Walter Kempowski: Tadellöser & Wolff (Roman) |
Walter Kempowski: Tadellöser & Wolff |
Inhaltsangabe:
Walter Kempowski wächst mit seiner sieben Jahre älteren Schwester Ulla und seinem sechs Jahre älteren Bruder Robert in Rostock auf. Sein Vater Karl ist Reeder und Mitglied im Verein für Rostocker Altertümer; seine Mutter Grete behauptet, aus dem im 16. Jahrhundert geadelten Hugenottengeschlecht de Bonsac zu stammen. Von Adolf Hitler versprechen sich die politisch nicht besonders engagierten, aber deutschnational eingestellten Eltern einen Aufschwung für das Deutsche Reich. Die schwarz-rot-goldene Fahne hat Grete Kempowski nie gemocht ("schwarz-rot-senf").
Gleich daneben die ausgebrannte Synagoge, mit einem zerbrochenen Davidstern am gusseisernen Tor. Anfang September 1939, bei Beginn des Kriegs, beklagt Walters Mutter sich:
Nun gehe das wieder mit den Lebensmittelkarten los, das Theater. Entsetzlich! Zum Verzweifeln!
Am 2. Oktober 1939 stirbt Großvater Kempowski. Walters Vater erbt zwar die großbürgerliche Villa in der Steintorvorstadt, aber das Anwesen ist so mit Hypotheken belastet, dass die Familie in ihrer Etagenwohnung bleibt und das Haus vermietet, um die Schulden abtragen zu können.
Zur Ausbildung war er in Ledergamaschen erschienen und in Reithosen, die noch aus dem Weltkrieg stammten. "Vater sieht aus wie'ne Schießbudenfigur", sagte mein Bruder, "nimm's mir nicht übel." Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 müssen die Kinos wegen der langen Wochenschauen die Anfangszeiten ändern. Weil Walter Kempowski Klavier spielen kann, wird er in die Spielschar der Hitlerjugend aufgenommen. Einer konnte Märsche auf dem Klavier spielen. Gruß an Kiel. Da kam ich nicht mit, ich mit meinem Schumann. "Den lass man zu Hause." (Seite 120) Im April 1942 werden der Hafen und die Altstadt von Rostock bei einem Luftangriff schwer beschädigt. Grete Kempowski hat mit ihren Kindern im Keller Zuflucht gesucht. Etwas später tasteten sich Erdmänner in unseren Keller. Das waren Heinemanns von gegenüber. Augen, Haare, alles voll Staub, die konnten kaum sprechen. "Wasser, Wasser." Alles verloren, mit Müh und Not noch rausgekommen. (Seite 137)
Plötzlich läuft Grete Kempowski nach oben, steigt aufs Teerdach und versucht, mit einer Feuerklatsche die Flammen zu löschen – bis englische Flieger sie im Tiefflug mit ihren Bordwaffen beschießen.
Robert holte uns ab.
Die zerborstenen Fensterscheiben der Wohnung werden erst einmal durch Röntgenfilme und Pappe ersetzt, denn der Glaser erwartet erst in einer Woche wieder eine Lieferung Glas.
"Was ist diss?" Er zeigte auf Sörensens Sommerhut, der auf seinem Haken hing. "Ausländerscheiße!"
Bevor der Vater an die Ostfront zurückkehrt, sorgt er dafür, dass Walter zu Tante Anna Kröger kommt, das heißt, zusammen mit rund zwanzig anderen Schülerinnen und Schülern an jedem Werktag von 13.30 bis 19.00 Uhr unter Aufsicht lernen und Schulaufgaben machen muss. Denn Walters Noten lassen zu wünschen übrig. Seit die Oberschule bei einem Bombenangriff zerstört wurde, findet der Unterricht auch für die Knaben im Lyzeum statt, aber die Lehrer achten darauf, dass Jungen und Mädchen streng getrennt bleiben. Ob das überhaupt gehe, Sörensen sei doch Ausländer ... Schließlich stehe er als Offizier im Feld. Das sollte man doch nicht vergessen. (Seite 225) Erst kurz vor Weihnachten 1942 stimmt Karl Kempowski zu, denn wenigstens handelt es sich bei dem Bräutigam um einen Nordländer. Ulla, die inzwischen Anglistik studiert hat, wechselt von Altenglisch zu Dänisch. Im Mai 1943 findet die Hochzeit statt. Der Standesbeamter fragt Ulla, ob sie es sich auch richtig überlegt habe, denn sie verliere durch die Eheschließung mit einem Dänen die deutsche Staatsbürgerschaft.
