Alle könnten befallen sein
Am Muttertag zum Faulsein verdonnert, sitzt Franziska in der Küche und beißt beinahe ins Tischtuch, um nicht aufzuspringen und laut zu schreien. Eine Tortur, zuschauen zu müssen, wie ihr Sohn Manuel und ihr Mann Tom mit ihrem ungeschickten Helfen-Wollen ein Chaos anrichten, das sie, ist der Ehrentag erst überstanden, wird beheben dürfen. Mit dieser grandios beobachteten Szene beginnt Gertraud Klemms Roman „Aberland“. Beim Bachmann-Wettbewerb 2014 las sie einen Auszug daraus und gewann dafür den Publikumspreis; nun erschien das Buch beim Droschl Literaturverlag.
Franziska ist 35, hat – genau wie die Autorin – Biologie studiert, und ist dann in die uralte Falle getappt, in der so viele Frauen landen: Auf die energiezehrende Amour Fou mit dem beziehungsgestörten Ralph folgte die pragmatische Entscheidung für den „sportlichen Tiroler“ Tom – mit dem es keine Dramen gibt, aber eben auch keine Leidenschaft. Das ungeplante Kind ist anstrengend und schreit viel; die angefangene Doktorarbeit über Zebrafische liegt seit Jahren brach. Ihrer latenten Unzufriedenheit macht Franziska einzig dadurch Luft, dass sie Toms kleine Fehlbarkeiten penibel observiert und innerlich kommentiert. Doch es geht nicht nur um Bröselspuren in der Küche oder schief in die Spülmaschine gestellte Teller. Es geht vor allen Dingen um Toms Lebensplan, der nach zwei, am besten drei Kindern verlangt, und der Franziska, wenn sie nicht sehr aufpasst, alsbald zu verschlingen droht. Elfriede Jelinek und Marlene Streeruwitz winken aus nicht allzu weiter Ferne, wenn Klemm zynisch resümiert:
„Es ist schon lange nicht mehr ihr Körper, es ist jedermanns Luststätte, Labstelle, Raststätte, Brutraum.“
Das so gewitzte wie radikale feministische Traktat wäre nicht komplett ohne die Stimme einer weiteren Generation. In diesem Fall gehört diese Stimme Elisabeth, Franziskas Mutter. Warum gerade sie aus der Ich-Perspektive erzählt, wird nicht ganz ersichtlich – klar ist jedoch, dass Klemm sich unglaublich gut in die Lebensansichten und das Körpergefühl der knapp 60-Jährigen hineinversetzen kann. Ein Körpergefühl, das größtenteils negativ besetzt ist – Elisabeth absolviert ein straffes Programm zur Aufhaltung diverser Alterungsprozesse: Walken und Schwimmen, Ultraschall-Lifting und Kollageneinspritzungen. Nebenher organisiert sie die Pensionsfeier ihres Ehemanns, der sie regelmäßig mit jüngeren Geliebten betrügt, und kümmert sich um dessen senile Mutter, die als dürres Gespenst den am Horizont lauernden Tod verkörpert.
Wunderbar gelungen sind Elisabeths Beobachtungen auf einer ländlichen Sonnenterrasse: Der Klatsch der anderen Frauen über die Wehwehchen ihrer Männer, das stolze und zugleich verbitterte Aufzählen der Verdienste ihrer Kinder, mit denen sich die Hausfrauen, die ihre eigenen Lebensziele früh aufgegeben haben, nun schmücken müssen.
Während sich Franziskas Leben in die begrenzten Zeitfenster zwischen Manuels Einschlafzeit und dem eigenen Schlafbedürfnis quetscht, rettet sich Elisabeth von einem Kosmetikbesuch zum nächsten. In „Aberland“ fungieren Termine als eine Art Beckenrand für die Schwimmbewegungen des Lebens: etwas, worauf sich ihre Protagonistinnen zu bewegen und von dem sie sich wieder abstoßen. So beginnt Klemm jedes Kapitel mit einer Einladung: zum Muttertagsbrunch oder zum Babyshower, zu Beförderungs- oder Pensionsfeiern. Was sie jedoch wirklich interessiert, ist der Backstage-Bereich der albernen Darbietungen beim Kindergarten-Sommerfest, das innere Brodeln ihrer Protagonistinnen, während sie vordergründig angeregt Smalltalk betreiben.
