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Kritik

Katzenliebe

Hamburg

Wenn es einen Katzentisch gibt und eine Katzenwäsche, also den kleinen Tisch (für die Kleinen) und die kleine Wäsche, (die den Kleinen erlaubt wird, wenn es mal spät geworden ist), warum sollte es nicht auch eine Katzenliebe geben? Auf jeden Fall handelt es sich bei Eugen Ruges „Cabo de Gata“ um einen Katzenroman, mit seinen gerade mal 200 Seiten. Selbstredend nicht für Kleine.

Denn der hier von sich erzählt, ist ein erfolgreicher Schriftsteller, so erfolgreich, dass er in einem Nebensatz fallen lässt, wie er, „während ein Schauspieler meinen Text auf Japanisch oder Finnisch vorliest“, unterm Tisch im iPhone seine Flugdaten recherchiert. Dass musste wohl gesagt werden, dass der Erzähler aus einer wohlgesicherten Perspektive sich und uns noch einmal genüsslich vor Augen führt, wie es war, als es noch nicht so war. Denn der Schriftsteller erzählt von einer Zeit, als er noch gar nicht erfolgreich war, als vor 15 Jahren eine Sinnkrise ihn dazu trieb, „diese Stadt (dieses Land, dieses Leben) bis auf weiteres zu verlassen.“ Der Gedanke kam ihm beim Blick auf die Schuhe eines Mannes – der seiner Vorstellung nach ein Zuhälter sein könnte – eine „Art Mokassins“ deren Lederbändchen „in je eine winzige Troddel ausliefen.“ 

Zu Beginn kündigt er seine Stelle in einem Chemieinstitut, den Energieversorger, die Telekom, die Krankenversicherung und besucht seinen alten Vater. Der Vater schreibt auch, aber als alter Kommunist geschichtsphilosophische Artikel, in denen es um  „Menschheitsfragen“ geht. Spätestens hier kann sich der Leser nicht mehr gegen den Verdacht wehren, es handelt sich bei dem erfolgreichen Schriftsteller um Eugen Ruge selbst, der seinen kommunistischen Vater bereits in seinem erfolgreichen und preisgekrönten Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ausführlich konterfeite.

Das schwierige Verhältnis zum Vater könnte zur Sinnkrise genauso geführt haben wie die Trennung von der Freundin und deren Tochter, die nicht seine ist. Ruge und sein Ich-Erzähler lassen es bei Andeutungen. Die beiden genießen den Vorgang des Erinnerns, „ich erinnere mich“ ist die Beschwörungsformel, in der gleichzeitig mitschwingt: es kann auch anders gewesen sein. Wenige Erinnerungen des ereignislosen Aufenthaltes entbehren diese Formel. So ahnte die „dickärschige“ Bedienerin, die dem Schriftsteller drei Monate lang täglich das Essen auf den Tisch „knallte“, anscheinend, mit welchem Attribut er sie täglich bedachte und konnte nicht anders, als ihm (aus Notwehr) die Teller oder den Wein auf den Tisch zu knallen.

Der Schriftsteller erinnert sich also, wie er sich aufmachte nach Süden, denn es ist kalt in Berlin. Er kommt nach Andalusien und wundert sich, dass dies ein Landschaftsname ist, er kannte den Film von Bonuel „Der andalusische Hund“.  Und dort findet er das „letzte romantische Fischerdorf“: Cabo de Gata: Das Kap der Katze.

Natürlich ist es nicht romantisch dort, Müllhalden, Plastetüten, wohin man schaut: „Noch in hundert Jahren wird diese gelbe Tüte dort an den Stacheln der Agave im Wind flattern.“

Er will einen Roman schreiben. Er erzählt seiner Wirtin, dass er ein Schriftsteller sei und deshalb einen Tisch in seinem Zimmer brauchte, einem der wenigen Gäste, denen er begegnet, stellt er sich als Handke, Peter Handke, vor.  Was bei seinem Gegenüber nichts auslöst. Und er selbst denkt einen Gedanken: „Selbst wenn ich einen Roman zustande bekäme. Ja selbst wenn dieser Roman von einem großen, angesehenen Verlag gedruckt würde, wäre es Dummheit und Selbstbetrug, damit zu rechnen, dass ich eine Auflagenhöhe von dreitausend Exemplaren wesentlich überschritt“. Er also alles aufgegeben hätte, Jahre verschwendet, um vielleicht 9000 Mark zu bekommen.

Er kommt also kaum zum Schreiben, oder wenn doch, dann reißt er die Seiten wieder heraus. „Viel Arbeit, wenig Fisch“, diesen Gruß der Fischer lernt er auf Spanisch, er fühlt sich ihnen verbunden. 

Dann begegnet er der Katze. Sie sah aus, wie die tote Katze, die er in der kargen Landschaft liegen gesehen hatte, mit dem wie zu einem Schrei geöffnetem Maul.  Er trifft sie am Briefkasten, wo er ein Lebenszeichen für die Berliner Kontakte: Vater, Freund, Tochter, die nicht seine war, eingeworfen hatte. Und die Katze, die ihm folgt, die er füttert, erinnert ihn an die verstorbene Mutter. Und die sendet ihm eine Botschaft: „dass ich vergeblich hier bin“.

Zu seinem Erstaunen nimmt er wahr, dass er auf die Katze wartet, wie ein Verliebter, dass er sich zwingen muss, nicht zu früh zum Briefkasten zu gehen, wo zur gleichen Zeit wie bei der ersten Begegnung, die Katze angemaunzt kommt. Schließlich schläft sie auf seinem Bett.

Er scheint nur noch dort zu sein, um abends die Katze, inzwischen trächtig, vom Briefkasten abzuholen. Als er eine Zärtlichkeit erzwingt, er will den Bauch der Katze mit den Jungen drin streicheln, das hätte er sich doch mit seiner Fürsorge verdient, denkt er, wehrt sich die Katze, kratzt nach Katzenart. Und er reagiert auf den Schrecken heftig, wirft sie auf den Boden oder schlägt sie, da weiß die Erinnerung nicht mehr genau – und Schluss. Er packt seine Sachen und fährt zurück.

„Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war.“ Das schreibt Ruge in der Widmung. Eine scheinbar leise, unaufgeregte Geschichte. Eine Selbstvergewisserung? Eine Genugtuung?

Es ist die Perspektive, die hier die (Katzen)Musik macht. Dass sich hier ein Mann erinnert, der so erfolgreich ist, dass es ihn gar nicht interessiert, in welcher Sprache seine eigenen Texte ihm gerade vorgetragen werden, und der es aber doch für nötig hält, das seinen Lesern in einem Nebensatz mitzuteilen, passt nicht zu der existentiellen Situation, die im Hauptteil erzählt wird. (Schaut her, es ist doch etwas aus mir geworden.) Sie hat etwas davon, wie man sich mit wohligen Schauern auf dem gemütlichen Sofa Erzählungen von Hartz IV-Empfängern im Fernsehen anschaut. DAS wäre natürlich auch eine interessante Variante. Aber dann müsste die Gewichtung anders sein. Dann müssten beide Perspektiven schärfer gegeneinander gesetzt werden. So bleibt es eine arrogante Attitüde, die dem deutschen Feuilleton gar wohl gefällt, mir nicht.

Eugen Ruge
Cabo de Gata
Rowohlt
2013 · 208 Seiten · 19,95 Euro
ISBN:
978-3-498-05795-4

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