Mongolei Stadt - Interview mit R. Enkhbat
R. Enkhbat ist Fotograf und Verleger. Ein Gespräch über sein Fotografiestudium in DDR-Leipzig, turbulente Nachwendejahre und das Bücherverlegen in der Mongolei heute.
I. Connewitzer Kreuz
S.: Es gibt in der Mongolei nicht viele größere Literatur-Verlage. Einer der wenigen ist Monsudar. Sie haben ihn 1998 gegründet. Wie kam es dazu? Eigentlich haben sie in Leipzig Fotografie studiert.
E.: Ja, fünf Jahre von 1978 bis 1983. Plus ein Jahr Deutschkurs vorab. Leipzig ist meine zweite Heimat. Ich bin hier in Ulaanbaatar aufgewachsen und dann als junger Mensch nach Europa, in die DDR. Ich wollte nicht nach Russland. Ich wollte nach Deutschland. Warum Fotografie? Ich war immer ein neugieriger Mensch, also hab ich gedacht: warum nicht. Ich hatte mich vorher nicht groß mit Fotografie beschäftigt. Aber die Wahl des Faches habe ich nie bereut. Was ich da gelernt habe, brauche ich heute wahrscheinlich immer noch jeden Tag. Eigentlich waren wir zwei mongolische Fotografiestudenten in Leipzig – ich und ein Mädchen. Aber sie hat abgebrochen, praktisch nach dem ersten Tag. Nein, hat sie gesagt, damit kann ich mir kein Leben vorstellen! [lacht]
Nach meiner Rückkehr in die Mongolei habe ich für eine Fotoagentur und Zeitungen gearbeitet. Staatlich natürlich. Es war Sozialismus, und privat konnte man nichts machen. Die Leute wollten wissen, was sie mit mir anfangen können und ich konnte ihnen nur meine Fotos zeigen. Mein Diplomthema war „Kneipengänger“. Connewitzer Kreuz, Fritz Austel Straße: dort habe ich gewohnt und war viel unterwegs. Aber mit den Bildern konnte hier kaum jemand was anfangen. Ich bin dann zur Ünen [mongol. für Prawda] geschickt worden und musste „Helden der Arbeit“ fotografieren in den Fabriken. Und auf dem Land die besten Viehzüchter. Das war ein bisschen eintönig, muss ich sagen. Eine Zeitlang habe ich dann als Fotografielehrer in einem Zirkus für Kinder gearbeitet, bevor ich zu einer Bildagentur gekommen bin. Für die war ich im ganzen Land unterwegs, das hat wirklich Spass gemacht! Ich war überall.
II. Plötzlich Chef / Es geht um Bücher
S.: Und nach der Wende?
E.: Habe ich erst mal weiter fotografiert. Zusammen mit einem Deutschen, Ulrich Burchert, bei einer Fotoagentur. Die Wendezeit war bei uns sehr chaotisch. Man wusste nicht, was man machen sollte. Jeder hat gemacht, was er wollte. Es hat keine richtige Richtung gegeben. Ob man arbeiten wollte oder nicht – war irgendwie alles egal. Ich habe dann wie gesagt erst mal weiter fotografiert, und nach drei Jahren in dieser freien Gesellschaft war ich auf einmal Chef [lacht]. Zur sozialistischen Zeit hatte die Agentur die Aufgabe, den ganzen ideologischen Apparat, das Parlament usw., mit Bildern zu versorgen. Aber jetzt hat sich niemand mehr dafür interessiert, und so konnte auch jemand wie ich plötzlich Chef sein.
Wir haben dann alles Mögliche gemacht. Wir haben für Geld gearbeitet und das sogar recht erfolgreich. Wir haben uns ein Auto gekauft, einen russischen Geländewagen, um mobil zu sein und auch auf dem Land arbeiten zu können. Wir haben schon wirklich etwas geschafft. Aber dann, 1996, kam jemand und wollte die Autoschlüssel von mir [lacht]. Ich war gefeuert, stand auf der Straße und war wieder arbeitslos.
S.: Ich dachte sie waren der Chef –
E.: Ja schon. Aber da gab es jemanden aus der Politik, der sich für den Job interessiert hat. Ich war der Chef der Agentur, aber die Agentur war weiterhin staatlich. Jedenfalls, wir waren zwanzig Leute. Als ich gegangen bin, sind dreizehn andere mitgekommen. „Wir machen was du machst“, haben sie gesagt, „wir gehen auch!“ Aber nicht mal den Wagen durften wir mitnehmen, für den wir gearbeitet hatten. Wir durften Garnichts mitnehmen.
