Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere (Roman) |
Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere |
Inhaltsangabe: Der Propagandaminister -- Herr über das geistige Leben eines Millionenvolkes -- humpelte behende durch die glänzende Menge, die sich vor ihm verneigte. Eine eisige Luft schien zu wehen, wo er vorbeiging. Es war, als sei eine böse, gefährliche, einsame und grausame Gottheit herniedergestiegen in den ordinären Trubel genusssüchtiger, feiger und erbärmlicher Sterblicher. Einige Sekunden lang war die ganze Gesellschaft wie gelähmt vor Entsetzen. Die Tanzenden erstarrten mitten in ihrer anmutigen Pose, und ihr scheuer Blick hing, zugleich demütig und hassvoll, an dem gefürchteten Zwerg. Der versuchte durch ein charmantes Lächeln, welches seinen mageren, scharfen Mund bis zu den Ohren hinaufzerrte, die schauerliche Wirkung, die von ihm ausging, ein wenig zu mildern; er gab sich Mühe, zu bezaubern, zu versöhnen und seine tief liegenden, schlauen Augen freundlich blicken zu lassen. Seinen Klumpfuß graziös hinter sich her ziehend, eilte er gewandt durch den Festsaal und zeigte dieser Gesellschaft von zweitausend Sklaven, Mitläufern, Betrügern, Betrogenen und Narren sein falsches, bedeutendes Raubvogelprofil.
Der Propagandaminister geht auf den 39-jährigen Staatstheaterintendanten Hendrik Höfgen zu und präsentiert sich den Pressefotografen im Gespräch mit ihm. Dabei hasst er Höfgen, dessen Berufung der Ministerpräsidenten gegen den Kandidaten des Propagandaministers durchgesetzt hatte. Sie war unberührbar, unangreifbar; denn sie war ahnungslos und sentimental. Sie glaubte sich umgeben von der "Liebe ihres Volkes", weil zweitausend Ehrgeizige, Käufliche und Snobs Lärm machten zu ihren Ehren. Sie schritt durch den Glanz und verschenkte Lächeln -- mehr verschenkte sie nie.
Das Künstlertheater blieb literarisch -- was seinen Einnahmen schädlich war.
Zum Ensemble des Hamburger Künstlertheaters gehört auch der aus Köln stammende Hendrik Höfgen, der eigentlich Heinz heißt, aber sogar von seinen Eltern und seiner Schwester Josy mit "Hendrik" angesprochen werden will und sich sehr darüber aufregt, wenn jemand das "d" in der Mitte des Vornamens übersieht. Hendrik Höfgen ist Regisseur und Schauspieler zugleich. Neben ihm gibt es da noch seinen Freund Otto Ulrichs, der ebenso wenig wie Höfgen seine kommunistische Gesinnung verhehlt. Hans Miklas dagegen hofft auf den "Führer" der Nationalsozialistischen Partei. Ihm imponierte das Exzentrische, abenteuerlich-Fragwürdige, da er selbst aus den bürgerlichsten Verhältnissen kam.
Durch seine Kollegin Nicoletta von Niebuhr lernt Hendrik Höfgen deren Freundin Barbara Bruckner kennen. Als Nicoletta dreizehn war, starb ihr Vater in Shanghai. Kurz vorher hatte er noch seinem Freund Bruckner in einem Brief gebeten, sich um das Mädchen zu kümmern. Der Geheimrat nahm sie auf, und Nicoletta freundete sich mit ihr an. "Ohne dich muss ich ganz zugrunde gehen. Es ist so viel Schlechtes in mir. Allein bringe ich die Kraft nicht auf, es zu besiegen, du aber wirst das Bessere in mir stark machen!" Zögernd lässt sie sich auf die Verlobung ein. Hendrik Höfgen setzt seinem zukünftigen Schwiegervater, dem liberal gesinnten, toleranten Geheimrat Bruckner, leidenschaftlich seine sozialistischen Anschauungen auseinander, flucht über den "ausbeuterischen Zynismus der Bourgeoisie" und zugleich über den "frevelhaften Irrsinn des Nationalismus". Wenn er Publikum sein sollte, Mensch unter anderen, fühlte er sich befangen und oft verstört; seine Sicherheit kehrte wieder, und ward zur Siegesgewissheit, sowie er sich distanzieren, in ein grelleres Licht treten und dort schimmern durfte.
Bald darauf findet die Hochzeit statt. Die Flitterwochen verbringt das Paar mit Nicoletta auf deren Empfehlung in einem Hotel an einem der oberbayrischen Seen. Am anderen Ufer wohnt Theophil Marder, und den besucht Nicoletta fast täglich. "Verlange von dir, dass sofort zu mir kommst stopp verbiete dass dich länger als Schauspielerin prostituierst stopp männliches Ehrgefühl in mir protestiert gegen deine Erniedrigung stopp disziplinierte Frau hat bedingungslos total genialem Mann zu gehören, der sie zu sich hinaufziehen will stopp ..."
