Kriminal Tango in acht Folgen
3 Chioggia
Im regen Austausch der Städte Frankfurt am Main und Leipzig an derPleiße waren manche in ihrer Familie zu Urgroßvaters Zeiten hin- und hergezogen, der eine als Architekt, und der andere hatte in einer der berühmten Werkstätten in der Bücherstadt Leipzig die Meisterprüfung gemacht und war als Drucker bei der Frankfurter Sozietätsdruckerei angestellt worden. Im Hinterhaus wurden Kästen mit Bleibuchstaben, handgeschöpftes französisches Bütten und sonderbar makabre Lithografien gefunden. Eine Liebesszene hat den Findern Schauder über den Rücken gejagt: Rührend zart, aber warum hatte abwechselnd der Geliebte und die Geliebte einen Revolver in der linken Hand? Schimmelige Zeitungen und Bücher waren in Kisten und Schränken gestapelt; der Sohn soll sich während des Nationalsozialismus mit kleinen Druck-Aufträgen und Buchbinder-Arbeiten über Wasser gehalten haben. Als ich unerwartet von der Frankfurter Erbschaft erfuhr, bin ich hingefahren. Nach Norberts Tod in der zerfallenden Altbaubude in Leipzigs Fabrikviertel Plagwitz allein, hatte ich sowieso nichts zu verlieren. Mit den erwachsenen Söhnen kaum noch Kontakt, meine Stelle bei der Stadt gleich 1990 verloren; als einer der ersten Institutionen war der Jugendclub geschlossen worden. Und jetzt erst überlege ich mir, mein Ererbtes in meinem erlernten Beruf für die neue Generation sinnvoll anzulegen. Wenn mir nicht der jüngste Nachwuchs einfiele, mein Sandro. Bambino geht vor. Ist das alles erst einmal geregelt, mein Sohn bei mir, dann sehen wir weiter.
Ich zog in Frankfurt gleich ein, die Tante war ja imitten viel zu vieler Jugendstilmöbel tot umgefallen. Viel Ärger gab es weiterhin: Unter mir lärmte die italienische Pizzeria und über mir die WG, wie die im Westen Wohngemeinschaften nennen; zum nächtlichen und täglichen Gestöhne aus manchen Zimmern kam das Durcheinander im Bad, der Krach in der Küche, der Streit um ständig leergefressene Kühlschränke, um Sonnenbaden im Garten, falls man das Karrée zwischen den vier Altbauhäusern rund um die schiefe Kastanie so nennen kann. Mülleimer die eine Wand lang, so dass es immer nach Küchenabfällen stinkt, vor allem die vom 'Italiener', 'Ristorante Piccolo'. Faulende Fischköpfe, Gemüseabfälle und Espresso-Reste durcheinander vergoren schnell und stanken sehr. Den stetig wechselnden jungen Männern aus Umbrien und Ascoli Piceno gefiel es, wenn sich die Studentinnen auf dem abgetretenen Gras so gut wie nackt sonnten, den Frauen ihre Stielaugen nicht, so gab es bisweilen Wortwechsel: Gestank hüben wurde gegen Unzucht drüben aufgerechnet, bisschen Schmutz, dreckige Wäsche gewaschen, auch leicht vergessen. Drei Tage lang wurden Mülldeckel geschlossen, Mädels mit Handtüchern abgedeckt. Dann ging das Gezänk von Neuem los. Frankfurter Nachbarn sind meist tolerant, es ist zwar wie Leipzig eher ein Großstädtchen als eine Metropole, mit seiner reichlichen halben Million, aber seit eh und je Vielvölkerstadt, "multikulti" sagen die Besucher in ihrer Uniformsprache, die sich mit Hallöchen grüßen und fortwährend links und rechts küssen. Beide Parteien petzten, ich musste als neue Hausbesitzerin vermitteln. Was tun. Ganz gern. So hab ich Piero immer öfter gesehen. Mit ihm bin ich auch einmal nach Leipzig gefahren, weil er unbedingt wollte. Vernarrt, wie ich war, hab ich das für ein gutes Zeichen gehalten, dass er es vielleicht doch ernst mit mir meine. Meine Heimat - deine Heimat. Fotos von meinem Mann hat er sehen wollen, schwarz-weiße Fotografien: den unscheinbaren kleinen Gelehrten in Grau erkenne ich selbst in dem jungen Waldarbeiterbub kaum wieder: dunkel von Haut und Haar, sah er einem anziehenden Italiener ähnlich, von Haus aus Pole, und während der Polenferien per Zelt hat er sich fließend verständigen können. Eine komplizierte Geschichte, wieder hab ich mich weit zurück erinnert: mit vielen Dorfmädels war er gegangen, später hat diese Schülerliebe Unterbrechungen erlebt, keiner durfte das in der DDR wissen, gegen die Funktionäre sind katholische Nonnen ja tolerant in Liebesdingen. Das ist mir zu den alten Fotos eingefallen. Piero hat aufgeregt mit Händen und Füßen geredet, wie sein Bruder und Onkel und wer weiß wer in seiner Familie sehe mio Marito muerto aus. Aha, dieser dunkle Mann, sei er nun slawisch oder romanisch oder wer weiß was, ist eben 'mein Typ'.