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Kritik

Die Schatten der Heimat

Hamburg

Madjid Amani ist seit dreizehn Jahren in Deutschland. Die letzten vier hat er in einer klösterlichen Nervenheilanstalt in Aachen verbracht. Hier sitzt er am Fenster und fragt sich, wie es so weit kommen konnte. „Vielleicht hat alles mit … begonnen.“ Mit der Islamischen Revolution in Iran im Jahr 1979? Mit dem Auseinanderbrechen seiner Familie, die beispielhaft steht für so viele Familien in Iran, die es während der Revolution zerrissen hat? Oder doch mit einer der zwei Frauen in seinem Leben, die er geliebt hat?

Madjid Amani weiß es nicht. Je mehr er in Erinnerungen versinkt, desto weiter scheint er sich von einer Antwort zu entfernen. Und von seinem Heimatland, in das er sich zurücksehnt. Als Abbas Maroufi das Buch schrieb, lebte er mit seiner Familie noch in Düren bei Köln. Inzwischen ist er Buchhändler und Verleger in Berlin. Es ist das fünfte Buch von ihm, das auf Deutsch erscheint, und es ist für die Leser ein Segen, dass er mehr als zehn Jahre nach dem Bruch mit Suhrkamp in der von Ilija Trojanow herausgegebenen „Weltlese“ in der Edition Büchergilde eine neue Verlagsheimat gefunden hat. Maroufi kam selbst als Flüchtling nach Deutschland. In Iran war er verurteilt und mit Publikationsverbot belegt worden. Er hatte keine Wahl, außer das Land zu verlassen. Es ist zum Teil auch seine eigene Geschichte, die er in „Fereydoun hatte drei Söhne“ verarbeitet.

Wenn Fereydoun von seinen drei Söhnen spricht, ermahnt ihn seine Frau und hält vier Finger hoch. Aber er meine doch den Fereydoun aus Firdousis „Buch der Könige“, dem großen persischen Heldenepos, sagt er dann. Über seinen vierten Sohn, Iradsch, spricht er nicht mehr. Er ist im Gefängnis, ihm droht die Hinrichtung wegen seines politischen Aktivismus gegen die Islamisten. Said, der zweite Bruder, hat sich den linksradikalen Volksmudjahedin angeschlossen. Asad hingegen ist anpassungsfähig. Unter dem Schah diente er dem Geheimdienst Savak, unter Chomeini setzt er seine Karriere fort – und rührt keinen Finger, um Iradsch aus den Knast zu holen. Madjid, Bruder Nummer vier, ist Kommunist und flüchtet schließlich. Seine Mutter steht ebenso zwischen allen Stühlen wie seine Schwester Enssi, während Baba Fereydoun so zu tun versucht, als wäre alles ok.

Womit hat alles angefangen? Madjid Amani kann es nicht mehr sagen im Aachener Niemandsland. Nur eins weiß er: Dass er zurück will in seine Heimat. Er verzweifelt an der seelischen Einsamkeit des kalten Exils. Maroufi gelingt das Kunststück, das ganze Leben, die ganze Ausweglosigkeit seines Protagonisten erfahrbar zu machen. Seine innere Leere nach der Flucht, die Sehnsucht, und nicht zuletzt die Erinnerungen, die auch klarmachen: Es lag nicht in seiner Hand. Er hätte sich ein anderes Leben gewünscht als eines fernab von allem, das ihm etwas bedeutet. „Selten ist die Einsamkeit in der Ferne so intensiv dargestellt worden“, sagt Herausgeber Trojanow über das Buch. Und das trifft es. Fast dreißig Jahre nach seinem international gefeierten Roman „Symphonie der Toten“ legt Abbas Maroufi abermals ein Buch vor, das die Verzweiflung eines Menschen zu Weltliteratur formt.

Abbas Maroufi
FEREYDUN HATTE DREI SÖHNE
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Ilija Trojanow.Aus dem Persischen von Susanne Baghestani
Edition Büchergilde
289 Seiten · 22,50 Euro
ISBN:
978-3-86406-071-7

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