Unverzüglich gibt sie ihren Beruf auf und eilt zu dem mehr als dreißig Jahre älteren Kauz, um ihn zu heiraten. "Der revolutionäre Glaube ist für dich ein interessantes psychologisches Phänomen. Für uns aber ist er heiligster Lebensinhalt." Für Hans Miklas empfindet sie eher Mitleid, aber sie hört ihm zu und diskutiert mit ihm über seine politischen Ansichten. Als Hendrik Höfgen danach wieder mit ihr allein ist, tobt er: "Man sitzt nicht mit einem Lumpen von Nationalsozialisten den ganzen Abend an einem Tisch! Alle Nazis sind Lumpen. Man beschmutzt sich, wenn man sich abgibt mit einem von ihnen. Die liberalistischen Traditionen deines Hauses haben dich verdorben. Du hast keine Gesinnung, sondern nur eine verspielte Neugierde." Eines Abends bezeichnet Höfgen die Schauspielerin Lotte Lindenthal als "blöde Kuh". Hans Miklas verwahrt sich gegen die Beleidigung der Freundin eines führenden Nationalsozialisten. (Jeder weiß, dass Lotte Lindenthal die Geliebte eines ehemaligen Fliegeroffiziers ist, der in der Hierarchie der NSDAP ganz oben steht.) Nach dem heftigen Streit erzwingt Höfgen mit der Drohung, selbst das Ensemble des Hamburger Künstlertheaters zu verlassen, die Kündigung seines Gegners. "Liebling eines provinziellen Publikums zu sein -- ich bedanke mich schön. Lieber fange ich in Berlin von vorne an, als dass ich diesen kleinstädtischen Betrieb länger mitmache."
Durch Fürsprache von Theophil Marder, Geheimrat Bruckner und Dora Martin wird "der Professor", der berühmte Regisseur und Theaterleiter in Berlin und Wien, auf Hendrik Höfgen aufmerksam. Durch sein Sekretariat lässt er ihm 1928 die Rolle eines geckenhaften Kavaliers in einem Lustspiel anbieten, das in Wien aufgeführt wird. Obwohl Hendrik Höfgen miserabel spielt, überredet Dora Martin den Professor, ihn ans Staatstheater in Berlin zu engagieren. Die Gage beträgt zwar weniger als die Hälfte dessen, was er in Hamburg erhielt, aber Hendrik Höfgen ergreift die Chance, in der Reichshauptstadt ganz von vorn anzufangen.
"Es bereiten sich hier Dinge vor, die mich entsetzen -- und das Schaurigste ist, dass die Menschen, mit denen ich Umgang habe, die Gefahren nicht zu bemerken scheinen. Man ist geschlagen mit Blindheit."
Barbara zieht sich von ihm zurück und kommt immer seltener nach Berlin. Hendrik Höfgen schickt Juliette Reisegeld und mietet ihr ein Zimmer in einer entlegenen Berliner Gegend, wo er sie jede Woche heimlich besucht. "Es bedeutet eine so große, große Freude für mich, mit Ihnen spielen zu dürfen. In den letzten Jahren habe ich gar zu viel unter den Manieriertheiten meiner Partnerinnen zu leiden gehabt. Dora Martin hat die deutschen Schauspielerinnen durch das schlechte Beispiel ihres krampfhaften Stils verdorben -- das war kein Theaterspielen mehr, sondern hysterisches Gemauschel. Und nun höre ich von Ihnen wieder einen klaren, einfachen, seelenvollen und warmen Ton."
Angelika Siebert hoffte vergeblich, er würde sich dankbar für ihre Hilfe zeigen. Seit sie ihn Lotte Lindenthal vorstellte, behandelt Höfgen sie wieder wie Luft. (Sie heiratet später einen jungen Filmregisseur.) Jetzt habe ich mich beschmutzt, war Hendriks bestürztes Gefühl. Jetzt habe ich einen Flecken auf meiner Hand, den bekomme ich nie mehr weg ... Jetzt habe ich mich verkauft ... Jetzt bin ich gezeichnet!
Bei einer Abendgesellschaft des Fliegergenerals "im kleinen Kreis" lässt nicht nur dieser, sondern auch der Propagandaminister sich mit dem erfolgreichen Staatsschauspieler zusammen fotografieren. Im Lande musste eiserne Zucht herrschen, und möglichst viele sollten hingerichtet werden. Was seine engere Umgebung betraf, war der große Mann liberal.
