Ich arbeite, also bin ich.
Der grellgelbe Umschlag, darauf balancierend ein nach hinten fallendes T sorgt zunächst für Stirnrunzeln. Erst das kleingedruckte Wort Arbeit unten rechts klärt auf: In dieser Ausgabe der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für neue deutsche Literatur steht der leidige Broterwerb, der Job, die Profession, zur Diskussion.
Den Anfang macht Jens Steiner, der in seinem Essay nach den Variationen der Unfreiheit von Arbeit und ihren Bedingungen fragt. Ausgehend von der These, dass diese in der Gegenwartsliteratur durchgehend homogen in Stil und Themenwahl behandelt wird, begibt er sich auf die Suche nach Gegenbeispielen. Fündig wird er hier insbesondere bei Katharina Schultens, die sich in ihrem Gedichtband gorgos portfolio (2014) allein schon durch das Genre vom herkömmlichen Chefroman, Angestelltenroman, Chef- und Angestelltenroman abhebt. Sie schaffe es Gegenwelten, Utopien und Dystopien zu entwerfen, die den mittlerweile unscharfen Arbeitsbegriff zu Zeiten fortschreitender Technik (in der nächtens noch schnell eine E-Mail im Bett beantwortet wird) auf raffinierte Weise nachspürt. Das eigentliche Anliegen Steiners, ein Buch aufzuschlagen, in dem Arbeit als praktische Verwirklichung von Freiheit verstanden wird („Arbeit als Weg des Menschen zu den Dingen, als Weg des freien Willens zu sich selbst“), soll ihm aber verwehrt bleiben.
Enno Stahl macht sich darauffolgend weniger Gedanken um die Abbildung von Arbeit in der Literatur, als um den Literaturarbeiter als solchen. Weil Autoren nicht mehr ausreichend bezahlt werden, ist sein Berufsbild zunehmend vom Aussterben bedroht, das Schreiben wird nur mehr zum Hobby oder Nebenjob. Es gäbe zwar verschiedene Anpassungsmodelle, die Stahl sehr grob in die Kategorien „Stipendiumsliteratur“, „Avantgardeverdacht“ und „Pop-Schiene“ einteilt. Voraussetzung für einen Schreibenden ist aber eben sich anzupassen, flexibel und in der Lage zu sein, „hin- und herzuswitchen“. Daraus folgt (womit Stahl eine Antwort auf Steiners Kritik der in sich geschlossenen Literatur zu geben scheint), dass sich diese in einem „kybernetisch effizierten Regelkreislauf“ befinde; es gibt keine Literatur mehr von außen, weil der Markt alles verschlinge.
Als Leser kann man dem nur kopfnickend zustimmen, in Vorfreude die für jeden Beitrag neu gestalteten Seiten umblätternd. Aber dann der Schreck. Lukas Valtin und Claire Shearman bemühen sich hier um eine Kritik an dem Begriff des „Prekariats“. Das erst mit Daten und Fakten aufwartende Essay, schlägt dabei um in eine fragwürdige, gar makabre These.
Laut Definition gehören zum Prekariat solche, denen Sicherheiten und Fähigkeiten verwehrt bleiben und die ihr Lebensunterhalt nicht alleine stemmen können, unter schlechten Arbeitsplatzbedingungen leiden etc. Guy Standing zählte in seinem gleichnamigen Werk etwa 25% der arbeitenden Bevölkerung zu dieser Gruppe, weshalb er sie als „Klasse“ definierte. Valtin und Shearman machen zunächst ganz richtig darauf aufmerksam, dass unsichere Arbeitsverhältnisse kein neoliberales Novum sind. Dass das sogenannte Prekariat heute subtilere Formen angenommen hat und es in vielen Arbeitsbereichen (wie beispielsweise im Kulturbetrieb) nicht mehr so einfach zu unterscheiden ist, wer unter prekären Bedingungen arbeitet und wer sich möglicherweise in einer Chefposition eine goldene Nase verdient, ist ebenfalls geschenkt. Von einer „prekären Masse“ wollen die beiden Autoren aber nicht sprechen, weil die Mehrheit der Menschen doch vom „Wohlfahrtsstaat“ profitiere. Und hier fängt die Argumentation zu hinken an. Sie sprechen sich für die Existenz eines Prekariats aus, es sollte lediglich kein existenzbedrohendes sein (aber selbst dieses scheint berechtigt, ist daraus doch auch schon große Kunst hervorgegangen). Wenn die materiellen Umstände zu gefestigt sind, fehle der Druck um gute Kunst zu schaffen, „das Zwingende seiner der Prekariat abgerungenen Version“. Das nun nicht mehr lebensbedrohliche Prekariat soll als Chance wahrgenommen werden, die es nur noch zu ergreifen gilt. Wer schon einmal eine Vierzigstundenwoche harte Arbeit hinter sich hatte, sich dann erschöpft und müde seiner Kunst hingeben wollte, wird bei diesen Zeilen bitter lächeln. Prekäre Lebensbedingungen als Voraussetzung für authentische Kunst – ein schöner Scherz.
