Daniela Emminger mischt frech Sätze…
Es ist eine Novelle! Wie lange habe ich diese Genrebezeichnung vermisst. Traut sich keiner mehr? Angst vor der „unerhörten Begebenheit“, die Goethe als wichtigstes Kriterium einer Novelle hervorhob? Dabei ist der Begriff sogar noch spannender: Eine Novelle erzählt keine Handlung, sondern durchleuchtet einen Ist-Zustand, um dann zu einer Wendung zu kommen.
Daniela Emminger hat sich getraut. Es ist das vierte Buch der 1975 geborenen Wienerin, und es hat den schönen Titel „Gemischter Satz“. Seltsamerweise habe ich an Tennis gedacht, ohne zu wissen, ob es da einen gemischten Satz gibt. Doch die Autorin lässt uns nicht lange zappeln. Noch vor dem Prolog gibt es die Erklärung, dass Wein, der sich aus unterschiedlichen Rebsorten eines Weingartens zusammensetzt, "Gemischter Satz" genannt wird. Sinnigerweise wurde die Entstehung des Buches unter anderem von einem literaturliebenden Winzer unterstützt.
Eine unerhörte Begebenheit, um es gleich zu sagen, wird nicht geschildert. Oder doch? Es geht um eine gescheiterte Liebe, um einen Liebesunfall. Ganz klar handelt es sich bei der ersten gescheiterten Liebe, jedenfalls aus der Sicht der Betroffenen, um etwas Unerhörtes, man kann nicht fassen, dass es passieren konnte. Aber für die Ich-Erzählerin, die zwischendurch die Perspektive wechselt, ist es immerhin die „Nummer sieben“. Und doch hat die Behandlung des „Unfalls“ etwas Besonderes.
Haben Sie schon einmal mit jemandem per Buch Schluss gemacht? Nein? Ich auch nicht.
Der Leser wird zum Zeugen, solange er liest, wird er genötigt teilzunehmen, seine eigenen Unglück-chen mit dem der Erzählerin zu vergleichen, um dann doch gerüffelt zu werden:
kehren Sie ihren Dreck zusammen
Die Ich-Erzählerin wird zu Agatha, und Nummer sieben schwebt ihr auf einer Treppe entgegen mit einem „Blick“, einem „Lachen“, einer „Berührung“. Konkreter wird es nicht (weil ja alles ach-so-bekannt ist), und eine zweieinhalbjährige Liebe beginnt. Daniela Emminger zieht ein Surrogat aus der Liebe, die doch ein jeder kennt, und findet neue freche Bilder. Dem Mann –
der ihr mit gekonntem Griff zwischen die Beine langte und auf diese Weise ihr Herz herauschirugierte
und der sie dann ohne Herz schlaflos ließ – folgt sie nach Berlin, bis sie feststellt, dass es kein ich mehr gibt, nur noch ein wir. In ihrer Not ruft sie Stendhal an, erinnert an dessen Buch „Physiologie der Liebe“, das sich in den ersten zehn Jahren nach Erscheinen nur zehn Mal verkauft hat, wie um sich zu trösten, dass eine Theorie der Liebe niemanden interessiert, der an der Liebe leidet. Um dann den Spagat zu einem Songtext von Tocotronic zu wagen „als Spatenstich in die feuchte lehmige Friedhofserde“, und dem Leser zu suggerieren, die Band sage das Gleiche wie Stendhal, eben nur 'heutiger'. Daniela Emmigers eigene Bilder scheinen dagegen stärker, wenn etwa aus der „Herzkrankheit“ die „Hirnkrankheit“ wird. Dennoch hat die Anrufung Standhals einen Grad von Frechheit, der das Buch lesenswert macht. Der zweite Teil behandelt die „Wir-Auflösung“ mit den üblichen Heilungsmethoden: Unterschlupf bei den Eltern, Joggen bis zum Umfallen, Pläne schmieden – Agatha will Köchin werden – und stürzt sich überraschend in eine Ehe mit Nummer acht, von dem man als Leser gar nichts erfährt. Vielleicht ist es die zur Novelle benötigte „überraschende Wende“, dass Agatha in den letzten Sätzen des nur 112 Seiten langes Buches den Stift ansetzt, um die Scheidung von Nummer acht zu unterzeichnen. Doch der ganze zweite Teil hinkt und überzeugt nicht, die sprachliche Furiosität des Beginns, von der Wut der Verlassenen diktiert, wandelt sich zum Erklären – es sind sogar zwei Briefe wiedergegeben, einer von Nummer sieben, in dem er die Trennung als Fehler eingesteht und ewige Liebe schwört, sowie ein zweiter mit Agathas kalter, abschlägiger Antwort darauf. Da wird es leider vorhersehbar, die Verve ist weg. Da muss dann Samuel Beckett her, der auch das Motto für die Novelle liefert:
Ich kann nicht weitermachen, ich muss weitermachen.
Der kann ja nichts Falsches gesagt haben. Schade. Und Agatha lässt sich die Brüste wieder wachsen, die sie sich weggedacht, weggeschnitten (?) hatte, als Nummer sieben sie verlassen hatte. Seitdem trug sie den Bei-Namen „die Brustlose“. Keine einbrüstige Amazone, sondern gar keine Brust mehr – ein schräges und kraftvolles Bild, das eben doch an die Amazone erinnert, deren kämpferisches Image sich Agatha leiht, um die verlorene Liebe zu verkraften. Keine Wertherin, wie gesagt – schon die Wir-Auflösungs-Heilungsgeschichte hat etwas Bemühtes, die Leseintensität lässt nach mit der Normalität des Geschehens: Raus aus dem Tal, das Leben kann weitergehen, Nummer neun wartet schon. Daniela Emminger ist mit „Gemischter Satz“ für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Nun kann man den Preis nicht für ein halbes Buch vergeben, schon gar nicht, wenn es nur 112 Seiten hat. Aber der freche Ansatz nebst Publikumsbeschimpfung sollte auf jeden Fall gewürdigt werden.
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