Die Verfertigung der Welt im Kinderauge

Essay

Autor:
André Schinkel
 

Essay

Die Verfertigung der Welt im Kinderauge. Eine Vorlesung in drei Kapitellen

Man kann ihn im Lakonischen, im Heiteren (ein Wort, für das ich in Bezug auf die Lyrik vor mir selbst gestorben wäre) und im Ernsten gebrauchen – er ist zuverlässig, wenn man ihn beherrscht. Heute glaube ich, sein Gebrauch fällt mit dem zeitgleichen Beginn meiner Nachdichtungsarbeit zusammen, in der ich gezwungen war, einem Text sein Gewand, das er im Original hatte, wiederzugeben, was wiederum mich um einige Wochen Schlaf brachte, sich aber lohnte. Und: sich in die Welt meiner Erwachsenen-Gedichte einschlich und sich dort einnistete, sein metrisches Unwesen trieb, kichernd an der Verknüpfung der Metiers arbeitete und sich nicht beirren ließ. Zwischen den Elogen und Episteln, den Nachtgesängen und Erhabenheiten fand sich nun plötzlich allerlei Skurriles wieder, das man im ernsten „postmodernen“ Ton gar nicht hätte ausdrücken können, und von dem ich froh bin, dass es nun da ist. Eine Reihe Ostseegedichte wäre so nicht entstanden, oder „Aquarium“ … oder das alberne „Binturong“, das mit „Pogeruch“ und Abschweifungen über die Liebesunlust einer Schleichkatze sinniert und nur deshalb nicht für Kinder geeignet ist, vom Ton her wäre es das schon. Und auch den Pogeruch hätten mir die Kinder, anders als Hans-Joachim Gelberg, nachgesehen, aber das soll nun – noch nicht ganz – Gegenstand der Erörterung sein.

Was ich eigentlich sagen wollte: Seit jenem Nilpferdgedicht ist mir das Schreiben für Kinder immer wieder begegnet, leichthin zuweilen, öfter jedoch schwierig – anders als Erwachsene sind Kinder reißwölfische Kritiker und in ihrer Welt so ausgebufft, dass man als Erwachsener dort nicht viel zu melden hat, was die Sache erschwert. Wenn ich die Geschwindigkeit meines Schreibens für Kinder betrachte, sollte und dürfte es einen gesammelten Band mit einschlägigen Gedichten vielleicht 2017 geben, einen Band mit Kindergeschichten frühestens 2023. Oder ein Jahr später.
Was mir wichtiger erscheint, ist der Fakt, dass es mir überhaupt möglich ist, für Kinder zu schreiben, das sollte schon mehr sein, als zu träumen gewagt war, und es erfüllt mich, seitdem ich es zulasse, mit einer Art dankbarer Ruhe.



Die Augen, die Alter

Das Erstaunlichste ist, seine Kinder zu lieben,
Ehe sie da sind; und genervt sein
Von der eigenen Liebe, weil sie anders
Vorausgesagt war. Dieses Leuchten
Der Lichtmeteore – jenes unverlöschliche Blau,
Welches umkippt in Blaugrau, mit
Dem Facett-Glanz zerstückter Pretiosen.
Nach der Geburt – diese schielenden
Hälftchen, unter dem Knautschlack der
Lider ins Kleine gezeichnet: die Augäpfel
Der Mutter. In fünfzehn Jahren werden
Diese Augen Männer verspeisen, und mir
Bleibt nichts weiter zu tun als ein
Nörgelnder Alter zu sein. Gottlob – älter
Dann, womöglich, als es mein werter
Herr Vater je war. Schwarz löst sich
Vom Rücken der Zeit endlich der Schatten,
Ein bärtiger Mann, der meine Züge,
Zwanzig Jahre zuvor, unglücklich trug.



