Ulrike Draesner: „Der Körper überragt die Sprache, es gibt viel mehr Geschmacksrichtungen und Düfte, als es Ausdrücke dafür gibt.“
Auch für Michael Donhauser dreht sich alles um die Sprache. Er halte zwar einen sorgsameren Umgang mit der Natur für notwendig und meint in diesem Zusammenhang mit Natur das eigene Umfeld sowie die Erde, die sich um die Sonne dreht. Doch es wird sich kein explizites Engagement für den Schutz der Natur in seinen Texten finden. Das genaue Beobachten gehe unvermeidbar mit der Funktionalisierung der Sprache (als Mittel) und der Natur (als Gegenstand), einher – im Akt der Verähnlichung dagegen interferieren beobachtendes Betrachten und imaginierendes Einswerden oder Distanz und Nähe oder Gestalten und Empfangen oder Halten und Lassen oder Bleiben und Vergehen, Werk und Akt usf. Und Dichtung, wenn sie denn gelingt, ist Darstellung wie Vollzug ebendieser Interferenz von meist einseitig oder nur gegensätzlich Gedachtem.
Das letzte Wort hatte ein Stammgast der Innsbrucker Wochenendgespräche, der am 5.5.2013 verstorbene Jürg Amann, der einmal meinte, die Wochenendgespräche waren ihm erste Anerkennung als Schreibender. In Form einer Toneinspielung bekam der Autor noch einmal die Gelegenheit sich bei den Innsbrucker Wochenendgesprächen zu äußern. Zum Thema Natur sagte er: „Die Natur ist dem Menschen feindlich gesinnt. Die ist keine Heimat. Überleben ist nur möglich auf Kosten von anderem Leben.“

Aufmerksam mit hörte nicht nur das Publikum, sondern auch der ORF-Redakteur Martin Sailer, der die Gespräche für mehrere Radiosendungen aufzeichnete. Nicht dokumentiert sind hier die zahlreichen Gespräche mit den Autorinnen und Autoren hinter den Kulissen, die sich während der Mahlzeiten und bis in die Nacht hinein abspielten. Auch dies ist ein Austausch, der die Innsbrucker Wochenendgespräche auszeichnet.

 Innsbrucker Wochenendgespräche

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Elfriede Pöder: Frau-Zimmer-Fenster: Topographie/Raum und Intertextualität. Annäherungen an Andrea Winklers „König, Hofnarr und Volk. Einbildungsroman“
  

In Andrea Winklers kürzlich erschienenem „Einbildungsroman“ „König, Hofnarr und Volk“ (Zsolnay 2013) ist die Handlung wesentlich an zwei Orten angesiedelt:  einmal ist dies das Zimmer der Ich-Erzählerin Lina Lorbeer, die manchmal auch als Du-Figur und  kaum wahrnehmbar und selten als Sie-Figur aufscheint, und dann das „Institut für Gedankenkunde und Verstehen“, in das Lina zu Beginn des Romans gerade aufgenommen worden ist (10). Dieses Institut wiederum wird von der  Figur des Herrn Professor Icks und der Frau Professor Stein repräsentiert, in deren Büros Lina sich  wiederholt zu einem Gespräch einfindet, wenn sie nicht gemeinsam mit ihren Studienkollegen Justin und Flora im Hörsaal, einen Aufsatz verfassend oder schlaf-tag-träumend im Lesesaal/der Bibliothek sitzt oder aber im eigenen Zimmer - nachdenkend, schreibend, träumend, lesend, aus ihrem Fenster schauend und sich  erinnernd. Erst das XXV. und gleichzeitig auch letzte Kapitel zeigt Lina in der Abschlussprüfungssituation mit Frau Professor Stein als Hauptprüferin, deren Angebot einer Zukunft am Institut (vgl.163) - „Wollen Sie in meine Dienste treten und ein wenig tiefer blicken?’“ (94; vgl. auch 125;) - sie  noch vor dieser entscheidenden Situation abgelehnt hat.

Nicht zuletzt aufgrund der kaum vorhandenen Zeitmarkierungen (Jahreszeit: Herbst/Winter; Tag/Nacht) und des nicht chronologisch angeordneten Handlungsverlaufs mit den Ineinanderverschachtelungen von Träumen, märchenhaft gestalteten Wunsch- und Fluchtszenarien, den wiederkehrenden Erinnerungssplittern an die Volksschülerin Agnes aus Linas „Kindschaftstagen“ (182) sind es gerade Orte und Räume, die eine wichtige Leseorientierung bereit stellen. Dazu zählen auch die kursiv gesetzten Textstellen, die vor allem die am Institut verfassten (Prüfungs-) Aufsätze markieren,  und der in ihrem Zimmer geschriebene und längste ‚Aufsatz’ des Romans (140-144) in Kapitel XIX. Des Weiteren die nicht kursiv gesetzten Briefe Linas an einen entfernten Freund. Diese Briefe beenden bis auf Kapitel IX, XIX und XXII alle anderen Kapitel des Romans und ‚ordnen’ blitzlichtartig das bisher Geschehene für das männlich markierte Du, Jakob.

Nicht nur der Titel von Andrea Winklers neustem Prosatext „König, Hofnarr und Volk“ mit seinen Gattungs- bzw. Genre-Anspielungen auf Märchen und Drama und mit seinen Asnpielungen auf hierarchische Verhältnisse gesellschaftlicher Ordnungen, sondern auch sein Untertitel „Einbildungsroman“ verweisen bereits auf Intertextualität, die eine zentrale Verfahrensweise des Romans ist: mit „Einbildungsroman“ spielt  der Untertitel auf den Bildungsroman als wirkmächtiges Romangenre an; gleichzeitig charakterisiert er auch ironisch-kritisch jene Bildungseinrichtung, an der  Lina Lorbeer sich  eingeschrieben hat. Am „Institut für Gedankenkunde und Verstehen“ bewegt sie sich an einem Ort, dessen im Roman im doppelten Sinne des Wortes als ‚eingebildet“ ausgewiesenes Selbst-Bild es ist, Denken und Verstehen zu präzisieren (vgl.13f.;18f;24)  und zu verfeinern (vgl.148f). Umgekehrt muss Lina schmerzlich erkennen, wie betrogen man ist, „wenn man hier ein- und ausgeht und sein Denken und Verstehen verfeinern lassen will.“ (127) So muss sie  feststellen,  dass ungenaues Zitieren/Wiedergeben der Lehrenden zentrale Bedeutungsunterschiede verschwinden lässt bzw. Bedeutungsveränderungen vornimmt  - so im Falle von Professor Icks - oder dass  studentisches Aneinanderreihen wörtlicher Zitate der Lehrenden als  theoretische Richtung „ganz auf der Höhe des Zeitgeistes“ (149) von eben diesen ausgewiesen wird.  Spätestens hier wird die satirische Dimension des Romans mehr als greifbar, denn, mit Frau Professor Stein gesprochen, diese  „Weltanschauung läuft auf die so genannte ‚Unentscheidbarkeit’ hinaus.“ (149), wenn nicht sogar auf ihr „Gleichviel“  (101).

In „König, Hofnarr und Volk“ kehren Orte und Räume, besonders auch solche, die man mit Grenze, Übergang und Schwelle  oder mit Bewegungen/Wege in Verbindung bringen könnte wie  z. B.  ein Fenster, eine Schaukel oder Straßen wiederholt wieder.  Besonders Linas Zimmer mit seinem Fenster könnte beispielhaft als Bachtinscher Chronotopos gelesen werden gerade auch im Sinne der Zusammenführung/Verdichtung von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, Gegenwart und Vergangenheit/Zukunft in einem Raum bzw. in einem räumlichen Gegenstand: denn die Bedeutung von Linas Fenster – und schon gar nicht die ihres eigenen Zimmers – geht nicht nur in seiner traditionellen bzw. konventionalisierten Bedeutung der Schwelle/Grenze   und des Übergangs zwischen Innen und Außen auf. So fragt sich Lina in Zusammenhang mit der bedrückenden „Kindschafts“-Erinnerung an Agnes, die Lina wiederum in ihrer ersten schriftlichen Arbeit am Institut ‚einführt’, und in Zusammenhang mit ihrem Bild von der Frau am Fenster im dunklen Zimmer, ob Übergehen „in einen fremden Gedanken“ (31ff) ein möglicher Umgang für sie  mit Vergangenem und unmittelbar Gegenwärtigem wäre.

Auf konkrete Einzeltextreferenzen (Intertextualität) in  „König, Hofnarr und Volk“ hat besonders Cornelius Hell in seiner Besprechung des Romans bereits hingewiesen – neben Büchners „Woyzeck“ (1836) und „Leonce und Lena“ (1836) sind  das vor allem Verse aus Robert Walsers Gedicht „Wie immer“ (1898), die  durch den gesamten Roman hindurch zitiert werden und in unmittelbarem inhaltlichem Zusammenhang der jeweiligen Erfahrungen, Situationen  und Fragen Linas stehen. Mit diesen expliziten Bezugnahmen auf Texte von Georg Büchner und Robert Walser stellt sich Andrea Winklers Roman nicht zuletzt in eine Tradition, die die utopisch-kritische Funktion von Literatur wahrnimmt.  