Da bittet Hendrik Höfgen auch für Otto Ulrichs. Und tatsächlich lässt man seinen Freund frei, gibt ihm sogar ein kleines Engagement am Staatstheater. Otto Ulrichs sträubt sich zunächst dagegen, aber Höfgen erklärt ihm, man müsse das verhasste System unterwandern, um etwas für die kommunistische Sache zu erreichen. "Der Führer wollte die Macht, sonst gar nichts. Was hat sich denn in Deutschland gebessert, seitdem er sie hat? Die reichen Leute sind nur noch ärger geworden. Jetzt reden sie patriotischen Quatsch, während sie ihre Geschäfte machen -- das ist der einzige Unterschied. Die Intriganten sind immer noch obenauf."
Es dauert nicht lang, da wird Hans Miklas von zwei ehemaligen Kameraden abgeholt und im Wald erschossen. "Ein Autounfall", heißt es offiziell. Das neue Berliner Publikum beurteilte die Schauspieler weniger nach der Reinheit und Intensität ihrer künstlerischen Leistung als nach ihren Beziehungen zur Macht. Am Ende bemitleidet er sich selbst und weint sich im Schoß seiner Mutter Bella aus.
Frau Bella war an die nervösen Zustände ihres Sohnes gewöhnt. Trotzdem erschrak sie. Ihr Instinkt begriff, dass dieses Schluchzen andere, tiefere und schlimmere Gründe hatte als die kleinen Zusammenbrüche, die er sich häufig gönnte. |
Buchbesprechung:
"Mephisto" ist ein außergewöhnlich vielschichtiges Porträt eines Karrieristen. Hendrik Höfgen ist im Grunde kein schlechter Mensch; er setzt sich hin und wieder für Freunde ein, aber sein maßloser Ehrgeiz verleitet ihn dazu, potenzielle Förderer verlogen zu umschmeicheln, seine politischen Ideale zu verraten und sich mit führenden Nationalsozialisten zu arrangieren. Zu spät erkennt er, dass der Preis dafür sein Identitätsverlust ist. In seiner tiefschürfenden psychologischen Analyse zeigt Klaus Mann die Charakterzüge und die persönliche Entwicklung des Protagonisten vielfach gebrochen, gespiegelt, durch gegensätzliche Eigenschaften anderer Figuren kontrastiert und durch Übereinstimmungen verstärkt. Formal und thematisch ist "Mephisto" ein großer Roman. "Um es kurz zu machen, meine ich, Sie sollten den Roman eines homosexuellen Karrieristen im Dritten Reich schreiben, und zwar schwebte mir die Figur des [...] Herrn Staatstheaterintendanten Gründgens vor."
Natürlich weisen einige der Romanfiguren deutliche Übereinstimmungen zum Beispiel mit Hermann Göring, Emmy Sonnemann, Joseph Goebbels auf, und bei dem "Mephisto"-Darsteller und Intendanten des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin denkt man sofort an Gustaf Gründgens (1899 - 1963), der dieses Amt von 1934 bis 1945 ausübte und von 1926 bis 1929 mit Klaus Manns Schwester Erika verheiratet war. Ich bin genötigt, feierlich zu erklären: Mir lag nicht daran, die Geschichte eines bestimmten Menschen zu erzählen, als ich "Mephisto, Roman einer Karriere" schrieb. Mir lag daran, einen Typus darzustellen, und mit ihm die verschiedenen Milieus (mein Roman spielt keineswegs nur im "braunen"), die soziologischen und geistigen Voraussetzungen, die solchen Aufstieg erst möglich machten." Und an anderer Stelle beteuerte Klaus Mann: Dieses Buch ist nicht gegen einen Bestimmten geschrieben; vielmehr: gegen "den" Karrieristen; gegen "den" deutschen Intellektuellen, der den Geist verkauft und verraten hat. Dass er begabt ist, macht die Sache erst doppelt arg. Höfgen -- der "Typ" Höfgen, das "Symbol" Höfgen -- stellt der ruchlosen, blutbefleckten Macht ein großes Talent zur Verfügung. Für die propagandistischen Zwecke eines infernalischen "totalen Staates" lässt er zynisch etwas missbrauchen, was fast Genie sein könnte, wenn es nur moralisch von einer reineren Substanz wäre.
"Mephisto" wurde 1936 im Querido Verlag in Amsterdam in deutscher Sprache veröffentlicht. Die erste Ausgabe in Deutschland brachte der Ostberliner Aufbau-Verlag 1956 heraus. Im Spätsommer 1963 kündigte die Nymphenburger Verlagsbuchhandlung in München eine Werkausgabe von Klaus Mann an, in deren Rahmen der Roman "Mephisto" erstmals in der Bundesrepublik erscheinen sollte.
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Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2003
István Szabó: Mephisto |