Onkel Richard erzählte von Hitler. Stahlharter Händedruck. Augen wie Friedrich der Große. Wir ahnten ja gar nicht, was der Mann für Vorräte angelegt habe. Den Krieg, den hielten wir noch Jahre um Jahre durch. Gewaltig. Alle Turnhallen in Polen beschlagnahmt. Büchse auf Büchse, ganze Türme. Nach der Hochzeitsfeier ziehen Ulla und Sven Sörensen nach Kopenhagen.
Von Michael seien schlechte Nachrichten eingetroffen. Der liege im Lazarett. Beide Beine ab. Der komme nicht mehr auf. Wenn die Eltern das gewusst hätten, denn hätten sie sich womöglich gar nicht scheiden lassen. Erst abgebrannt, dann geschieden und nun der Sohn tot. Bei Grete Kempowski wird ein Magengeschwür diagnostiziert, und die Ärzte raten ihr dringend zu einer Operation. Bleibt die Frage: Wohin mit Walter während des Krankenhausaufenthaltes? Tante Anna zieht gerade in den Schwarzwald und kommt deshalb nicht in Frage.
Und Dr. Krause? – Die Fabrik im Aufbau, die Frau im Büro. Und seine Kinder schon so lange groß, die konnte das ja gar nicht mehr.
Überraschend nimmt Frau Prüter ihn auf, die Mutter von Ulli Prüter, der ebenfalls bei Anna Kröger Nachhilfeunterricht hatte. Auf diese Weise können die beiden Jungen gemeinsam lernen. Die Operation verläuft gut: Nach vierzehn Tagen schleicht Grete Kempowski bereits wieder durch den Krankenhausflur. Zur Erholung kommt sie nach Graal, und Walter besucht währenddessen seinen Großvater de Bonsac in Hamburg. Wir wären lieber so was wie Soldaten gewesen. Deshalb kauften wir im Uniformgeschäft Luftwaffenadler und tauschten sie gegen das HJ-Abzeichen an der Mütze aus. (Seite 360)
Der Spieß empfängt die Neuankömmlinge – besonders die Oberschüler unter ihnen – mit den üblichen Wehrmachtssprüchen ("Sie stehen ja da wie ein hingeschissenes Fragezeichen!"). Peinlich wird darauf geachtet, dass die Jungen sich mit freiem Oberkörper waschen. Ob sie sich auch mal die Füße waschen, interessiert niemanden. Bei der Musterung am 22. März 1945 stellt der Arzt den noch nicht einmal sechzehn Jahre alten Walter Kempowski bis Oktober zurück: Er braucht also nicht in den Krieg zu ziehen.
Der Zug fuhr sehr langsam, er hielt genau vor meinen Füßen. Ich stieg auf das Trittbrett, und schon ruckte er an. (Er hatte keine Einfahrt gehabt.) Santa Claude, das hast du gut gemacht.
Am 25. April 1945 trifft Walter Kempowski wieder in Rostock ein. Er bleibt ein paar Tage zu Hause, dann fährt er nach Warnemünde zu seiner Einheit, aber die wurde bereits aufgelöst. "Wie isses nun bloß möglich", sagte meine Mutter. "Ich glaub', wir gehen 'rein." (Seite 400) |
Buchbesprechung:"Tadellöser & Wolff? Was soll das eigentlich bedeuten?" Na, gut dem Dinge, weiter nichts. So rede man eben in der Stadt. "Gutmannsdörfer", das sei auch so ein Schnack. Wenn man was gut finde, dann sage man einfach "Gutmannsdörfer". Oder "Schlechtmannsdörfer", oder "Miesnitz & Jenssen". (Seite 300)
"Alles frei erfunden!" heißt es vor dem Beginn des ersten Kapitels, aber es ist unverkennbar, dass vieles in diesem Roman autobiografisch ist. "Tadellöser & Wolff" ist eine von 1938 bis 1945 vorwiegend in Rostock spielende Familiengeschichte,
Bei Fredersdorf & Baade stand das Foto einer Frau im Schaufenster.
Diese zwei Sätze sind auch deshalb charakteristisch für "Tadellöser & Wolff", weil es Walter Kempowski weniger um die Familiengeschichte als um die Veranschaulichung der Vorgänge in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs geht.
Eberhard Fechner verfilmte "Tadellöser & Wolff" 1975 werkgetreu fürs ZDF. Tadellöser & Wolff - Regie: Eberhard Fechner - Drehbuch: Eberhard Fechner - Kamera: Gero Erhardt - Darsteller: Martin Kollewe (Walter Kempowski), Karl Lieffen (Karl Kempowski), Edda Seippel (Grete Kempowski), Gabriele Michel (Ulla Kempowski), Martin Semmelrogge (Robert Kempowski), Jesper Christensen (Sven Sörensen), Ernst Jacobi (Erzähler) u.a. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2005
Walter Kempowski (Kurzbiografie) |