Eine wiederum  weibliche (Moderne-) Traditionslinie lässt das Bild/Motiv der Frau, die als am Fenster Stehende und als aus dem Fenster Hinaus-Sehende dargestellt wird, erkennen.  Gerade dieses Bild kehrt u. a. in Virginia Woolf’s Roman „The Waves“ (1931) wiederholt wieder und hat dort - wie auch  die im Zimmer vor dem Spiegel stehende Frau - die Funktion eines zentralen Leitmotivs, das gerade die weiblichen Figuren Susan (Zimmer-Fenster-Mutterschaft), Jinny (Zimmer-Spiegel -Sexualität) und Rhoda (Spiegel - Entfremdung, Ausgeschlossensein) dieses polyperspektivischen Romans charakterisiert.[i]  Aber auch in Marlen Haushofers  Roman „Eine Handvoll Leben“ (1955)  kehrt die Triade Frau-Zimmer-Fenster auf der Ebene der Erzählergegenwart der sich erinnernden Hauptfigur Betty/Elisabeth und das Frau-Fenster-Motiv in der erinnerten Vergangenheit wieder.  Und: Es ist das leitmotivisch wiederkehrende Bild der Aus-dem-Fenster–schauenden-Frau, das die Ich-Erzählerin  der Erzählergegenwart in Marlen Hauhofers bekannter Novelle „Wir töten Stella“ (1958) charakterisiert. Gleichzeitig hat die Frau im Zimmer und das Fenster-Motiv hier auch die Funktion der  spezifischen Erzähl-/Schreib-Anordnung der Ich-Erzählerin Anna und wird damit zur Versinnbildlichung weiblicher Autorschaft. Gerade deshalb ist die Tatsache, dass die sich schreibend erinnernde Anna in der erzählten Vergangenheit nie als aus dem Fenster-Schauende gezeigt wird,  von Bedeutung.

Die Triade Frau-Zimmer-Fenster hat auch in „König, Hofnarr und Volk“ die Funktion einer zentralen Erzähl- und Schreib-Anordnung. Darüber hinaus ist dieses Bild/diese  Erzähl-/Schreib-Anordnung zusätzlich bedeutsam, da Lena in ihrem eigenen Zimmer nicht nur aus dem Fenster schaut und dabei im Nachbarszimmer die Silhouette einer Frau vor dem Spiegel sieht; Lina hat  außerdem  noch die Kopie eines  Bildes von einer Frau am Fenster in ihrem Zimmer hängen, auf die sie den „beinahe nichtssagenden Satz“ (57) „Ich bin hier gewesen“ (53) geschrieben hat. Und: Es ist diese Kopie des real existierenden Bildes „Frau am Fenster“ von Jakobus Vrel[ii], das im institutionellen Kontext des Romans eine  höchst problematische Rolle spielt und für Lina eine Schlüsselerfahrung des Ausgeschlossenwerdens und  besonders des öffentlich  - scheinbar verschlüsseten -  Verhandelt-/Vorgeführtwerdens  von Frauen wird (Vgl. Kapitel VII).

Wenn es also in „König, Hofnarr und Volk“  heißt „ Und immer ist es dieselbe Allee, durch die ich zu meiner Wohnung, in mein Zimmerbild zurück gehe“ (135),  dann ist die Triade Frau-Zimmer-Fenster das Mit-Erzählte und damit Mitreflektierte bzw. Mitzureflektierende. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil  „König, Hofnarr und Volk“  von einer Institution handelt, die über Denk- Sprech- und Schreib-An-Ordnungen bestimmt und sich über sie definiert und definieren lässt.[iii]

Andrea Winklers Roman endet mit einem letzten Brief an Jakob, der  mit den Sätzen schließt: „Und sicher, jetzt werden wir kichern wie Kinder, die nichts, nichts begriffen haben. Und schon, nicht wahr, löst sich ein Reflex vom  Blatt und geht schlafwandelnd durch ein anderes Zimmer und summt Ich bin hier gewesen. Hier gewesen. Jaja, Jakob, jaja.“ (188). Ein auf den ersten Blick verstörendes, wenn nicht sogar doppelbödiges Ende, denn es könnte wie die Bejahung eines „Gleichviel“ von  Wirklichkeiten   – „ein anderes Zimmer“ – erscheinen.  Dies aber hieße  „wir kichern wie Kinder, die nichts, nichts begriffen haben“ als Voraussetzungskontext dieser Möglichkeit zu ignorieren. Eine Möglichkeit, die im Roman schon allein durch die wiederkehrende  „Kindschafts“-Erinnerung Linas zurück gewiesen wird:  Also doch nicht „alles gleichviel“(102). 



[i] Vgl. auch ihren bereits 1927 erschienen Roman „To the Lighthouse“, in dem das Frau-Fenster-Motiv ebenfalls aufscheint  und zudem mit dem Kapitel „The Window“ beginnt.
[ii]  „Frau am Fenster“ (ca um 1652-1662)von Jakobus Vrel ist im KHM Wien ausgestellt. Ich danke  Andrea Winkler für diese Information.
[iii]  Die Bezeichnung ‚Universität’ scheint im gesamten Roman nicht auf. Dennoch: Hörsaal, Lesesaal, Bibliothek, Institut, Zimmer der Professoren,  Prüfungsaufsätze und mündliche Prüfungssituationen, studentische Vorträge  etc.  umkreisen metonymisch  diese Bildungseinrichtung ‚par excellence’. Nicht zuletzt auch das  dort „in den Dienst treten können“.  Allerdings bestimmen weitaus frühere und auch viele andere Bildungseinrichtungen über Denk-Sprech- und Schreib-An-Ordnungen, was u.a. in den wiederkehrenden „Kindschafts“-Erinnerungen in „König, Hofnarr und Volk“ gestaltet wird.

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Dragica Rajčić: Spieglein, Spieglein an dem Wand wem gehört die Sprache in diesem Land

Statement beim Montagsfrühstück. Forum für strategische Langsamkeit, am Montag, 29. April im Literaturhaus am Inn zum Thema „Autobiographisches Schreiben und Sprachwechsel“

Dragica RajčićFür die Diskussion zur Thema des Schreibens in der Fremdsprache möchte ich in diesen Satement eine Schutzplanke (umgangssprachlich und fachsprachlich veraltet auch Leitplanke, in Österreich Leitschiene) nicht einlegen, die habe ich einleglegt nach und nach innerhalb eigenes Schreibens sondern ich werde sie vor ihnen Aufstellen damit wir später hoffentlich darüber in Dialog treten können. 

Normalerweise sind Leitschienen aus dem Stahl. Am Anfang aber waren die österreichischen Leitplanken aus Aluminium hergestellt worden. In Österreich war gerade eine Aluminiumfabrik da welche die günstigere Variante lieferte, so nahm der Besteller der Leitplanken auf sich das es mehr Unfälle zur preisgünstigeren Konditionen durchaus geben könnte wenn der Stadt weniger zahlt und Produktion von Aluminium angekurbelt wird. Kolleteralschaden welche Wirtschaftlichkeit genannt wird. Menschliche Opfer inbegriffen.
Aber wir sind hier in einem Literaturhaus welche zugleich Literaturarchiv ist und unserer Leitschiene Schutz ist nicht aus dem Alluminium oder Stahl, hier besteht er aus Nachlässen der Autoren welche geistiger Leitschienen angelegt haben ohne jäglicher Kalkulation ausser eine einzige Kalkulation wie die Dichtung immer hat : Die Dichtomie zwischen Logos und Mythos, zwischen Denken und Fühlen aufzuheben.
Schon der Titel des Früstucks lässt bei mir innerlich die Rote Lampe (Kein Benzin) leuchten. Migration, Biografie, Fremdsprache.
Literaturhaus am InnSeit ich meine erste Gedichte in der Schweiz veröffentlichte (1985) dreht sich alles was mit mir und meinem schreiben zu tun hat um dieser drei Begriffe in austauschbare Rheinfolge. Am Ende von ersten Gedichtbands Halbgedichte einer Gastfrau steht es noch ist mein Name getrennt auf ich und er, einige  Warheiten aber wehren sich verkauft zu werden.
Was für Wahrheiten? Zumutbare oder unzumutbare? Eine davon ist das mein Ich dichtet  aus Imagination ein Gedicht, die auf die eine oder andere Weise die Gegenwart spiegelt aber sie zugleich überhöht, entfremdet, umformt, eine neue Welt schafft. Das Migration nicht schreibt, es schreibt einzelne ich, unverwechslbar. Bewegung ohne Subjekt kann gaar Nichts. Wenn wir Migration mit Wanderschaft übersetzen dann ist Peter Handke erzeuger der Wanderliteratur (nicht zur sprechen von Homer, von Vergil, von Cervantes ...).
Am Anfang von meinen schreiben stand der Grund der Eigensprachlosigkeit des Ich. Wohlgemerkt damals hate mein Ich noch eine einzige Muttersprache welche aus abgetrettenen Worten bestand, nicht anderes als hier in der Kindheit meiner Leitschiene  
Dragica Rajcic und Birgit Mertz Baumgartner im GesprächIngeborg Bachmann welche in einem Interview sagt
Dass man ein Wort anders ansieht; schon ein einzelnes Wort – je näher man hinsieht, von um so weiter her schaut es zurück – ist doch schon mit sehr vielen Rätseln beladen; da kann ein Schriftsteller sich nicht der vorgefundenen Sprache, also der Phrasen, bedienen, sondern er muss sie zerschreiben. Und die Sprache, die wir sprechen und fast alle sprechen, ist eine Sprache aus Phrasen. Und da erscheint so vielen etwas, was sie lesen, also was für mich wirklich geschrieben ist, als schwer verständlich oder rätselhaft. So rätselhaft ist das gar nicht; mir kommt es oft sehr viel rätselhafter vor, was zusammengeredet wird aus diesen vorfabrizierten Sätzen. Erst wenn die Phrasen einer Zeit verschwinden, finden wir die Sprache für eine Zeit und wird Darstellung möglich. Auch von den heutigen Phrasen werden uns nur die kräftigsten bewusst. Hätten wir das Wort, hätten wir Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht.