Die Prosa von Frédéric Valin, Christian Raimo und Bettina Wilpert liest sich geradezu zynisch vor diesem theoretischen Hintergrund. Valin beschreibt seinen mühsamen Arbeitsweg um fünf Uhr früh. Sie macht krank, die Arbeitswelt, alkoholabhängig oder depressiv, und einsam.
„Ich bin eine geschleifte Festung, ich habe keinen Willen.“
Wenn andere ausgehen, muss er arbeiten oder schlafen. Als Pfleger wüsste er es zwar besser, trinkt aber dennoch literweise Kaffee, raucht Kette und würde „Schlimmeres tun, wenn es helfen würde.“
Der Lückentext (dessen Lücken die Beliebigkeit einer Arbeitsstelle zum Ausdruck macht) „Wie du mich willst“ von Christian Raimo schließt sich dieser Einstellung an. Er erzählt von einem orientierungslosen Individuum, dass sich den heutigen Arbeitsbedingungen restlos aussetzt (immer flexibel bleibt, aber nie einen unbefristeten Arbeitsvertrag erhält) und schließlich an dem Druck zerbricht und kapitulieren muss:
„Den Stecker ziehen und für einige Stunden am Tag für niemanden da zu sein, ich tue so, als ob ich nicht existieren würde, und wenn mich jemand will, muss er hierhin kommen, soll er sich um mich bemühen, und hier, vor mir, soll er mir bitteschön ins Gesicht sagen, was ich bin.“
Diesen Beschreibungen von düsteren, ja unmenschlich gewordenen Arbeitswelten wird in dieser (durchaus zu empfehlenden) Ausgabe nichts mehr entgegengesetzt. Zum Schluss finden sich noch fünf kurze Beiträge über Bedingungen und Kompromisse von solchen, die Arbeit mit dem Schreiben verbinden. Allen voran seien hier Karl Clemens Küblers Überlegungen zur Selbstausbeutung als literarisches Programm, am Bespiel von Karl Ove Knausgård und Knut Hamsun, hervorzuheben. „Nur wer arbeitet ist daseinsberechtigt.“ Unter diesem Motto scheint Knausgård, wie Kübler klug analysiert, sein autofiktionales Projekt Min Kamp verfasst zu haben. Einem protestantischen Betriebsamkeitsethos gleich, wird der Autor selbst als Ikone der verzehrenden Schreib-Arbeit stilisiert, die ihresgleichen sucht. Arbeit wird zum Fetisch; der erste Grundsatz von Descartes meint man unter dieser Doktrin umschreiben zu müssen. Das Denken kommt erst an zweiter Stelle, die Arbeit ist es, die den Menschen bestimmt: Ich arbeite, also bin ich. Heike Geissler, der diese Verhältnisse nicht mehr geheuer sind und nur notgedrungen ihr Tagewerk verrichtet, bringt es auf den Punkt:
„Das Arbeitsmärchen, das geht immer böse aus.“
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Kommentare
Etwas verkürzt
Liebe Kristina,
Erst einmal: Schön, dass du dich so ausführlich mit der Ausgabe und unserem Artikel zum Begriff und Konzept des Prekariates auseinandersetzt!
Ich verstehe dein Unbehagen (der Text ist ja auch ein Stück weit eine Polemik) – allerdings ist deine Darstellung unserer Argumentation (verständlicherweise) etwas verkürzt, und nur so kannst du zu dem verzerrenden Urteil »makaber« kommen.
