Die Verfertigung der Welt im Kinderauge

Essay

Autor:
André Schinkel
 

Essay

Die Verfertigung der Welt im Kinderauge. Eine Vorlesung in drei Kapitellen

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Hans-Joachim Gelberg ist einer der bedeutendsten Editoren, was Kinderbücher betrifft, das nach ihm benannte Programm im Verlag Beltz & Gelberg ist Legende, es enthält die Bücher so berühmter und wichtiger (was nicht das Gleiche ist) Autoren wie Gudrun Pausewang und Peter Härtling. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Mangel an Demut, ja ein bisschen Größenwahn war, dass ich ihm schrieb … oder nur die Enttäuschung, in seine Anthologie wohl nicht hineinzugehören. Ich antwortete also und erklärte, dass ich sehr wohl weiß, dass der Reim eine leichte Beute für Kinder ist, weniger für den Verfasser desselben, und dass ich mir aber sehr wohl der Herausforderung und des Anspruchs bewusst sei und der sprichwörtlichen Latte, die große Reimer wie Busch oder Ringelnatz aufgelegt hatten. Leider nützte es nichts, ich konnte argumentieren und schicken, wie und was ich wollte, das Kind meiner Hoffnung war bereits im Gelberg’schen Brunnen.

Am Ende verlegte ich mich sogar aufs E-Mail-Schreiben, weil ich wusste, dass dies Herrn Gelberg alles andere als gefiel – sich mit dem digitalen Geklimper befassen. Sie haben recht, das macht man nicht, einen verdienstvollen Mann ärgern. Ich wollte allerdings als verdienstarmer Mann, wenn Sie erlauben, auch nicht geärgert sein und habe meine Arbeit verteidigt. Der Redakteur in mir sagt: Jeder nach seiner Fasson … und so wird wohl die neue Anthologie im Gelberg-Programm, von der ich fürchte, sie ist weniger für die Kinder als vielmehr für Erwachsene bestimmt, die meinen, sie wüssten, was für die Kinder gut ist, ganz ordentlich ohne mich auskommen.
Ich kann Ihnen nur sagen, lassen Sie sich am besten weder mit Schriftstellern noch mit Redakteuren oder Herausgebern ein. Es wird Ihr Schaden nicht sein. Ihr Nutzen zwar auch nicht, aber naja. Was die Gelberg’schen Selbstereiferungen betraf, so verzichtete ich auf die Teilhabe an der Anthologie, ohne je in sie aufgenommen zu sein, und hatte so früher oder später meinen gewiss vorübergehenden Frieden. Vielleicht wird es eine Zeit geben, in der ich auf solche Formen der Nichtverständigung mit einem Gedicht antworten kann und das Lachen auf meiner Seite habe, etwa so:



Faultierlied

Das Faultier hängt an seinem Baume
Wie eine alte Eierpflaume
Und denkt sich: So, wie ich hier hänge,
So selten wach und ohne Zwänge,
Arglist, Zorn und Schererein:
Da kann ich nur ein Faultier sein.



Was ich lernen will und worum es mir geht auf meinem sicher langwierigen Weg zum Kinderbuchautor, der zu werden ich bestimmt noch eine Weile in Zweifel ziehe, ist, dass es mir vorerst genügen soll, in die lachenden Gesichter von Grundschülern zu schauen und zu sehen, dass sie etwas Spaß am Wortspiel entwickeln, und dass es mir für dieses Metier genügen möchte, dass Kinder, und freiwillig, wie es in Wittenberg geschah, die Kinderverse auswendig lernen und zeichnen dazu.

Vielleicht, und das sehe ich mittlerweile anders als was ich mir von meinen ‚hohen’, ‚ernsten’ Texten erhoffe, ist es der größere Lohn, mit einer Wortakrobatesse meines Gedichtes einen kleinen Saisonhit in Laucha gehabt zu haben, dass man anlässlich einer Lesung in Laucha mit einem hundertstimmigen „Wolkenzirkus-Knatterhose“-Chor begrüßt wird und weiß, was man zu lesen hat. Möglich, dass das mein kleiner Beitrag zur Verfertigung der Welt im Kinderauge sein kann, um Phantasie zu erregen und Freude am Wort. Ich glaube, dass die Kinder selbst eine ganze Welt in sich tragen, jedes für sich, für ihre Entdeckung ist oft nur ein Anstoß nötig. Dieser Anstoß ist die einzige Handhabe, die wir als, ach vernünftige, Erwachsene haben.


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