Sich wort nehmen
eine hingeworfene
hingesetzte
hinausgesprochene
falsch gedrehte
wie häslisch klingt sie, beklagt sich,
untergebraucht geklont versalzen  verdorben verschönert
wort,
Mein wort, dein wort, ihr wort, wir wort
und kein wort wo wort wortigkeit unverwortet
 

 

Hätten wir Sprache, wir bräuchten die Waffen nicht. I.Bachmann

1991 begann Krieg in Kroatien und ich lebte dort mit meinen drei Kindern.
Ich werde nie die Nacht vergessen in welchen ich in meiner Ohnmacht die Bücher zerreisen wollte. Bücher welche mich erschaffen haben, meine Bewusststheit, mein Bewusstsein, mein einziger Besitztum. Die Bücher haben ihre berechtigung verloren
ihre absolute unnutzlichkeit in der Nacht als von Himmel oben auf mich und meine Kinder  ohne  mitverschulden einfach so von menschens Hand Bomben warfen welche uns umbringen könnten.
Jetzt fehlt mir ein das auch in solchen schweren Zeiten in den zweiten Weltkrieg als Grossvater likvidiert wurde meine Grossmutter dem Gott aus ihren Kopf exiliert.
Ich könnte doch nicht Bücher zerreisen um mich nicht von ihnen trennen wie Grosmutter sich nicht wirklich von Gott trennen könnte, weil der Gott schon seit ihre Kindheit da war, nur für sie unnutzlich. Als ich mit dreizehn Nietzsche lass bekunde ich zur Grosmutter nicht ohne Stolz – Gott ist tot, also du muss dich nicht rächen, Grosmutter bekreuzigte sich plötzlich schien ihr ich habe den Verstand verloren. Dabei wollte ich ihre Verletztheit und Unfreiden mit dem Gott nur beenden. Ich habe damals unsere Dorf Bibliothek ausgelesen, sie roch nach Rattengift weil unter ihr die Poljoprivredna zadruga (Gemischtwaren Laden) war welche alles für Landwirtschaft verkaufte. Die Bücher waren für mich Opium, lesen einziger Grund weswegen ist schön auf der Welt zu sein. Mit dem Büchern könnte ich der sprachlosigkeit, dem ersten und  den zweiten Weltkreig entkommen, die Kreige wohnten dicht an uns durch Geschichte der Grosmutter,des Vaters, der Mutter, ich könnte die Realität vergessen, der dorflichen Welt entkommen mit der hilfe der Bücher welche in Anno 1991 mich nicht von Tot durch der andere Menschen soll ich genauer sagen durch die Männer, Kreiger schutzen könnten.
Im Sommer 1991 fluchtete ich aus dem Kreigsbedrohten Land und nahm nur zwei Bücher mit – den Kleinen Prinz  und Mesa Selimovic Bücher: Die Festung und Der Derwisch und der Tod. Andre Breton nahm ich nicht mit – er  schrieb das einfachster surrealistischer Akt besetht daran, mit einem Revolver auf die Strasse zu gehen und, soviel man kann, auf die Menge draufloszuschiessen.
Auch die Schönheitsproklamationen des Futuristen Marinetti wie die der Krieg ist schön weil er eine blühende Wiese um die feuerigen Orchideen der Mitraeilleusen bereichert – könnte ich nicht mehr sehen, hören, wollen.
In die Schweiz zum zweiten mal angekommen musste ich Weiterschreiben. Wie weiterschreiben während Dubrovnik bombardiert wurde und Fernsehen und Radio mit angenehme Stimme Bilder der Verwandetn kommentierten?
Ich wollte mich nur in aussersten Fall äussern – die Dichtung an meiner Haut haften, überprüfbar werden.    
Ich wollte die Literatur ins eigene Leben zuruck übersetzen, nicht nur selbstgeschriebene sondern die (und vor allem die) gelesehene, ich verlangte von mir das ich mich an die eigene Worte halte, das ich die Worte nur schreibe welche mir unter der Haut wie Fegefeuer brennen
Drei Minuten, drei Minuten für Nachrichten
(Aus Lebendigkeit Ihre züruck)
Ein Dorf, es war ein Dorf....
Ich könnte mir die Zunge abhacken.
Erst druch den Kreig habe ich gelernt anderes zu lesen – verstand was heisst bis ins ausserste  von Wirklichkeit vertrieben zu sein. An Aufgeben dachte ich ständig.
Schreib kein Gedicht
Schreib kein Gedicht
Gehe
Schreib Telegramm
Kein Fuss gefasst
zu viele Stop
falsche Schritte
gelernt
Stop
Schreib nicht
Zurück
Stop
(Aus Buch von Glück)

Seit diesen Gedicht an der letzte Seite von Buch von Glück seit fast zehn Jahren habe ich keine Gedicht mehr in einem Gedichtband veröffentlicht.

1958 sagte Paul Celan in seiner Bremer Rede Erreichbar, nah und unverloren inmitten der Verluste blieb dies Eine: die Sprache. Aber sie musste nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse todbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah. Aber sie ging durch dieses Geschehen.
So erscheint das Gedicht ist einzige verbleiben Heimat auf den hin das Ich unterwegs ist: zur Sprache gehen...
Ich habe zwei sprachen hinter beiden ohren das ist immer hin besser als eine sprache hinter vier ohren zug ist schon abgefahren so kann ich zwei mal sagen zug ist abgefahren so haltet der zug in mir länger ....
Aus Lebendigkeit Ihre züruck
 
Giuseppe Ungaretti schreibt nach den ersten Weltkrieg dass der Dichter einen geschärften Sinn für die furchtbarsten Wendungen der Geschichte habe, da er die Wahrheit des Todes aus nächster Nähe erfahren hat. Der Dichter habe gelernt, was ein Augenblick bedeutet, in dem nur der Instinkt zählt. Er sei so sehr mit dem Tod vertraut, dass ihm sein Leben endlos als Schiffbruch erscheint.

Freude der Schiffbrüche

Und plötzlich nimmst du
die Fahrt wieder auf
wie
nach dem Schiffbruch
ein überlebender
Seebär

Ungaretti sieht eine einzige Aufgabe des Dichters als Mensch Vollkommenheit zu erreichen und so die Form, der Styl der Gedichte der Weg zu dieser Värenderung aufzeihne. Ungaretti in Gegenteil zum Celan will das Ich nicht in der Sprache verlassen sondern fördert das sein schreiben Ich in Wirklichkeit erschafft.
In Unschuld Zunge gewaschen
auf dem Papier
Reitet mich das Wort
Darüber
Hinaus.
(Aus Post bellum

In meine Gedicht versuche ich den Sündenfall ein mögliche Zustand der Vorsprachliche Welt zu entwerfen, aber kaum bin ich dabei passiert durch die gesetzlichkeit des (Wort)Spiels eine Versklawung des Ich – Wittgenstein ist hier im Brenner-Archiv kein Unbekannter
Ich lasse aber in darüber hinaus....die beide Felder ins Utopische Abwandern ohne zu sagen ob ich dem Gedicht oder der Zunge welche mit jeden Wort versucht Rheinwaschung zu betreiben und ihr Opfer wird...
Ingeborg Bachmann wird in Frankfurter Vorlesungen 1959/60 wenn sie über die Probleme der zeitgenössische Dichtung spricht die Gesellschaft bedauert welche Gedichte nicht wie Brot braucht, von Gedichten verlangt sie das sie Bitter von Erkenntnis sind. Die Gedichte von Celan sagt sie haben eine schmerzliche und ausserst harte überprüfung der bezuge von Wort und Welt durchgemacht und haben neue Definition der Möglichkeit etwas wieder zu sagen, sehr direkt, unverschlüsselt gefunden:
In den Gedicht Engführung aus den Gedichtband Sprachgitter

... Ein
Stern
hat wohl noch Licht.
Nichts,
nichts ist verloren.
 
Sie haben es schon lange erraten, das sind die Leitschienen welche ich hier erwähne, sind und bleiben meine Leitplanken und Leidplanken zwischen welchen sich mein schreiben bewegt.

