be-, ent-, ver-fremden · wespennest 172
Das Wespennest ist eine der bekanntesten Literatur- und Kulturzeitschriften Österreichs und des deutschen Sprachraums, mit einem programmatischen Stachel, seit 1969, nämlich brauchbar (Untertitel: zeitschrift für brauchbare texte und bilder), um die Gesellschaft zu ändern.
Diesem Auftrag der Gründer (Helmut Zenker und Peter Henisch) blieb man treu, bei allem Kommen und Gehen, als etwa Gustav Ernst kam, dann aber auch wieder ging, um die kolik ins Leben zu rufen, bei aller Hinfälligkeit der Abgrenzungen, denn ob die manuskripte, den Wespennest-Initiatoren damals zu avantgardistisch, heute noch zu avantgardistisch sei, ... – jedenfalls hat man eine Antitraditions-Tradition.
Diese äußert sich in den Themenschwerpunkten: alternative Entwürfe. Archaisches wie Männlichkeitsideale, freilich kritisch bedacht, in Nr 170 (Titel: Testosteron), worin etwa Theweleit über Über lachende Killer auf der Suche nach Ausgleich schrieb und es auch über Putin Erhellendes gab, Technikkritik in Nr 169, samt distant reading-Kritik, sozusagen1, zuletzt die UdSSR (... back to the USSR..?) als unter anderem die Utopie, die als solche repressiv sein könnte; und demnächst: Fremde, das Be-, Ent-, Verfremden.
Die neue Ausgabe zeigt, wie man Lost in Europe sich finden könnte, oder etwas anderes als das, was Sich/Selbst gewesen wären und zu sein schienen, nämlich aus Sicht Claudia Ciobanus, Rumänin in Polen, dazu ein Lob der Entfremdung Ilja Trojanows, dann – außerhalb des Schwerpunktes, warum auch immer – intensive Schilderungen dessen, was Flucht vor dem Tod sei, von Alena Wagnerová, Überlegungen Rahel Jaeggis zu Formen der Weltaneignung, die zu kritisieren nicht einfach das Substituieren des Falschen durch Richtiges ist, Japan als das Fremde (Walter Ruprechter), ...
Außerdem gibt es Rezensionen, etwa zum distant reading (wie nachgeholt), aus Sicht des Heftes 169, Essayistisches, Gedichte von Ulrich Horstmann und Photographien. Das Niveau der Texte schwanke, so kann man wohl bei jedem Periodikum sagen, aber es ist Großteils hoch; und keinesfalls kann man sich über einen Mangel an Anregung beklagen.
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