Gehört Politik in die Schule?
0.
Wenn einer dies fordert: daß Politik nicht in die Schule gehöre, dann ist diese Forderung nicht einlösbar. Denn Schule drückt recht unmittelbar aus, was die Politik will – und was sie ist. Trägt einer diese Forderung dann dennoch vor, so ist das unbedarft und/oder populistisch – nicht auszudenken, wenn es ihm gelänge, dann unter diesem Vorwand…
… aber ich greife vor…
1.
Politik ist in der Schule, Schule ist Politik.
Gibt es etwa heute statt der grauen Theorie praktische Kompetenzen, dann meint das, daß Verhaltensweisen eingeübt werden, erlernt wird kein Repertoire derselben, woraus sich sie verstehend (beispielsweise: epistemologische) Optionen ergäben, sondern fast schon bis zur Konditionierung werden Kompetenzen in dem Sinne anerzogen, daß, wenn A gegeben sei, der Wohlerzogene darauf B tue. Mit Bildung als einer gewissen Souveränität zum Beispiel im Rahmen einer Demokratie haben die produktionsfitten Ausgebildeten samt Kompetenzen kaum Berührungspunkte. Gibt es statt Grammatikunterricht als Einführung in eine grundlegende Technik, an der Macht in der Demokratie zu partizipieren, dann zu zwanghaften Kompetenzen noch zum Beispiel Übungen in „Glückskompetenz”, dann will die Politik (vielleicht: ohne es zu merken, womöglich ließ man schon den Designern solcher Module eben ihrerseits keinen Grammatikunterricht angedeihen) ganz sicher gehen, daß die Zöglinge nicht Demokraten in einer Demokratie werden, sondern Sedierte, in einem ganz anderen System. Und kein Sesselkreis verändert das, den die gerne verwenden, die in der Schule zwar keine Politik wünschen, aber Basisdemokratie im Unterricht simulieren.
2.
Wenn dem so ist, dann darf und muß man sich schon an dieser Stelle fragen, wie die Forderung aufzufassen ist, Schule möge „politikfrei” sein. Die Frage stellt sich indes dringlicher, wenn die Forderung als Argument gebraucht wird, daß rechte Parteien in der Schule nicht als eben das, was sie sind, diskutiert werden mögen, eine neuerdings gerne seitens rechter Politiker erhobene Forderung. – In Bezug auf den Geschichtsunterricht würde das (noch) kaum einer verlangen, man darf über Hitler reden, man darf es ferner, ohne daß man aufgrund diffuser Neutralitätsphantasmen jedesmal gleich Stalin erwähnte, man kann Auschwitz thematisieren, ohne in jedem zweiten Satz auf die Gulags zu verweisen.
Geht es um die Gegenwart, dann ändert sich das; am 8. 3. 2017 referierte ein Extremismusexperte an einer Linzer Schule, und zwar „über Salafisten, Staatsverweigerer, Graue Wölfe, aber auch über Burschenschaften und die FPÖ.”
Dagegen protestierte die FPÖ, nämlich Roman Haider, Abgeordneter im österreichischen Nationalrat und dann noch im Schülergemeinschaftsausschuß der Schule1: Zunächst wurde – offenbar unrichtig – behauptet, der Experte habe einseitig nur über die FPÖ gesprochen, was als Einwand freilich absurd ist, denn man kann natürlich an einer Schule diskutieren, was Abgrenzungsprobleme der FPÖ zum tiefbraunen Rand über sie aussagen, kann natürlich Publikationen der Burschenschaften und ihre Formulierungen diskutieren, ohne jedesmal hinzuzufügen, daß es aber auch irgendwo gewaltbereite Linke geben könnte, wenngleich nicht so sehr in Oberösterreich, dem Hoamatland.
Als aber zudem das breite Spektrum der diskutierten Extremismen klar war, ergänzte Haider seine Aussage: „FPÖ, Burschenschaften, Orbán, Trump oder AfD hätten […] alle mit Extremismus nichts zu tun”, verlautete er.
3.
Überhaupt dürfte man ihm zufolge über die FPÖ nichts Schlechtes sagen: „Es ist eine Frechheit, eine Parlamentspartei mit Extremismus in Zusammenhang zu bringen.” Nun könnte man, denn von Hitler darf man ja (noch) sprechen, einwenden, daß die NSDAP, 1920 gegründet, Reichtagspartei (und der Reichstag der Weimarer Republik war ein Parlament) war – seit 1933 die dann einzig zugelassene Partei, nach rechter Logik vermutlich, weil alle anderen Parteien ab da extremistisch waren.
