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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Schwelende Subjektivität

Hamburg

„Eine Biographie in Bruchstücken“ untertitelt Ina Hartwig ihr Buch und legt damit keine Biographie im eigentlichen Sinn vor. Denn eine vollständige Abhandlung über Bachmanns Leben und Werk könne heute noch nicht geschrieben werden, da nicht alle Quellen zugänglich seien. Man stoße, so die Verfasserin, bei Recherchen unentwegt an Grenzen, weil etwa Erben wichtige Teile des Nachlasses nicht freigeben. Hartwig wendet sich daher bisher unzureichend beleuchteten Aspekten zu, greift Stationen aus Bachmanns Leben heraus, die ihr wichtig sind und denen sie sich nähert. Sie wählt dabei einen journalistischen Zugang, bezeichnet sich selbst als biographische Detektivin. Hartwig durchstöberte Archive, reiste an Orte, an denen Bachmann sich einst aufgehalten hatte, führte Gespräche mit Menschen, die die Autorin noch persönlich gekannt hatten. Als Biographin umkreist Hartwig das Subjekt ihres Interesses, nähert sich ihm, deckt Übereinstimmungen und Widersprüche von Archivquellen und sich erinnernden Personen auf. Und sie gibt sich als nicht Unbeteiligte zu erkennen, mengt sich ein, wertet und spricht wiederholt über ihre eigenen Interessen und ihre subjektive Herangehensweise, die eine rationale, zugleich eine der Intuition, des Spürens und Erspürens ist.

Das Buch besteht aus zwei Teilen, wird ergänzt durch ein Glossar mit Quellennachweisen und Kommentaren sowie eine Zeittafel, die einen Überblick über wichtigste Daten von Leben und Werk der Schriftstellerin enthält.

Die acht Kapitel des ersten Teils können als jene vorgefundenen „Bruchstücke“ bezeichnet werden, zu denen Ina Hartwig ihre eigenen Recherchen wie Puzzlesteine hinzufügt. Sie folgt dabei keiner zeitlichen Chronologie, sondern ordnet thematisch, formuliert griffig, fällt oft in einen Plauderton und achtet stets auf leichte Lesbarkeit. Hartwig neigt zu schlagwortartigen Überschriften. So beginnt sie mit den nicht geklärten Umständen von Bachmanns Tod und wählt hierzu den etwas reißerischen Titel „Krieg am Sterbebett“. In anderen Kapiteln beleuchtet sie Bachmanns Liebe zu Paul Celan („Der Mann mit dem Mohn“), ihr Verhalten vor Kameras („Bildermaschine“) oder die familiären Bindungen zum Vater mit NS-Biographie und ihrem 13 Jahre jüngeren Bruder Heinz („Guter Vater, böser Vater“). Wir erfahren von Bachmanns Arbeit als Rundfunkredakteurin, ihrem Amerikaaufenthalt als Teilnehmerin der Harvard Summer School, wo sie 1955 Henry Kissinger kennen lernt, lesen von ihrem Leben in Berlin nach der Trennung von Max Frisch, das von psychischen Problemen und Substanzmissbrauch geprägt war, und im Kapitel „Orgie und Heilung“ von einer Orientreise gemeinsam mit Alfred Opel.

Im zweiten Teil fasst Ina Hartwig ihre Gespräche mit ZeitzeugInnen zusammen, die sie von 2013 bis 2016 führte. Ingeborg Bachmann starb 1973 und es ist das Verdienst der Bruchstücksammlerin Hartwig, gerade noch rechtzeitig Menschen zum Reden gebracht zu haben, die die große Schriftstellerin aus eigenem Erleben gekannt hatten, und deren Einschätzungen für die Nachwelt zu bewahren. Es ist das „Berufsrisiko“ einer biographischen Detektivin, manchmal knapp zu spät zu kommen, denn Günter Grass war kurz vor dem bereits vereinbarten Interviewtermin gestorben und auch Isolde Moser, Bachmanns 1928 geborene Schwester, konnte nicht mehr befragt werden. Den Gesprächsreigen eröffnete 2013 Hans Magnus Enzensberger, den Abschluss machte Henry Kissinger im Juni 2016. Die Treffen waren zumeist intendiert, manche ergaben sich zufällig. Über den Wahrheitsgehalt von Erinnerungen gibt sich Hartwig keiner Illusion hin, denn Erinnertes sei selten ein Tatsachenbericht, sondern stets subjektiv gefärbt, manchmal Projektion, oft trügerisch und zudem von den persönlichen Beziehungen zur erinnerten Person abhängig. Umso mehr erstaunt, dass Hartwig die Gespräche nicht auf Band aufnahm, sondern handschriftlichen Notizen und der Verlässlichkeit ihrer eigenen Erinnerung vorbehaltlos vertraut. Sie bekennt:

Mir wurde schnell klar, dass mir gar nicht an Wort-für-Wort-Interviews gelegen war, sondern eben an der komplexen Situation des Gesprächs. Das heißt, meine Gedanken und Empfindungen gehören zur Versuchsanordnung dazu.

Und an anderer Stelle schreibt Hartwig:

Mir ging es darum, den Zeitzeugen beim Erinnern zuzuhören, auch zuzusehen. Dabei bin ich keineswegs gleichgültig geblieben, im Gegenteil. Ich habe mir dabei zugeschaut (in mich hineingehört), wie ich auf die einzelnen Erinnerungen reagiere. Denn natürlich war ich selbst auf der Suche nach einem Bachmann-Bild. Diese Gespräche dienen daher unter anderem dazu, mein eigenes Bild von ihr zu überprüfen.

