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DRACULABram Stoker![]()
Abraham Stoker wurde am 24. November 1847 in Clontarf bei Dublin geboren. Schon als Kind war er sehr kränklich und von schwacher Konstitution, was sich später legte, je älter Stoker wurde.
Der junge Anwalt Jonathan Harker reist auf Empfehlung seines Dienstherren Peter Hawkins nach Transsylvanien, wo er dem Grafen Dracula behilflich sein soll, der in London Grundbesitz erwerben möchte. In Bistritz steigt er auf Anraten des Grafen im Hotel Goldene Krone ab, wo der Besitzer ihm einen Brief seines Auftraggebers aushändigt, in dem Jonathan in Transsylvanien, der Heimat Draculas, Willkommen geheißen wird. In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai, in der St. Georgsnacht, soll der Anwalt am Borgopass von der Kutsche des Grafen abgeholt werden. Die Mitreisenden, die Jonathan Harker in der Postkutsche zum Borgopass begleiten warnen den jungen Engländer eindringlich vor Dracula, der bei den Einheimischen gefürchtet ist. Doch Jonathan Harker ist ein aufgeschlossener, moderner und vor allem pflichtbewusster junger Mann, der die Warnungen in den Wind schlägt. Als jedoch die schwarze Kutsche des Grafen vorfährt und der schwarzgekleidete Kutscher, dessen großer Schlapphut ihm tief ins Gesicht hängt, vor ihm steht und ihn mit ungewöhnlich großer Kraft am Arm packt wird auch ihm bang ums Herz. Wölfe begleiten die Kutsche auf ihrer abenteuerlichen Fahrt zu Schloss Dracula, wo Jonathan vom Grafen persönlich in Empfang genommen wird. Dracula ist ein älterer Mann von leichenhafter Blässe, glattrasiert bis auf einen buschigen Schnurrbart. Seine Zähne sind spitz und lang, die Innenflächen seiner Hände sind stark behaart. Der Graf ist eine unheimliche Erscheinung, die zudem nur nach Sonnenuntergang in Erscheinung tritt und im Beisein von Jonathan keinerlei Speise oder Trank zu sich nimmt. Harker indes darf sich im Schloss frei bewegen, darf aber nur in jenen Räumen schlafen, die unverschlossen sind. Als er dieses Verbot eines Abends übertritt begegnet er drei wunderschönen, wollüstigen Frauen, die ihn küssen und von seinem Blut trinken. Dracula erscheint wie ein leibhaftiger Dämon aus der Hölle und weist seine drei Bräute in die Schranken. Damit sie nicht leer ausgehen übergibt er ihnen einen Bündel aus dem sich die Hand eines Säuglings reckt. Einige Nächte darauf erscheint eine Bauersfrau vor den Toren des Schlosses und sucht ihr Kind. Dracula hetzt das Rudel Wölfe auf sie, die das Schloss bewachen. Allerlei Seltsames beobachtet Jonathan Harker, der mittlerweile ein Gefangener auf Schloss Dracula ist. Sein Bild zeigt sich nicht in einem Spiegel, vor dem heiligen Symbol des Kreuzes schreckt er zurück, er kann wie eine Fledermaus an der steilen Wand des Schlosses hinabkriechen und ruht tagsüber in einem Sarg. Seine körperliche Kraft ist ungeheuer und er besitzt Macht über die Wölfe. Er zwingt Jonathan vordatierte Briefe zu schreiben, in denen er seinem Dienstherren Peter Hawkins, seiner Verlobten Mina und seiner Familie mitteilt noch länger in Transsylvanien zu verweilen. Jonathan ahnt, dass der Graf beabsichtige ihn zu töten. Der macht in Jonathans Kleidung immer wieder Ausflüge, bei denen er seine Reise nach England vorbereitet. Auf dem russischen Schoner Demeter fährt Dracula von Varna nach Whitby, England. Im Gepäck befinden sich 50 große Kisten, gefüllt mit Erde. Auf dem Meer ist das Schiff von einem dichten Nebel umgeben und nacheinander verschwindet die Mannschaft spurlos bis die Demeter führerlos am Strand von Whitby aufläuft. Am Steuerrad ist ein Toter angebunden, der Kapitän selber, der umfangreiche Aufzeichnungen zurückgelassen hat. Es wird beobachtet wie ein großer Hund von