c. Die Gelberg-Ereiferung

Wenn es nun mal so langsam vorwärtsgeht  mit der Kinderbuchautorenwerderei, meine Damen und Herren, muss man sich in der Zwischenzeit wohl oder übel mit etwas anderem beschäftigen … der Verfertigung komplizierter Essayistik, die einem schwer im Magen liegt und auf das Geschwür drückt, mit der Herstellung von Vorlesungen gar, von verquasten Gedichte oder, auch gut, traurigen Liebesangelegenheiten, im Leben wie der Kunst. Nein, aber dem Autor bleibt nix als zu schreiben, die Aquarien der Seele zu putzen und sein Schicksal zu beklagen; oder, anders: zu Texten verdammt sein und letztlich, das lehrt uns die Zeit im Heuschreckendoppeljahrhundert, das uns umgibt, ihren Verkauf auch noch bewachen zu müssen.

Eine andere schöne Beschäftigung für einen Schriftsteller ist es, sich ein bisschen zu zanken. Schriftsteller sind darin gut, sie haben ein natürliches Eitelkeits- und Rumzick-Gen, das hat wohl mit der Zumutung ihres Berufs zu tun. Bis ich zum Redaktionsleiter einer Zeitschrift wurde, wusste ich darüber nicht mehr als nötig, auch nicht darüber, dass der Stiefel, den ich seit meinem Coming-out als Schreiber gefahren hatte, bei weitem nicht nur existenzielle Beweggründe hatte, sondern auch Eitelkeit, Zimtzickentum und Stuten- (im meinem Fall Hengst-)Bissigkeit beinhaltete. Naja, das ist nicht ganz neu auf der Welt, dass Künstler schwierig sind, so wie Schwiegermütter und Vorgesetzte auch; aber seit ich beide Seiten kannte, war ich ein wenig schlauer, weil mit den Nöten eines Redakteurs vertraut, der neben einigen Perlen immer auch einen Haufen Mist auf den Schreibtisch geschickt und gemailt bekommt.
Es ist schizophren: Was mich als Redakteur zunehmend milder stimmt, mit der Eitelkeit, der Verletzlichkeit von Schriftstellern umzugehen, beherrsche ich das im Angesicht meiner eigenen verschickten Texte nach wie vor nicht; während ich Ablehnungen täglich aussprechen muss, trifft mich die Ablehnung meiner kleinen Heiligtümer bis heute, als hätte ich nie in der Redakteursklemme gesteckt.
Einer wie der andere ein großer Dichter auf Erden, und sei er die traurigste Wurst unter der Sonne … also auch ich? Nein, aber ich weiß, dass ich im Fall der Zurückweisung bitter und sackwalzig sein kann, und ich probiere den Effekt dieses Phänomens, wenn es eintritt, immer und immer mal wieder aus. Besonders scharfkantig werde ich, wenn ich irgendwo zur Mitarbeit eingeladen – und dann abgelehnt werde. Dass man sich über die Qualitäten oder nicht Nicht-Qualitäten eines Autors im Zeitalter der fortgeschrittenen Verkabelung nicht vorher informieren kann, was Unannehmlichkeiten beiderseits und Missverständnisse vermeiden helfen kann, ist mir unbegreiflich. Aber von vorn: Ich hatte eine Einladung von Hans-Joachim Gelberg im Briefkasten, eine neue Anthologie Gedichte für Kinder betreffend, freute mich, zögerte aber und schickte schließlich doch eine Auswahl Kindergedichte hin. Diese wurden abgelehnt … und ich möchte Ihnen die Begründung gleich mitliefern: weil sie sich reimen. Für einen wirren Moment schaute mich die Welt wie die Mumie ihrer selbst an, und ich verstand für einige Sekunden ihren post-ramessidischen Lauf nicht. Eigentlich gewarnt durch die eigene Redaktions-Arbeit, nahm ich mir vor, darauf nicht zu antworten und es gelassen zu sehen, aber, das können Sie sich vielleicht denken, ich hatte den Brief schon angefangen, und was man angefangen hat, sagt ein altes Tempelschreiberwort, das soll man auch zu Ende bringen. Ich schrieb an Herrn Gelberg und drückte mein Befremden aus.

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