In dem Essay geht es ja nicht nur um Prekarität und ihr Verhältnis zur Kunstproduktion, sondern er beinhaltet auch die Forderung, allgemein ein neues Verhältnis zu dieser Prekarität zu entwickeln, die, mit etwas Abstand und nüchtern betrachtet, eben heutzutage in Deutschland hauptsächlich psychologisch wirkt und Existenzen nicht im eigentlichen Sinne bedroht. LEBENSSTANDARDS hingegen bedroht sie vielleicht schon. Aber das ist eben etwas anderes.
Im Text gibt es das Plädoyer für ein neues Verhältnis zur Arbeit, das nicht (zwangsläufig, so wie es momentan der Fall ist) den sozialen Status des Berufes und/oder die Höhe des bezogenen Einkommens als Kern unserer (sozialen) Identität etabliert (an dieser Stelle kommt das Marx-Zitat ins Spiel). Impliziert ist also auch ein Plädoyer für weniger Angst vor sozialem Abstieg. Ein entspannteres Verhältnis zur Arbeit also, weniger sozial-psychologischer Druck beim Thema Arbeit und der Jobwahl.
Frei würden im Idealfall natürlich auch zeitliche Ressourcen – natürlich stellen wir uns eben keine 40-Stunden-Woche vor (wie du am Ende deines Absatzes zum Text schreibst – wie kommst du darauf?). Vielleicht eine 24-Stunden-Woche, aber KEINE, bei der einem die Arbeit eigentlich permanent im Kopf herumschwirrt und man den Rest der Zeit damit beschäftigt ist, sich die soziale Berechtigung zu erarbeiten, diesen prestigereichen Job überhaupt ausüben zu dürfen.
Frei – BEFREIT – würden also zeitliche und v.a. auch geistige Kapazitäten, die jede*r nutzen könnte, wie er*sie wollte. Eben AUCH für Kunst. In mehrerlei Hinsicht UNABHÄNGIGE Kunst.
Jaja… es ist eine Utopie. Mehr Utopie wagen!
Mit den besten Grüßen
Lukas
PS: Der Text unterstreicht außerdem, dass der Kampf für bessere und gerechtere Arbeitsverhältnisse natürlich sehr wichtig ist. Er soll auch gar nicht aufgegeben werden, Wohlstandsgejammer unter der Flagge des Begriffes »Prekariat« ist allerdings nicht der richtige Weg, wie der Artikel, u.a. mithilfe einer Fokuserweiterung über die heutige Zeit und westliche Länder hinaus, darzulegen versucht. Auch hier ist deine Wiedergabe etwas verkürzt/verzerrt.
Antwort auf: Etwas verkürzt
Lieber Lukas,
es freut mich ebenfalls, dass du dich mit meiner Rezension befasst hast.
Um eines vorwegzunehmen: Eine Literaturkritik besteht aus meiner Sicht nicht aus einer formellen und ausführlichen Inhaltsangabe des Textes, es geht doch viel mehr um eine kritische Auseinandersetzung desselben. Dass dabei zwangsläufig eine gewisse Verkürzung stattfindet, gebe ich zu. Verzerren wollte ich allerdings nichts. Euren Text habe ich tatsächlich nicht als eine Polemik aufgefasst (auch bei erneuter Lektüre nicht). Euren Wunsch nach einem anderen Verhältnis zum Prekariat habe ich deshalb auch an den tatsächlichen Lebensumständen gemessen. Dass ein "selbstbewusst verstandenes Prekariat" den Weg zu einer neuen Utopie (und ich bin keine Gegnerin dieser Utopie, im Gegenteil!) weist, kann ja nur dann erfolgen, wenn der Lohn einer 24-Stunden-Woche vollkommen ausreichen würde, woran ich (in den meisten Berufsfeldern) meine Zweifel habe. Ich glaube, dass dann eben doch oft grundsätzliche, existentielle LEBENSSTANDARDS (über diesen Begriff müsste man vielleicht auch nochmal genauer sprechen) bedroht werden. Ein neues (entspannteres) Verhältnis zur Arbeit könnte also nur gewährleistet werden, wenn ebendiese (die Löhne) steigen. Aus diesem Grund bin ich auch von einer 40-Stunden-Woche ausgegangen, die ja in den meisten Fällen noch Realität ist.
Ich erhebe allerdings auch keinen Allgemeingültigkeitsanspruch, das Wesen einer Rezension besteht ja auch aus seiner Subjektivität. Lassen wir also den zukünftigen Leser entscheiden.
Viele Grüße
Kristina
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