Animal ... incognitum
Zweier Hinweise bedarf es beim jüngst erschienen Nachlaßband Derridas – Das Tier und der Souverän I, einer Transkription seines Seminar von 2001–2002 – kaum: daß Derrida einer der maßgeblichen Denker des 20. Jahrhunderts war und seine Schriften noch immer unvermindert wichtig, aktuell und inspirierend sind; und, daß gerade das Tier heute eine Konstellation umreißt, die uns umzutreiben hätte: Was ist das andere Geschöpfliche, inwiefern ist es anders, nämlich: ist es, und ist es, täuscht das Wort Tier eine Homogenität dessen vor, was es benennt – und stehen wir in Beziehung..?
Schon der Beginn ist schwierig: „Wir werden es gleich zeigen”, der Anfang ist vorgängig und verspätet, ist er zu antizipieren, damit schon getan? Könnten wir uns schon da „auf leisen (Wolfs-)Sohlen” zu bewegen haben, Pendant zu Nietzsches die Welt lenkenden Taubenfüßen-Gedanken..? Eine „schweigende Stimme” macht den Anfang. Es mag gelten zu befehlen, „aber still zu befehlen”, in der Absenz einer Intention, der stille Wolf ist schon „nicht da”.
So ist man stets außerhalb eines Paradigmas, das man aber konkretisiert; dem man also es herbeischreibend entgangen ist, noch. Man ist immer – noch – außerhalb des Gesetzes, hierin Tier/Verbrecher/Souverän. Bestünde ein „Recht auf das Nicht-Recht”..?
Doch das Nicht-Recht enthebt der Pflicht zur Antwort und ist darin schon Anklage. „Lykonomie” ist das Gesetz in seiner Abgründigkeit, auszuschließen, sogar, wenn es dies schützend tun will. Man wird zur Bestie – mit, da das Leitmotiv präsent ist, Zügen „des furchterregendsten Werwolfs” –, sobald und sogar „weil man behauptet, menschlich und der Würde des Menschen würdig zu sein.” Zu schützen ist eine „Zärtlichkeitsregung”, die doch „die Anklage in Wahrheit verschärfen kann”, zu schützen zu sein, ausgeschlossen vom juristisch-politischen Diskurs, ist doch zuletzt „ein Hauptpunkt der Anklage”, implizit zumindest.
So geht es mit dem Tier wie auch dem Souverän, von dem es sich folglich kaum unterscheidet – und an beiden partizipieren wir gleichermaßen, als zum Volk fragmentierter Souverän (theoretisch) und Bestie, die sprachlos nur gezähmt sein mag, das Tier und den Souverän gibt es rein womöglich ohnehin nicht –, um uns; und, insofern die Grenze, was uns ausmache, wenigstens permeabel ist, um mehr, man könnte, wäre es nicht so billig abstrakt, fast sagen: um alles.
Dies zeigt Derrida, dessen Begriffsbefragungen und -dekonstruktionen lesenswert bleiben; und der uns fehlt, mag es auch noch manches von ihm zu lesen geben, im Nachlaß, der nun erschlossen wird. Derrida ist tot; „Gott bereut”, wenn es ihn gibt, daß es so kam. Lesen!
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