dem gestrandeten Schoner an Land springt und spurlos verschwindet. Währenddessen befindet sich Mina Murray, die Verlobte von Jonathan Harker, bei ihrer Freundin Lucy Westenraa in Whitby. Lucy hat sich erst kürzlich mit Arthur Holmwood verlobt, nachdem sie zwei weitere Anwärter, den jungen Arzt Dr. John Seward, der eine eigene Irrenanstalt leitet, und den Amerikaner Quincey P. Morris abgewiesen hat. In Whitby beginnt Lucy vermehrt zu Schlafwandeln. Dabei beobachtet Mina eines Nachts wie sich eine große, schwarze Gestalt mit rotglühenden Augen über Lucy beugt. Als Mina die Freundin erreicht, um sie wieder ins Haus zu bringen, bemerkt sie zwei kleine, punktförmige Wunden an dem Hals von Lucy, schenkt diesen aber keine weitere Beachtung, denn sie glaubt diese selbst verursacht zu haben, als sie einen Schal um den Hals der Freundin geschlungen und befestigt hat. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine sonderbare Schwäche von Lucy Besitz zu ergreifen, die ihren Verlobten Arthur Holmwood dazu veranlasst seinen Freund Dr. John Seward hinzuzuziehen. Der ist ob der Krankheit seiner einstigen Angebeteten, mit der ein unbegründeter Blutverlust einhergeht, ebenfalls ratlos und telegraphiert seinem einstigen Lehrer und Mentor Professor Abraham van Helsing in Amsterdam. Der reist sofort nach England und ordnet bei Lucy eine Bluttransfusion an. Währenddessen ist Jonathan Harker die Flucht von Schloss Dracula geglückt und in einem Hospital in Budapest in Pflege genommen worden. Schwester Agathe schreibt Mina Murray einen Brief und bittet sie zu kommen. Mina macht sich unverzüglich auf den Weg. Noch in Budapest wird die Hochzeit der beiden Liebenden vollzogen und anschließend überreicht Jonathan seiner Angetrauten sein Reisetagebuch. Zur selben Zeit kämpfen Abraham van Helsing, Dr. John Seward, Arthur Holmwood und nun auch Quincey Morris um das Leben von Lucy Westenraa. Immer wieder fällt sie leichenblass in Zustände besorgniserregender Schwäche zurück. Mittlerweile hat sie das Blut von drei kräftigen Männern bekommen und scheint doch nicht zu genesen. Als die Dienstmädchen schließlich eines Nachts bewusstlos auf dem Boden liegen und ein großer Wolf in das Haus der Familie Westenraa eindringt, bei dessen Anblick Lucys Mutter einen Herzschlag erleidet, ist den Männern endgültig klar, dass Lucys Krankheit keine natürliche Ursache hat und etwas unbeschreiblich Böses sie zur Ader lässt. Schließlich verliert Lucy den Kampf gegen die unheilige Krankheit und stirbt, doch Van Helsing ist der festen Überzeugung, dass ihr Tod erst der Anfang ist. Zeitungsartikel, in denen von einer blutigen Dame die Rede ist, die kleine Kinder fortlockt und zur Ader lässt, scheinen ihm Recht zu geben. Gemeinsam mit Dr. John Seward, Arthur Holmwood und Quincey P. Morris stattet er der Gruft einen Besuch ab, in der Lucy zur letzten Ruhe gebettet wurde. Als sie den Sarg öffnen ist die Tote verschwunden. Sie beobachten wie die tote Lucy mit einem kleinen Kind auf dem Arm zu ihrer Ruhestätte zurückkehren. Als sie die vier Männer bemerkt lässt sie das Kind fallen und versucht in die Gruft zu fliehen, doch eine vom Professor angebrachte Hostie verhindert dies. Erst als er sie entfernt verändert Lucy ihre Gestalt und schlüpft durch einen haarfeinen Spalt in der Tür in die Gruft. Dort beginnen die Vampirjäger in der darauffolgenden Nacht ihre Operation. Lucy versucht noch ihren einstigen Verlobten Arthur Holmwood mit ihren Reizen zu verführen, aber Van Helsing kann die Untote mit seinem Kreuz bannen. Schließlich schenken sie der rastlosen Seele Frieden, indem sie dem untoten Leib einen Pfahl ins Herz treiben, ihren Mund mit Knoblauch füllen und ihr den Schädel vom Rumpf trennen. Lucy ist