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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Ich arbeite, also bin ich.

#18 zum Thema Arbeit
Hamburg

Der grellgelbe Umschlag, darauf balancierend ein nach hinten fallendes T sorgt zunächst für Stirnrunzeln. Erst das kleingedruckte Wort Arbeit unten rechts klärt auf: In dieser Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für neue deutsche Literatur steht der leidige Broterwerb, der Job, die Profession, zur Diskussion.     

Den Anfang macht Jens Steiner, der in seinem Essay nach den Variationen der Unfreiheit von Arbeit und ihren Bedingungen fragt. Ausgehend von der These, dass diese in der Gegenwartsliteratur durchgehend homogen in Stil und Themenwahl behandelt wird, begibt er sich auf die Suche nach Gegenbeispielen. Fündig wird er hier insbesondere bei Katharina Schultens, die sich in ihrem Gedichtband gorgos portfolio (2014) allein schon durch das Genre vom herkömmlichen Chefroman, Angestelltenroman, Chef- und Angestelltenroman abhebt. Sie schaffe es Gegenwelten, Utopien und Dystopien zu entwerfen, die den mittlerweile unscharfen Arbeitsbegriff zu Zeiten fortschreitender Technik (in der nächtens noch schnell eine E-Mail im Bett beantwortet wird) auf raffinierte Weise nachspürt. Das eigentliche Anliegen Steiners, ein Buch aufzuschlagen, in dem Arbeit als praktische Verwirklichung von Freiheit verstanden wird („Arbeit als Weg des Menschen zu den Dingen, als Weg des freien Willens zu sich selbst“), soll ihm aber verwehrt bleiben.

Enno Stahl macht sich darauffolgend weniger Gedanken um die Abbildung von Arbeit in der Literatur, als um den Literaturarbeiter als solchen. Weil Autoren nicht mehr ausreichend bezahlt werden, ist sein Berufsbild zunehmend vom Aussterben bedroht, das Schreiben wird nur mehr zum Hobby oder Nebenjob. Es gäbe zwar verschiedene Anpassungsmodelle, die Stahl sehr grob in die Kategorien „Stipendiumsliteratur“, „Avantgardeverdacht“ und „Pop-Schiene“ einteilt. Voraussetzung für einen Schreibenden ist aber eben sich anzupassen, flexibel und in der Lage zu sein, „hin- und herzuswitchen“. Daraus folgt (womit Stahl eine Antwort auf Steiners Kritik der in sich geschlossenen Literatur zu geben scheint), dass sich diese in einem „kybernetisch effizierten Regelkreislauf“ befinde; es gibt keine Literatur mehr von außen, weil der Markt alles verschlinge.

Als Leser kann man dem nur kopfnickend zustimmen, in Vorfreude die für jeden Beitrag neu gestalteten Seiten umblätternd. Aber dann der Schreck. Lukas Valtin und Claire Shearman bemühen sich hier um eine Kritik an dem Begriff des „Prekariats“. Das erst mit Daten und Fakten aufwartende Essay, schlägt dabei um in eine fragwürdige, gar makabre These.