Gleichwohl schloß sich der Präsident des Landesschulrats Enzenhofer der dubiosen Einschätzung an: „Es ist nicht zulässig, eine demokratisch legitimierte Partei mit Extremismus in Verbindung zu bringen.” – Immerhin verschaffte er sich mit dem schwammigen Ausdruck der demokratischen Legitimation noch Spielraum; und immerhin hätte er dennoch „den Vortrag nicht abgebrochen”.
4.
Und damit kommt vom Unappetitlichen zum Schlimmsten: Haider rief also noch während des Vortrages beim Direktor der Schule an, sein Sohn hatte ihn per WhatsApp informiert, er wollte intervenieren – und er tat es mit Erfolg. Wolfgang Oberndorfer2, Direktor der Schule, brach den Vortrag sofort ab, „zur Sicherheit des Lehrers”, wie auch immer die gefährdet hätte sein können... Unter dem Vorwand, daß Politik nicht in die Schule gehöre, kam sie also in die Schule, unter diesem Vorwand gibt es nun in dieser Schule Unterricht nach Maßgabe einer Partei.
So ist es, so darf es nicht bleiben, weshalb man sich überlegen sollte, ob man Leute wie Oberndorfer in ihrem Amt beläßt und vor allem ein derartiges Vorgehen billigt: Leute also als Direktoren akzeptiert, die mit dem Rechtspopulismus und auch solchen Vorgehensweisen sympathisieren, die also nach ihrer eigenen Doktrin, daß Politik nicht in die Schule gehöre, gehen müßten; und/oder Leute, die in dieser Situation mangels Rückgrat devot erfüllen, was immer Einflußreiche von ihnen gerade verlangen, tiefes Bücken als Beamtentugend; und/oder Leute, die man mangels politischer Sensibilität außerhalb dessen zu sehen hat, was den demos konstituiert, Leute, für die das Altgriechische übrigens das Wort idiotes prägte.
Man hört und liest viel von Schulreformen. Vielleicht sollte man sich besinnen und stattdessen Schule wieder Bildungsstätte sein lassen: unbehelligt, nicht zuletzt von solchen Direktoren, die aus einem intellektuellen oder moralischen Defizit handeln.
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Quellen:
http://www.nachrichten.at/oberoesterreich/linz/Schuldirektor-bricht-Vort...
http://www.nachrichten.at/oberoesterreich/Zensur-oder-noetige-Interventi...
derstandard.at/2000053937689/Wirbel-um-Abbruch-von-Vortrag-an-Linzer-Schule-nach-FPOe
http://diepresse.com/home/bildung/schule/5181432/Vortrag-an-Linzer-Schul...
https://www.vice.com/alps/article/in-einer-linzer-schule-wurde-ein-vortr...
http://www.semiosis.at/2017/03/12/singt-fpoe-nationalratsabgeordneter-ro...
Anmerkung: Die Autor_in ist der Redaktion bekannt und möchte nicht namentlich genannt werden.
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Kommentare
Rundschreiben der ÖLI-UG
Als Ergänzung hier, weil das Thema offenbar nur von der ÖLI-UG (Österreichische Lehrer/innen Initiative - Unabhängige Gewerkschafter/innen) in Österreich dahingehend verfolgt wird, deren Rundschreiben, das u.a. an den Bundespräsidenten, die zuständige Ministerin Dr. Hammerschmid sowie u.a. Enzenhofer als Präsident des oberösterreichischen Landesschulrats ging:
»Seit März gibt es die auf fpoe-ooe.at führende „Meldestelle für parteipolitische Beeinflussung an Schulen“, parteifreie-schule.at, die noch immer zum anonymen Verpetzen aufruft.
Unseres Wissens hat außer der BMHS-Gewerkschaft OÖ („Wir lassen uns unsere Lehrer/innen nicht vernadern!“, archiv.oeli-ug.at/BMHS_Meldestelle.pdf) niemand etwas dagegen unternommen.
Bitte gehen Sie entschieden gegen die auf diese Weise leicht möglichen Erpressungsversuche an LehrerInnen vor und überprüfen Sie die rechtliche Situation, ob es ungeahndet möglich ist, dass eine Partei mit so einer Vernaderungsseite Angst verbreitet [...]. Der auf dieser Website präsente oö. LHStv Manfred Haimbuchner nimmt doch offensichtlich parteilichen Einfluss mit dieser FPÖ-Initiative.
[...]
Schützen Sie das Schulsystem vor solchen Attacken mit allen Mitteln des Rechtsstaates, sofort und wirksam.«
PS
Die Plattform parteifreie-schule.at ist nun -- 21.5.2017 -- endlich offline.
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