Nicht alle Gespräche sind interessant. Hartwig thematisiert dies selbst in ihren Ausführungen, etwa wenn sie über eine Gesprächspartnerin wertet, diese habe zwar viel zu sagen, „allerdings tatsächlich nicht sehr viel zu erzählen“. Im Klappentext heißt es dazu, dass Hartwig auf „Klatsch und Tratsch, auf Prahlerei und sprechendes Schweigen“ gestoßen sei. Doch sind im Buch durchaus auch erhellende Anekdoten und interessante Aussagen über Bachmann zu finden, etwa wenn H.M. Enzensberger ihre Begabung zur Freundschaft würdigt („Jemanden fallenzulassen war nicht ihre Sache“), Klaus Wagenbach sie als „eindrucksvolle Person“ beschreibt, die „tief verschlüsselt“ gewesen sei, oder Marianne Frisch ihre physische Kraft hervorhebt, denn „(w)enn’s drauf ankam, war sie ein Kärntner Bauernmädchen“. Oft bleibt es allerdings bei der Erwähnung von Äußerlichkeiten, wird ihre Kleidung, ihre Eleganz thematisiert, ihre Eitelkeit. Immer wieder wird von ihrem Substanzmissbrauch (Drogen, Alkohol) berichtet oder gemunkelt, wird ihre „unglaubliche Trinkfestigkeit“ hervorgehoben oder von ihren Abstürzen erzählt. Aber nur wenige scheinen von sich selbst und der eigenen Eitelkeit absehen und zum Menschen Bachmann etwas sagen zu können. Berührend etwa, wenn Günter Herburger von ihrem Alleinsein spricht, ihrer tiefen Einsamkeit und Verletzlichkeit und meint, dass Bachmann „keine Mauern“ gehabt habe, „unbeschützt“ gewesen sei.

Einen heiklen Punkt kann ich nicht ansprechen, ohne mich selbst einzubinden. Mich interessieren in erster Linie die Werke von KünstlerInnen. Details aus ihrem persönlichen Leben zu erfahren ist Beiwerk, mag zuweilen erhellend sein. Doch stelle (nicht nur) ich mir die Frage, wie viel Diskretion wir einer Person zuzugestehen bereit sind, im Besonderen einer, die bereits verstorben ist und sich gegen kein Wort, keine noch so unsägliche Behauptung mehr wehren kann, und wo wir Grenzen zu ziehen bereit sind – diese Grenzen wird jede(r) anders ziehen. Meine verorte ich dort, wo die Grenzen anderer nicht geachtet und überschritten werden. Leider neigt Ina Hartwig in ihrem Buch zur Boulevardisierung und überschreitet fallweise die Grenzen zum sensationslüsternen Voyeurismus. Da kann ein älterer Herr Mumme einfach so behaupten, Bachmann „ging an Männer ran wie ein Päderast“, weil sie es war, die sich „Männer aussuchte“. Echt jetzt? Da wird über Kontakte zur Unterwelt in einer Art gemunkelt, dass mir die sprichwörtlichen Grausbirnen aufsteigen. O-Ton Hartwig:

Mir kommt der Gedanke, dass Bachmann, sofern sie, wie schon Enzensberger andeutet, wirklich gefährliche Sachen gemacht hat, in jenem Underground zum Beispiel Drogen besorgt haben könnte. Ich male mir aus, wie Bachmann furchtlos die Milieugrenzen überschritt ...

Und da wird deutlich zu oft in diesem Buch das Wort (huch!) Orgie geraunt, eine Orgie, die für Bachmann und die anderen Teilnehmenden hoffentlich vergnüglich gewesen ist. Na und? Das ist Teil der persönlichen Freiheit, aber wen hat es zu interessieren? Etwa uns alle, weil Bachmann schließlich, wie Hartwig schreibt, im „sogenannten Wüstenbuch ... von einer Orgie in verschiedenen Varianten und markanten Details“ erzählt? Offenbar gibt es für sie in diesem Punkt wenig Unterschied zwischen Biographie und Werk der Schriftstellerin. Das wirft die Frage auf: Dient dieses oberflächliche Raunen von Hartwig und ihren GesprächspartnerInnen über Bachmanns speziellen „Ruf“, ihre „Offenheit“ und ihre Vorlieben einer Wahrheitsfindung und wenn ja: welcher und für wen? Dazu passt auch, dass es 2016/17 für manche scheinbar wichtig ist herauszufinden, ob Bachmann mit Henry Kissinger im Bett war oder nicht. Interessant ist für mich allenfalls, dass eine Frau sich in den 50-er bis frühen 70er Jahren die Freiheit der Wahl erlaubte, nach den damaligen Konventionen nicht rollenkonform agierte und ihren Preis zahlte. Mir ist es egal, ob Kissinger und Bachmann Sex hatten und ich muss auch nicht wissen, wann, wie oft und auf welche Art und Weise. Was mich allerdings interessiert und im Gespräch mit dem Gentleman Kissinger aufmerken lässt, sind seine Aussagen über den Menschen Bachmann. So meint er, er habe zwar ihre politischen Einschätzungen nicht ernst genommen, „ihre Persönlichkeit dafür umso mehr“, würdigt sie als fähige Denkerin, bezeichnet sie als gefühlvoll, warmherzig und radikal unkonventionell. Und dass er Bachmann in einem Brief 1956 schrieb, ihre Gedichte seien „außerordentlich feinfühlig und überraschend männlich“, lässt dann schon wieder schmunzeln.

Ina Hartwig
Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken
S. Fischer
2017 · 22,00 Euro
ISBN:
978-3-10-002303-2

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