Barackenleben

Prosa

Autor:
Angelika Janz
 

Prosa

Barackenleben

Du hast ein historisches, ein gesundes, ein umfassendes Bewusstsein über diese und alle Baracken in den neuen Ländern der Republik gespeichert in dir, weißt du doch in jeder dieser Arbeitsbehausungen, ob in Dresden, Kleinmachnow, Bitterfeld oder Ferdinandshof, wo ein Nagel an welcher Stelle an den Lattungen zwischen den wärmenden Pappen hält. Regale zu hängen ist eine Kür, die mangels Nachhaltigkeit bald aufgegeben wird, dafür rechnen sich, wie man hier gerne sich ausdrückt, die beliebten Anbaureihen jetzt, Ergebnisse der Pflege erfolgreich und durchaus ernsthaft durchgehaltenen Interesses an der kompliziert selbst- und fremdbestimmten Arbeit des Verwalters der Möbelbörse, die ebenfalls von unserem Arbeitgeber, einer Firma, die von Arbeitskräften des sogenannten zweiten  Arbeitsmarktes lebt, betrieben wird. Die Verächtlichkeit einer Sprache, die vom "Menschenmaterial" auf "Humanresourcen" oder "Humankapital" umsattelte diktierte oft den Umgang der Menschen untereinander. Die Fähigkeiten der Menschen verengten sich auf ihre Förderfähigkeit  vor dem Arbeitsamt.

Ich lernte Kollegen kennen, die die Abstände zwischen den Türen und den in alle Richtungen angrenzenden Wänden, die zentimetergenauen Stellflächen unter den Fenstern, auswendig kannten. Und hinter der immer blitzblanken Glastür der einstmals begehrten Anbaureihe verdämmert die kleine Ausstellung mit Sammeltassen, polnischer Keramik, Kaffeebechern mit der Aufschrift "Die beste Sekretärin", nie mehr seit dem Zusammenbruch benutzten Kaffeekannen mit dem grünen Rand, und einige Bildbände in tschechischer Sprache mit Titeln wie "Slovenska" und "Bratislava". Niemand verwendet für die Vorkommnisse 1989 das Wort Wende.
Manchmal sagen sie: Seit der Westen da ist oder: Seit die D-Mark da ist.
Aber meistens sagen sie: Zusammenbruch. Und sie meinen es physisch, hautnah und selbstbetroffen, - nicht etwa im Synonymsinne  kritischer  Abstandnahme.

Manchmal spiegeln sich im Glas die hölzernen Fensterrahmenfronten, unnahbar robust mit Ausblick auf ihresgleichen, die Fensterfronten der Baracke gegenüber, von filigran gewirkter Massenware blickdicht gardinenverhangen selbst bei heißesten Temperaturen.

Und das Herz blitzt auf, wenn der frisch gewischte Linoleumboden nass noch glänzt wie südlicher Marmor, um in allmählicher Trocknung abzustumpfen in ein schmutziges, schlieriges Braun. Bei der Einweisung einer neuen Reinigungskollegin hörte ich eines Morgens in Flur die laute, überraschte Stimme der "Neuen": Sieh dir das an, was du da zu sehen kriegst. So macht Arbeiten Spaß. Und die andere, mir schon vertraute Kollegin, vom anderen Ende des Flurs: Warte ab. Das sieht gleich zum Kotzen aus. Als ob du' s besser gelassen hättest. Und die Neue, lachend: Neue Besen kehren eben gut. Und die Vertraute, mit leiser werdender Stimme offenbar auf die Kollegin zugehend: . Dass das nicht stimmt, kriegen sie jetzt schneller raus. Egal, ob du gut bist oder nicht. Daraufhin hatten beide ihre Wischarbeit sich wieder voneinander wegbewegend in dem langen Flur schweigend  und zügig beendet.

Hinter den Türen sitzen wir zu Arbeitsberatungen an den plastebeschichteten Tischen, die so breit sind, dass wir einander über den Tisch nicht die Hand reichen können, ohne aufzustehen und uns an beiden Ufern zu verrenken, wir sitzen auf mattfarbenen, abgewetzten, und teilweise durchlöcherten Polsterstühlen, ausgesondertes Mobilar, mit dem man, wie uns der Materialverwalter höhnisch oder war es stolz? bestätigte, nicht mal "Assis" und  "Sozis" mehr ausstattet, er meinte Sozialhilfeempfänger oder auch Asylbewerber, und doch waren es Sitzmöbel, die einstmals Gesäße von Ausgezeichneten stützten. Wir als "ABMmer" (sprich: "Aabe-emmer") fungieren für ihn, die Stammkraft, auf höchster Stufe seiner "Menschenmaterialhierarchie", was ja jetzt "Humanresourcen" in der Amts - und Globalsprache heißt. Seine Arbeitskontrollen unterwegs in einem progressiv wirkenden Kombiwagen sind gefürchtet. Seine Beziehungen sind noch immer einwandfrei. So erzählt man sich und so macht es den Eindruck.

Man erkennt bestimmte Charaktere an der Art, wie sie gewissermaßen unsichtbar kurz vor Eintritt in einen Raum ihren Kopf von der Glasscheibe in der Tür fernzuhalten verstehen, um plötzlich, übergangslos und gewissermaßen ohne die Tür zu betätigen, mitten im Raumgeschehen zu sein, hatte mir eine Kollegin, eine Dorfchronistin in ABM, erklärt. Eine Russischsprachlehrerin einst, später eine Kulturhausleiterin, traurig-schön und slavisch-geheimnisvoll anzusehen, mit schweren Bewegungen und mit in den Anfängen ihrer Arbeit hier noch vollem Haar, das sie wie zufällig zu einem Knoten gebunden hatte, das sie später, nach heftigem Haarausfall gegen eine praktische Kurzhaarfrisur vertauschte, die sie mit den anderen Kolleginnen optisch und später auch im Verhalten zunehmend verähnlichte.
Nach Dienstschluss eilt sie mit ihrem klapprigen Rad einige Dörfer weiter, um in einem unbeheizbarem Verschlag bis in die Nacht hinein Bestellungen für ein Großversandhaus entgegenzunehmen, an deren Prozenten sie ausbeuterisch wenig verdient. Wenn sie russische Musik im Radio bringen, vergewissern wir uns unserer Depots an Papiertaschentüchern, weil sie noch immer unsterblich in Russland verliebt ist.