Es gab himmelblaue Wäschestangen,
verbunden mit Bindfaden, dessen Spule
an der Wand des Schuppens baumelte.
Darin lag der Sterbende und flüsterte,
indem er fest meinen Ellbogen drückte:
Jeden Tag nutze, um ein Stück mehr
der Herzog von Savoyen zu werden.
Auf den Gipsverputz der Eisenkrampen
in der Sterbeschuppenwand schrieb ich:
Mirko Bonné, Karl-Marx-Stadt 1746,
während mein Großonkel, der wirklich
groß, außerdem bleich und knochig war,
die Alpenschlacht von Assiette erzählte.
Zwischen den Stangen trocknete Wäsche.
Ich verliebte mich in meine Cousine,
als das schwarze Fenster zu Bruch ging
und der Ball im Keller erst sie, dann mich
ins Gesicht traf. Woraufhin sie flüsterte,
indem sie fest meinen Ellbogen drückte:
Ich hasse euch. Ihr alle, geht zurück
in den Westen zu euren Modellen.
15.10.2004 10:44:17
Mallorca, Nordk., Bucht v. Alcudia, Meer, türkisgr., Klimaanl., Strand, kinderfr., span. erb.; herrl.! Anfr. u. MB
11.10.2004 10:42:42
Unfälle (9): Niederlande
27.09.2004 13:38:36
Für Hendrik (vor Baum).
21.09.2004 15:27:30
Unfälle (8): Irland
(Irland sehr lange vor der Nikotinprohibition)
21.09.2004 11:31:40
Unfälle (7): Franken
14.09.2004 16:13:57
Unfälle (6): Liechtenstein
14.09.2004 12:33:08
Unfälle (5): Italien
Folgender Leserbrief erreicht mich: "Lieber Mirko, Deine Unfallserie verfolge ich höchst interessiert, den italienischen Unfall habe ich natürlich sehr genau angesehen, weil der Name des Radiosenders mir so spanisch vorkam. Tatsächlich ist es ein spanischer Unfall und das Bild steht auch auf einer spanischen Site
Nur der Richtigkeit halber, da ich nicht weiß, was Du mit dieser Serie planst. Im Italienischen müsste es "Vittoria" heißen statt "Vitoria"."
Ich danke dem Absender, muss ihn zugleich jedoch darauf hinweisen, dass der Unfall des spanischen Radio-Vitoria-Übertragungwagens auf einer italienischen Straße passierte, nämlich am 6. Juli 1978 ganz in der Nähe des Campingplatzes von Bibione Pineta, auf dem meine Eltern mich gefangen hielten. Der bärtige Herr an dem Wagen ist mein Vater, der heute übrigens auf Teneriffa lebt. Sein schon damals ausgesprochen lebendiges Spanisch hatte ihn sofort in den Mittelpunkt der Unfallhelfer gerückt.
13.09.2004 16:51:34
Auf dem schwarzen Strand (2)
Auf der Elefanteninsel können wir nicht überleben. Bob Clark gelingt es zwar, Shackleton davon zu überzeugen, dass es an anderer Stelle einen besseren Lagerplatz geben müsse, einen, von dem aus Pinguine und See-Elefanten zu jagen möglich ist. Der Ausblick auf ein Ende des Hungerns ändert jedoch nichts an unserer Ohnmacht gegenüber den Sturmwinden, die am Tag nach unserer Landung einsetzen und über die Insel ziehen. Hussey kann die Windstärke nur schätzen. Er schätzt sie auf größer als 12, was meteorologisch gesehen gar nicht möglich ist. Uzbird gesteht, dass er von derartigen Böen noch nicht gehört hat. Das Hauptzelt wird von ihnen in Stücke gerissen und weht über Bucht und Riffbogen aufs Meer hinaus, wo wir es wie einen großen Vogel verschwinden sehen. Eisplatten, so groß wie die Bände der Enzyklopädie, segeln quer über den Strand und zerplatzen krachend an den Klippenwänden. Töpfe, Pfannen und ein Rost verschwinden aus Greens Felsnischenküche und fliegen Stunden später wieder vorbei, als hätten sie eine Runde um die Insel gedreht. Auch Mister Green selbst wird umgeweht und fortgewälzt, unter Rütteln und Zerren trägt ihn der Wind zur Bucht hinunter und will seine Beute schon ins Wasser schleudern, da sind Crean, Vincent und Bakewell zur Stelle und stemmen sich mit vereinten Kräften gegen den Raub unseres Kochs. Wir ziehen die Zelte zurück bis dicht an die Felsen. Die großen Boote werden gekippt. Fortan dienen sie den Männern aus dem zerstörten Hauptzelt als Behausung. Wir haben alle den Trost der Wärme nötig, doch diese acht verdienen ihn besonders. Stechend feiner Schnee dringt durch die Ritzen zwischen Kies und Booten, hüllt die Männer und ihre Habseligkeiten ein und stellt den tauben Füßen immer neue Fallen.
Obwohl Frank Wilds Hand alles andere als verheilt ist, erhält er von Shackleton den Auftrag, gemeinsam mit vier weiteren Mann an Bord der STANCOMB WILLS auf Erkundungsfahrt Richtung Westen zu fahren, sobald der Blizzard nachlässt. Shackleton teilt ihm als Begleiter Crean, Marston, Vincent und Bakewell zu. Wild nimmt den Auftrag entgegen wie eine Bestrafung, eine Reaktion, die mir auch dann rätselhaft bleibt, als er zu Shackleton sagt, er habe gehofft, noch ein paar Tage ausruhen zu können, damit die Hand rechtzeitig wieder in Ordnung komme.
Rechtzeitig für was? Im Heulen des Sturms geht mir diese Frage nicht mehr aus dem Kopf.
Der dritte Tag auf der Elefanteninsel, der Tag, an dem das Dingi in See sticht, um an der Westküste nach Nahrung und einem Lagerplatz zu suchen, ist der 16. April. Es ist der 448. Tag, seit uns das Eis vor der Vahselbucht einschloss und nicht mehr losließ. Fünf Tage lang sind wir ihm entronnen, doch an diesem Tag ist das Eis wieder da. Vom Ausguck in den Klippen sieht Greenstreet es zuerst. Er brüllt wie von Sinnen, so als wäre da draußen das unwahrscheinlichste von allen Dingen in diesen Breiten. Doch was er sieht, ist kein Schiff, sondern eine graue, in sich wogende Wand. Das Treibeis zieht sich zu einem Gürtel zusammen. Die Antarktis kündigt den Winter an.
Shackleton und ich, Viertes Buch, Drittes Kapitel, Sommer 2004
*
Lieblingsfilm, Sylvia? Deiner auch "The Year of Living Dangerously", "Ein Jahr in der Hölle"? Liebe Grüße!
04.09.2004 17:08:14
Auf dem schwarzen Strand
Nirgends ist ein Baum zu sehen, kein Strauch, kein Krüppelholz, nicht einmal Büschelchen wenigstens von dem blassen gelben Tussockgras, das auf Südgeorgien wächst und zwischen den Felsen leise im Wind zirpt. Auf der Elefanteninsel gibt es kein pflanzliches Leben, zumindest keines, das sichtbar wäre für die Augen gewöhnlicher Schiffbrüchiger. Bobby Clark entdeckt schon im Hinsinken auf den durchwaschenen Kies Flechten und Moose. Die dürren Beine gespreizt, sitzt er auf dem Strand und kratzt mit einem Fingernagel auf den Steinen herum, die er vor sich aufgehäuft hat und die so dunkel sind und so leuchten wie hinter der Brille seine beglückten Augen. Während einiger Monate im Jahr, erzählt er uns währenddessen, leben Zügel- und Eselpinguine in riesigen Völkern auf der Insel. Und ihren Namen habe die Insel nicht zu Unrecht. Hier würden nämlich so unfassbar große See-Elefantenkolonien überwintern, dass es bislang nicht einmal mit Fabrikfangschiffen gelungen sei, sie auszurotten. Weit und breit ist kein Tier zu sehen. Ein Erkundungstrupp bestehend aus Crean, Hussey und Bakewell kehrt niedergeschlagen ins Lager zurück. Sogar die Skuas haben uns im Nebel über dem Meer alleingelassen, als sie merkten, dass von uns nichts zu holen ist. Vielleicht also ist es so, wie Vincent spottet, vielleicht hat sich die Welt, während wir aus ihr herausgefallen sind, weitergedreht, und der Krieg und der Fortschritt haben den See-Elefanten schließlich doch den Garaus gemacht. Tja, könnte schon sein. Von uns abgesehen, die wir auf dem Strand herumlungern und das Gefühl genießen, festen Boden unter den Füßen zu haben, rührt sich auf der Insel nicht das geringste. Die Wolkenschatten laufen über leere Klippen und durch leere Schluchten. Nichts als Stein. Darüber ein Dutzende von Metern dicker Panzer aus Schnee und Eis. Die Elefanteninsel. Heißt sie nicht deshalb so?