Neuangefangen haben wir dann zunächst als Druckerei. Wir hatten eine Kopiermaschine und haben damit kleine Broschüren kopiert. Außerdem habe ich als Fotograf gearbeitet und Postkarten für Touristen verkauft. So habe ich gespart und nach einer Zeit konnte ich eine gebrauchte Offset-Druckmaschine aus Holland kaufen: Heidelberger Fabrikat, aber schon fünfzehn Jahre alt damals. Die habe ich hergeholt. Ja und dann, nach und nach: erst kam das Admon Druckhaus, 1998 dann der Monsudar Verlag, später das Fotomon Fotoarchiv und 2005 die Internom Buchhandlung. Es geht überall um Bücher. Mein Ziel war: Gute Inhalte machen, das Buch verkaufen und mit dem Geld wieder neue Inhalte finanzieren.
III. Grundsätzliches
S.: Mit welchen Inhalten haben sie angefangen? Heute deckt Admon von Wörter-, Lehr- und Kinderbüchern über Unterhaltungsliteratur bis hin zu klassischer und zeitgenössischer Belletristik fast das ganze Spektrum ab. Ein Schwerpunkt liegt außerdem auf Übersetzungen. Pasternak, Nabokov, Solschenizyn, Mark Twain, Stefan Zweig und viele andere sind bei Ihnen auf Mongolisch erschienen.
E.: Im Sozialismus gab es einen staatlichen Verlag und eine staatliche Druckerei. Aber als wir angefangen haben, 1997/98, war das alles vorbei. Wir waren praktisch die ersten. Eine wirkliche Verlagspolitik hatten wir anfangs nicht. Zu planen und weit in die Zukunft zu schauen, war schwierig. Wir wollten ein paar Bücher herausbringen, und mit der Zeit sind es mehr geworden. Es sollte Kinderbücher geben, das war von Anfang an klar. Dann kam Belletristik hinzu, Sachbücher, Wörterbücher. Irgendwann haben wir sogar eine kartographische Abteilung gegründet. Das Spektrum wurde nach und nach breiter.
Das Anliegen dahinter ist natürlich unsere Gesellschaft. Welche Bücher sind wichtig? Das ist immer die Ausgangsfrage. Ich versuche die Probleme unserer Gesellschaft mitzudenken: Wer sind wir? Warum hat die Mongolei die Probleme, die sie hat? Warum ist das Land in mancher Hinsicht so wenig entwickelt? Es gibt Bücher, die können hier Akzente setzen, und die müssen wir herausbringen. Ich selber bin eigentlich kein großer Schreiber. Trotzdem bin ich neben meiner Tätigkeit als Verleger auch publizistisch aktiv, weil mich diese Fragen beschäftigen.
Was Übersetzungen angeht, sind es zum Teil sehr grundsätzliche Sachen, um die wir uns kümmern. Wir haben eine Reihe zum Liberalismus gemacht – angefangen bei Adam Smith. Damit sind wir natürlich noch nicht direkt mit unserer Gegenwart beschäftigt. Um Anregungen zu bekommen fahre ich jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse. Ich stehe mit deutschen Buchhändlern und Verlegern in Kontakt. Ich sehe die Probleme hier und suche nach entsprechenden Büchern. Derzeit lese ich Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation, zwei Bände. Teilweise ist es schwierig, und ich lese nicht sehr schnell, aber ich bin sehr glücklich mit diesem Buch. Viele unserer Probleme sind Zivilisationsprobleme. In Elias finde ich viele eigene Gedanken bestätigt.
S.: „Zivilisationsprobleme“?
E.: Es geht um Aufklärung. Die Probleme, die wir heute haben, sind Probleme der Aufklärung, die hier nicht stattgefunden hat. Ich beschäftige mich seit fünf Jahren mit dem Thema, und vor drei Jahren habe ich dann entschieden, die „Aufklärungstage“ [siehe dazu auch das erste Interview diese Kolumne mit Molor-Erdene] zu veranstalten. Jedes Jahr im Herbst zu einem bestimmten Thema. Ich habe mit Molor-Erdene oft über diese Dinge gesprochen, und in den letzten beiden Jahren haben wir mehrere seiner Bücher zum Thema publiziert.
Aber es geht auch um andere Dinge. Kapitalismus haben die Leute bei uns so verstanden: Geld, immer nur Geld, egal wie! Das ist gerade für Politiker gefährlich, die das Land doch voran bringen sollen. Das Ergebnis sehen wir bereits. Die Gier nach Geld macht unser Land kaputt. Die Frage ist: wie viel Zeit werden wir brauchen, um ein funktionierendes politisches System aufzubauen? Denn das brauchen wir dringend. Ich habe jetzt auch angefangen, Luhmann zu lesen. Ich bin derzeit in einer Phase, wo ich wieder viel nach neuen Ansätzen und Richtungen suche.
