Prosa
Barackenleben
In den verbleibenden Räumen finden in wöchentlichen Abständen seit sieben in der Frühe Schulungen für die Kräfte aller Maßnahmen, ehemalige Facharbeiter, Arbeiter und Ungelernte aus der ehemaligen Tierproduktion statt, mager bestückte Klassenräume, in denen übermüdete, abgearbeitete, enttäuschte, gelangweilte Frauen und Männer für die Dauer eines Arbeitstages eingeschlossen sind, um von Arbeitsamt pflichtverfügt Landschaftsvermessung, Gütervermarktung, Demokratie-und Rentenkunde, Arbeitsrecht und Versicherungspraxis zu lernen, viel Mathematik ist dabei, - und alle 2 Stunden stehen 20 Leute fröstelnd und stumm im engen Eingangsbereich, ausgerechnet dann regnet es und die Wege zu den stinkenden, meist defekten, mühselig sauber zu haltenden Toiletten und unbefestigten Parkplätzen sind aufgeweicht, die meisten rauchen, niemand isst, niemand sitzt, weil es nichts zu sitzen gibt, niemand weiß, wohin sonst.
Auf den ersten Blick bilden sie eine erschöpfte Front noch immer lauernden Misstrauens, wenn du dir einen Weg durch ihr haltloses nach unberechenbarer Anstrengung riechendes Zusammengehören bahnst, doch auf dein erstes Lächeln und eine ihnen zugewandte, banale Bemerkung reagieren sie als überaus freundliche, oft auch scheue, manchmal gar zu einem kleinen Witz aufgelegte Menschen, die an eigene Rechte keinen Gedanken mehr verschwenden, dort verbleibend, wo man sie hingestellt hat, mit dem noch kleinen, unauslöschbaren Drang zu stillem, absichtsvoll unverstehbarem Aufbegehren, das sich in kurz ausgestoßenen, einander bestätigenden Bemerkungen über gerade Wahrgenommenes äußert. Manche, Frauen wie Männer, veratmen Alkoholdunst, und oft erinnern sie mich an die stumme Karawane vor dem zollfreien Verkauf der nahegelegenen Fähre nach Polen: da verlässt niemand auf der kurzen Hin- und Rückfahrt das Schiff, allenfalls, um am Kai eine erworbene Flasche halb zu leeren, um das Anrecht auf den Kauf einer neuen zu erwerben.
Einmal bot ich den Kolleginnen und Kollegen meine hölzernen Sitzbänke an, die im Flur aufgestellt mit Informationsmaterial belegt waren. Es war ein hellsichtiger, milder Sommer draußen, und sie standen trotzdem wieder im dunkeln Türgelass zu 20 Leuten. Ich sagte aufmunternd: Legt das Zeug auf den Boden und stellt die Bänke auf den Rasen in die Sonne, dann habt ihrs schöner und kriegt ein bisschen Licht und Luft mit.
Dann ging ich in mein Büro, doch niemand hatte sich bewegt, als ich 10 Minuten später ins Nachbarbüro ging, bis auf die Reinigungskraft, die laut Vertrag jener Forstmaßnahme angehörte, die in dieser Woche gerade mit Schule dran war und die weiß, dass sie bei uns ihren Frühstücksplatz hat, eine kleine, verhuschte Frau mit Bluthochdruck und Gallensteinen, mit 3 Kindern im schicksalsfähigen Alter, der Mann in der Klinik mit dem hier gängigsten Leiden. Mit der Schwiegermutter leben sie in der Platte im Wald ein Dorf weiter, sie treten aus der Mietshaustüre hinaus in die Waldeinsamkeit und bei schlechtem Wetter in den Schlamm, ein fast schon nostalgisches Inbild sozialistischer Planungsvergessenheit. Diese Frau stellt das Wort Abrackern lebendig dar, sie putzt täglich das riesige Haupthaus der Firma am Ende der Straße mit all seinen verächtlichen Bürokräften, den sogenannten Stammkräften, deren ABM-Vertrag seit vielen Jahren auf unerklärliche Weise eine Verlängerung erfährt, und die Sprache spricht sich selbst, wenn ich sage: Stammkräfte in den dumpfen Gelassen, wo Finanzpläne, Abrechnungen, Einstellungen, Kündigungen, Projekte, Intrigen und Kaffee, aber nicht für sie, die Reinigungskraft, gebraut werden, und sie putzt täglich die zur Firma gehörenden zwei Baracken. Sie steht ganz unten in der Humankapitalhierarchie, das zeigt und sagt man ihr, sie stört, wenn sie putzen soll und man überlässt ihr günstigenfalls gnädig mit klein dosierten Ausweichbewegungen die zu reinigenden Flächen. Alle wissen, dass eine Kontrolle den Verlust ihres ohnehin nur auf ein Jahr oder in anderen erlebten Fällen noch kürzer angelegten Arbeitsplatzes bedeutete.