Im Westen der Sonnenuntergang, und vor dem Himmelsdunkel in goldenem Halbkreis auf der See die ausgezackte Feuerscheibe bald breiter als die ganze Insel. Gäbe es Holz, wir könnten auf unserem Strand um ein Lagerfeuer sitzen. Doch das einzige Stück Holz auf der Insel, das nicht zu den Booten gehört, zumindest nicht zu unseren, ist eine Planke, die durch das Riff in die Bucht gespült wird und die Frank Wild aus dem Wasser fischt. Das Brett ist so leicht, dass Wilds gesunde, vom Handschuh befreite Hand ausreicht, um es zu uns heraufzutragen und vor die Zelte zu legen. Die Planke ist grün, sie muss monatelang in der See getrieben sein, und doch ist ihr Holz unverwechselbar. Das Brett war einmal ein Stück eines Kirschbaums.
Wild stapft zurück zum Wasser hinunter.
"Frank, bleib in Lagernähe!", ruft ihm Cheetham nach und sagt dann leiser in die Runde, was wir alle wissen, dass nämlich ein Sturm, wenn nicht gar ein Orkan in der Luft liegt.
"Er wird nicht fertig damit", meint Orde-Lees, nicht ohne um sich zu blicken, ob Shackleton in der Nähe ist und ihn hören kann.
Shackleton ist mit Chippy McNeish bei den Booten und bespricht dort angeblich die nötigen Maßnahmen zur Schadensbehebung.
So wie Frank Wild wieder unten am Wasser steht, erinnert er mich plötzlich an etwas Vertrautes und Liebes. Die Hand in Shackletons schwarzem Fellhandschuh auf den Rücken gelegt, sieht er aus wie der Napoleon auf dem Bild im Kontor meines Vaters.
"Womit, meinst du, wird er nicht fertig?", will Hurley wissen. Er lässt dabei die Augen nicht von dem Sonnenuntergang; schussbereit hat er die Kamera in Händen.
"Was weiß ich." Orde-Lees ist wie üblich auf der Stelle beleidigt. Er nimmt einen Stein und schließt die Faust darum.
Hurley schießt das Bild nicht. Nach den Fotos von der Landung bleibt ihm Material für nicht einmal ein Dutzend Bilder. Er sagt zu Orde-Lees: "Frank weiß genau, was auf ihn zukommt. Oder hat er zu dir etwas anderes gesagt?"
Orde-Lees schickt Hurley einen finsteren Blick. Aber er widerspricht nicht. Hurley legt die Kamera beiseite. "Also hör auf, das Orakel zu spielen." Shackleton und der Zimmermann kommen im Halbdunkel von den Booten herüber. Auf halbem Weg trennen sie sich, und Shackleton geht zu Wild ans Wasser hinunter.
"Chippy, setz dich zu uns", grölt Vincent McNeish zu, ohne die Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen. "Hier ist es grad sehr lustig!"
Aber McNeish bleibt nur stehen, winkt einmal und taucht dann in sein Zelt. Zu gern wäre ich bei seiner Unterredung mit Sir Ernest dabei gewesen. Doch alle, die sich mehr oder weniger zufällig in der Nähe der Boote herumgetrieben haben, wurden von Greenstreet oder Shackleton persönlich davongejagt, freundlich, aber unmissverständlich.
Orde-Lees schmollt. Es wäre das erste Mal, dass er eine Belehrung, die nicht von Shackleton oder Wild kommt, hinnähme. Vincent, selbst als bloßer Matrose, existiert für ihn nicht mehr, seit er ihn im Schnee hat liegen lassen. Hurley dagegen stand in der Rangfolge stets unter Orde-Lees, der sich immer noch entweder als Ingenieur oder Proviantmeister versteht. Uns allen scheint es schwerzufallen, Respekt vor einem Mann zu haben, dem seine Funktionen der Reihe nach abhanden kommen. Denn es gibt keine Maschinen, die Tante Thomas warten, und es gibt kein Essen, das er prüfen, verwalten und gerecht verteilen könnte.
Er lässt den Stein von der einen in die andere Hand rollen, während er zuhört oder nicht zuhört, wen Vincents Spott als nächsten trifft.
Marston ist an der Reihe. "Was ist das eigentlich, Kunst?", fragt Vincent mit einem Hieb auf Marstons Schulter.
Der sagt: "Viel Arbeit, John, verflucht viel Arbeit."
Und wieder Vincent: "Und immer harte Hoden, was? Und wofür? Am Ende stirbt jeder wie ein Hund. Und wie ein stinkender Köter wirst du vergessen."
Cheetham springt Marston bei. Die Toten soll man ruhen lassen, sagt er zu Vincent.
