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Essay
Abschiede oder Willkommensgruß - Sprachräume von Frank Milautzcki
16.02.2012 | Hamburg
1. Raum
Die Welt redet mit uns und wir reden mit der Welt. Kommunikation, die darunter leidet, daß wir die Welt nicht so verstehen, wie sie es meint, sondern so, wie wir unsere Begriffe setzen. Was bedeutet: in unserem Sinne. Wir meinen erkenntnisgesteuert durch Raum und Zeit zu schiffen, aber stehen mit unseren veralteten Denkweisen mehr denn je auf der Kippe uns zu verabschieden. Das Tempo der von uns angestoßenen Veränderungen suggeriert uns Bewegung, die frei macht, die moderne Welt will das Offene, um sich selbst zu begehen, dabei stehen wir fest in einem Kontext, den wir nicht verlassen können. Und doch verlassen wir ihn täglich mehr und mehr, verabschieden uns nicht nur aus Iglus und Waldhütten, sondern auch von Zwiesprache und Respekt. Die Moderne leidet darunter, daß sie nicht nachhaltig genutzt wird, die Möglichkeiten, die uns eröffnet werden, verkommen in dummen Klischees und bleiben in der plumpen Gegenwart der Menschen stecken. Die Moderne wird mißbraucht um sie zu Geld zu machen. Geld ist ihr Treibstoff, aber der wahre Treibstoff sollte das Eröffnen von Möglichkeiten sein, die wir uns vergegenwärtigen und auf eine andere Weise sinnvoll nutzen, als es im Massengebrauch bislang geschieht. Wir verwandeln unsere Welt in eine digitale Höhle, einen Schlauch aus Bits und Bytes, der davonschießt ins Herz eines Servers und im digitalen Nirwana endet. Das bunte Flimmern an den Wänden ist die Lightshow des Untergangs, ein Computerspiel in 3 D und wir davor mit unseren Brillen.
„Die gewöhnlichen Begriffe müssen neu durchdacht und dem komplexer gewordenen Kenntnisstand von der Wirklichkeit angepaßt werden. Dabei soll der Bewegung des Denkens, den Nebenbedeutungen und Assoziationen im Bewußtsein Beachtung geschenkt werden, da das Gewebe von nur halbbewußten Vorstellungen, das durch Sprache hervorgerufen werden kann, den Sinn dessen, was angesprochen werden soll, eventuell besser wiederzugeben vermag, als ein logisches Schlußverfahren.“ so schrieb es der Physiker Werner Heisenberg - ein Zitat (es begleitet das neue Buch von Martin Jankowski), das die Sorge zeigt, unsere Verfahren seien nicht ausreichend die Welt zu begreifen und die auf Logik basierende Kommunikation mit unserem Außen sei unvollkommen.
Logik ist für uns real. Wir haben sie als Ordnungsprinzip ausgemacht, das wir erfolgreich denken. Sie ist keine Erfindung von uns, sondern eine Findung. Sie bringt Struktur in den Anblick der Welt. Was wir mit ihrer Hilfe ertasten, gibt uns Gewißheit in der Dunkelheit unserer Höhle. Jahrhundertlang haben wir logische Fragen gestellt und logische Antworten bekommen. Mathematik und Logik sind die Grundlage, auf der sich leben läßt. Verläßlich und ausnahmslos gültig. Sie besetzen den Inbegriff des Wahren. Wer sich auf dem Boden der Wahrheit bewegt, geht nicht in die Irre. Die Angst sich zu verlaufen weicht zurück, das sichere Hantieren mit der Wahrheit minimiert die Gefahren - es ist unsere evolutive Erfahrung, daß stimmige Erkenntnis uns bevorteilt und unsere Zukunft sichert. Die Strenge der binären Codierung, die Schärfe der logischen Begrifflichkeit billigt allem Digitalen und jeder Technik einen Vorschuss zu - wir vertrauen und bauen darauf (und kriegen die Rechnung doch selbst).
Erschöpft sich die Welt aber wirklich in der Art der Fragen, die wir stellen? Wie läuft unsere Kommunikation?
Francisco Varela und Humberto Maturana haben in ihrem Buch „Baum der Erkenntnis“ das biologische Konzept der Autopoiesis ausformuliert, in der die zeichenvermittelnde Interaktion bis hinunter auf molekularer Ebene als Kommunikation gesehen wird, die dafür sorgt, "dass die Struktur des Milieus in den autopoietischen Einheiten Strukturveränderungen nur auslöst, diese also weder determiniert noch instruiert“. Mit anderen Worten: Die Welt (das Milieu) ist da und kümmert sich nicht. Die autopoietische Einheit (der Mensch) ist selbst daran interessiert, die sie umgebende Struktur zu erkunden und sich ihr erfolgreich anzupassen. Es gehört zum Lebensvollzug sich der Welt zu stellen und durch ständigen kommunikativen Abgleich eigene Welt herzustellen. Sich selbst herzustellen.
Varela und Maturana nutzen dieses Konzept der Autopoiesis um „Leben“ bereits auf molekularer Ebene zu definieren. Wie man sieht, lassen sich die Prozesse problemlos auf komplizierter belebte Einheiten übertragen. Kommunikation ist in diesem weiten Sinn der Austausch von Information.
Auch Linguistik-Theorien stellen Kommunikation als den Austausch von Fracht dergestalt dar, daß diese von einem Zug (=der Sprache) zwischen zwei Städten hin- und herbefördert wird. Die Fracht ist die Information. Man denkt diese Information als semantisches Material. Eine etwas reduzierte Sicht. Denn die Fracht, die weggeschickt wird, besteht nicht nur aus ihrem Satz, sondern sie ist angereichert mit Eigenschaften des Zuges, der sie befördert (er holpert womöglich und stolpert, ist winddurchgeschüttelt), als auch mit Eigenschaften der Städte, zwischen denen sie kursiert. Der Übellaunige sendet anders als der Verliebte. Der Gestresste empfängt anders als der Entspannte. Es lassen sich Milieu und Einheiten, ihre autopoietischen Prozesse und persönlichen Eigenschaften nicht heraustrennen. Es gibt zwar einen rein materiellen Aspekt, eine Zeichen- oder Signalfolge, die für den Kern sorgt, um den die eigentliche Kommunikation kristallisiert, aber sie stellt sich bei jedem Teilnehmer sofort in einem Raum auf, vielmehr: es entwirft sich bei jedem Teilnehmer im Zuge der Wahr-Nehmung sofort ein individueller Raum - selbst wenn es sich um mathematische Formeln handelt. Eine Zeichenfolge wieE= mc² bedeutet einem Physiker, der an „der Bombe“ mitgearbeitet hat, etwas anderes als einem Überlebenden in Hiroshima. Sogar die Beschaffenheit der Sprache spielt eine Rolle. Ein Ruf verhallt in den Schluchten und Klüften von La Gomera, ein Pfiff nicht. Bis zu zehn Kilometer weit trägt der Wind den Satz und die Guanchen sind in der Lage in ihrer Pfeifsprache wirkliche Unterhaltungen zu führen. Während die Kommunikation in der Wortsprache scheitern würde, in der Pfeifsprache gelingt sie – in dem speziellen Milieu des Vulkaninselgebirges bei Kenntnis der Sprache El Silbo.