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Bernhard Sandbichler: Lukas Crepaz im Porträt

Am 23. August 2013 wird nicht die Welt, sondern wieder bloß die Sonne untergehen. Das Besondere an diesem Tag wird also, so viel kann jetzt schon gesagt werden, nicht der Weltuntergang sein und auch nicht der Sonnenuntergang. Was man ebenfalls aber auch schon jetzt sagen kann: An diesem Tag wird das wunderbare Musiktheaterwerk von Harry Partch, einem Zeitgenossen John Cages, erstmals in Europa zu hören sein. Für seine Oper „Delusion oft he Fury“ baute er ein spezielles Instrumentarium; das Ensemble Musikfabrik wird lernen, auf insgesamt 50 nach diesen Originalen gebauten Instrumenten zu spielen, und die Oper dann performen – ein akustisches und optisches Premièren-Erlebnis. Ausgedacht hat sich das Heiner Goebbels, der die Ruhrtriennale 2012, 2013 und 2014 leitet. Wer solche Projekte spinnt, muss ein angenehmer Zeitgenosse sein, und der Haller Lukas Crepaz, der 2007 nach Gelsenkirchen ging, tief in den Westen, wo lt. Herbert Grönemeyer „die Sonne verstaubt“, der also dorthin ging, um Goebbels geschäftsführend zur Seite zu stehen, bestätigt das: Goebbels ist ein angenehmer Zeitgenosse. Auch mag man sich zunächst nicht vorstellen, dass ausgerechnet im Ruhrpott so etwas wie ein Festival-Pardiesgärtlein gedeiht. Aber es ist doch so. Dieses Paradies heißt „Ruhrtriennale“ – Triennale nach den oft weisen Entscheidungen des Zufalls –, und eine relativ uneitle, weitblickende Kulturpolitik hat es hervorgebracht.
  

Dampfgebläsehaus in Bochum

 Dampfgebläsehaus in Bochum

 

Wie geht’s, wie steht‘s?
Sehr gut und meist anders, als ich es mir vorgestellt hatte.

Wo möchtest du leben?
Abwechselnd in Barcelona und in den Bergen mit Blick auf das Meer – aber bitte mit gutem Handyempfang und Internetanbindung.

Was schätzt du am Ruhrpott am meisten/wenigsten?
Stifters Dinge Performance, © Klaus GrünbergAm meisten: Dass hier Kunst und Kultur als wichtige Motoren für den regionalen Transformationsprozess gesehen werden, was zu einem unglaublichen Reichtum an spannenden Kunstprojekten führt. Am wenigsten: zu viele blühende Bäume, die im Frühling zu Allergieschüben führen.

Was schätzt du an Tirol am meisten/wenigsten?
Am meisten: Direkt aus der Stadt eine Wanderung in die Berge starten zu können. Am wenigsten: die insbesondere im Politischen weit verbreitete Selbstbezogenheit und der fehlende Blick über die Alpen.

Deine Devise?
Nur das eigene Handeln überzeugt.

Deine Lieblingsnamen?
Alle, mit denen ich sympathische Menschen verbinde.

Deine Lieblingsfarbe und -blume?
In dieser Hinsicht bin ich farbenblind. Rote Rosen finde ich kitschig.

Dein Lieblingsessen und -trinken?
Oh, da hätte ich dann doch etwas, das ich im Ruhrgebiet vermisse: Die österreichische Küche und da insbesondere Mehlspeisen jeder Art.

 

Dein/e Lieblingsmaler/in?
Malevich.

Dein/e Lieblingsfotograf/in?
Thomas Struth bzw. prinzipiell die Becher-Schüler, die ich übrigens erst im Zeche Zollern, Dortmund, © Martin HoltappelsRuhrgebiet richtig kennengelernt habe.

Dein/e Lieblingsmusiker/in?
Da gibt es viel zu viele – in welcher Musikrichtung?

Dein/e Lieblingsregisseur/in?
Romeo Castellucci (Theater), Michael Haneke (Film), aber auch gerne trashigeres von den Cohen-Brüdern.

Dein/e Lieblingsschauspieler/in?
Michael Maertens, Sophie Rois … aber wo bleibt eigentlich die Frage nach meinen LieblingschoreographInnen und -performerInnen?

Dein Lieblingsfilm?
Hm, da habe ich viele, zum Beispiel „El secreto de sus ojos“.

Dein Lieblingsbuch?
Leonardos Hände von Alois Hotschnig
So viel Lieblingsfragen habe ich glaube ich seit den Freundesteckbriefen in der Volksschule nicht mehr beantworten müssen…

Handke oder Bernhard? Oder beide nie gelesen und eine bessere Alternative?
Auf jeden Fall beide. Bernhard wegen seiner soghaften Musikalität und seiner Studie der österreichischen Mentalität und Handke wegen seiner poetischen Detailverliebtheit.

 

Deine HeldInnen in der Weltgeschichte?
Sophie und Hans Scholl.

Hofer oder Gaismair? Oder beide schon vergessen?
Beide schon längst vergessen – ersterer ist in Deutschland nur als Aldi bekannt.

Deine HeldInnen in der Wirklichkeit?
Alle, die sich nicht durch (falsche) Autoritäten einschüchtern lassen.

Welche geschichtlichen Gestalten verachtest du am meisten?
Despoten und Kriegsgewinnler.

Welche militärischen Leistungen bewunderst du am meisten?
Keine, die größte Leistung ist die der Deserteure.

Welche Reform bewunderst du am meisten?
Partita, © Herman SorgeloosDen Reformladen von nebenan.

Wer hättest du sein mögen?
Ich bin eigentlich mit meinem Leben ganz zufrieden – da bleibt zumindest Platz für Überraschungen.

Welchen Fehler entschuldigst du am ehesten, welchen nie?
Nie: Ignoranz und alle Fehler, die nicht eingesehen werden. Am ehesten: Unpünktlichkeit.

Dein größter Fehler?
Unpünktlichkeit (aber da würde anderen bestimmt mehr einfallen …).

Dein  Traum vom Glück?
Wird wohl noch lange Traum bleiben: dass endlich alle Menschen in Würde leben können.

Was wäre für dich das größte Unglück?
Nie mehr kommunizieren zu können.

Was verabscheust du am meisten?
Geiz und Dummheit.

Deine Lieblingsbeschäftigung?
Musik hören, Lesen und Arbeiten.

Welche Eigenschaft schätzt du bei einem Mann am meisten?
Die gleichen, wie bei einer Frau.

Welche Eigenschaft schätzt du bei einer Frau am meisten?
Die gleichen wie bei einem Mann: Intelligenz, Aufgeschlossenheit, Humor.

Was schätzt du bei Deinen FreundInnen am meisten?
Intelligenz, Aufgeschlossenheit, Humor – und dass es auch nach langer Zeit ohne Kontakt sich so anfühlt, als wäre man nur kurz rausgegangen um frische Luft zu schnappen.

Welche natürliche Gabe möchtest du besitzen?
Gelassenheit.

Wie möchtest du sterben?
Gelassen. Und dass ich im Rückblick sagen kann, das würde ich wieder so ähnlich machen.

Und was soll einmal auf Deinem Grabstein stehen?
Diese Sentimentalitäten überlasse ich gerne der Nachwelt.

 
Zu Lukas Crepaz

Geboren 1981 in Hall in Tirol, sammelt erste Erfahrungen im Kulturmanagement vor und während seines Diplomstudiums der Internationalen Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Innsbruck und Barcelona in der Galerie St. Barbara, einem Familienbetrieb der Kultur-Branche, den seine Mutter Maria und sein Vater Gerhard Crepaz seit Ende der 1960er-Jahre etablierten. Dass es möglich ist, im Rahmen dieses Studiums auf die Postmodernen Derrida und Foucault zu stoßen, befriedigt ihn noch jetzt im Nachhinein. Und seine Kulturarbeit in der Galerie, in der TKI, beim sommer.theater.hall?  Bei Stellenbesetzungen im Kulturbereich spiele der reine Studienabschluss selten die ausschlaggebende Rolle. Berufserfahrung und damit Praxisnähe seien unabdingbar. Insofern mache eine Ausbildung ohne integrierte Praktika und Projektmanagement keinen Sinn. Zudem müssten Kulturmanager von Natur aus ein persönliches Interesse an Kunst mitbringen. Eine fehlende intrinsische Motivation könne auch durch ein Kulturmanagement-Studium nicht wettgemacht werden, meinte er unlängst auf http://www.kulturmanagement.net/
download/magazin/km1206.pdf
. Er muss es wissen. Durch einen Wirtschafts-Professor kam er in den Ruhrpot: Ab 2007 ist er maßgeblich am Aufbau des kaufmännischen Bereichs der Europäischen Kulturhauptstadt RUHR.2010 beteiligt, welchen er zuletzt als Leiter Finanzen, Controlling und allgemeinen Administration verantwortet. Als er im November 2011 die Geschäftsführung der Kultur Ruhr GmbH mit ihren vier Säulen Ruhrtriennale, Chorwerk Ruhr, Tanzlandschaft Ruhr und Künste im Urbanen Raum antritt, ist er noch nicht einmal 30 Jahre alt. Sein Budgetrahmen? Ca. 17 Mio. Euro pro Jahr.