Vincent jault. "Wauuuuwaauuuu!", macht er. "Weißt du, warum wir die Toten vergessen, Herr Schlau? Weil wir sie nicht mehr brauchen."
Erst als es wieder still ist, vielleicht weil wir alle zusehen, wie die Sonne zu einer tiefgoldenen Sichel auf der Meeresoberfläche zerschmilzt, greift Orde-Lees an. Er fährt mit solcher Plötzlichkeit auf Hurley los, dass der sich duckt und abwehrend einen Arm hebt.
"Es hat durchaus seine Gründe, wenn ich meine, Sie auf etwas aufmerksam machen zu müssen, Mister Hurley!", schreit Orde-Lees und hebt sich auf die langen Beine. "Ich verbitte mir künftig eine derartige Insubordination, wenn es recht ist. Sie sind der Bordfotograf, halten Sie sich ihrem Berufsstand gemäß entweder im Hintergrund oder, falls ihr Geltungsdrang dies nicht zulässt, reißen Sie das Maul gefälligst dort auf, wo Sie unter ihresgleichen sind!"
Bereit, Hurleys Widerspruch auf der Stelle niederzubrüllen, hat Orde-Lees selbst den Mund weit aufgerissen. Er ist derjenige, der die meisten Zähne verloren hat, Eckzähne und Schneidezähne hat er fast keine mehr. Dagegen hat sich der Prinz vergleichsweise gut gehalten. Von den Frostbeulen ist sein Gesicht nur leicht aufgedunsen, und auf der Schädelseite, die er mir zuwendet, sind ihm alle Haare ausgefallen. Hurley hat nicht die Kraft, Orde-Lees Paroli zu bieten. Er schweigt und schließt im Schoß die Kamera in seine steifen Hände.
Aus dem Dunkel am Ufer lösen sich die Umrisse von Shackleton und Wild; sie haben den plötzlichen Lärm bei den Zelten gehört und kommen herauf zu uns. Alle stehen auf. Einige, zu meiner Verwunderung auch Vincent, machen, dass sie aus der Schusslinie kommen.
"Ärger, Alfred?", wendet sich Shackleton an Cheetham, als Wild und er vor unserer dunklen Traube stehen bleiben.
"Nicht der Rede wert. Es gab ein Missverständnis, aber das ist, so weit ich sehe, ausgeräumt."
"Ist dem so, Mister Orde-Lees?"
"Sir, das müssen Sie Hurley fragen, Sir."
"Ich frage Sie beide. Wäre Ihnen das recht?"
Shackleton und ich, Viertes Buch, Kapitel 3, Sommer 2004. Für Andreas wie versprochen.
31.08.2004 13:07:22
Unfälle (4): England gegen Schottland
30.08.2004 14:07:14
Unfälle (3): Bundesrepublik Deutschland
24.08.2004 13:27:35
Ghérasim Luca
Von einer Schläfe zur anderen
Von einer Schläfe zur anderen
rauscht
das Blut meines angenommenen Selbstmords
beißend, schwarz und lautlos
Als habe ich mich wirklich umgebracht
durchschwirren die Kugeln mein Hirn
Tag und Nacht
Europa (3): Rumänien — Frankreich
23.08.2004 14:53:33
Unfälle (2): Belgien
23.08.2004 10:09:22
Unfälle (1): Frankreich
17.08.2004 13:46:40
Nuala Ní Dhomhnaill
Das Nordlicht
Das Nordlicht: —
Wehgesumm des Erdballs,
da er sich dreht und dreht;
die Sonnenwinde knistern
über der Leere des Raums;
kraftvolles Weltenlied, Gebet der Helle,
erleuchtest die Magnetosphäre.
Wörter in dieser irdischen Sprache
fallen hernieder nach und nach
in weißen, in grünen Wolken
Vorhängen gleich.
Europa (2): Irland
16.08.2004 14:38:49
Robert Crawford
Die Bestellung
Nach einer Partnerschaft, die fehlschlug
Im Ödland bei Port Glasgow, lief in Yoker alles
Ganz wie im Traum: Ein deutscher Kunde
Bestellte eine schnittig-edle Dampfjacht
Mit Stapellauf im Winter neunzehnvierzehn.
Es war der Frühling, als der Schweiß von Mutters Onkel
Nicht mehr versiegte. Er und seine zögerliche Frau
Fuhrn mit dem Bummelzug nach Greenock West,
Wo, einquartiert in ihre Wohnung, Oma
Ein Auge auf ihn haben sollte. Typhus.
