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Kritik

Lachen Sie über den Germanisten!

Hamburg

Die Seiten 176 und 177 von Aljoscha Brells komischem Entwicklungsroman "Kress" stellen gewissermaßen den Höhepunkt des Buches dar. Auf ihnen findet sich eine Parodie auf diese ausführlichen und wohlstrukturierten Inhaltsangaben, wie sie von Philologen - etwa: Germanisten - gern benutzt werden. Sie beginnt wie folgt:

Begleitendes Inhaltsverzeichnis zu meinem Brief an die Studentin Madeleine Fischer, wohnhaft in der S...straße 74, 13088 Berlin

1. Vorrede
2. Darstellung der notwendigen Qualifikationen für die Position eines studentischen Mitarbeiters am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie im Studiengebiet neuere Deutsche Literatur
     2.1 Fachliche Qualifikationen
     2.2 Charakterliche Qualifikationen
3. Bewertung der Eignung der Empfängerin dieses Schreibens für oben genannte Position anhand der erarbeiteten Qualifikationskriterien
4. Persönliche Bemerkungen des Verfassers mit Blick auf den Charakter der Empfängerin I
(...)

Die Prämisse, die da gemolken wird, ist natürlich der Versuch "des Verfassers", seine simplen zwischenmenschlichen Bedürfnisse und Gefühle mittels der steifen, übermässig abstrakten, pompösen und strukturkonservativen Sprache des Textkosmos universitärer Philologie auszudrücken. Sie ist komisch, diese Prämisse, weil erstens das Scheitern des Versuchs bereits vorprogrammiert und weil zweitens die angelegte Fallhöhe "des Verfassers" zwischen Anspruch und Wirklichkeit denkbar hoch ist: Der sich eben noch als würdevoller "Geistesmensch" und Vertreter einer Jahrhunderte alten elitären Tradition wähnen durfte, wird bald und plötzlich feststellen müssen, was seiner Mitwelt immer schon klar gewesen sein dürfte - dass er ein armes Würstchen ist, verklemmt, aufgeblasen und unsympathisch. In dieser Parodie eines geisteswissenschaftlichen Inhaltsverzeichnis ist aber auch schon die Bedingung für eine mögliche Erlösung des armen Würstchens angelegt - unverdientes Verständnis von Seiten beispielsweise der "Studentin Madeleine Fischer".

Der ganze Roman kann als Präsentierteller für diese Doppelseite gelesen werden. Und zwar genau nicht in dem Sinne, dass sich die Komik langsam steigern würde, ausgehend von einem halbwegs "realistisch" oder auch nur differenziert geschilderten sozialen Kontext nebst exemplarisch bodenständiger Vertreterin, auf den bzw. die der komische Germanistendepp Kress dann losgelassen würde ("Hijinx insue", wie das in Sitcom-Inhaltsangaben hieße). Vielmehr bleibt der Grundton des Romans von Anfang an gleich - nicht nur die Hauptfigur ist eine Karikatur, nein, der ganze Roman ist eine einzige, und er stellt dies auch stolz aus: Wenn etwa der dicke, polternde Dozent, den wir auf Seite 10 kennenlernen, auf den Namen "Doktor Schleicher" hört.

Dagegen, dass Brell in diesem Roman wie gesagt insgesamt sehr dick aufträgt, spricht nichts. Das Buch ist tatsächlich unterhaltsam, ohne geistlos zu sein. Der naheliegenden Verlockung, den Fokus der Satire gar zu weit zu fassen und ein Buch des sinngemäßen Inhaltes "Brillenträger reden komisch" auf dem Nullniveau eines Mario Barth o.ä. vorzulegen, hat sich der Autor begrüßenswerterweise verschlossen. Auch fühlen wir uns bei der Lektüre halbwegs abgesichert, dass nicht der Erzählfluss uns plötzlich in jenes richtig schwarze, tieftraurige Terrain führt, das ihm inhaltlich prinzipiell offenstünde (sodass er dann besipielsweise in dem von Anfang an eingeführten Plauderton die Ursachen und Folgen von Depression, sexueller Frustration, Wahnvorstellungen abhandelt, nebsamt den unerfreulichen Wahrheiten über das akademische Gehege, von denen Pierre Bourdieu schreibt). Damit ist zwar gesagt, dass Brell sich mit "Kress" im Sinne gefälliger Darbietung die vorhandenen Möglichkeiten zu größerer künstlerischer Schärfe verkneift. Aber diese Gewissheit - dass nämlich kein ernstlicher mood whiplash zu befürchten steht - macht auch den Unterschied zwischen einem Buch, das ich entspannt nebenbei lesen und über das ich mich amüsieren kann, ohne mir allzuviel dabei zu denken, und einem solchen, dem ich mich nur mit Respekt und Vorsicht nähere.

(Zwei solche Bücher mit verwandtem Stoff , die es mir nicht leicht gemacht haben, fallen mir auf die Schnelle ein: ein Klassiker - Canettis "Blendung" - und ein recht neuer Roman, der in einem Wiener Kleinstverlag erschienen ist - Philipp Hautmanns "Yorick. Ein Mensch in Schwierigkeiten". Beide Bücher hatten den unangenehmen Effekt, mich noch über Wochen nach der Lektüre mit der Empathie für durchaus unerfreuliche Figuren beschäftigt zu halten.)

"Kress", Buch und Figur, verhalten sich zur realen akademischen Welt undgefähr so, wie sich "The Big Bang Theory" und ihr Protagonist Sheldon Cooper zur Welt der hard sciences verhalten. Die verbratenen Klischees haben ihre erkennbaren (und deprimierenden) Wurzeln in der sogenannten Wirklichkeit, aber der Serie wie dem Buch geht es um die Lacher, nicht die Analyse. Das ist auch gut so, denn die Lacher sind durchaus gelungen.

Aljoscha Brell
Kress
Ullstein
2015 · 336 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
9783550081095

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