Kein Wunder, dass der Aufsichtsrat beim Hearing eine gewisse Skepsis an den Tag legt. „Die Künstler wünscht man sich immer jünger, Managern wird Jungsein vorgeworfen?“, kontert Crepaz, der über altmodische Gaben wie große Höflichkeit, inhaltsbezogene Eloquenz, organisatorische  Zuverlässigkeit und gebildete Uneingebildetheit verfügt. Eindrücke von der Ruhrtriennale kann man sich hier verschaffen: http://www.ruhrtriennale.de/de/ 

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Bernhard Sandbichler: Die Umfrage

Wozu Umfragen? Na, ist eben ein altes Instrument der Wissenschaft. Ein bisschen Empirie darf ja sein. Unsere Umfrage richtete sich an „TextarbeiterInnen“, an Leute also, die mit Texten arbeiten, in unterschiedlicher Form – das Ganze, um einen Blick auf das weite Feld zu werfen, das hier beackert wird. Die Umfrage bestand nicht aus Fragen, sondern aus Stichwörtern, die eine impulsgebende Struktur vorgeben wollten. Diese sechs Stichwörter – Textarbeit, Lust, Frust, Angebot, Nachfrage, Zukunft – sollten im Einzelnen oder summarisch beantwortet werden, die Beiträge erhellend, durchaus auch blendend sein und sich aufs Wesentlichste in kurzer Form beschränken. Die angefragte Population war nicht riesig, ca. 30 an der Zahl, die Auswahl rein subjektiv. Grob gesprochen, lässt sie sich in drei Gruppen teilen: Da sind zunächst die, welche auf solche Anfragen gar nicht antworten und hier mit einer Ausnahme nicht namentlich berücksichtigt werden; dann jene, die zwar antworten, aber absagen; und schließlich die dritten, die einen Beitrag liefern. Unser Dank gilt allen, besonders natürlich jenen Letzteren. Illustriert hat die Beiträge Christian Palfrader von der wunderbaren Grafischen Manufaktur Wortdruck.
Auch ihm herzlichen Dank!

Bernhard Sandbichler

 
Beiträge von:

Bauer, Christoph W.:
Autor
Danler, Paul:
Linguist
Doppler, Doris:
Texterin, Bloggerin
Fleischanderl, Karin
: Übersetzerin
Führer, Ingrid:
Presse-/Lizenzagentur, Autorenberatung
Gauß, Karl-Markus:
Autor, Herausgeber
Götz, Rainer:
Lektor
Heisz, Irene:
Journalistin
Ketterer, Julia:
Lektorin
Klauhs, Harald:
Literaturkritiker
Mattern, Jean:
Autor, Lektor
Nägele, Verena:
AHS-Lehrerin
Peischer, Alexandra:
Schreibcoach
Pollack, Martin:
Übersetzer
Pöppl, Ulrich:
Literaturagent
Rottensteiner, Anna:
Autorin, Literaturvermittlerin
Rumpold, Andrea:
Texterin
Schmidt, Martina:
Verlegerin
Schütz, Ines:
BHS-Lehrerin,Literatur-Veranstalterin
Vogel, Oliver:
Lektor, Herausgeber

Buttons von Christian Palfrader  




Textarbeit / Lust / Frust: Textarbeit kann ja auch bedeuten, dass der Text in einem weiterarbeitet, bei mir ist das immer der Fall. Ein Gedanke ist nie zu Ende gedacht, ein Text nie zu Ende geschrieben. Das treibt mich erneut an den Schreibtisch, manchmal ist das ein lustvolles Unterfangen, nicht selten ein frustrierendes. Aber die Lust, an einem Text zu arbeiten, überwiegt. Und aus dem Frust entsteht wieder Lust, es besser zu machen.
Angebot / Nachfrage: Bei den Begriffen denke ich vor allem an meine Schullesungen, Schulprojekte und Schreibwerkstätten. Diese biete ich über die Tiroler Kulturservicestelle an, aber auch über den Österreichischen Buchklub. Letzterer versorgt mich mit Lesereisen durch die Bundesländer, neben Lesungen stehen Schreibwerkstätten auf dem Programm. Die Nachfrage ist groß, auch wurde ich vom Buchklub eingeladen, ein weiteres Jugendbuch zu schreiben, es soll 2014 erscheinen. Zwei Jahre lang betreute ich für die Zeitschrift Topic eine Lyrikseite, Schülerinnen und Schüler aus ganz Österreich schickten mir ihre Gedichte, ich wählte monatlich eines aus, es erschien dann in der Zeitschrift – mit Kommentar von mir.
Zukunft: Hier halte ich es gern mit Einstein: „Ich denke niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug.“ Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Zukunft Textarbeit, Lust, Frust, Angebot und Nachfrage bringt.

Christoph W. Bauer lebt als freier Autor in Innsbruck. Demnächst wird sein Erzählungsband „In einer Bar unter dem Meer“ erscheinen. Sein heimlicher Bestseller, den er gemeinsam mit Reinhold Embacher in der „Gorilla“-Reihe des Österreichischen Buchklubs verfasste, heißt Mord in Carnuntum (über 10.000 verkaufte Exemplare). ►http://www.cewebe.com/

1. Textarbeit: Textarbeit ist Abenteuer. Der Text präsentiert sich zunächst als Fassade, die entweder glatt oder rau, ganz oder rissig, beeindruckend oder langweilig ist. Auf den zweiten Blick beginnt man jedoch zu erahnen, dass die Textfassade eben etwas ver-birgt und daher immer auch eine geheimnisvolle ist. Da beginnt dann aber auch schon die „Knochenarbeit“, nämlich die der morphosyntaktischen und lexikalisch-semantischen Analyse. Dies sind allerdings erst Vorarbeiten, da der Text gesamthaft nur als „Inter-text“ und im „Kont-ext“ erfasst werden kann. Zu diesem Zwecke müssen dann die materiellen Realisierungen konzeptueller Inhalte, die letztlich nämlich beim Empfänger ankommen, sowohl unter dem kognitiv-pragmatischen als auch unter dem rhetorisch-stilistisch-argumentativen Aspekt betrachtet werden. Natürlich gibt es noch zahlreiche weitere Einzelkriterien, die für punktuelle Einzeltextanalysen in Betracht zu ziehen sind.
2. Lust: Falls der Text schön ist, wobei schön hier vieles bedeuten kann, ist es zunächst lustvoll, den Text ganz einfach zu lesen. In einem zweiten Schritt ist es dann vor allem lustvoll, hinter die Textfassade zu blicken, um konzeptuell Vermitteltes auszumachen und dies dann gegebenenfalls durch die Entschlüsselung der sprachlichen Realisierungen aufzudecken, d.h. zu zeigen, was gesagt wird, ohne dass es ausgesprochen wird.
3. Frust: Der große Frust bei der Textarbeit entsteht für mich, der ich mich ja doch auch als Diskursanalytiker und Politolinguist verstehe, immer dann, wenn klar wird, dass textuell geronnene Sprache als Machtinstrument missbraucht wird. Jede Form der Arroganz und Diskriminierung, der Ausgrenzung und des Populismus findet ja auch, oder sogar zunächst sprachlich, d.h. textuell statt, und das ist belastend und frustrierend.
4. Angebot und Nachfrage: Es gibt ein Riesenangebot an Texten, die zu be- bzw. verarbeiten sind und die entsprechende Nachfrage nach derartigen Be- bzw. Verarbeitungen ist groß. Aus linguistischer Sicht ist konkrete Textarbeit in verschiedenen Bereichen zu leisten, wie etwa in der Psycholinguistik und in der Neurolinguistik, in der Translationswissenschaft und in der forensischen Linguistik, in der Ökolinguistik und in der Politolinguistik, in den verschiedenen Bereichen der Fachsprachen, wie etwa in der Sprache der Werbung oder in der Pressesprache, um nur zwei exemplarisch zu nennen. Oft wäre es außerdem wohl auch wünschenswert, ebenso literarische Texte etwas näher aus der linguistischen Perspektive zu betrachten, um diese fundiert zu entschlüsseln, wobei es natürlich zahlreiche Linguisten gibt, die dies machen.
Zukunft: Die Kommunikation als Austausch von Texten wird für die Menschen immer eine alltägliche Notwendigkeit sein. Schon aus diesem Grunde wird es auch immer eine Zukunft für die Textarbeit geben. Wie sie sich verändern und erneuern wird, ist schwer abzusehen. Noch vor wenigen Jahren hätte man sich wohl nicht erwartet, dass etwa die Computerlinguistik oder aber auch die Neurolinguistik einen so großen Aufschwung erleben würde. Hier werden freilich nicht die klassischen Textfelder bearbeitet und schon gar nicht auf traditionelle Weise. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb scheint die Zukunft für die Arbeit am Text spannend.