erlöst, doch der Verursacher der teuflischen Krankheit, die Lucy zu einem Vampir machte, ist noch frei. Arthur Holmwood stellt Van Helsing Lucys Briefe und Tagebücher zur Verfügung, in denen natürlich auch ihre Freundin Mina Erwähnung findet. Die ist mittlerweile mit ihrem Mann Jonathan nach England zurückkehrt. Doch der junge Anwalt ist von den Strapazen in Transsylvanien gezeichnet, sein Haar ist grau geworden und seine körperliche Verfassung stark angegriffen. Die Harkers eröffnen ihren neuen Hausstand in Exeter bei Peter Hawkins, der kurz darauf an Altersschwäche stirbt. Van Helsing stattet den Harkers einen Besuch ab und nimmt Einsicht in Minas Aufzeichnungen und auch in Jonathans Reisetagebuch. Dadurch kommt er Dracula auf die Spur, in dem er den kampfwütigen und blutrünstigen Woiwoden aus dem 15. Jahrhundert wiederzuerkennen glaubt. Mit Hilfe von Jonathan findet er heraus, dass Dracula sein Domizil in der verlassenen Abtei von Carfax eingerichtet hat, gleich neben der Irrenanstalt von Dr. John Seward, der zur Zeit einen höchst interessanten Fall bearbeitet. Der Geisteskranke Renfield ernährt sich von Fliegen, Spinnen und Vögeln, in der Hoffnung sein eigenes Leben zu verlängern, wenn er fremdes Leben zu sich nimmt. Und Renfield erwartet begierig die Ankunft seines Meisters, denn Dracula hat bereits Macht über den schwachen Geist des Irren. Während Mina im Haus des Doktors verweilt, gehen Van Helsing und seine Gefährten daran Carfax Abbey für den Grafen unbewohnbar zu machen und die Kisten mit Erde zu zerstören, denn nur wenn Dracula in der unheiligen Erde seiner Heimat ruht kann er seine Kräfte entfalten. Doch in der alten Abtei finden die Freunde nur 29 von 50 Kisten. Zur selben Zeit geschieht jedoch weitaus Schrecklicheres, denn Dracula lässt Mina Harker zur Ader. Die Freunde sind erschüttert, müssen aber den Aufenthaltsort der restlichen 21 Kisten herausfinden. Hier erweisen sich Jonathans Kenntnisse als Anwalt als überaus nützlich. Tatsächlich können sie alle bis auf eine Kiste für den Grafen unbrauchbar machen. Dabei kommt es zu einer ersten Konfrontation mit Dracula, während der er flüchtet und dabei einen beträchtlichen Teil seines Barvermögens verliert. Van Helsing weiß jetzt, Dracula fürchtet die Zeit. Weshalb sonst seine Eile? Doch dann schlägt er grausam zurück. Er überfällt Nachts die schlafenden Harkers, und während Jonathan besinnungslos auf dem Bett liegt, muss Mina das unreine Blut Draculas trinken. Dadurch wird sie zu seiner Braut. Van Helsing, Seward, Holmwood und Morris können den Grafen zwar erneut vertreiben, doch als Van Helsing später ihre Stirn mit einer Hostie berührt, bleibt ein feuerrotes Mal zurück. Da kommt dem Professor eine Idee. Er hypnotisiert Mina und aus ihren Berichten erfährt er, dass Dracula mit der letzten ihm verbliebenen Kiste auf dem Weg nach Transsylvanien ist. Die Gefährten treffen sogleich alle Vorbereitungen, um den Grafen zu verfolgen, um Dracula endgültig zu vernichten. Während der Untote den Weg über das Meer Richtung Varna nimmt, versuchen die Vampirjäger ihm über Land den Weg abzuschneiden. Doch Dracula ist ein gerissener Gegner. Er führt seine Häscher in die Irre und geht bereits in Galatz an Land. Nun bleibt den Jägern nichts anderes übrig, als sich zu trennen. Während Jonathan Harker und Arthur Holmwood mit einem Dampfboot auf dem Fluss Richtung Schloss Dracula fahren, verfolgen Dr. Seward und Quincey Morris Dracula auf dem Landweg zu Pferde. Professor van Helsing und Mina fahren in einer Kutsche direkt zum Schloss, um den Grafen dort zu empfangen. Dort wird Mina durch die Bräute Draculas in Versuchung geführt, kann den Verlockungen jedoch standhalten. Professor van Helsing gelingt es schließlich die