Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Essay

Autor:
Klaus Anders
 

Essay

Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

„Aristoteles. Eine Stadt sollte nicht größer sein, als man von einem Hügelrücken aus überblicken kann, sagt er, denn das ist die Grenze des menschlichen Fassungsvermögens.
Hier denke ich an die Verwendung von Bildern in vielen modernen Gedichten. Sie sind überwuchert davon, sind so voll von Bildern, daß man sie nicht fassen kann – immer nur teilweise.
Die Dichter folgten der Parole: sei mannigfaltig, verwickelt, groß, gewaltig, versuch alles zu umfassen, alle Zeiten, alle Probleme, alle Räume…
Anstatt den anderen Weg zu gehen, vereinfache, versuche, den Kern zu fassen, es konkret zu machen. ( … )
Gebraucht einer eine traditionelle Form, muß er sich damit abfinden, daß das Gedicht Dingen ähnlich ist, die schon früher gemacht wurden, das versteht sich von selbst, das macht die Form. Aber etwas kann einer einbringen, das sein eigenes ist, Gedanken, Gefühle und Bilder und seinen eigenen Ton. Schafft einer das letzte, sollte er zufrieden sein.“ (Tagebuch, Weihnachten 1970)

„Modernistische Gedichte sind wie ein Unkrautacker nach einer Hormonspritzung, künstliche, unnatürliche Gewächse, die sich zu Tode wachsen. Viele große Wahrheiten sind aufgegeben; sie stehen und starren uns nach – und lächeln.“ (17.11.1959)
„Die modernistische Verskunst haßt die Schilderung (…) Doch gerade indem sie die feste Form und die Zwangsjacke verwirft, entfesselt sie den ‚Fluch der Beschreibung‘, sie kann sich ausbreiten, hier ist Raum genug, hier engt kein Reim ein und wir bekommen die endlosen Schilderungen, die man so oft in modernistischen Versen antrifft anstelle des verdichteten Bildes, des treffenden Wurfs. Darum ist moderne Lyrik so flach, und du wirst sehen, sie wird einen schweren Stand haben! Die Zeit wird hart mit ihr umgehen! Ich sehe dem wirklich Guten entgegen.
Die Beschreibung ist ein Hängemoor, du sinkst immer tiefer ein je länger du versuchst, dich freizustrampeln. Leichte Füße und Flügel!“ (3. 12. 1959)
 
Was er also den Modernisten vorwirft, ist nicht der Gebrauch anderer Formen als ihrer Vorgänger, denn auch er sieht eine gewisse Erschöpfung in zu oft und zu lange gebrauchten Formen. Er schreibt ja selbst Gedichte im „neuen Stil“,  doch nicht ohne Skepsis. Halb zog es ihn, halb sank er hin – aber gegen das Ziehen setzte er einen zähen Widerstand. Das Ergebnis ist der eingangs so freudig begrüßte Gedichtband „Auf Adlers Hügel“. Der Titel ist ein Vers aus der älteren Edda.
 
„(…)  hat einer was zu sagen, findet es seine Form. Diejenigen Dichter arbeiteten am besten, die nicht so viel über Formfragen grübelten, z.B. Emily Dickinson und Thomas Hardy,  sie sind erfüllt von dem Leben um sie herum, sahen etwas und hatten immer etwas zu schreiben, die Formen, die sie sich einmal zugelegt hatten, schienen ihnen gut genug. Ein Dichter, der freie Verse schrieb, Whitman und Lawrence, arbeitete auf dieselbe Weise. Das Leben schwächte sie nicht, es war immer neu zu nehmen.“ (16.7.1974)

Aber noch einmal zurück: 1946 erscheint Hauges erster Gedichtband „Glut in der Asche“. Er wird kaum beachtet, in Oslo wahrscheinlich überhaupt nicht wahrgenommen. (Hier sei nur nebenbei erwähnt, daß zwischen dem „kultivierten“ Ostland und dem „wilden“ Westland eine Sprachgrenze verläuft. Hauge schrieb stets in der Schriftsprache des Westens, Nynorsk – eine Sprache, die den Ostländern als bäurisch und unkultiviert galt, auch noch gilt, und die sie oft nur unvollständig verstehen, etwa so, als präsentierte man einem Norddeutschen auf Alemannisch geschriebene Gedichte.) Vor der Veröffentlichung muß Hauge wieder zwangseingewiesen werden. Noch aus der Klinik heraus versucht er, das Manuskript zurückzuziehen. So und ähnlich wird es vor oder kurz nach dem Erscheinen seiner nächsten vier Gedichtbände gehen. Seine Selbstzweifel überwältigen ihn, zweimal verbrennt er sogar ein vollständiges Manuskript (und muß es später aus dem Gedächtnis rekonstruieren).

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