Man lernt nie aus.
Allan Ginsberg, William S. Burroughs, Charles Bukowski, Andy Warhol, Janis Joplin, Leonard Cohen, Bob Dylan, Frank Zappa, diese und andere Götter der 68er Generation und der, die sich nicht dazuzählen, aber diese Götter genauso lieben, sie alle hat Carl Weissner erstmals dem deutschen Leser nahegebracht. Der Wiener Milena-Verlag widmet dem 2012 verstorbenen Allround-Genie eine liebevoll gestaltete Ausgabe mit Weissner-Texten und einer deutschen Erstveröffentlichung, denn der in Karlsruhe geborene Weissner schrieb auch seine eigenen Romane auf amerikanisch. „Eine andere Liga. Stories, bei denen man auf die Knie geht und vor Glück in die Fußmatte beißt“ heißt launig und drohend zugleich der Sammelband.
Das im Cut-up-Stil gestaltete Buch ist eine schöne Verbeugung vor dem Meister, denn man kann das Buch nicht nur von hinten und von vorn lesen kann, sondern, wie beim Cut-up, auch einfach mittendrin anfangen. Cut-up wurde 1959 von Brion Gysin entwickelt, Max Frisch und James Joyce verwendeten bereits die Methode in Ansätzen. William S. Burrough tat es ganz bewusst und wurde der bedeutendste Cut-up-Experimentator, später cut-uppte auch Weissner: Man nehme eine Zeitungsseite, vierteile sie und setze sie neu zusammen. Da jeder an einer anderen Schnittstelle einsetzen kann, liest jeder sein eigenes Buch. So wurden Texte zerschnipselt und neu zusammengesetzt. Genauso kann man auch das von Michael Penzel und Vanessa Wieser herausgegebene Buch lesen. Manch einen kann das überfordern, wie mich am Anfang. Ich drehte und wendete das Buch und wusste nicht, wozu ich gebeten war. Dann entschloss ich mich einfach anzufangen. Aha, da ist jemand bekokst, da ist jemand auf Heroin, interessant, da wird eine minderjährige schwarze Nutte ins Auto geladen und wieder ausgeladen, na so was, da sieht man, wegen des Heroin oder Koks, der irgendwie mit Strychnin verschnitten ist, siebeneinhalb weiße Elefanten. „Last Exit to Mannheim“ heißt die Story, die war nicht mein Fall. Also das Buch umgedreht „Der Tod in Paris“ ist ein Roman Weissners, der in diesem Buch erstmals auf Deutsch erscheint. Nach einem Anglistikstudium lebte er in den 1960 Jahren ein paar offenbar entscheidende Jahre in New York. Obwohl auch der Roman in kleine scheinbar appetitliche Häppchen zerschnipselt ist, ist er schwer verdaulich. Doch dann findet man wieder so schöne Ideen, wie, dass Jean Cocteau als Kind die Finger durch die Rillen einer Steinmauer gleiten ließ, dabei seine Lieblingssongs summte und sie auf diese Weise im Stein speicherte. Weissners Überschrift für dieses halbseitige Intermezzo: „Ein Braille-Dildo für deinen G-Spot, Jean“. Hä? Nix verstehn.
Dann war ich schon so weit, das Buch Julietta zurückzugeben und zuzugeben, dass ich daran gescheitert bin, dass ich hoffnungslos altmodisch bin und meine mir verbleibende Zeit zu schade ist für Koks und Heroin-Geschichten mit Elefanten und Negermädchen, durchzogen von einem englischen Slang, den ich nicht mal im Wörterbuch finde. Doch ich drehte das Buch noch einmal und fand zarte kommentierende Zeichnungen mit Fischen, Störchen, Wolken zwischen den Zeilen eines Textes, den ich allerdings auch nicht verstand. Ich fand Kommentare von Weissner, die mir plötzlich Zugang verschafften zu einem Menschen, dessen eigene Werke mir zwar verschlossen blieben, dafür verstand ich seine Begeisterung für Bukowski, Fauser, deren Gesamtwerk er herausgab, für Bob Dylan, Leonard Cohen und andere. Du darfst nicht undankbar sein, sagte ich mir, der Mann verschafft Dir Zugang zu den Texten von Dylan, den Rolling Stones und so weiter. Und – das macht mir Weissner sympathisch – er gibt zu, dass man mit Cut-ups nicht das Geld für seine Brötchen verdienen kann, sondern damit, einen Bukowski in Deutschland bekannt zu machen: vier Millionen Bukowski-Bücher sind in Deutschland verkauft worden und viele, viele, weil das scheinbar so gut zu Bukowski passt, geklaut worden. Übersetzer und Agent des normal-verrückten Autors Bukowski: Carl Weissner.
Weissner gehört zu der ungeduldigen Generation, die sich an etablierten Autoren rieb und nicht müde wurde, sie langweilig zu finden, etwa Günter Grass und viele andere, auch hasste Weissner Marcel Reich-Ranicki, der seinen Freund Fauser in Klagenfurt demütigte.
Mit Jörg Fauser war er befreundet, er half ihm beim Drogenentzug, er schrieb für dessen ersten Gedichtband „Die Harry Gelb Story“ das Vorwort, das auch im Sammelband zu finden ist. Das beginnt: „Das deutsche Gedicht ist ein Beitrag zur Innenweltverschmutzung“, Fauser dagegen rede Klartext und stinke dabei aus dem Maul „dass einem schwarz vor Augen wird“. In Weissners Kommentar zu dem Vorwort äußert er sich auch zu den Unstimmigkeiten von Fausers Tod im Sommer 1987, als dieser am Tag nach seinem Geburtstag früh um vier auf der Autobahn totgefahren wurde. Wie Michael Köhlmeier in seiner diesjährigen Klagenfurter Rede, bezweifelt er, dass es ein Unfall war.
Die Todesumstände vieler im Kreise dieser schillernden oder auch traurig vor sich hin koksenden und den Alkohol exzessiv in sich hineinschüttenden Autoren-Freunde, die Weissner übersetzte und herausgab, geben zu denken. William S. Borrough hat im Vollrausch seine Frau vor den Augen seines jüngsten Kindes erschossen, als sie gemeinsam WilhelmTell nachstellen wollten. Bukowski überlebte nur knapp eine Magenblutung. Fauser starb unter ungeklärten Umständen auf der Autobahn. Weissner selbst reiht sich gewissermaßen ein – er wurde im Januar 2012 tot in seiner Mannheimer Wohnung aufgefunden, 71 Jahre alt.
Weissner selbst erzählt die Episode, dass er von DDR-Bürgern und amerikanischen Fans mit Glitzern im Blick gefragt wurde: „Kennen Sie Carl Weissner?“ Ein besseres Kompliment konnte ihm nicht passieren. Er war präsent mit seinen Werken, vor allem mit seinen Übersetzungen und er wird es bleiben. Dazu trägt auch dieses schöne Buch bei, das mir Cut-up beibrachte, ohne dass ich ahnte, was mit mir geschah, es schien nach der Methode Versuch und Irrtum der richtige Weg gewesen zu sein.
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