Blutsaugerinnen zu erlösen. Kurz darauf trifft Dracula im Gefolge mehrerer Zigeuner ein, die ihm bei seiner Flucht behilflich waren. Im Hof von Schloss Dracula kommt es zum Kampf zwischen den Vampirjägern und den Zigeunern, in dessen Verlauf Quincey Morris tödlich verletzt wird. Jonathan öffnet den Sarg und kurz bevor die Sonne untergeht, durchschneidet er die Kehle des Grafen mit seinem Kukrimesser, während Quincey ihm mit letzter Kraft das Herz durchbohrt. Der Körper des Untoten zerfällt binnen Sekunden zu Staub. Das Mal auf Minas Stirn verschwindet. Sie ist gerettet. Quincey Morris indes stirbt im Kreis seiner Freunde. Sieben Jahre später besuchen die Gefährten die Ruine des Schlosses. Jonathan und Mina haben mittlerweile einen Sohn, der die Namen all der tapferen Männer trägt, die seine Mutter vor der Verdammnis gerettet haben. Sein Rufnamen lautet jedoch Quincey. DRACULA ist nicht nur der wichtigste Vampirroman der Weltgeschichte, sondern auch das Werk, an dem sein Autor Bram Stoker am längsten gearbeitet hat, und dass ihn letztendlich auch berühmt machte. Leider erst nach seinem Tod am 20. April 1912. Bis heute ist die Faszination an der Figur und dem Roman ungebrochen. Zahlreiche Filme, Bücher, Hörspiele, Videospiele, Comics und sogar Musicals belegen das. Auch heute noch wird der Roman immer wieder in zig Sprachen übersetzt und erlebt jährlich neue Auflagen. Zum 100. Todestag von Bram Stoker veröffentlichte der deutsche Taschenbuchverlag (dtv) ein neues, schnörkellos aufgemachtes Taschenbuch in der Übersetzung von HeinzWidtmann. Ein gute Gelegenheit den berühmten Vampirroman kennen zu lernen und für sich neu zu entdecken. Denn eines ist klar, selbst die besten Verfilmungen werden dem Roman nur unzureichend gerecht und auch viele Vertonungen bleiben hinter dem Original zurück. Die Arbeit an Dracula dauerte sieben Jahre und begann im Jahr 1890. Damals stand noch gar nicht fest wie Stokers düsterer Antagonist heißen sollte. Erst als er auf die Legende von Vlad Tepes, dem Pfähler, alias Dracula, stieß kam ihm die Idee diesen blutrünstigen Kriegsherrn und Fürsten der Walachei in seinen Roman einzubauen und ihn darüber hinaus zu einer untoten, vampirischen Kreatur zu machen. Die ganze Geschichte wird in Form von Tagebucheinträgen, Briefen, Zeitungsausschnitten und Logbucheinträgen erzählt und bekommt dadurch einen pseudo-authentischen Anstrich. Stoker hat seinem Werk sehr viel Sorgfalt zukommen lassen, kein Wunder, immerhin verarbeitete er in diesem Buch viele traumatische Erlebnisse aus seiner Kinderzeit. Damals litt er an einer mysteriösen Krankheit, die ihn praktisch bettlägerig machte. Erst im siebten Lebensjahr genas er vollständig und wuchs später zu einem stattlichen jungen Mann heran, der ein ausgezeichneter Sportler war. Darüber hinaus erlebte Stoker einen Alptraum, der allgemein als Anstoß für die Arbeit an DRACULA gilt. In diesem Traum sieht sich Stoker von einer wunderschönen, bleichen Frau bedrängt, die seinen Hals küssen will und von einem bedrohlich wirkenden Mann daran gehindert wird. Um sein Werk noch realistischer erscheinen zu lassen, bezog sich Stoker auf viele tatsächliche Begebenheiten, wie die Havarie eines russischen Schoners am Strand von Whitby. Auch die Namen wurden keineswegs aufs Geratewohl ausgesucht. Jonathan Harker beispielsweise trägt den Familiennamen eines Bühnenbildners des Lyceum Theaters, dessen Manager Bram Stoker zeitweise war. Der Vorname von Professor van Helsing lautet Abraham, so wie auch Stokers Vater hieß, und schließlich ist auch sein eigener Name Bram lediglich die Kurzform von Abraham. Als Vorbild für den berühmtesten aller Vampirjäger diente ihm der ungarische Orientalist Arminius Vambery (1832 – 1913), der