Paul Danler lehrt französische, italienische und spanische Sprachwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkt: Diskursanalyse, Sprachgeschichte, kontrastive und kognitive Linguistik. ►www.uibk.ac.at/romanistik/personal/danler/

 „Vielen Dank für Ihre Anfrage. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich bei der Umfrage nicht mitmachen kann – bin gerade vom Urlaub zurückgekehrt und habe vieles aufzuarbeiten.“

Doris Doppler textet für Agenturen und Unternehmen im gesamten deutschsprachigen Raum: Broschüren und Webseiten, Werbebriefe und Artikel. Daneben verfasst sie eBooks und Bücher über Werbetext, Marketing und Bloggen. Wirklich empfehlenswert und alles Weitere unter ►blog.ddoppler.com/

Von Karin Fleischanderl habe ich keine Reaktion, allerdings hat sich diese hervorragende Übersetzerin, Herausgeberin und ehemalige Bachmann-Preis-Jurorin mehrfach zum Thema geäußert – daher zwei Links, weil erhellend + blendend:
http://derstandard.at/1371169575991/Schule-als-Zulieferer-der-Verbloedungsindustrie und ►http://derstandard.at/1277337374798/Hermetische-Szene-Literatur-ist-nur-eine-Ware.

Ein Privileg, wenn ich dazu komme, selbst Texte zu schreiben. Meistens sind es Gebrauchstexte (Waschzettel) oder Ankündigungen, Presseaussendungen. Wenn ich mir im Alltag dafür Zeit freischaufeln kann, freue ich mich. Lustvoll ist es auch, einen wirklich gelungenen Text, ein gutes Manuskript oder Buch lesen zu dürfen – sei es beruflich oder privat. Frustrierend finde ich, wenn es nicht gelingt, gute Bücher einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Allerdings muss ich einräumen, dass es ein so vielfältiges Angebot an Büchern gibt, dass es für die Medien schlicht erdrückend wird. Denn durch die Kürzungen in den Redaktionen, in denen immer weniger Journalisten immer mehr Aufgabenbereiche zu verantworten haben, geht heutzutage häufig die Auseinandersetzung mit dem Buch, eine bekanntermaßen zeitaufwändige, zu Bruch. Für die Zukunft wünsche ich mir daher, dass die Bedeutung von Literatur wieder einen höheren Stellenwert und entsprechend mehr Platz in den Medien erhält. Ich weiß, ein frommer Wunsch – aber ich habe gern Visionen (ohne deshalb einen Arzt zu benötigen)!

Ingrid Führer studierte Vergleichende Literaturwissenschaften, Spanisch und Portugiesisch in Innsbruck. Von 1989 bis 2004 arbeitete sie als Pressesprecherin bzw. Leiterin der Lizenzabteilung in den Verlagen Deuticke, Haymon, Löcker, Luchterhand, Piper, Residenz. 2011 startete sie ihre eigene Agentur mit Schwerpunkt Pressearbeit und Lizenzen für Verlage in Österreich und Deutschland, PR für Unternehmen in der Region sowie Autorenberatung und -coaching. ►http://www.buechercoach.at/

 „An der Umfrage nehme ich nicht teil, weil ich prinzipiell keine Fähigkeit (und Lust) habe, nur schnell was zu einem bestimmten Thema hinzuschreiben. Wenn ich mich den angeführten Stichwörtern stelle, bin ich ein paar Tage beschäftigt, und das geht nicht.“

Karl-Markus Gauß hat nichts mit der Normalverteilung zu tun, eher im Gegenteil: Wo andere ausgetretene Pfade gehen (etwa nach Santiago), geht er an die Ränder, an die Ränder Europas zum Beispiel. Mitgehen kann man dorthin nicht (das ist seinem Weggefährten, dem Fotografen Kurt Kaindl, vorbehalten), aber die entstandenen Reportagen lesen: ein Vergnügen! Dass jedes (anspruchsvolle) Schreiben anstrengend und zeitraubend ist, ersieht man aus obiger Antwort. Gauß‘ Ansichten lassen sich aber dennoch nachlesen, etwa hier:
http://derstandard.at/1282979010985/Gauss-im-Interview-Den-Roman-werde-ich-nicht-schreiben
http://derstandard.at/1371170248539/Befreiung-durch-Lesen

Hier sind die kleinen Girlanden, die ich auf die 6 Worthaken aufhängen möchte. Einverstanden?

„Ich bin Lektor“ – also: Welche Arbeit an welchem Text führe ich durch? Den Text gibt es ja schon ohne mich – aber diverse Bücher gibt es erst durch mich (und mit mir). Ist das ein Segen, dass ich Texte in Bücher verwandle, und wenn ja, für wen? Und für wen nicht? Die eigentliche Textarbeit machen ja die Dichter, das ist evident; ich scheine dann die Anpassungsmaßnahmen im Dienste bestehender Kultur-(Literatur-)Begriffe durchzuführen und am Ende aus dem Rohmaterial (dem Manuskript) ein Produkt für den Kulturbetrieb abzuliefern. Das klingt dürftig.
Aber es gibt auch das Glück des Lektorierens: wenn ein Text die Grenzen, die ihm der Kulturbetrieb setzt, durchbricht und er mich zum ersten Zeugen seiner Arbeit macht und mich auf seine Seite zieht, egal ob diese Grenzüberschreitung sich durch eine so minimale Geste wie eine unorthodoxe Zeichensetzung oder durch einen massiven Genreverstoß manifestiert.
Diese Lust am Text ist immer schon eine heimliche Freude, und das wird sie auch in Zukunft sein. Ob der Markt mit dieser Lust am Text etwas anfangen kann, sie in ein Angebot-Nachfrage-Verhältnis setzen kann – das führt jetzt zu einer soziologischen Podiumsdiskussion über den Wandel bzw. den Schwund des kulturellen Gedächtnisses, über die geringer werdende Rolle der Schrift als Bedeutungsträger und auch über die zukünftige Funktion des „Kulturschaffenden" bzw.  „Textproduzenten“.

Rainer Götz ist seit 1979 als Lektor wesentlich für die kompromisslose Linie des Grazer Droschl Verlags mitverantwortlich. Gemeinsam mit Alfred Kolleritsch redigiert er die Grazer Literaturzeitschrift „manuskripte“.

 

  1. Textarbeit: Am Anfang war das Wort. Das war damals schon schöpferische Arbeit. Und es ist immer wieder Arbeit, das treffende Wort, den angemessenen Ausdruck, die präzise Formulierung zu finden.
  2. Lust: Zu lesen ist die Quelle meiner Vitalität, zu schreiben meine elementare Möglichkeit, mich mit der Welt zu teilen. Mit Texten zu sein, entspricht dem Atmen: Ich tue es, weil ich nicht anders kann. Aber ich atme lustvoller, tiefer und freier im sommerregendampfenden Wald, als an der berufsverkehrsverstopften Innenstadtkreuzung. 
  3. Frust: Zu selten gehorcht der Kopf, der bockige Teufel, dem Befehl, den er sich selbst erteilt: Finde das treffende Wort, den angemessenen Ausdruck, die präzise Formulierung!
  4. und 5. Angebot/Nachfrage: Vorhanden. Beides. Dass das Bedürfnis nach einem bestimmen Text vorhanden war, merkt man allerdings erst, wenn der Text es gestillt hat.
  5. Zukunft: Ja. Warum denn auch nicht? 

Irene Heisz war langjährige Mitarbeiterin der Tiroler Tageszeitung und arbeitet jetzt als freie Journalistin. Hörenswert: ►http://www.zu-heisz.com/

 „Ich bin neugierig, was für Beiträge Du auf Deine Umfrage hin bekommst, von mir wird leider keiner dabei sein (mein Favoriten-Stichwort, neu hinzugefügt, wäre: Zeitnot). Wie geht's Dir und Euch, da unten? Herzliche Grüße von oben rechts“

Ja, liebe Julia Ketterer, so ist das, wenn man als Lektorin für Suhrkamp arbeitet, ich habe es mir beinah gedacht. Thomas Bernhard und Siegfried Unseld gehen eben vor, schon klar. Und da sind dann noch die vielen anderen… Wir da unten wünschen uns, dass sich oben rechts alles zum Besten wendet.

Textarbeit: Hütet Euch vor Menschen, die gerne schreiben. Für wen Schreiben nicht die abgerungene Form ist, wie er sich ausdrücken kann, der sollte lieber auf Partys gehen anstatt am Schreibtisch zu sitzen. Die Sprache ist die Zuchtmeisterin aller Schreibenden, die den oft amorphen Gedanken eine Form gibt. Beglückend, wenn ein Satz gelingt, frustrierend, wenn der Text keine Gestalt annehmen will.  
Lust: Es gibt sie, die Lust am Kürzen. Allerdings nur bei Fremdtexten. Da ist die Distanz groß genug, um Texte mit Vergnügen zu komprimieren. Beim Verdichten eigener Texte denkt man stets, da steht ohnehin nur noch das Skelett, das Fleisch ist längst ab. Stimmt aber nicht.
Frust: Nicht schreiben zu können, weil man mit bürokratischen Redaktionsarbeiten zugeschüttet ist. Es gibt Journalisten, die werden besser, je weniger Zeit zum Schreiben sie haben. Die sind für den Beruf geschaffen. Es gibt aber auch genug Schreibende, die unter Stress nicht besser, sondern nur nervöser werden. Zu denen gehöre ich.
Angebot: Glauben Sie keinem Verleger (egal ob Buch- oder Zeitungsverlag), der behauptet, täglich so und so viele Manuskripte angeboten zu bekommen. Das ist einer der am liebsten gepflegten Mythen der Branche: Das Stöhnen der Lektoren und Redakteure über die Flut an Einsendungen. Allein, ich glaub’s nicht. Im digitalen Zeitalter weniger denn je.
Nachfrage: Wenn Sie etwas nicht verstehen, fragen Sie nach! Diese Art der Nachfrage gehört unbedingt zur Jobdescription des Redakteurs. Besser blöd gefragt, als gescheit gescheitert.
Zukunft: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist.“ Nestroys Philosophie gilt wohl auch für das Internet. Der Beruf des Zeitungsredakteurs wird sich ändern (müssen), aber es wird ihn weiter geben. Den Literaturredakteur, so wie ich ihn gegeben habe, hat keine Zukunft mehr. Aber es wird stattdessen etwas anderes geben. Denn die Literatur ist stärker als die (gedruckte) Zeitung und wohl auch als das (gedruckte) Buch.

