John Banville: Das Buch der Beweise (Roman) |
John Banville: Das Buch der Beweise |
Inhaltsangabe:
Frederick ("Freddy") Charles St. John Vanderveld Montgomery sitzt in Irland in Untersuchungshaft. In einem Monat wird der Prozess gegen ihn beginnen. Der Achtunddreißigjährige muss sich wegen der Ermordung eines Dienstmädchens verantworten. In seiner Gefängniszelle schreibt er auf, was geschah, vermutlich, um sich selbst klar darüber zu werden.
Ich nahm das Studium der Wissenschaft auf, um Gewissheit zu finden. Nein, das stimmt nicht ganz. Sagen wir lieber, ich wandte mich der Wissenschaft zu, um mit dem Mangel an Gewissheit besser zurechtzukommen. (Seite 25)
Freddy war immer ein Außenseiter und fiel in den USA nicht zuletzt durch das Tragen einer Fliege auf. Zufällig traf er in einer Galerie in Berkeley seine Jugendfreundin Anna Behrens wieder, und als er sie besuchte, fand er in ihrem Haus eine junge Frau vor, die er bereits auf der Party eines Professors kennen gelernt hatte: Daphne. Er blieb einige Zeit bei den beiden Frauen, bis sie eines Abends zu dritt ins Bett gingen. Nur ein einziges Mal; danach trennten sich die beiden Frauen. Daphne heiratete Freddy und verließ mit ihm die USA. Ohne viel darüber nachzudenken, gab er seine Universitätskarriere auf. Das Geld, das er von seinem Vater geerbt hatte, ermöglichte es ihnen, als Aussteiger auf einer Mittelmeerinsel zu leben. Freddys und Daphnes inzwischen sieben Jahre alter Sohn leidet an einer seltenen Gehirnerkrankung; er wird nie richtig sprechen können, niemals irgend etwas richtig können. In seiner Interpretation von Wörtern wie "leihen" und "zurückzahlen" ließ er es bedauerlicherweise sehr an Fantasie fehlen. (Seite 20) Dann erhielt Freddy ein Paket, und als er es öffnete, fand er darin ein schlampig abgeschnittenes menschliches Ohr. Tatsächlich trug Randolph bei der nächsten Begegnung einen Verband auf der linken Kopfseite. Kurze Zeit später brachte man Jerry zu Randolphs Gläubiger. Da ich durch Randolph in eine Art Vorfilm gestolpert zu sein schien, hatte ich erwartet, dass die Besetzung dieser Komödie aus lauter Schurken bestehen würde, beängstigenden Typen mit niedrigen Stirnen und kleinen dünnen Schnurrbärten, die mit den Händen in den Hosentaschen im Kreis um mich herumstehen, grässlich grinsen und an Zahnstochern nagen würden. Stattdessen wurde ich zu einer Audienz mit einem silberhaarigen Hidalgo im weißen Anzug zitiert, der mich mit einem langen festen Händedruck begrüßte und mir mitteilte, dass sein Name Aguirre sei. Sein Benehmen war höflich und enthielt eine Spur des Bedauerns. Er passte schlecht zu seiner Umgebung. Ich war in einem engen Treppenhaus zu einem schmutzigen niedrigen Raum über einer Bar hinaufgestiegen, in dem ein mit einem Wachstuch bedeckter Tisch und ein paar Korbstühle standen. Auf dem Boden unter dem Tisch saß ein völlig verdrecktes Kleinkind und saugte an einem hölzernen Löffel [...] Es roch nach gebratenem Essen. Mit einer leicht angeekelten Grimasse prüfte Señor Aguirre den Sitz eines der Stühle und ließ sich nieder. Er goss Wein für uns ein und leerte sein Glas, indem er auf mein Wohl trank. Er sei ein Geschäftsmann, sagte er, ein einfacher Geschäftsmann, kein berühmter Professor – und er lächelte mich an und verbeugte sich leicht – aber trotz allem wisse er, dass es gewisse Regeln gebe, gewisse moralische Imperative. Er dächte besonders an einen, vielleicht könne ich mir denken, welchen? Stumm schüttelte ich den Kopf. Ich fühlte mich wie eine Maus, mit der eine geschmeidige, gelangweilte, alte Katze spielt. Sein Bedauern vertiefte sich. Darlehen, sagte er sanft, Darlehen sollten zurückgezahlt werden. Das sei das Gesetz, auf dem sich der Handel gründe. (Seite 28f)
