Der Zug nach Irgendwo
Seltsamerweise ist das titelgebende Windrad kein Zeichen der Zeit, das von der Zukunft alternativer Energien kündet, sondern es stellt sich als Relikt der Vergangenheit dar. Aus der Zeit amerikanischer Besatzung, es ist aus Holz und dreht seit langem keinen Flügel mehr. Isabella Straubs Roman zielt auf das „Fest des Windrads“ hin, wo das nutzlose Teil abgefackelt werden soll.
Davor strandet ein Zug in der Ortschaft Oed (da sträubt sich sogar das Rechtschreibprogramm, es will partout Oed in Ode veredeln). Greta ist auf dem Weg zu einer Medizintechnik-Messe nach Italien und sauer, dass ihre Firma sie in einen Zug steckt, statt in einen BMW, der ihr, wie sie findet, zusteht. Bevor sie die Panik packt, gelingt es ihr, einen Mann aus ihrem früheren Leben zu verführen, dem sie im Zug zufällig begegnet. Dabei flucht sie, wie lange das dauert, befürchtet, dass ihre sexuelle Ausstrahlung schwindet. Die Flucht aus dem Zug führt sie derangiert und mit blutenden Knien mitten in das gescheiterte Liebesspiel eines anderen Paares. Jurek war dabei, die esoterische Hannelore aus Niederoed (ja, es gibt noch eine Steigerung) niederzulegen, doch seine Erregung schwand noch bevor sie lag.
Diese beiden, Greta und Jurek, haben den Zenit überschritten und ihr Zusammentreffen lässt sie fragend zurückblicken. Ihre Perspektiven wechseln sich ab. Greta lebt ausschließlich für die Karriere und liebt das internationale Parkett. Jurek hat sich in Oed im Hause seiner Eltern eingerichtet oder besser verpuppt, der ehemalige Philosophiestudent fährt nun Taxi, die Ehe ist gescheitert. Die zwanzigjährige aus der Form geratene Tochter steht mit einem spindeldürren Versicherungsmakler vor seiner Tür, will hier wohnen, heiraten, leben. Jurek plant, in eine andere Wohnung zu flüchten und den „Kindern“ das Haus unterm Hintern weg zu verkaufen.
Greta erlebt in Oed einen Zusammenbruch, ihre schöne Karriere fand ein jähes Ende, die Abteilung ihrer international agierenden Firma wurde aufgelöst.
Dies Stranden in der Provinz ist ja nun nicht neu, doch ist es immer wieder spannend, das Geflecht einer Dorfgemeinschaft zu beleuchten. Und den Stadtmenschen gegenüberzustellen, die genau diese Öde der Provinz verabscheuen. Als Gegenbewegung führt die Autorin Tochter und potentiellen Schwiegersohn Jureks von der Stadt aufs Land: Das junge Paar ist bewusst nach Oed gezogen. Der Versicherungsmakler sieht gerade dort seine Chance und tatsächlich sind viele Oeder an dem Versicherungspaket „E für Emotion“ interessiert: Der Versicherung gegen „Heimweh, Sehnsucht und Liebeskummer“. Das Engagement in Versicherungssachen des sonst schlaffen potentiellen Schwiegersohns nötigt Jurek Respekt ab. Die Figur der Tochter hat keinerlei Besonderheiten, sie ist dick, wohl aufgrund der Trennung der Eltern, kann gut kochen und möchte drei Kinder haben. Kleiner Nebengedanke: Vermutlich wollte die Autorin die Farblosigkeit der „jungen Generation“ darstellen, wie es gerade in der Literatur weit verbreitet ist. Stattdessen wird die Jugend der Schreibenden, die in den 1980ern 20 Jahre alt waren, immer schöner, lebendiger, kreativer. Dieser Trend ist nicht neu und illustriert nur die Arroganz und Ignoranz der „mittelalterlichen Autoren“, die der jetzigen Jugend nichts Literarischeres als Langeweile und Farblosigkeit abgewinnen können, aber selbstverliebt die eigene Jugend ikonisieren. Dieser Nebengedanke hat nur mittelbar mit Isabella Straubs Figurenzeichnung zu tun und ist hier zu Ende.
Jurek und Greta treffen nur sporadisch aufeinander. Zweimal sitzt sie in seinem Taxi, um Oed endlich hinter sich zu lassen. Einmal treffen sie sich bei einer Party ohne groß Notiz voneinander zu nehmen und schließlich zum Fest des Windrads. Wer Isabella Straubs ersten Roman „Südbalkon“ gelesen hat, weiß, das wird keinesfalls eine Liebesgeschichte. Und diese Konstellation, die flüchtigen Begegnungen der Protagonisten abwechselnd aus beiden Perspektiven beschrieben, ist die stärkste und überzeugendste Seite des Romans. Die Figur Jureks ist ihr dabei besser gelungen. Sein Kampf mit dem an entscheidenden Stellen versagenden Körper, der ungetrübte Blick auf sein kleines Leben und die Konsequenz, gar nicht mehr so viel zu wollen, als die Liebe der jungen Apothekerin, was sich allerdings als ziemlich viel herausstellt. Sein nüchterner gefühlloser Blick auf die dicke Tochter ist erschreckend ehrlich und ist aber durch seine eigene Geschichte, der die Autorin einigen Platz einräumt, motiviert. Dagegen scheint Greta als Figur nicht über das Klischee hinauszukommen. Sie bleibt zweidimensional und ihr berufliches „Comeback“ als Versicherungstante und Coach des Windradfestes mag Isabella Straub ironisch angelegt haben, überzeugt aber überhaupt nicht. Es ist, als wäre der Österreicherin zum Ziel hin die Luft ausgegangen. Zum Fest des Windrads wird die fast unübersichtliche Personage des Romans zusammengeführt, ohne dass irgendetwas Neues erzählt wird. Wie auch das Symbol des Windrads ratlos im Wind bleibt und im Feuer noch mal seine nutzlosen Flügel bewegen darf.
In ihrem Debüt „Südbalkon“ überzeugte die ehemalige Werbetexterin Isabella Straub mit Lakonik und Wortwitz. Dabei gelang es ihr, den Figuren in ihrem Kampf gegen sich selbst Plastizität und Leben einzugeben. In aller Skurrilität bleibt Platz, ja - (ich traue es mich kaum zu sagen) für Empathie. Hier ist es ihr gelungen, junge Menschen in ihrem Kampf mit der Welt und - wie gesagt, auch mit sich - differenziert und überzeugend darzustellen.
Vielleicht ist es auch gar nicht so einfach, wenn eine Autorin für ihr gelungenes Debüt gut gemeinte, teils jedoch völlig überzogene Zuschreibungen bekommt, die sie bis in die Nähe Kafkas rücken. Möglicherweise ist ihr das selbst peinlich. Sie will gut unterhalten, das kann sie. Vielleicht sollten die Verlage - denen das Phänomen des zweiten Romans, der die Qualität des ersten nicht erreicht, bekannt sein dürfte, in diesem Fall Aufbau/Blumenbar - dem Autor, der Autorin eine „Schutzzeit“ für den schwierigen zweiten Roman einräumen, damit er/sie die Qualität halten oder noch besser, steigern kann. Zwei Jahre scheinen da zu wenig.
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