Harald Klauhs ist Literaturkritiker, seit 1996 Redakteur in der Wochenendbeilage „Spectrum“ der Tageszeitung „Die Presse“.

Textarbeit: Als Cheflektor für übersetzte Belletristik bei Gallimard bedeutet Textarbeit für mich: Übersetzungen lektorieren. Und das kann abhängig von der geleisteten Vorarbeit des Übersetzers große Freude und wenig Mühe oder viel Ärger und sprachliches Flickwerk bedeuten. Als Autor bedeutet es für mich, Zeit für das gerade sich schreibende Manuskript zu finden. Und dann erscheint es nie wie Arbeit, auch wenn ich stundenlang an einem Absatz sitze.
Lust: Texte anderer zu bearbeiten ist immer eine Herausforderung. Lust hat hier mehr mit Neugierde zu tun. Lust, eigene Welten zu erschaffen, entsteht aus psychisch mysteriösen Prozessen. Man gibt sich zuerst der Lust hin, schöpft aus dem Vollen, dann kommt die Arbeit.
Frust: Beim Lektorieren: wenn man das Ziel nicht erreicht. Korrigieren, Redigieren und Lektorieren ergeben nicht immer einen zufriedenstellenden Text. Frust beim eigenen Schreiben ist mir unbekannt, oder beinahe: Ich schreibe einfach so lange, bis ich mit dem Satz, dem Abschnitt, der Seite glücklich bin. Bis ich den Ausdruck gefunden habe, den ich wirklich wollte.
Angebot/Nachfrage: Als Verlagslektor darf man nie vergessen, dass der Leser keine Nachfrage hat. Literatur lebt vom Angebot, von Vorschlägen. Andere Welten, neue Stimmen, überraschende Geschichten. Als Autor habe ich nur mich selber anzubieten. Auf Literaturfestivals oder Signierstunden fühlt man sich manchmal wie ein “Angebot”, der Leser / Kunde wiegt uns ab wie ein Stück Fleisch beim Metzger, kauft uns oder auch nicht. Ein unangenehmes Gefühl.
Zukunft: Literatur wird immer nebensächlicher in unserer Gesellschaft. Aber der Bedarf nach Erzählen und Geschichten ist tief im Mensch verwurzelt. Deshalb sehe ich der Zukunft mit einer Mischung aus Bedenken und mäßigem Optimismus entgegen.

Jean Mattern arbeitet derzeit an seinem vierten Roman, sein erster, Im Király-Bad, ist 2010 auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen. Ich gebe zu, dass ich das übersehen habe. Ein Lektüreversäumnis lässt sich aber immer nachholen.

Textarbeit: heißt für Sprachen-LehrerInnen Schul-Arbeit, für SchülerInnen punktuell Schularbeit, aber auch Hausübung oder Referat.
Lust: am Textarbeiten wächst bei pointierten, tiefgründigen SchülerInnenarbeiten in lichte Höhen.
Frust: keimt auf, wenn SchülerInnen textüberarbeitungsresistent oder notorisch minimalistisch sind.
Angebot: an SchülerInnentexten ist je nach Fleiß der Klasse groß oder klein.
Nachfrage: von mir bleibt konstant hoch und konsequent, weil es ja praktisch jede Stunde eine Hausübung gibt.
Zukunft: Ich wünsche mir, dass wir uns nicht von Bildungsstandards, PISA & Co versklaven lassen, denn dort gibt es für individuelle Schreibaufgaben und kreative Texte keine Daseinsberechtigung.

Verena Nägele ist AHS-Lehrerin für Deutsch und Musik sowie Pressereferentin der AHS-Gewerkschaft.

 „Ich bin leider nicht imstande, auf solche Anregungen zu reagieren. Da fällt mir einfach nichts ein. Höchstens Banalitäten, mit denen ich Sie verschonen möchte, tut mir ehrlich leid, herzlich Martin Pollack“

Dennoch: Es gibt viel von Martin Pollak zu lesen, sowohl das, was er übersetzt, als auch jenes, was er als Autor verfasst hat – und es ist nie banal. Die Anfrage an ihn wollte nur ein Anstoß an die LeserInnen sein.

Textarbeit … ist Basteln mit Wörtern, Freude an der Sprache.
Für mich bedeutet Textarbeit im beruflichen Kontext aber vor allem Arbeit mit Menschen und deren Texten. Ich begleite und unterstütze andere dabei, authentische und gute Texte zu schreiben oder zeige ihnen, wie’s geht, was dabei zu beachten ist. Da ist Einfühlungsvermögen in fremde Gedankenwelten genauso wichtig wie Schreibkompetenz und Erfahrung im Umgang mit Texten.
Lust … empfinde ich, wenn ich zusehen darf, wie Texte langsam entstehen und immer weiter wachsen, wenn ich quasi „Geburtshelferin“ bin. Außerdem bereitet es mir große Freude, anderen Menschen Lust aufs Schreiben zu machen.
Frust … erlebe ich, wenn ich selbst aufgrund eines vollen Terminkalenders zu wenig zum Schreiben komme. Es ist schwierig, andere zu etwas zu ermutigen, wozu man/frau sich selbst nicht die Zeit nimmt! Ein weiterer Frustfaktor: wenn ich miterlebe, wie Menschen, die gerne schreiben würden, sich nicht trauen, weil sie (früher einmal) schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Kränkungen durch verletzendes oder inadäquates Feedback auf eigene Texte führen oft Jahre oder Jahrzehnte später noch zu Schreibblockaden.
Angebot … erstreckt sich von Schreibcoaching über offene Schreibangebote (z.B. „Schreib-Nächte“ mit kreativem, geselligem Schreiben) bis zu Schreibseminaren für Studierende, Schreibbegeisterte oder Firmen.
Nachfrage … nach Schreibcoaching und Unterstützung im Bereich wissenschaftliches Schreiben ist genügend vorhanden. Meist ist sie gerade so groß, dass ich sie gut bewältigen kann.
Einen anderen Teil meiner Arbeit bilden Seminare zum beruflichen Schreiben, die von Firmen gebucht werden. In Zeiten von Informations- und Textflut durch digitale Medien werden gute Texte klar zum Wettbewerbs-Vorteil und Schreibkompetenz daher immer wichtiger, was Firmen vermehrt dazu veranlasst, ihre Mitarbeitenden diesbezüglich zu schulen.
In Zukunft … wird der Unterstützungsbedarf im Bereich wissenschaftliches Schreiben weiter steigen. Einerseits müssen seit kurzem auch SchülerInnen vorwissenschaftliche Arbeiten schreiben, andererseits bilden sich auch Erwachsene häufiger fort. Viele  Weiterbildungslehrgänge verlangen inzwischen wissenschaftliche Abschlussarbeiten, was für manche Menschen eine große Hürde darstellt – v.a. für jene, die ihre Schul- oder Studienzeit schon lange hinter sich haben.
Eine weitere Entwicklung gibt es auf dem Sektor des kreativen Schreibens: Das Potential kreativer Tätigkeiten wurde in den letzten Jahren (wieder) neu entdeckt. Immer mehr Menschen beschäftigen sich seither auch mit kreativem Schreiben, um Ideen zu entwickeln oder ihre Kreativität insgesamt zu fördern. Die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten wird größer.

Alexandra Peischer ist Supervisorin und Coach, Erziehungswissenschaftlerin, Gestaltpädagogin, 
Unternehmens-, Lebens- und Sozialberaterin – und all das verbindet sie mit dem Schreiben. Nähere Informationen dazu gibt’s auf ►http://www.peischer.net/ und ►http://www.schreibraum.com/. Außerdem steuert sie einen Literatur-Tipp bei: Susanne Diehm/Michael Firnkes (Hrsg.): Die Macht der Worte. Schreiben als Beruf. Heidelberg: Verlag mitp 2013

 

„Vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich fürchte aber, ich kann Ihnen da nicht weiter helfen: Ich bin schon länger nicht mehr als Agent tätig, sondern arbeite jetzt als Pädagoge mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Alles Gute für Ihre Umfrage, beste Grüße aus München“

Ulrich Pöppl gründete Ende 1997 gemeinsam mit Carmen Pinilla die Literaturagentur Pinilla & Pöppl in München. Pinilla hatte vorher für Carmen Balcells‘ Literaturagentur gearbeitet, über die die großen spanischen und lateinamerikanischen Autoren – Cela, García Márquez, Vargas Llosa – auch nach Deutschland vermittelt wurden. 2008 kehrte Pinilla zurück nach Barcelona und arbeitet seither als Scout unter anderem für Suhrkamp.

