Der Aspektraum der Arroganz

Essay

Autor:
Frank Milautzcki
 

Essay

Der Aspektraum der Arroganz

Manchmal reichen fünf Minuten, während derer man sich den Meldungen des Tages aussetzt, um als Mensch in ein Loch wegzusacken und sich zutiefst unwohl zu fühlen. Nicht als persönlicher Mensch, sondern als Teil einer Gattung, die bei allem was sie tut, scheinbar nur eines im Sinn hat – den eigenen Vorteil. Ein gut entwickeltes Gehirn ist dabei eine Trumpfkarte der Evolution, die den Spieler siegessicher macht. Und stolz. Als hätte er sich selbst erfunden. Der Mensch strotzt vor Arroganz, „hochmuth ists, wodurch die engel fielen“, wußte Schiller. Das ist durchaus eine Art Krankheit. Aus der Notwendigkeit, sich der Welt anzumessen, hat der Mensch die Anmaßung gemacht – den Versuch, die Welt sich anzumessen. Und leidet dabei unter inhärenten Verzerrungen, die implizit auch in den unumstößlichen Grundlagen unserer Wissenschaften enthalten sind.

Ein Beispiel dafür ist die Art, wie wir Zeit denken –nämlich kognitiv voreingenommen. Was im Außen passiert, gestaltet das Vergehen der Zeit in unserm Innern als Geschichte. Erleben wir viel (das heißt nicht: schnell), erhöht sich die Dauer, trotten wir, verkürzt sich das Leben. So individuell die Zeit auch läuft, wir erfahren kausal und spielen diesen Ball bis zu Gott. „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“, lassen wir die Offenbarung der Bibel sagen. Wir legen die Zeit in die Hände eines von uns erdachten Archetypus. Indem wir Anfang und Ende denken, knüpfen wir ein Seil von Punkt zu Punkt, auf dem Geschehen entlang hangeln kann. Das ist ein Konzept, das wir in die Welt hineindenken, weil es uns immer geholfen hat und evolutiv von Vorteil ist. Chaos strukturiert sich. Es hilft uns auszurechnen, was in der Welt passiert.

In der Wirklichkeit, und zwar in jener, die wir nicht denken (obwohl das Denken auch zur Wirklichkeit gehört und Wirklichkeit erzeugt), gibt es weder eine Vergangenheit, noch eine Zukunft. Diese gibt es ausschließlich als Hilfsstrukturen in unseren Köpfen und wir neigen dazu, mit ihnen ein unbeschreibliches Theater zu machen. Zum Beispiel indem wir Zeitreisen phantasieren und millionenfach Science Fiction darum spinnen. Es gehört nur ein wenig geistige Abkehr vom eigenen Wunschdenken dazu, um zu erkennen, daß Zeitreisen mit der realen Welt niemals vereinbar sein können. Sie setzen voraus, daß alles Existierende auf der Welt in jeder Nanosekunde ein komplettes Duplikat seiner selbst ablegen müßte, fest an einem genau definierten Ort (in einem Kosmos, der unaufhörlich durcheinanderdreht und wirbelt und wo es keine definierbaren Orte gibt), zu einer genau definierten Zeit (die in unterschiedlich bewegten Systemen unterschiedlich läuft), um dort als Vergangenheit jemals wieder auffindbar zu sein. Und umgekehrt, die Welt müßte für jede kommende Nanosekunde bereits als physikalische Matrix vorliegen, die durchlebt wird, als würde das Jetzt nur jeweils das bereits in der Zukunft Vorhandene abfragen. Das Leben wäre nichts weiter als ein Zeiger, der durch eine Wand aus bereits fertigem Geschehen liefe, dabei alles Physikalische durchstreicht und sofort hinter sich zurückläßt. Das Leben wäre der geistige Moment, der Rest ein unverrückbares Massiv namens Kosmos durch den es hindurchläuft.

Was für ein Unsinn. Es zeigt die Menge an Festigkeit und Statik, die wir ersehnen und die wir uns selbst erzeugen. Eine Backsteintaktik. Wir sind geschichtliche Wesen, die in sich aufstapeln, was ihnen begegnet. Das ist eine Grundvoraussetzung mit der enormen Informationsmenge, die uns im Hier und Jetzt begegnet, vorteilhaft fertig zu werden. Da wir memorieren, können wir vergleichen und souverän agieren. Wir lesen aus der Welt Geschichten, die wir in unseren Kontext integrieren. Nichts in der Welt bleibt spurenlos und wir haben unsere inneren Mikroskope bis zu großen Teilchenbeschleunigern erweitert, in denen wir nach Spuren suchen.

Die Welt und das Leben sind ausschließlich gegenwärtig und nur die Implikationen, die gegenwärtig sind, können sich entwickeln. Daß sich Vergangenheit auf vielerlei Art und Weise aufhebt im Erinnerten, in Struktur und Textur, in  den gültigen Mustern des Gegenwärtigen, daß sich Information einflechten und aufstapeln läßt, zwingt uns dazu, mit ihr zu rechnen. Vergangenheit ist ein Teil der Gegenwart und wir müssen also mit ihr rechnen, sobald wir gegenwärtig sind. Aber auch die Zukunft ist Teil der Gegenwart, in dem Sinne, daß ganz sicher ist, daß etwas geschehen wird, das aus den Konstellationen und dem Storypaket des Gegenwärtigen entwickelbar ist und es führt kein Weg daran vorbei, mit ihr zu rechnen, eine Entscheidungen zu suchen und zu treffen.

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