Zwischen selbstverliebten Reden und Tortenbuffet beschleicht Elisabeth immer öfter das Gefühl, dass ihrem Leben etwas Fauliges anhaftet. Die Buchsbaumzünsler, die den Garten heimsuchen, werden zur Metapher für eine unausgesprochene Frustration, die sich langsam aber sicher an die Oberfläche frisst: „Der Gedanke, alle könnten befallen sein.“ Auch Franziska unterdrückt die hin und wieder aufkeimenden Gedanken an die Fragilität ihres Familienkonstrukts, an das geborgte Glück, mehr oder weniger erfolgreich. Und setzt sich dann auf „ihre Terrasse, die zu zwei Dritteln der Raiffeisenbank gehört“.
Vor allem die Elisabeth-Kapitel schäumen nur so über vor originellen Betrachtungen und bissigen Seitenhieben: „Lebensabend, das klingt wie ein Schlamm, der Gasblasen wirft, eine Golfblase und eine Wellnessblase und, schlimmer noch, eine Elektrofahrradblase.“ Oder: „Irgendwann werden wir in einer Art Lake liegen und gegen das Ablaufdatum anbaden wie Sauergemüse oder Mozzarellakugeln.“ Allerdings ist dies wohl eher die Stimme der Autorin, die hin und wieder aus der Rollenprosa fällt. Denn eine derartige Fähigkeit zur Selbstreflexion und -ironie ist der floskelhaft daherplappernden Oma aus den Franziska-Kapiteln kaum zuzutrauen.
Verzeihlich, in Anbetracht der eigenwilligen, treffsicheren Sprache, die viel mit assoziativen Aneinanderreihungen arbeitet, und dabei auf unnachahmliche Weise Penisvorhaut mit Weißwürsten, das Eheleben mit Fisch-Paarungstanks, die unermüdlich fordernden Kinder mit fetten, behäbigen Walen vergleicht.
Doch Klemm will keineswegs nur amüsieren oder karikieren. Sie hat eine klare Message und kennt ihre Gender-Theorien. Schuld an der Misere ihrer Protagonistinnen sind nicht nur deren schwache Willenskraft oder die ein oder andere falsche Entscheidung an einem Scheideweg des Lebens. Schuld sind genauso die hierarchischen Geschlechterverhältnisse, die im 21. Jahrhundert unverändert fortbestehen.
So bedient sich Franziska, um ihren Sohn dazu zu überreden, in den Kindergarten zu gehen, einer opportunen Lüge: Sie müsse Geld verdienen. Manuels Reaktion: „Warum wir nicht Papas Geld nehmen? Schon das Kindergartenkind hat ein Gespür für die Heilsversprechen konservativer Familienpolitik.“ Und auch bei Elisabeth bleibt die Rollenverteilung über die Pensionierung des Ehemannes hinaus eindeutig bestehen: „Du spritzt die Buchsbaumzünsler tot und ich kratze die Spätzle aus der Warmhaltewanne.“
Ganz ohne Hoffnung ist „Aberland“ jedoch nicht. Immer wieder starten Klemms Protagonistinnen zaghafte Ausbruchsversuche. Ein paar Erkenntnisse gibt es auch, oder zumindest das ein oder andere Puzzleteil auf dem Weg zu einer Lösung. So sinniert Franziska, als sie wieder einmal unkonzentriert auf die Tabellen ihrer Doktorarbeit starrt:
„Man müsste sich intellektuell selbst befriedigen können, sich in sich selbst verlieben und sich selbst anhimmeln, man müsste sich täglich den schönsten Alltag servieren können, ohne jemanden dazu zu brauchen, kein Mann und kein Kind“.
Fixpoetry 2015
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben