Kriminal Tango in acht Folgen
3 Chioggia
September 2012
Zurück mit der Menschenmenge zum Markusplatz, mit manchen von ihnen wieder per Vaporetto quer übers Lido zum Auto. Das parkt auf der Landzunge unter dem Rieddach. Hoffentlich ist es nicht geklaut. Ihre Koffer wären fort, für die Katz wären die anstrengenden wohldurchdachten Einkäufe gewesen. Alles ist da. Zurück auf die Autostrada via Chioggia. Lastwagen schleppen die Gemüse-Ernten in die Fabriken, deren Schilder vor den Feldern stehen, Mais, Kohlrabi, Lauch, Blumenkohl, Auberginen, Zuckerrüben und immer wieder Bohnen. An bei den Seiten haben die Bauern ihre neue Ernte zum Verkauf ausgebreitet, Trauben, Äpfel, Birnen und Quitten. Katharina steigt aus, um sich Obst gegen den Durst zu kaufen. Zentnerweise lagern Kürbisse auf dem Boden, gelbe, rostrote und grüne in vielen Größen, kinderkopfklein, männerkopfgroß, die größten gewichtig wie Alfredos kugeliger Bauch. Fasziniert spaziert sie an den Holzstiegen mit Zierkürbischen entlang. "Wie heißen die?" - "Zucchi", lächelt der Landwirt aus dem ledrig-braunen Gesicht. Nicht zum Essen, zur Zierde. Wie Blumen. Klein sind die, wie eine Kinderfaust und eine Frauenhand ungefähr, gelbe Kugeln und grün-weiß-gestreifte in Birnenform und vor allem solche, die den Fliegenpilzen nachgezüchtet sind, weißliche Knollen mit rötlichen Mützen. Was es alles gibt.
Spätnachmittag ist es und immer noch heiß. Zum Glück hat der Volvo eine Klimaanlage. Nicht auszudenken, was die Hitze im Kofferraum ausbrüten würde. Schwer hab ich mich getan, mir den Luxus zu leisten. Nun bin ich zum ersten mal reich und zum Umlernen zu alt. Geschämt hab ich mich und hatte ein schlechtes Gewissen wegen des Erbens; ohne Arbeit, das ist nicht richtig. Nun bin ich froh, dass das Auto kühl ist. Weil man nie wissen kann, wann ich Sohn Sandro zu mir nehmen kann und ob ich es nicht auch werde verstecken müssen, habe ich vorsichtshalber Eichhörnchen-Aktion gemacht und das Notwendige an Wäsche und auch Nahrungsmittel für zehn Tage eingekauft; im Kofferraum lagert das teils verderbliche Zeug. Die Kühlung geht dort vielleicht gar nicht, Gase entwickeln sich unter der Plasteverpackung, wenn die Sonne im Stau zu lange auf einen Punkt scheint. Vorn und fern, soweit der Lastwagen den Blick freigibt, hängen die Berge in den Wolken, es könnte ein Gewitter kommen und mit den Wassermassen eines Wolkenbruchs abkühlen. Nun ruckt es weiter, schneller, noch schneller, der Stau ist vorbei, die Hoffnung steigt. Was ist von soviel leidenschaftlicher Liebe geblieben. Angst tötet Liebe zu Männern, noch mehr die um ein Kind. Mist, das Grübeln bringt nichts als demnächst einen Unfall. Schluss. Ich muss an was Schönes denken. Das war damals mit meinem Ersten anders, die Straßen schlechter, trotzdem kamen wir schneller voran, als ich mit Norbert im Wartburg durch die Mark Brandenburg nach Polen gefahren bin, um zu sehen, wo er daheim war. Als Kinder hatten wir uns kennengelernt. Aus Leipzig waren meine Eltern evakuiert worden, er war Flüchtlingskind aus Ostpreußen. Geblieben wie so viele Leute 'nach fünfundvierzig'. In Dorfkammern haben beide Familien eingepfercht gewohnt, seine und meine. Wir Stadtkinder gingen zur Schule, Unterricht in einer ehemaligen Schmiede, nachmittags ging er mit vierzehn als Waldarbeiter, um Geld zu verdienen. Ein alter Waldarbeiter hat Norberts Schulbücher gefunden, die er in Pausen hervorzog unter dem Baumstamm, um zu lernen, ihm bei Mathematik geholfen; denn er war eigentlich Lehrer. Kaum einer hat damals gemacht, was er gelernt hatte. Das ist, wenn auch aus anderen Gründen, ein wenig wie heutzutage gewesen. Alle Mädchen im Dorf sind hinter ihm her gewesen, Norbert mit den Belladonna-Augen unter buschigen Brauen, lackschwarz wie die Locken, sie haben ihn Norberto genannt und gefragt, ob seine Eltern aus Italien kämen. Die waren dagegen, meine waren dagegen, dass wir miteinander gingen. Bei den Schularbeiten hab ich ihm geholfen, aber er hat mir das Nachdenken beigebracht.
Wir haben uns verloren und wiedergefunden im Studium in Leipzig und Berlin und es immer wieder geschafft, uns zu treffen. Niemals aus den Augen verloren. Alle sind gegen uns gewesen. Seine Mutter hat vor ihm gekniet und gebeten:"Lass die Deitsche, die sind alle beese, bringen Unklick! Waißt doch, was die Nazis deinen Tanten angetan haben, und haben deinen Onkel ermordet." Meine akademischen Eltern haben wie so viele ihrer Landsleute ihre slawische und jüdische Herkunft verdrängt; ihnen ist der "polnische Bauernbengel" nicht fein genug für ihre "eenzsche Prinzessin" gewesen. Wenn die wüssten. Arbeiter- und Bauernstaat hin und her, Vorurteile, die in Generationen gewachsen waren, sind auf amtliche Verordnung nicht wirklich gewichen. Und 'die Politik' war auch gegen unsere Verbindung. Wir wurden absichtlich nicht in gleichen Betrieben angestellt. Haben als Studenten geheiratet, wurden von Berlin nach Leipzig dirigiert, haben zuletzt doch durch List und Geschick und auch Glück die Plagwitzer Altbauwohnung bekommen, in der ich bis zuletzt wohnte. Die Tapeten haben von den Wänden in Fetzen gehangen, das Salpetersalz hat grünlich in den Ecken gefunkelt. Mit Holz und blakenden Braunkohlebriketts habe ich morgens um fünf eingeheizt, alles vier Stock hochgeschleppt aus dem Rattenkeller, falls es was zu kaufen gab. Mit den kleinen Kindern allein, ich machte alles gleichzeitig, von wegen goldenen Zeiten für Mütter dank DDR-Kinderkrippe, das war die spätere Generation.