Ich verbot ihr, unseren Raum zu putzen, in der Pause koche ich ihr einen Hagebuttentee, und erschöpft sitzt sie mir am anderen Ende des riesigen Tisches gegenüber, nagt an ihrer Leberwurststulle und erzählt von ihren Kindern, die sie in der Altenpflege und in der Landwirtschaft untergebracht hat, lehrstellenmässig, sagt sie, aber geschrieben mit zwei E, weil da bei der Einstellung gleich gesagt wurde, sie können sie danach nicht behalten. Die Große will in den Westen und der Bengel will auf einen eigenen Hof sparen, Oma hilft, aber sie selber kann nichts beiseite legen. Und ich erzähle ihr von unserem Projekt, von den Sorgen unserer Jugendbetreuerinnen, die beruflich und finanziell wie sie dastehen, derzeit noch ohne Netz, ohne "Nachhaltigkeit", wie es elegant in den Schriften der Amtsblätter aus Schwerin steht, Nachhaltigkeit, an deren Wachstum und Struktur ich arbeite, auch wenn mir das Wort, das ich aus den Mündern der wohlbehalten in hohen Gehaltspositionen Angekommenen und darin weiter Aufsteigenden habe gleiten sehen wie für Gourmetzungen aufbereiteter Gallert, zum Himmel stinkt.
Auch in ihrem Dorf, in dem kleinen abseitig gelegenen einstigen Bauerndorf unserer Reinigungshilfe haben wir einen Jugendclub eingerichtet, im Gebäude der alten noch in Betrieb befindlichen und im nächsten Jahr mangels Kinderzahl zur Schließung verurteilten Grundschule, aber ihre Kinder gehen nicht hin, weil...man kennt sich eben im Dorf, und die Betreuerinnen, beide von dort...und sie holt aus und erzählt von früher.
Auf den ersten Blick bilden sie eine erschöpfte Front noch immer lauernden Misstrauens, wenn du dir einen Weg durch ihr haltloses nach unberechenbarer Anstrengung riechendes Zusammengehören bahnst, doch auf dein erstes Lächeln und eine ihnen zugewandte, banale Bemerkung reagieren sie als überaus freundliche, oft auch scheue, manchmal gar zu einem kleinen Witz aufgelegte Menschen, die an eigene Rechte keinen Gedanken mehr verschwenden, dort verbleibend, wo man sie hingestellt hat, mit dem noch kleinen, unauslöschbaren Drang zu stillem, absichtsvoll unverstehbarem Aufbegehren, das sich in kurz ausgestoßenen, einander bestätigenden Bemerkungen über gerade Wahrgenommenes äußert. Manche, Frauen wie Männer, veratmen Alkoholdunst, und oft erinnern sie mich an die stumme Karawane vor dem zollfreien Verkauf der nahegelegenen Fähre nach Polen: da verlässt niemand auf der kurzen Hin- und Rückfahrt das Schiff, allenfalls, um am Kai eine erworbene Flasche halb zu leeren, um das Anrecht auf den Kauf einer neuen zu erwerben.