Laut Definition gehören zum Prekariat solche, denen Sicherheiten und Fähigkeiten verwehrt bleiben und die ihr Lebensunterhalt nicht alleine stemmen können, unter schlechten Arbeitsplatzbedingungen leiden etc. Guy Standing zählte in seinem gleichnamigen Werk etwa 25% der arbeitenden Bevölkerung zu dieser Gruppe, weshalb er sie als „Klasse“ definierte. Valtin und Shearman machen zunächst ganz richtig darauf aufmerksam, dass unsichere Arbeitsverhältnisse kein neoliberales Novum sind. Dass das sogenannte Prekariat heute subtilere Formen angenommen hat und es in vielen Arbeitsbereichen (wie beispielsweise im Kulturbetrieb) nicht mehr so einfach zu unterscheiden ist, wer unter prekären Bedingungen arbeitet und wer sich möglicherweise in einer Chefposition eine goldene Nase verdient, ist ebenfalls geschenkt. Von einer „prekären Masse“ wollen die beiden Autoren aber nicht sprechen, weil die Mehrheit der Menschen doch vom „Wohlfahrtsstaat“ profitiere. Und hier fängt die Argumentation zu hinken an. Sie sprechen sich für die Existenz eines Prekariats aus, es sollte lediglich kein existenzbedrohendes sein (aber selbst dieses scheint berechtigt, ist daraus doch auch schon große Kunst hervorgegangen). Wenn die materiellen Umstände zu gefestigt sind, fehle der Druck um gute Kunst zu schaffen, „das Zwingende seiner der Prekariat abgerungenen Version“. Das nun nicht mehr lebensbedrohliche Prekariat soll als Chance wahrgenommen werden, die es nur noch zu ergreifen gilt. Wer schon einmal eine Vierzigstundenwoche harte Arbeit hinter sich hatte, sich dann erschöpft und müde seiner Kunst hingeben wollte, wird bei diesen Zeilen bitter lächeln. Prekäre Lebensbedingungen als Voraussetzung für authentische Kunst – ein schöner Scherz.

Die Prosa von Frédéric Valin, Christian Raimo und Bettina Wilpert liest sich geradezu zynisch vor diesem theoretischen Hintergrund. Valin beschreibt seinen mühsamen Arbeitsweg um fünf Uhr früh. Sie macht krank, die Arbeitswelt, alkoholabhängig oder depressiv, und einsam.

„Ich bin eine geschleifte Festung, ich habe keinen Willen.“

Wenn andere ausgehen, muss er arbeiten oder schlafen. Als Pfleger wüsste er es zwar besser, trinkt aber dennoch literweise Kaffee, raucht Kette und würde „Schlimmeres tun, wenn es helfen würde.“

Der Lückentext (dessen Lücken die Beliebigkeit einer Arbeitsstelle zum Ausdruck macht) „Wie du mich willst“ von Christian Raimo schließt sich dieser Einstellung an. Er erzählt von einem orientierungslosen Individuum, dass sich den heutigen Arbeitsbedingungen restlos aussetzt (immer flexibel bleibt, aber nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhält) und schließlich an dem Druck zerbricht und kapitulieren muss:

„Den Stecker ziehen und für einige Stunden am Tag für niemanden da zu sein, ich tue so, als ob ich nicht existieren würde, und wenn mich jemand will, muss er hierhin kommen, soll er sich um mich bemühen, und hier, vor mir, soll er mir bitteschön ins Gesicht sagen, was ich bin.“

Diesen Beschreibungen von düsteren, ja unmenschlich gewordenen Arbeitswelten wird in dieser (durchaus zu empfehlenden) Ausgabe nichts mehr entgegengesetzt. Zum Schluss finden sich noch fünf kurze Beiträge über Bedingungen und Kompromisse von solchen, die Arbeit mit dem Schreiben verbinden. Allen voran seien hier Karl Clemens Küblers Überlegungen zur Selbstausbeutung als literarisches Programm, am Bespiel von Karl Ove Knausgård und Knut Hamsun, hervorzuheben. „Nur wer arbeitet ist daseinsberechtigt.“ Unter diesem Motto scheint Knausgård, wie Kübler klug analysiert, sein autofiktionales Projekt Min Kamp verfasst zu haben. Einem protestantischen Betriebsamkeitsethos gleich, wird der Autor selbst als Ikone der verzehrenden Schreib-Arbeit stilisiert, die ihresgleichen sucht. Arbeit wird zum Fetisch; der erste Grundsatz von Descartes meint man unter dieser Doktrin umschreiben zu müssen. Das Denken kommt erst an zweiter Stelle, die Arbeit ist es, die den Menschen bestimmt: Ich arbeite, also bin ich. Heike Geissler, der diese Verhältnisse nicht mehr geheuer sind und nur notgedrungen ihr Tagewerk verrichtet, bringt es auf den Punkt:

 „Das Arbeitsmärchen, das geht immer böse aus.“

 

Inhaltsverzeichnis

 

metamorphosen 18: Arbeit
Verbrecher Verlag
2017 · 7,50 Euro

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