Wenn sie mich nach meiner Rolle als Verleger fragen: Unser Verlag ist nicht primär ein Verlag, sondern eine Aufklärungsstätte. So verstehe ich das. Erst müssen wir die Leute aufklären, dann können wir Bücher verkaufen. Bei den Aufklärungstagen geht es nicht um den Verkauf von Büchern, sondern wir wollen Themen besprechen. Unsere Kinderbuchabteilung ist auch komplett auf dieses Ziel ausgerichtet. Mit unseren Kinderbüchern wollen wir eine größere Öffentlichkeit erreichen. Das Bild des Kindes bei uns muss sich ändern. Wir machen regelmäßig entsprechende Vorschläge an die Ministerien. Kälte und Hunger sind das eine. Aber Kinder müssen auch zum Denken erzogen werden und wir müssen zivilisiert mit ihnen umgehen. Wir haben die Kindheit noch nicht entdeckt. Und auch bei den Wörterbüchern geht es um Aufklärung. Seit zwanzig Jahren haben wir bei uns „Freiheit“ und „Demokratie“, aber was das heißt, kann man nirgendwo nachlesen. Ist das normal? Das kann so nicht weitergehen.
IV. Das Lyrikregal / Grundsätzliches 2
S.: Wenn sich in der Internom Buchhandlung umschaut, fällt einem schnell breite Sortiment an mongolischer Lyrik auf, das sie dort führen. Es füllt drei ganze Regale. Monsudar verlegt jedoch keine Lyrik.
E.: Nein. Was Lyrik angeht, gibt es leider keine guten zeitgenössischen Autoren in der Mongolei. Darum verlegen wir keine Lyrik. Die haben unsere Gesellschaft einfach noch nicht begriffen. Das Leben hier ist viel zu verlogen. Die Mongolei ist historisch, aus verschiedenen Gründen, zurückgeblieben. Die territoriale Lage, erstens. Zweitens das Nomadentum als eine Lebensform, die sehr selbstgenügsam ist. Im Westen, im Rest der Welt musste man hart arbeiten, um sich zu ernähren. So ging die Entwicklung los. Die Nomaden dagegen haben alles gehabt. Sehr wenige Menschen, dafür viel Vieh und viel Territorium. So sind zwei drei Jahrhunderte vergangen.
Die Weltgeschichte haben andere gemacht in der Zwischenzeit. Moderne, Industrialisierung etc. Wir waren daran nicht beteiligt, aber fangen jetzt an, die Ergebnisse für uns zu nutzen. Das hat uns durcheinander gebracht. Die klassischen Fragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Und wohin gehen wir? Immer nur kopieren, kopieren, kopieren geht nicht. Wir müssen uns irgendwie wiederfinden, und dann unsere Entwicklung selbst in die Hand nehmen. Derzeit sind wir ein Spielball anderer. Die Mongolei wird entwickelt, aber von außen, von anderen. Die wissen, wie es läuft und machen mit uns was sie wollen.
S.: Vielleicht nochmal zurück zum Lyrikregal.
E.: Achja! Die thematische Ausrichtung stört mich. Landschaft, das begeistert die Leute. Oder Mutti oder Vati oder Pferd. Das sind die Themen einer nomadischen Gesellschaft. Aber ich bin sesshaft. Und die Mehrheit der Mongolen ist heute sesshaft. Dieser gesellschaftliche Wandel wird in unserer zeitgenössischen Lyrik nicht richtig reflektiert. Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber das sind Kleinigkeiten. Der Monsudar Verlag verfolgt ein aufklärerisches Interesse. Wichtige Literatur muss nachdenken und bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge verstehen helfen.
S.: Ich spreche nicht sehr gut Mongolisch, kann mir daher kein eigenes Bild machen. Und für die drei Regalmeter würde ich wohl auch etwas brauchen. Aber mal vorausgesetzt, sie haben Recht: Warum ist das so? Und wie kommt dann die ganze Lyrik in ihre Buchhandlung?
E.: Die Erziehung ist in der Mongolei ist immer noch sehr autoritär. Als Kind haben viele nicht die Möglichkeit, frei ihre Meinung zu äußern und mit Erwachsenen zu sprechen. Sie müssen tun was ihnen gesagt wird. Dann kommen sie in die Pubertät, werden achtzehn neunzehn und schreiben Lyrik. Das heißt, sie wollen etwas sagen. Die platzen! Das kommt hier zum Ausdruck. Aber mit welchen Themen? Sehr begrenzt. Die brauchen das wahrscheinlich. Aber ich sehe darin keinen großen Sinn. Zur ihrer zweiten Frage: Es gibt keine Kritik. Es gibt nur Lob. Und bei Internom verkaufen wir natürlich nicht nur eigene Sachen. Die Leute bringen ihre Bücher vorbei, keiner guckt und wir verkaufen das. Das ist nicht wie bei euch in Deutschland. Hauptsache viele Bücher [lacht]! Aber wir arbeiten daran.
Fixpoetry 2013
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Kommentare
Danke fuer ihren Bericht.
Danke fuer ihren Bericht.