Stoker mit Informationen zum historischen Dracula versorgte. Der Roman ist bisweilen sehr ausschweifend geschrieben, besitzt jedoch jede Menge Lokalkolorit und ist ein fabelhaftes Zeugnis der Lebensart im viktorianischen England. Vor allem die damals sehr zurückhaltende, tabuisierende Einstellung zur Sexualität kommt hier in jeder Zeile zum tragen. Jonathan Harker und seine Verlobte Mina Murray sind das leuchtende Beispiel für Tugendhaftigkeit, Fleiß und Frömmigkeit des englischen Mittelstandes. Erst in Dracula lernen sie die dunkle, bedrohliche Seite der Sexualität kennen. Dabei ist Dracula alles andere als das Vorzeigebild des distinguierten, vornehmen Liebhaber, so wie er immer wieder gerne dargestellt wird. Auch mit den Latin-Lovers moderner Vampirromanzen hat er wenig gemein. „ … ein hochgewachsener alter Mann, glatt rasiert, mit einem langen weißen Schnurrbart und schwarz gekleidet von Kopf bis zu den Füßen; kein heller Fleck war an ihm zu sehen. (…) Sein Gesicht war ziemlich – eigentlich sogar sehr – raubvogelartig; ein schmaler, scharf gebogener Nasenrücken und auffallend geformte Nüstern. Die Stirn war hoch und gewölbt, das Haar an den Schläfen dünn, im übrigen aber voll. Die Augenbrauen waren dicht und wuchsen über der Nase zusammen; sie waren sehr buschig und in merkwürdiger Weise gekräuselt. Sein Mund, so weit ich ihn unter dem starken Schnurrbart sehen konnte, sah hart und ziemlich grausam aus; die Zähne waren scharf und weiß und ragten über die Lippen vor, deren auffallende Röte eine erstaunliche Lebenskraft für einen Mann in diesen Jahren bekundeten. Die Augen waren farblos, das Kinn breit und fest, die Wangen schmal, aber noch straff. Der allgemeine Eindruck war der einer außerordentlichen Blässe. Im Schein des Kaminfeuers hatte ich auch seine Hände bemerkt, die auf seinen Knien lagen; ich hielt sie für ziemlich zart und schmal. Nun, da ich sie in der Nähe sah, bemerkte ich, dass sie sehr grob aussahen – breit, mit eckigen Fingern. Seltsamerweise wuchsen ihm Haare auf der Handfläche. Die Nägel waren lang und dünn, zu nadelscharfen Spitzen geschnitten.“ Auch seine Berührungen dürften wenig erotisierend gewesen sein: „ … dabei war die Hand so kalt wie Eis, mehr wie die eines Toten als eines Lebenden.“ Spätestens jetzt weiß Jonathan, dass etwas nicht mit seinem Gastgeber stimmt, der darüber hinaus den Eindruck eines weltfremden Sonderlinges macht, zurückgezogen und verborgen in seinem Schloss in den Karpaten, umgeben von Wölfen. Doch eines Nachts macht Jonathan die Bekanntschaft mit den drei anderen Bewohnern des Schlosses. Drei wunderschöne Frauen, die den biederen Anwalt in Versuchung führen: „Alle drei hatten blendend weiße Zähne, die wie Perlen zwischen den Rubinen ihrer wollüstigen Lippen hervorglänzten. Sie hatten etwas an sich, das mir Unbehagen verursachte; ich verlangte nach ihnen und fühlte dennoch Todesangst. Ich empfand in meinem Herzen ein wildes, brennendes Begehren, dass sie mich mit ihren roten Lippen küssen möchten.“ Hier wird Jonathan, der Prototyp des verklemmten, asexuellen Engländers mit der unverfälschten weiblichen Erotik konfrontiert, und dass auch noch in dreifacher Form. So etwas kann nur böse und finster sein, obwohl es schon immer in den Träumen der Menschen, vor allem der Männer, vorhanden war. Christianisierung, die die Sexualität als etwas Unreines empfand, prägten das Bild der körperlichen Liebe zu der damaligen Zeit. Zumal die durch den Sexualakt übertragene Krankheiten, wie die Syphilis, diesen Eindruck noch verstärkten. Auch Dracula, dessen Biss einer doppelten Penetration gleichkommt, überträgt eine Krankheit, die das Opfer schwächt und schließlich dem Tod anheim fallen lässt. So ergeht es zunächst Minas Freundin Lucy, die nach ihrem Tod selbst zu einer Vampirin wird und noch im Dasein als Untote versucht ihren Verlobten Arthur Holmwood zu verführen: „Komm zu mir, Arthur. Lass diese anderen und komm zu mir. Mein Busen lechzt nach dir. Komm, wir ruhen zusammen. Komm, mein Gatte, komm!