Freddy erklärte Señor Aguirre, er habe das Geld ausgegeben und müsse nach Irland zurück, um sich eine entsprechende Summe zu borgen. Als Sicherheit bestand Aguirre darauf, dass Daphne und Van auf der Insel blieben. Es war tatsächlich so, als seien wir Vater und Sohn [...], die sich zufällig in einem Bordell trafen. Befangen, traurig und leicht beschämt taten wir so, als sei alles in schönster Ordnung, machten ein Riesengetöse, stießen unsere Gläser zusammen und tranken auf die guten alten Zeiten. Aber es hatte keinen Zweck, nach kurzer Zeit stockten wir und verfielen in ein düsteres Schweigen. Dann schaute Charlie mich plötzlich an, mit einem fast blitzartig aufflackernden schmerzlichen Gesichtsausdruck, und sagte mit leiser, leidenschaftlicher Stimme, Freddie, was hast du bloß mir dir gemacht? Er schämte sich sofort und rückte angstvoll von mir ab, während er verzweifelt grinste und zur Tarnung eine Rauchwolke ausstieß. (Seite 47)
Freddys Mutter Dorothy ("Dolly") freute sich kein bisschen, als sie ihren Sohn nach so vielen Jahren zum ersten Mal wiedersah. Es war allerdings verständlich, denn er hatte sie damals in Stich gelassen und war nach Amerika gegangen, hatte geheiratet, ohne es ihr mitzuteilen und ihr kein einziges Mal ihren Enkel gezeigt. Verwundert stellte Freddy fest, dass das Stallmädchen Joanne – "breiter Hintern, breiter Busen" (Seite 57) –, das er für siebzehn hielt, das jedoch siebenundzwanzig Jahre alt war, "Dolly" zu seiner Mutter sagte und offenbar sehr vertraut mit ihr war. Es fiel ihm auf, dass die von seinem Vater gekauften Gemälde fehlten. Dolly hatte sie nach dem Tod ihres Mannes aus Not Helmut ("Binkie") Behrens verkauft. Behrens, Annas Vater, besaß Diamantenminen, ein Firmenimperium und eine berühmte Kunstsammlung in Whitewater.
Wenn Sie noch nicht erfahren möchten, wie es weitergeht,
Ich drehte mich zu ihr um. Ich hatte den Hammer in der Hand. Erschreckt schaute ich sie an. Um uns herum stieg die Stille in die Höhe wie Wasser. Nein, nicht!, sagte sie [...]
Während er weiterfuhr, hörte er sie röcheln. Vor einer roten Verkehrsampel stoppte er. Eine Frau klopfte ans Fenster und starrte in den Fond. An der Scheibe, überall war Blut. Sie dachte wohl, er fahre das Opfer eines Verkehrsunfalls ins Krankenhaus. Obwohl inzwischen die Ampel inzwischen erneut auf Rot gesprungen war, gab Freddy Gas und brachte einen von der Seite kommenden Lastwagen zum Schleudern. Helfen Sie mir, flüsterte sie. Helfen Sie mir. Eine Blutblase kam aus ihrem Mund und zerplatzte. (Seite 145)
Statt sich um die schwer Verletzte zu kümmern, öffnete Freddy den Kofferraum und warf das über dreihundert Jahre alte Gemälde fort. Dann drehte er sich um und ging. Er fuhr mit dem Bus in die Stadt und rechnete dabei jeden Augenblick mit seiner Verhaftung. In "Wally's Pub" traf er Charlie French wieder. Der väterliche Freund bezahlte ihm mehr Drinks, als er vertrug und nahm ihn dann vorübergehend bei sich auf. Ich starrte ihn erschreckt und ratlos an. Es war dies die einzige Frage, die ich mir nie zuvor gestellt hatte, nicht mit solch simpler, unumgänglicher Eindringlichkeit. (Seite 234)
Während Freddy in der Untersuchungshaft sitzt, sterben kurz hintereinander Helmut Behrens und seine Mutter. In einem sieben oder acht Jahre alten Testament vermachte Dolly ihrer Schwiegertochter Daphne etwas Geld für die Erziehung ihres Enkels und ansonsten alles dem Stallmädchen. Joanne lädt Daphne und Van ein, mit ihr zusammen in Coolgrange zu wohnen. |
Buchbesprechung:
In seinem sprachlich virtuosen Roman "Das Buch der Beweise" erzählt John Banville (* 1945) nicht ohne schwarzen Humor die fesselnde Geschichte eines irischen Aussteigers ("Ich hatte schon immer eine Neigung zur Lethargie" – Seite 55), der ohne viel Nachdenken ein sinnloses brutales Gewaltverbrechen begeht. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
John Banville (kurze Biografie / Bibliografie) |