Textarbeit ist Schwerstarbeit – schweißtreibend, langwierig, nervig und wenig angesehen. Wer noch irgendetwas zu verlieren hat, bekennt sich unter keinen Umständen dazu. Die Hochnäsigkeiten vereinzelter Nachfragen verursachen Schwermut, und die in derartiger Verfassung abgegebenen Angebote belegen die schamloseste Selbstverachtung eines ganzen Berufsstandes. Ein Blick in die Zukunft verspricht rein gar nichts. 
Es ist zum Aufgeben. 
Wäre da nicht die überlebenswichtige Notwendigkeit, ab und zu etwas zu verschriftlichen. Sei‘s aus purer Lust oder darum, dem Frust einer Nicht-Stellungnahme zu entgehen. 
So wie eben gerade jetzt.

Thomas Parths Verlag editiones „gestaltet, schreibt und recherchiert auch Ihre Print-Produkte (Bücher, Firmen- und Geschäftsberichte, Präsentationsbroschüren, Zeitungen, Magazine usw.)“; soweit der Service. Dieser Verlag produziert aber vornehmlich auch seine Bücher, und die sollten Sie, werte LeserInnen, unbedingt kaufen, lesen, bestaunen, schenken. ►http://www.editiones.com/

Meeresgrund
Da ist ein Text, der in mir arbeitet, schon ein Leben lang. Er hat sich auf verschiedenste Weise manifestiert und nach und nach Gestalt angenommen. Begonnen hat er damit bei den Lektüren, die mich von Kind an begleiteten. Es gibt ein Foto, auf dem ich, bei einer Wanderung mit der Familie in den Bergen, auf einer Bank Rast machend, in mein Buch versunken dasitze, die Beine angewinkelt, die Schönheit der Welt rundum vergessend, als ganze im Text konzentriert.
//Schnitt//
Später dann das Studieren der Texte anderer, die Arbeit am Text von anderen, in die ich mich hineinversetzen konnte, als wären es meine eigenen, aber eben doch nicht. Oder nur fast, mit Abstrichen. In der Folge die Arbeit am Text über andere Texte. Der Weg ließ die wissenschaftliche Analyse in den Hintergrund treten, führte hin zu einem essayistischen Zugang, der zunehmend freier und intuitiver wurde, weiterhin jedoch dem Erkennen und der Erkenntnis auf der Spur blieb. Schichten von Text und von Texten legten sich übereinander, bis jetzt eben: der ganz eigene Text. Ausschließlich Lust, ohne über die Zukunft nachzudenken, ganz dem Recherchieren, dem Ideenmäandern und dem Imaginieren und Fabulieren verschrieben. Das Angebot an Realität, an Erfahrungen und vor allem: der Blick auf den Grund meines eigenen Meeres. Die Sedimente sind übereinander gelagert, ineinander verschoben. Es ist ein Schreiben, das im Akt selbst keinen Gedanken an die Nachfrage, an den äußeren Bedarf an diesem „Gut“ verschwendet. Allerdings, wenn man andere Worte verwendet: Es ist sehr wohl ein Prozess von Geben und Nehmen, ein Austausch zwischen Außen und Innen und wieder zurück.
Frust, um auch dem letzten verbliebenen Wort seine Assoziationen zu geben: der Mangel an Zeit. Doch wie mir Dragica Rajcic, schreibende Freundin, schrieb: „was einer schreiben muss bleibt irgendwo wie in Meer am Boden drin, anderes einfach, verwandelt.“

Anna Rottensteiner
, studierte Germanistik und Slawistik in Innsbruck, war Buchhändlerin und Lektorin, ist seit 2003 Leiterin des Literaturhauses am Inn und veröffentlicht 2013 ihren ersten Roman, Lithops. Lebende Steine – eine weitere Buchempfehlung!

Textarbeit: Ist was Schönes. Vor allem, wenn man gern schreibt. Sonst vielleicht nicht.
Lust:
Wenn das Thema spannend ist und man sich verbal austoben kann. Wenn Texte richtig ankommen und das bewirken, was sie bewirken sollen. Wenn man für Textarbeit gut bezahlt wird.
Frust: Wenn man im Kopf die besten Formulierungen rumträgt, diese sich aber in schale Floskeln verwandeln, sobald man Stift oder Tastatur angreift. Und wenn das unter „Lust“ Angeführte nicht zutrifft.
Angebot: Die texterei wortgut verfasst vor allem Werbe- und Pressetexte, findet Slogans und textet für Kunstprojekte.
Nachfrage:
Manchmal leider zögerlich. Viele Werbeagenturen haben eigene Mitarbeiter, die Texte billiger schreiben. Das freut die Kunden. Zum Glück gibt es auch Kunden und Aufträge, die selbständige TexterInnen und GrafikerInnen beschäftigen. Das wiederum freut EinzelunternehmerInnen. Ein gutes Netzwerk ist wieder mal alles.
Zukunft:
Mehr schreiben. Mehr verdienen. Bekannter werden. Dann noch berühmt werden. Und aber auch so weitermachen wie bisher.

Andrea Rumpold
, studierte Germanistik und Kunstgeschichte, war Lektorin in Prag und Univ.-Ass. für Neuere Deutsche Sprache und Literatur in Innsbruck. Die texterei wortgut, entstand 2007.
http://www.wortgut.at/.

Textarbeit: … heißt Lesen, Lesen, Lesen – und natürlich Produzieren, und das ist weit mehr, als vor dem Computer zu sitzen und Buchstaben hineinzuklopfen, auch wenn man das sehr ausgiebig tut. Textarbeit beginnt lange vorher, im Kopf, beim Ideensammeln, bei der Recherche, bei ersten Strukturierungsversuchen. Dann die Rohfassung und das Tüfteln: Wörter abwägen, sie nach ihrer Bedeutung drehen und wenden, den Rhythmus finden, der passt.
Lust:
… wenn man dann nach allem Drehen und Wenden das einzig „richtige“ Wort hat, einen Satz, der stimmig ist und nur so sein kann.
Frust:
… wenn es sich bei der „praktischen Umsetzung“ spießt, sich nachträglich Fehler einschleichen und etwas, das hundert Mal Korrektur gelesen wurde, dann im Druck doch falsch ist. Wenn man im fertigen Text sofort den einen Fehler findet, den man übersehen hat. Wenn man für die Arbeit Texte lesen muss, die es einem einfach schwer machen, damit zu Ende zu kommen.
Angebot:
Übersetzungen, Besprechungen, Textkorrektur, Gebrauchstexte und solche, die wirklich Spaß machen, Moderationen
Nachfrage: … deckt sich im Großen und Ganzen mit dem Angebot, mal überwiegt das eine, mal das andere
Zukunft:
viel Zeit mit anregenden Texten, die das Denken immer wieder anstoßen und in Schwung halten

Ines Schütz, AHS-Lehrerin (Deutsch, Französisch), Moderatorin, Übersetzerin, langjährige Mitarbeiterin im Literaturhaus Salzburg, leitet seit 2013 gemeinsam mit Manfred Mittermayer die Rauriser Literaturtage.

Textarbeit ist vor allem dann Arbeit, wenn sich eher Frust als Lust dabei einstellt. Dann ist nämlich allein das Lesen schon Arbeit, und Lesearbeit gehört für mich ohnehin zu den allerschlimmsten Wörtern oder vielmehr Unwörtern. Es gibt keinen Freund, der so loyal ist wie ein Buch, hat Ernest Hemingway gesagt. Freunde sollten nichts von einem verlangen, was mit Arbeit zu tun hat. Das Angebot an Texten, deren Lektüre mir reine Freude bedeutet und die ich gerne verlegen würde, ist leider nicht so groß wie die Nachfrage, die danach durchaus bestünde, draußen auf dem Markt und drinnen in meinem Herzen. Ich fürchte, das wird auch in Zukunft so sein.

Martina Schmidt, studierte Gebrauchsgraphik und Germanistik, arbeitet seit 1991 beim Verlag Deuticke, Wien, zunächst als Lektorin, dann als Verlagsleiterin. Von 2000 bis 2003 leitete sie darüber hinaus auch ResidenzVerlag, Salzburg.

Textarbeit: Rauflustige Gewogenheit
Lust: Brust1)
Frust: Bleib robust
Angebot: Zu viel
Nachfrage: Zu wenig
Zukunft: Blühende Landschaften

1 Nein nein, schon gut: Wirkung

Oliver Vogel, ist Programmleiter für deutschsprachige Literatur im S. Fischer Verlag. Mitherausgeber der Werkausgabe Wolfgang Hilbigs und der Zeitschrift Neue Rundschau.

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