Er starb, jedoch die Gattin überstand den Großen Krieg,
Der, ward sie in Versailles auch nicht bedacht,
Drei Jahre, ehe meine Mutter auf die Welt kam, endete;
Und um die Zeit, da ihre Pitman-Kurzschrift flüssig und
Bei 90 Wörtern die Minute war, zerfetzte eine Bombe
In Greenock West die Wohnung, eben da sie sie verließ.
Als nächstes ich, ein Teil der Nachkriegsjahre,
Geflitze junger Hasen, schnell wie Gummi schwirrt,
Schloss eine jede Werft und, so als wär's ein offnes Buch,
Erklärt mein Junge mir das menschliche Genom,
Lässt mich in nicht verwandten Schrauben
Für Messing, Reling, den gefetteten Maschinenkolben,
In Bugwelle und Kielwasser gestrandet eine DNS
Des Schiffbaus sehn, die nie gebaute, die bestellte Jacht.
Europa (1): Schottland
06.08.2004 14:55:45
Ultramarin. An Mario Luzi
Einen Wortwechsel weit vom Faulfieber
warteten wir, von nicht auszuschlafender
Erschöpftheit, und schwärmerischer Push
war das Gekläff der Zwingerhündin dagegen,
Stare aus Blech, hochsommerliche Furore.
Nichts wurde hinweggehoben von Brisen,
wir schrieben das falsch oder lachten bloß,
uns trieb es unter keinem Passat übers Meer,
nicht mit derartig behaartem Verstand,
in dem der Filz sich auswuchs zu Verben,
gingen Verliebte wie wir auf Händen davon,
nicht wir.
Verlangen oder Beklagen,
Signore?
Zwei Fieber. Was ging, wenn ihr Lächeln
Tage brauchte, um meine Augen zu sehen,
das bellte uns flüssig eine Gefangene vor.
Immer am Bleiben, in uns vergessnes
Getier, flatternd, dem der Blick einging.
Sie nannten es Zufall, Abenteuer haben Sie es
genannt, oder das Los, oder die Nacht, oder Sie
gaben ihm unruhige Namen, die Angst eingab.
Ihre Liebe, die eindringt und sieht. Fieber drei.
1993 / 2004
19.07.2004 10:39:23
Berberitze
Meinst du nicht, es ist Zeit, dass wir
uns wieder mal begegnen? Retour unter
den Wolken vorbei im Zug. Gut, wie mich
heimzieht der Kopfhautduft der Kleinen -
meinst du nicht? Daheim wartet Hitze,
der Rasen auf seinen Schnitt zwischen
zwei Güssen. Wartet, dass ihre Glut
ich beachte, die strenge Berberitze.
Ein Unterschied zwischen Fischreiher
und Fischreiherfotografie: Bleib stehen,
mit Glück gönnt er dir einen Augenblick,
ehe er kippt, kippt und fliegt. Im Rahmen
das Bild überm Büffet bleibt unbeirrt.
Und so lang, wie der Reiher am Feuer-
löschteich zaudert, steht der Sperling
in der Luft überm Brotkorb und schwirrt.
Ich wünschte, Entzauberung würde segnen,
es prasselte unser Stress in die Büsche und
knospten die Sorgen. Ich wünschte, wir hätten
das Haus mit Disteln möbliert. Die Konten
vertrocknet und aus Bildern würde es regnen.
Meinst du nicht, Berberitze, mit der Wild-
rosenjacke, dem Schal aus Forsythie, es ist
Zeit, dass wir uns wieder mal begegnen?
01.07.2004 23:19:39
Semplicità
Kürzlich las ich in Paveses Tagebuch eine Notiz, die besagt, er habe absurderweise ein Gedicht über einen Hasen geschrieben und könne an nichts anderes mehr denken. Kurz zuvor hatte ich (so nahm ich an) das Hasen-Gedicht gelesen, sah nach der Notizlektüre den Hasen deutlich vor mir (zumal ich im Wald, eine Woche zuvor, selbst einen Hasen in seiner "Sasse" sah) - doch als ich es wiederlesen wollte, fand ich das Gedicht nicht mehr, und fand dann auch die Notiz nicht mehr.
Die Lektüre war der Hase!
Gestern entschloss ich mich, den Hasen nicht länger zu suchen, sondern neue Gedichte zu lesen. Eines der ersten, die ich las, war "Einfachheit". Darin flüchten die Hasen, werden Hasen gegessen, wacht ein Hase auf im Traum:
L'uomo solo ripensa a quei campi, contento
di saperli già arati. Nella sala deserta
sottovoce si prova a cantare. Rivede
lungo l'argine il ciuffo di rovi spogliati
che in agosto fu verde. Dà un fischio alla cagna.
E compare la lepre e non hanno più freddo.