Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Essay

Autor:
Klaus Anders
 

Essay

Olav H. Hauge - Europäischer Dichter aus Norwegen

Eines der Gedichte aus „Glut in der Asche“, das Hauge selbst im Alter noch schätzte, ist


DER KIRSCHBAUM

Da steht ein Baum am Hagen
Und breitet an lenzkalten Tagen
Schimmerndes Neuschnee-Geäst.
Klopft an die Stubenscheiben
Und läßt ins dürre Gras treiben
Aus Blütenblättern ein Fest.

Der Kirschbaum ist es, im Garten,
Wo andre Bäume noch warten,
Blüht er schon so zeitig im Jahr.
Drückt gegen Schuppenwände
Den Stamm mit der knorrigen Rinde,
Bringt uns seinen Segen dar.

Tausend helle Blumen träumen,
Gegen Dach und Planken schäumen.
Heilig und weiß und still
Schimmern in der Nacht die Blüten,
Die des Hofes Frieden hüten,
Frühlingsleicht und mild.

Er spiegelt sich scheu am Strande,
erinnert an östliche Lande,
japanische Gärten, Gedicht',
Geduldig wendet sein Wipfel
gegen die schneeblauen Gipfel
der Kälte des Frühlings Gesicht.



Es gibt einen weiteren durchgehenden Zug in Hauges Werk, auf den der Dichter Ronny Spaans hingewiesen hat, ein Selbstgespräch, das nicht endet und sich in verschiedener Weise in seinen Gedichten niederschlägt, die Auseinandersetzung mit dem, was man – vielleicht nicht sehr treffend – Volkspoesie nennt. Nadeshda Mandelstam sagte in einem Gespräch mit Joseph Brodsky: „Nach meiner Meinung gehört zum Wichtigsten bei der Erforschung der Literatur die Frage nach der Verbindung zur Volkspoesie.“ (…) Sie „kann man nicht abstreifen, die Frage ist nur: wie kann man sie umsetzen in individuelle Dichtung.“

Unter Volkspoesie ist hier nicht eine Art von gelegentlich Mode gewordener Folklore zu verstehen, sondern die im weitesten Sinn überlieferte und im kollektiven Gedächtnis bewahrte Dichtung, zu der in den nordischen Ländern auch die altnordische Literatur gehört, deren bekannteste Sammlung uns in der älteren und jüngeren Edda vorliegt. Der schon genannte Asbjørn Aarnes schreibt, nachdem er begonnen hatte, sich mit ihr vertraut zu machen: „Ich verstand da, daß die europäische Literatur aus verschiedenen Quellen stammt: die jüdisch-christliche, die griechische und die nordische, die jüngste Stimme, die etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts hörbar wurde. Und es zeigte sich, daß es gerade die Stimme Snorres war, als seine Edda ins Französische übersetzt wurde (1756) und die ganze europäische Romantik beeinflußte. Die nordische Stimme hatte einen anderen Ursprung und andere Vorbilder als die südlichen Logos-Kulturen. Sie kreist mehr um das Schweigen als um das Sprechen. In der Logos-Kultur heißt es: der Herr spricht, der Knecht schweigt. Nun bekam das Schweigen eine neue Bedeutung: Man schweigt nicht aus Not, sondern weil einen ein Licht getroffen hat, ein Ton, eine Stimme, und man weiß nicht, ob es aus dem Herzen kam oder von den Sternen.“

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