Warum Sinn und Form?
Weil es eine Zeitschrift mit vielfältigem Background ist. Als Literat stolpert man diesmal über ein offenbares Mißplacement: Thomas Karlauf, bekannt als Schmidt und George - Biograph fragt: „Warum Stauffenberg?“ – eine zwar zum Erscheinungstermin des Heftes passende Frage, die sich aber im fachhistorischen Gestus der grundlegenden ‚Muß die Geschichte neu geschrieben werden?‘ - Kritik an den Stauffenberg-Biographen etwas verausgabt: ein für mich etwas arg zahnarmer Tiger.
Vom Tiger aber direkt zum Löwen: Eva Christina Zeller hat einige fulminante Gedichte beigesteuert, Löwe und Seehund, die allein reichen, um die Existenz dieser Zeitschrift zu rechtfertigen –
LÖWE
zwischen den autos liegt der löwe
im schatten, wir sind eingekeiltdie teleobjektive hängen aus den fenstern
dick wie die penisse der elefanten
die kamen später dann vorbei
und es wird später nicht schlechter.
Nach einer hübsch verqueren Phantasie von Thomas Lehr folgt früh klassisch gewordene Prosa: Álvaro Mutis, der 2013 verstorbene Kolumbianische Groß-Schriftsteller ist mit einer Erzählung zum Tod von Bolivár vertreten. Hat was.
Artikel über Familie Mann zahlen vermutlich doppelt auf den Bonus der Herausgeber ein, diesmal ist es ein Tagebuchauszug von Martin Gumpert, Arzt, Familienfreund und innigst verwuschelt mit anderen Exil-Literaten, der die Leiden (und in seinem Fall auch Freuden – es gelang ihm, eine Praxis in New York zu eröffnen, sich publizistische Nischen zu erschaffen) des Exils nacherlebbar macht. Wenn er die Altersweisheit spät im Text auch in etwas großen Löffeln verabreicht.
Dann gibt es ein längliches Werk über eine Reise durchs wilde Deutschistan von 1780, als die Räuber noch nicht in hohen Türmen mittendrin, sondern hinter Frankfurt im Wald hausten, William Beckford heißt die romantische Seele, ich trauerte, ich gesteh’s, dabei Mark Twain nach. Der Text kehrt sein Innerstes schon im Titel nach außen: Träume, Taggedanken und Wechselfälle des Lebens.
Nochmal Prosa: Monika Drzazgowska – ein Stück Kindheitsgeschichte aus einem unveröffentlichen Roman, die Geschichte hat definitiv Power, ein Name, der neu scheint und den es sich zu merken lohnt. Schön, dass es solche Dinge in diese Zeitschrift schaffen.
Anna Real, wie Zeller ein Baden-Württemberger Gewächs, inzwischen im Ruhrgebiet, steuert ein Langgedicht ‚Litanei von der Kindererholung‘ bei, litaniert durch die diversen Konjunktive des Deutschen (es muss Dutzende geben ...) und hätte vielleicht, trotz faktischer Richtigkeit, hie und da noch geschärft werden können:
Mein Damoklesschwert wäre kein blecherner Löffel
gewesen für die Milchsuppe morgens,
wir hätten gewußt, daß ihr wußtet, wie schrecklich
Graupen in Milch gekocht schmecken.
Wir nähern uns dem Ende, dort lagert Goethe, stramm aufrecht, von Gustav Seibts Sicht auf Herman Grimms Goethe-Buch getragen. Eine sicherlich lobenswerter Versuch, Grimm zu heben, den ich nichtsdestotrotz mit Mitgefühl, aber wenig Hoffnung begleite.
Christine Pitzkes Gedicht ‚Überstunden in Weimar‘ – dann folgt eine kleine Serie von mehr als vergnüglichen Miniaturen von Harald Hartung ‚Unmöglich und Leicht‘, ein weiterer Höhepunkt des Hefts. „An der Wand hing das Foto mit dem alten Mann. War es Hindenburg, war es der Großvater?“
Vermerkt sei noch, dass sich auch in der Umschau-Rubrik Dinge verbergen, die einen Blick wert sind, diesmal u.a. Henning Ziebritzkis Laudatio auf Michael Braun zum Alfred-Kerr-Preis 2018, in dem einige Gedanken zum Thema Lyrikkritik essfertig aufgetischt vorliegen. Oder auch Kathrin Rögglas Beobachtungen zu den Brecht-Tagebüchern, in denen kleine Reflexionen über das Schreibverhalten sich durchaus festhaken im Hirn.
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