Prosa
Barackenleben
Hier also hausen wir, und es ist in diesem trotz der Weite der Räume Aufeinanderhocken ein Hausen, das eine verlorene Autarkie wiederzubeleben versucht, wir hausen in der Tapezierung selbstgemalter Plakate, zwischen angehefteten Arbeitsberichten, Zeitungsartikeln, Witzen und Notizen, Fotos, die nichts anderes zeigen als wieder uns, in diesen Bürobehausungen, vor den Jugendclubs, unter Diskogirlanden, zu Arbeitsberatungen, Geburtstags- Weihnachts-und Frauentagsfeiern, gebeugt über Spülbecken, Papieren, Broschüren, Unterschriftenlisten, Schreibmaschinen, angeheftet diese Signale des Tätigseins mit Hunderten von Stecknadeln auf die einmal helle Erfurter Rauhfaser, die zwischen dem allmählich unübersehbaren Anwachsen von Relikten unseres Projektes gebräunt und rußig ist, ein Innenraum voller Stacheln und Spitzen, mit tausenden kleiner Verletzungen an seiner Oberfläche.
Und meine alte Kaffeemaschine, die einzige, die ich je besessen habe, die zweifelsohne eine bedeutende Autorität in diesem Raum darstellt, korrespondiert mit einer kunstvoll in sich ruhenden Pyramide von grün umrandeten Tassen, waghalsig aufgeschichteten Stapeln von Untertellern und Tellern, mit Sträußen von Blechbestecken in Einmachgläsern und einer beachtlichen Auswahl von Instantsuppen auf einem wackeligen Konferenztisch, dessen Standfestigkeit mit zusammengefalteten Papieren immer wieder neu gesichert werden muss.
Die Geburtstage aller Barackeninsassen waren allgemein bekannt oder waren, bei jedem Neuzugang, schnell ermittelt. Unausweichlich war der Geburtstag an ein Frühstück für alle gekoppelt, das selbstverständlich der Jubilar ausrichtete und für dessen Geschenk schon Tage vorher gesammelt wurde. Jeder gab 5 Mark, sodass ein überwältigend großzügiges und leider oft auch nicht ganz den Geschmack des Empfängers treffendes Blumengeschenk überreicht werden konnte. Dieser begann Tage vorher mit den Vorbereitungen, dem Salate- und Bratenzubereiten, Kuchenbacken, Geschirr und Bestecke Organisieren, es gab Wurst- und Käseplatten, saures Gemüse und diverse Marinaden, frische Brötchen, dazu gab es Kaffee aus großen Kaffeespendern - und diese unvergesslichen Feiern zogen sich von morgens 9 zur Frühstückspause oft weit in die Mittagspause hinein, von der Firmenleitung geduldet und nicht selten auch durch einen kurzen Besuch ermuntert, und an diesen Tagen waren besonders die Frauen ständig beschäftigt mit Ein- und Aufdecken, Bewirten, Kaffeekochen, Spülen, Umpacken der Reste auf kleinere Platten, die zu den Kolleginnen und Kollegen im Haupthaus hinübergetragen wurden, und mancher Besucher, der nicht dazugehörte und sich zufällig einfand, musste mithalten, wir saßen mit hochroten Köpfen vor gefüllten Tellern und dampfenden Tassen, beliebtestes Thema war das, womit wir uns beschäftigten, das Essen, seine Zubereitung, günstige Quellen, die oft auch im nahen Polen liegen und weitervermittelt wurden, Erzählungen über ähnliche Feiern im Betrieb und Zuhause, früher und kürzlich. Es liest sich, als sei das Barackenleben ein Schlaraffenlandleben, das täuscht, weil bis auf wenige Ausnahmen, zu denen auch ich gehörte, und ich mich infolgedessen bedauernd meist früher verabschieden musste, das Arbeitsvolumen kaum Schaden nahm, es blieb dasselbe, staute sich nicht, dehnte sich nicht weiter durch Verschleppung oder Versäumnis auf die nächsten Arbeitstage aus, es schien, als seien diese Feiern, die die Menschen für kurze Zeit enger aneinander banden, Bestandteil der Arbeit, ja, geradezu Pflichtübungen, und wer sich, als Geburtstagskind oder Gast diesem Ritual schon zu Beginn entzog, wurde nicht darauf angesprochen, sondern kommentarlos, schon im Vorfeld bei den Geldsammlungen für die Geschenke, übergangen. Auch ich trug mich vor meinen Geburtstagen, den Frauentags- und Weihnachtsfeiern, tagelang vorher mit Vorbereitungen, Einkäufen, Schlepperei und Anrichten herum, in einer Art Lampenfieber, da meine Angebote etwas anders gestaltet waren, vegetarischer, statt saurer Gurken gab es eingelegten Knoblauch und Pepperonis, statt Braten mit Käse und Gemüse gefüllte Blätterteigtaschen und Zuchinikuchen mit Kräuterquark, doch gerade das Neue, "Homöopathische", wie einer der Arbeiter sagte, fand große Begeisterung und neuen Redestoff über Rezepte.
Rechts und links des breiten immer düsteren Ganges befinden sich die Büros der Dorfchronistinnen ( gemeinhin als "Hühnerstall" bekannt), der Kompostierer (die 3 immer höflichen studierten Herren gehen mit uns und untereinander immer um wie in einem Sketch von Loriot) und der Demontage. Hier wechseln einander in wenigen ABM-Monaten die lustigsten, treuesten, erfahrendsten Schreibkräfte ab, zumeist dick, gemütlich, pfiffig, häuslich, ja, ihre Häuslichkeit ist eine hochgeschätzte und still vorausgesetzte Qualität für ihre Einstellung, und sie alle sind durchdrungen von der Persönlichkeit ihres gewichtigen Chefs in mittleren Jahren, dessen Amt die Abwicklung von Gebäuden, vornehmlich der LPG, aus DDR-Zeiten ist, der mit leiser, oft gehetzter Stimme aus seinem umfangreichen Korpus spricht und der erst "draußen in den Maßnahmen" seine im Bürotrakt kaum zu erspürenden Fähigkeiten entfaltet. Im Gegensatz zu den Chefs aus dem Haupthaus hat man über ihn nie Gerüchte vernommen, man sagt, er sei ein Mann mit Format und Geschichte.