“ Und schließlich bricht Bram Stoker alle Tabus, als Dracula die in unschuldiges Weiß gekleidete Mina in einem brutalen Akt vergewaltigt, und zwar direkt in Gegenwart ihres bewusstlosen Mannes: „Auf dem Bett zunächst dem Fenster lag Jonathan Harker; sein Gesicht war gerötet und sein Atem mühsam, als habe ihn der Schlag getroffen. Auf der Kante des dem Fenster ferner stehenden Bettes kniete die weiße Gestalt seiner Frau. Neben ihr stand ein großer, hagerer Mann, vollkommen schwarz gekleidet. Sein Gesicht war abgewandt; aber als er sich umdrehte, erkannten wir den Grafen zweifellos, sogar die Narbe auf seiner Stirn war zu sehen. Mit seiner linken Hand hatte er Frau Minas Hände umfasst und hielt sie mit ausgestrecktem Arm weit von sich; seine Rechte umklammerte ihren Nacken und drückte sie mit dem Gesicht an seine Brust. Ihr weißes Nachthemd war mit Blut bespritzt, und Blut rann wie ein feiner Faden über des Mannes Brust, die er entblößt hatte.“ Der schwarzgekleidete Teufel entweiht und schändet die unschuldige Mina, was durch das rote Blut auf ihrem weißen Nachthemd deutlich wird. Bram Stokers Dracula hat nichts Gutes oder gar Tragisches an sich. Seine Taten als historischer Feldherr werden Professr van Helsing geachtet. Doch ansonsten lassen er und Stoker keine Gelegenheit aus, um den Grafen als dämonisches Ungeheuer dazustellen und ihn zugleich in den Augen des Leser abzuwerten, wenn in den letzten Kapiteln gehäuft von seinem Kinderverstand die Rede ist, der ihn trotz seiner überlegenen Kräfte und Fähigkeiten für seine Jäger bezwingbar macht. Er hat die Kraft von zwanzig Männern, kann in seinem Umfeld den Elemten gebieten, hat Macht über die niederen Kreaturen wie Ratten, Wölfe und Fledermäuse und kann sogar selbst die Gestalt verändern. Er kann als Nebel in Erscheinung treten, sich unsichtbar machen, kleiner oder größer werden und sich sogar in eine Fledermaus oder in einen Wolf verwandeln. Obwohl das Gute am Ende siegt, haben auch die tapferen Recken Verluste zu verschmerzen und müssen sich darüber hinaus mit den dunklen Dämonen ihrer Seele auseinandersetzen. Ob es nun Jonathan ist, der im Angesicht von Draculas Bräuten Verlangen und Wollust empfunden hat, oder Van Helsing, der sich als Mörder fühlte, als er die drei Blutsaugerinnen vernichtete. Mina als Opfer Draculas ist nicht minder schwer traumatisiert wie ihr Gatte, und Arthur Holmwood schließlich hat seine Geliebte verloren, noch bevor er sie ehelichen konnte. Durch die persönlichen Tagebucheinträge und Briefe der Protagonisten werden diese dem Leser im Verlauf der Lektüre zu Vertrauten, deren Leid man sehr gut nachvollziehen kann. DRACULA ist jedoch mehr als „nur“ ein Horror-Roman. Er ist Abenteuergeschichte, Liebesroman und Zeitdokument gleichermaßen, das auch 100 Jahre nach dem Tod seines Schöpfers nichts von seinem Reiz verloren hat. ![]() VAMPIRISCHE WELTEN
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DRACULA
Florian Hilleberg |
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Bram Stoker - Eine Biografie zum 100. Todestag des Autors von DRACULA
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Die Vampire des David Wellington: Die LAURA CAXTON-Serie
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VAMPIRA – Geschöpf der Dämmerung
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Klassische Vampirgeschichten als atmosphärische Hörspiele
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