MARRAKESCH IM ABSTAND EINER DEKADE ERLEBT

Reisenotizen

Autor:
Charlotte Ueckert
 

Reisenotizen

Impressionen einer Reise nach Marrakesch von Charlotte Ueckert

Überall in den Zeitungen lese ich, wie modern Marrakesch geworden ist. Eine Stadt, die auf Augenhöhe mit europäischen Metropolen kommen möchte. Treffpunkt des Jet Sets, Austragungsort internationaler Konferenzen. Luxushotels, in denen eine Nacht ab tausend Euro aufwärts kostet. Hollywoodstars, die ihren Dritt- oder Viert- Wohnsitz kaufen. Traditionelles Kunsthandwerk, aber auch moderne Kunst auf der Höhe von Tate und Sotheby’s. Ein König, der verboten hat, mehr als eine Frau zu heiraten. Auch Frauen dürfen seit 2003 eine Scheidung einreichen. Und es gibt nur noch 38 % Analphabeten!

Ich war neugierig, wie sich diese angesagte In-Stadt in den vierzehn Jahren, die ich sie nicht gesehen habe, verändert hat. Für mich war sie damals bei zwei Besuchen der Inbegriff von Exotik gewesen und ich habe mich stolz allein durch ihre Gassen bewegt, durch die phallische Gesellschaft junger Burschen, die mit den Händen in den Taschen ihrer Djellabas wer weiß woran spielten.

Wenn es Veränderungen gibt, sind sie in der Altstadt zunächst wenig zu bemerken. Wie damals prägt die farbenfrohe traditionelle Kleidung das Straßenbild. Doch Touristen werden nicht mehr ganz so aggressiv bestürmt. Hat man die ersten Fragen abgewehrt, gelingt es sogar, sich in Ruhe in den Läden umzusehen. Auch „heimliche Führer“ bieten sich nicht mehr verstohlen an. Das ist jetzt noch strenger verboten als damals. Verändert hat sich die Vermehrung der Kopftuchgesellschaft. Auch schwarze Ganzschleier sieht man, junge Mädchen in Jeans, aber bunten Köpfen. Und viele junge Männer in schwarzen Soutanen, einem frommen Käppi und Vollbart.

Auf dem Djemma el Fna glühen die Karbidlampen und dampfen die Garküchen wie eh und je. Alles noch da, wie es das Weltkulturerbe fordert: Schlangenbeschwörer und Märchenerzähler, Trommler und Hennamalerinnen, Handleser und Akrobaten. Menschenkreise, die sich knäulen und wieder auflösen. Die sich in langen Gewändern und Turbanen in Gruppen oder einzeln über die Leinwände des Marrakesch-Malers Hans –Werner Geehrts bewegen, in dessen Haus in der Medina es manchmal zugeht wie in einem Taubenschlag. Er wurde dort in den sechziger Jahren sesshaft. Mancher prominente Kunstsammler kauft bei ihm, aber auch Touristen mit einer Empfehlung. Der alte Mann kann schroff sein, gerade auch zu Freunden, Gästen, Käufern und Journalisten und wer ihn warten lässt, wird schnell beschimpft. Er sitzt stockbewehrt auf einem Stuhl in seinem Atelier und lässt die potentiellen Käufer in seinen Bilderhaufen stöbern, die alle etwas von Marokko in sich bergen. 5oo Euro die kleinen, 1500 die großen, so lauten seine Pauschalpreise. Je größer die Fülle umso schwieriger wird die Auswahl und umso länger hat er Gesellschaft, kann reden und provozieren. Bei ihm eingeladen und von seiner Haushälterin bekocht zu werden, ist ein Fest. Die Veränderungen in der Stadt sind immer wieder sein Thema.

In der Medina rings um sein Haus wird überall renoviert und ein Hotel nach dem anderen entsteht. In den Privathäusern bleiben die Fußböden mit Farbe bekleckert und die Wasseranschlüsse falsch verschraubt. Macht nichts, der Staub wird sowieso alles bedecken, die Spatzen ihn verteilen.

Geblieben sind die Lautsprecher-Muezzin und die strömenden Beter in die Moscheen, die immer noch keine Ungläubigen einlassen wollen.

Auch mir fallen Unterschiede auf: es sind weniger Frauen auf dem Markt, die etwas verkaufen wollen, und sehr viel weniger Schwarze als früher. Ist Marokko nicht mehr ein Ziel oder Durchreiseland für die Schwarzafrikaner aus Niger, Mali oder den Küstenländern? Oder sind die Kontrollen an der südlichen Grenze stärker? Verschwunden sind auch die vielen Gnaua-Musiker, die mit ihren traditionellen roten Hüten nur noch als Fotoobjekt da stehen. Ihre betörenden Klänge hört man selten auf dem Platz, dafür in den Hotels und Clubs. Festivals wie das im Juni jährlich in Essaouira statt findende haben zu ihrem Ruhm beigetragen und nun machen sie sich rar.

Es gibt weniger Anmache der Touristen, aber wenn, dann aggressiver verfolgt. Irgendwann ermüdet der Tourist und muss sich schützen, man hat keine Lust mehr zu antworten und weiß auch, es ist egal, ob man Engländerin oder Deutsche ist, ob man aus München oder Hamburg kommt, ob die Frau des Händlers Deutsche ist oder nicht und es ist auch nicht immer interessant, ganz genau zu wissen, wie alle die Farben heißen und wie Tücher gefärbt werden, wenn alles darauf hinaus läuft, dass man etwas kaufen soll. Fast alle Waren, die hier zu erhandeln sind, kann man auch in Europa kaufen, wo sich spezielle Märkte darauf spezialisiert haben. Doch die Faszination der Marktstände und Souks besteht auch im Zeitalter von globalem Handel und Internet.

Ich lasse meinen Berberschmuck baumeln, den ich mir vor vielen Jahren gekauft habe und der mir zu Hause nur lästig ist. Hier bewahrt er mich vor Neukäufen.

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