Und meine alte Kaffeemaschine, die einzige, die ich je besessen habe, die zweifelsohne eine bedeutende Autorität in diesem Raum darstellt, korrespondiert mit einer kunstvoll in sich ruhenden Pyramide von grün umrandeten Tassen, waghalsig aufgeschichteten Stapeln von Untertellern und Tellern, mit Sträußen von Blechbestecken in Einmachgläsern und einer beachtlichen Auswahl von Instantsuppen auf einem wackeligen Konferenztisch, dessen Standfestigkeit mit zusammengefalteten Papieren immer wieder neu gesichert werden muss.
Die Geburtstage aller Barackeninsassen waren allgemein bekannt oder waren, bei jedem Neuzugang, schnell ermittelt. Unausweichlich war der Geburtstag an ein Frühstück für alle gekoppelt, das selbstverständlich der Jubilar ausrichtete und für dessen Geschenk schon Tage vorher gesammelt wurde. Jeder gab 5 Mark, sodass ein überwältigend großzügiges und leider oft auch nicht ganz den Geschmack des Empfängers treffendes Blumengeschenk überreicht werden konnte. Dieser begann Tage vorher mit den Vorbereitungen, dem Salate- und Bratenzubereiten, Kuchenbacken, Geschirr und Bestecke Organisieren, es gab Wurst- und Käseplatten, saures Gemüse und diverse Marinaden, frische Brötchen, dazu gab es Kaffee aus großen Kaffeespendern - und diese unvergesslichen Feiern zogen sich von morgens 9 zur Frühstückspause oft weit in die Mittagspause hinein, von der Firmenleitung geduldet und nicht selten auch durch einen kurzen Besuch ermuntert, und an diesen Tagen waren besonders die Frauen ständig beschäftigt mit Ein- und Aufdecken, Bewirten, Kaffeekochen, Spülen, Umpacken der Reste auf kleinere Platten, die zu den Kolleginnen und Kollegen im Haupthaus hinübergetragen wurden, und mancher Besucher, der nicht dazugehörte und sich zufällig einfand, musste mithalten, wir saßen mit hochroten Köpfen vor gefüllten Tellern und dampfenden Tassen, beliebtestes Thema war das, womit wir uns beschäftigten, das Essen, seine Zubereitung, günstige Quellen, die oft auch im nahen Polen liegen und weitervermittelt wurden, Erzählungen über ähnliche Feiern im Betrieb und Zuhause, früher und kürzlich. Es liest sich, als sei das Barackenleben ein Schlaraffenlandleben, das täuscht, weil bis auf wenige Ausnahmen, zu denen auch ich gehörte, und ich mich infolgedessen bedauernd meist früher verabschieden musste, das Arbeitsvolumen kaum Schaden nahm, es blieb dasselbe, staute sich nicht, dehnte sich nicht weiter durch Verschleppung oder Versäumnis auf die nächsten Arbeitstage aus, es schien, als seien diese Feiern, die die Menschen für kurze Zeit enger aneinander banden, Bestandteil der Arbeit, ja, geradezu Pflichtübungen, und wer sich, als Geburtstagskind oder Gast diesem Ritual schon zu Beginn entzog, wurde nicht darauf angesprochen, sondern kommentarlos, schon im Vorfeld bei den Geldsammlungen für die Geschenke, übergangen. Auch ich trug mich vor meinen Geburtstagen, den Frauentags- und Weihnachtsfeiern, tagelang vorher mit Vorbereitungen, Einkäufen, Schlepperei und Anrichten herum, in einer Art Lampenfieber, da meine Angebote etwas anders gestaltet waren, vegetarischer, statt saurer Gurken gab es eingelegten Knoblauch und Pepperonis, statt Braten mit Käse und Gemüse gefüllte Blätterteigtaschen und Zuchinikuchen mit Kräuterquark, doch gerade das Neue, "Homöopathische", wie einer der Arbeiter sagte, fand große Begeisterung und neuen Redestoff über Rezepte.
Rechts und links des breiten immer düsteren Ganges befinden sich die Büros der Dorfchronistinnen ( gemeinhin als "Hühnerstall" bekannt), der Kompostierer (die 3 immer höflichen studierten Herren gehen mit uns und untereinander immer um wie in einem Sketch von Loriot) und der Demontage. Hier wechseln einander in wenigen ABM-Monaten die lustigsten, treuesten, erfahrendsten Schreibkräfte ab, zumeist dick, gemütlich, pfiffig, häuslich, ja, ihre Häuslichkeit ist eine hochgeschätzte und still vorausgesetzte Qualität für ihre Einstellung, und sie alle sind durchdrungen von der Persönlichkeit ihres gewichtigen Chefs in mittleren Jahren, dessen Amt die Abwicklung von Gebäuden, vornehmlich der LPG, aus DDR-Zeiten ist, der mit leiser, oft gehetzter Stimme aus seinem umfangreichen Korpus spricht und der erst "draußen in den Maßnahmen" seine im Bürotrakt kaum zu erspürenden Fähigkeiten entfaltet. Im Gegensatz zu den Chefs aus dem Haupthaus hat man über ihn nie Gerüchte vernommen, man sagt, er sei ein Mann mit Format und Geschichte.