Einmal bot ich den Kolleginnen und Kollegen meine hölzernen Sitzbänke an, die im Flur aufgestellt mit Informationsmaterial belegt waren. Es war ein hellsichtiger, milder Sommer draußen, und sie standen trotzdem wieder im dunkeln Türgelass zu 20 Leuten. Ich sagte aufmunternd: Legt das Zeug auf den Boden und stellt die Bänke auf den Rasen in die Sonne, dann habt ihrs schöner und kriegt ein bisschen Licht und Luft mit.
Dann ging ich in mein Büro, doch niemand hatte sich bewegt, als ich 10 Minuten später ins Nachbarbüro ging, bis auf die Reinigungskraft, die laut Vertrag jener Forstmaßnahme angehörte, die in dieser Woche gerade mit Schule dran war und die weiß, dass sie bei uns ihren Frühstücksplatz hat, eine kleine, verhuschte Frau mit Bluthochdruck und Gallensteinen, mit 3 Kindern im schicksalsfähigen Alter, der Mann in der Klinik mit dem hier gängigsten Leiden. Mit der Schwiegermutter leben sie in der Platte im Wald ein Dorf weiter, sie treten aus der Mietshaustüre hinaus in die Waldeinsamkeit und bei schlechtem Wetter in den Schlamm, ein fast schon nostalgisches Inbild sozialistischer Planungsvergessenheit. Diese Frau stellt das Wort Abrackern lebendig dar, sie putzt täglich das riesige Haupthaus der Firma am Ende der Straße mit all seinen verächtlichen Bürokräften, den sogenannten Stammkräften, deren ABM-Vertrag seit vielen Jahren auf unerklärliche Weise eine Verlängerung erfährt, und die Sprache spricht sich selbst, wenn ich sage: Stammkräfte in den dumpfen Gelassen, wo Finanzpläne, Abrechnungen, Einstellungen, Kündigungen, Projekte, Intrigen und Kaffee, aber nicht für sie, die Reinigungskraft, gebraut werden, und sie putzt täglich die zur Firma gehörenden zwei Baracken. Sie steht ganz unten in der Humankapitalhierarchie, das zeigt und sagt man ihr, sie stört, wenn sie putzen soll und man überlässt ihr günstigenfalls gnädig mit klein dosierten Ausweichbewegungen die zu reinigenden Flächen. Alle wissen, dass eine Kontrolle den Verlust ihres ohnehin nur auf ein Jahr oder in anderen erlebten Fällen noch kürzer angelegten Arbeitsplatzes bedeutete.
Ich verbot ihr, unseren Raum zu putzen, in der Pause koche ich ihr einen Hagebuttentee, und erschöpft sitzt sie mir am anderen Ende des riesigen Tisches gegenüber, nagt an ihrer Leberwurststulle und erzählt von ihren Kindern, die sie in der Altenpflege und in der Landwirtschaft untergebracht hat, lehrstellenmässig, sagt sie, aber geschrieben mit zwei E, weil da bei der Einstellung gleich gesagt wurde, sie können sie danach nicht behalten. Die Große will in den Westen und der Bengel will auf einen eigenen Hof sparen, Oma hilft, aber sie selber kann nichts beiseite legen. Und ich erzähle ihr von unserem Projekt, von den Sorgen unserer Jugendbetreuerinnen, die beruflich und finanziell wie sie dastehen, derzeit noch ohne Netz, ohne "Nachhaltigkeit", wie es elegant in den Schriften der Amtsblätter aus Schwerin steht, Nachhaltigkeit, an deren Wachstum und Struktur ich arbeite, auch wenn mir das Wort, das ich aus den Mündern der wohlbehalten in hohen Gehaltspositionen Angekommenen und darin weiter Aufsteigenden habe gleiten sehen wie für Gourmetzungen aufbereiteter Gallert, zum Himmel stinkt.
Auch in ihrem Dorf, in dem kleinen abseitig gelegenen einstigen Bauerndorf unserer Reinigungshilfe haben wir einen Jugendclub eingerichtet, im Gebäude der alten noch in Betrieb befindlichen und im nächsten Jahr mangels Kinderzahl zur Schließung verurteilten Grundschule, aber ihre Kinder gehen nicht hin, weil...man kennt sich eben im Dorf, und die Betreuerinnen, beide von dort...und sie holt aus und erzählt von früher.