MARRAKESCH IM ABSTAND EINER DEKADE ERLEBT

Reisenotizen

Autor:
Charlotte Ueckert
 

Reisenotizen

Impressionen einer Reise nach Marrakesch von Charlotte Ueckert

Der ehemalige Sklavenmarkt Place Rhaba Kedima ist zumindest tagsüber in Frauenhand. Sie sitzen am Boden oder auf kleinen Hockern, überwiegend alt und mit einem Schleier auf oder unter der Nase und verkaufen geflochtene Körbe. Auch selbstbewusst Henna-Tätowierungen, abwaschbar für die Touristinnen, und Wahrsagekarten. Überall in der Medina überwiegt traditionelle Kleidung, auch bei jungen Männern, die mit dem Motorrad heranbrausen. Die jungen Marokkanerinnen, oft in männlicher Begleitung, gehen nicht Händchen haltend, sondern eingehakt wie seriöse alte Ehepaare, aber nebeneinander auf gleicher Höhe. Die Männer weltlich in T-Shirt und Jeans. Die Frauen fast alle mit eng anliegendem Kopftuch. Nicht alle Frauen in Marokko tragen Kopftuch, vor allem nicht in den modernen Vorstädten und Büros. Aber die es tun, dulden keine Nachlässigkeit. Nonnenhaft streng ist ihr Haar verborgen. Selten hängt ein kleiner Zipfel der Nachlässigkeit in die Stirn. Und sehr viel mehr als vor 14 Jahren zeigen nur ihre dunkel brennenden Augen. Nur manche Alte haben den Nasenschleier nach unten geschoben. Obwohl das sicher zu ihrer Erleichterung geschieht, sehen sie aus, als sei ihnen der Atem abgeschnürt. Die freizügig gekleideten Europäerinnen zeigen, ob alt oder jung, wogende Busen und braungebrannte Beine wie in Paris oder Berlin. Ob es jemanden aufregt, werden wir nicht erfahren. Die jungen Burschen in den Shops bringt es jedenfalls nicht aus der Ruhe.

Einer Freundin wurde am ersten Abend das Portemonnaie geklaut. Es gab ein Hin und Her im Taxi, ein paar Burschen, die uns bis vor das Haus in der Altstadt brachten, sie zahlte und merkte erst am nächsten Morgen, dass ihr Geld weg war, noch schlimmer, auch ihr Ausweis und die Kreditkarte. Wir liefen von der Touristenpolizei, wo uns zwei junge Männer zwar anhörten, aber abwimmelten, weil sie für uns, zu Besuch in einem Privathaus, nicht zuständig waren. Wir landeten bei einer Behörde, die nur Dokumente beglaubigte und wurden wieder weiter geschickt. „Ich muss doch eine Anzeige machen, damit sie mir in Deutschland glauben, wenn ich einen neuen Ausweis beantrage!“, rief die Freundin erschreckt, als sie auch bei mir Lustlosigkeit spürte. In der örtlichen Polizei hieß es dann: „Warten Sie.“ Immerhin waren wir hier richtig.

In Zukunft glaube ich nur noch an Chefs. Ein schlanker Mann in dunklem Anzug und Krawatte kam vorbei, geflissentlich versammelten sich die Jeansträger um ihn. Ich schoss auf ihn zu, die Freundin mit ihrem guten Französisch erzählte und dann ging alles sehr schnell. Sie lief zwar nicht mit dem Portemonnaie, aber mit einem beeindruckenden beglaubigten Dokument in der Tasche in unser Altstadt-Zuhause. Der Chef persönlich hatte ihre Anzeige aufgenommen, alles aufgelistet, was ihr fehlte, mit einem Finger in den Computer getippt. Alle seinen jungen Männer, die ja etwas lernen wollten, standen um ihn herum und riefen, als sie kapierten, dass wir Deutsche sind, „Schweinsteiger, Mueller, Philipp Lahm!“ Unser aller Fußball.

Wo leben die Marokkaner? Hinter den Einkaufssouks liegen die Dars, die Häuser und Rhiads, die Gartenpaläste mit Schwimmbädern im Innenhof, die reichen Privatleuten gehören oder Hotels sind. Zwischen der Pracht kleine unauffällige Türen, die nur gebückt zu betreten sind, rumpelige Dächer, auf denen Wäsche flattert. Ja, dort noch. Aber es ist wohl wie in allen Städten: die Bevölkerung strebt in moderne Wohnviertel außerhalb und das alte Gemäuer wird touristisch erschlossen. Morgens und abends knattern Heerscharen von jungen Männern zum Arbeiten in die Stadt, auf altmodischen Motorrädern eng kurvig an den Touristen vorbei. Wer ausweicht, kann leicht auf einen anderen Kurvenden treffen.

Wem die Gassen in Marrakesch zu eng werden, die Plätze zu laut, die Mofas in den Souks zu gefährlich, der sollte einen Ausflug nach Essaouira machen, wo sich ein Flair von Südeuropa wohltuend mit dem Orient mischt. Sandstrände, Fischerhafen und freier Meerblick bilden das Marrakesch-Kontrastprogramm, das ein Auf- und Durchatmen zulässt. Ein anderes Stück Marokko wird bei der Fahrt sichtbar: Vorstädte, Industriegebiete, Landwirtschaft, aber auch Steppe, Mandelbäume und Wüstengeröll in den berühmten gelb-roten Schattierungen. Und dann die lebendige Küstenstadt.

Oder man fährt in die Berge, ins Ourika-Tal oder nach Imlil, in die Nähe des Toubkal, des höchsten Berges im Hohen Atlas. Mutige Leute mit Zeit fahren darüber hinaus zu den Kasbahs des Südens und den Wüsten, die in den Träumen eines jeden Europäers als doppelgesichtige Sehsuchtsorte existieren, Durst und Üppigkeit verkörpernd.

Wir aber kehren in unser Dar in Marrakesch zurück und freuen uns auf den Rotwein, den wir auf der Rückfahrt in der Vorstadt erstanden haben. Der ist in der Medina immer noch nicht zu kaufen, in keinem Laden oder Restaurant.

Ein Ausflug zu Fuß führte uns in die Menara-Gärten. Ich hatte davon vorgeschwärmt, aber sie erwiesen sich als Enttäuschung. Zwar hebt sich das Atlas-Gebirge nach wie vor über den kleinen Palast, der am Wasserbecken steht, aber die Palmen drum herum stehen nur noch vereinzelt, traurige Strünke geben auf keiner Seite Schatten. Teilweise ist das Wasserbecken von einer Bühne abgedeckt. Knutschende Pärchen verstecken sich dort. Die Mädchen ziehen dann keusch ihr Kopftuch zurecht, wenn Fremde sie erblicken. Gegenüber dem Palast, auf dessen Terrasse sich die Touristen drängeln, erheben sich Tribünen. Ein Ort für Spektakel, Schau. Der Olivenhain ist voll mit Erntearbeitern. Kein Sultan kommt auf dem Pferd heran geprescht. Sondern der König, falls er es ist, wird mit dem Hubschrauber zu einer Weltwirtschaftskonferenz im nahen Mamounia-Hotel angeflogen. Uns war der Eintritt verweht worden, zuerst weil wir angeblich nicht zur richtigen Zeit zum Kaffeebesuch kamen, dann aber weil wir nicht angemessen genug gekleidet waren.